Urteil des BFH vom 19.01.2010
Fehlende Gewinnerzielungsabsicht bei Tierzucht auf Basis nur weniger Zuchttiere - Keine Bindung an tierschutzrechtliche Beurteilung
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 16.6.2010, X B 214/09
Fehlende Gewinnerzielungsabsicht bei Tierzucht auf Basis nur weniger Zuchttiere - Keine Bindung an tierschutzrechtliche
Beurteilung
Gründe
1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der beschließende Senat kann offen lassen, ob die Beschwerdebegründung der
Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2
FGO) liegen jedenfalls nicht vor.
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1. Die Kläger führen aus, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhe auf Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2
Nr. 3 FGO). Es sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass das FG in seinem Urteil die klägerische Prognose zum
Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko der vom Kläger gehaltenen Vögel auf der Grundlage des schlechtest möglichen
Falls ("worst-case Betrachtung") für maßgeblich halten und sich nicht stattdessen am prognostizierten mittleren
Schadensverlauf ("mid-case Betrachtung") orientieren werde. Zudem habe das FG den tatsächlichen
Geschehensablauf nicht berücksichtigt. Im Streitfall seien abweichend vom "worst-case Szenario" nicht fünf der sieben
gehaltenen Vogelpaare, sondern lediglich eines verendet. Zu Unrecht sei das FG ferner davon ausgegangen, dass
der Kläger krankheitsbedingt seine betriebliche Betätigung nicht über einen längeren Zeitraum werde ausüben
können. Auch habe das FG keine Ermittlungen zu den voraussichtlich erzielbaren Zuchterfolgen und zur Höhe der
voraussichtlich entstehenden Aufwendungen durchgeführt. Die Kläger hätten die Verletzung der
Sachaufklärungspflicht durch das FG in der mündlichen Verhandlung nicht rügen können.
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2. Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
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a) Eine unzulässige Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1
des Grundgesetzes) ist gegeben, wenn das FG sein Urteil auf einen bisher nicht erörterten rechtlichen oder
tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Januar 2010
IV B 136/08, BFH/NV 2010, 918). Eine solche Überraschungsentscheidung ist dann nicht gegeben, wenn das FG sein
Urteil auf Gesichtspunkte stützt, die bereits in der den Klägern bekannten Einspruchsentscheidung des Beklagten und
Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) enthalten sind (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juni 2003 X B 165/02, BFH/NV
2003, 1147).
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So ist es im Streitfall. Das FG hat seine Entscheidung, wonach in den Streitjahren 2001 und 2002 keine
Gewinnerzielungsabsicht vorgelegen habe, in erster Linie dadurch gemäß § 105 Abs. 5 FGO begründet, dass es
ausgeführt hat, es folge insoweit den Ausführungen in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf,
also der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2008. In dieser Einspruchsentscheidung (S. 8 Abs. 2) führt das FA u.a.
aus, dass selbst wenn hinsichtlich der Zucht alles nach Plan verlaufen wäre, frühestens im Jahr 2008 die Möglichkeit
bestanden hätte, durch Verkauf der Nachzucht Einnahmen zu erzielen. Da bis dahin sehr hohe Investitionen
erforderlich seien und auch mit einem Verlust von Tieren zu rechnen sei, ergebe sich aber auch dann noch lange kein
Gewinn aus dieser Tätigkeit. Dieser sei vielleicht nach einem langen Zeitraum und dann auch nur in der Theorie
erzielbar, weil Paarung und Nachwuchs nicht planbar seien. Eine bloß theoretisch bestehende Gewinnchance
genüge zur Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht aber nicht.
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Angesichts dieser Ausführungen mussten die Kläger damit rechnen, das FG werde die Gewinnerzielungsabsicht
unabhängig von der klägerischen Prognose über das Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko der von ihm gehaltenen
Vögel wegen des Vorliegens einer bloß theoretisch gegebenen Gewinnchance verneinen.
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b) Das FG hat auch nicht gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen. Ein solcher
Verfahrensfehler liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem schriftlich
festgehaltenen Vorbringen der Beteiligten widerspricht, oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache
unberücksichtigt geblieben ist. Kein Verfahrensfehler ist dagegen die ggf. fehlerhafte Würdigung solcher Erkenntnisse
(Senatsbeschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947).
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Im Streitfall ist eine Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht deshalb gegeben, weil sich das FG in den
Entscheidungsgründen des Urteils nicht damit auseinandergesetzt hat, dass lediglich ein Vogelpaar in den
Streitjahren verendet ist. Denn das FG hat, wie die Bezugnahme auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung
zeigt, den klägerischen Prognosen keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
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In diesem Sinn sind auch die Ausführungen im Urteil (S. 9, Abs. 2) zu verstehen, wonach der klägerische Betrieb
angesichts der geringen Zahl von gehaltenen Tieren nicht geeignet gewesen sei, einen Totalüberschuss zu erzielen,
weil Ausfälle und andere Unwägbarkeiten nicht hätten kompensiert werden können, die im Streitfall in Gestalt von
Krankheit, Tod oder Verhaltensstörungen bei den vom Kläger gehaltenen Vögeln feststellbar seien.
10 Entgegen der Ansicht der Kläger konnte das FG eigenständig zu dieser Beurteilung kommen, ohne ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Züchterische Fehlentwicklungen und Fehlschläge können nur durch An- und
Verkauf vorhandener Zuchttiere ausgeglichen werden. Das gilt erst recht, wenn die Tierzucht auf der schmalen Basis
von nur wenigen Zuchttieren erfolgt, da dann ein zeitnaher Ersatz von Abgängen erforderlich ist. Die Kläger haben
jedoch ersichtlich etwaige Kosten und Erlöse aus der Umschichtung des Tierbestandes nicht in die Ertragsprognose
einbezogen.
11 c) Soweit die Kläger rügen, das FG habe zum Nachteil der Kläger angenommen, der Kläger könne krankheitsbedingt
seine betriebliche Tätigkeit nicht über einen längeren Zeitraum ausüben, obwohl dies durch Beschäftigung von
Mitarbeitern möglich sei, machen sie keinen Verfahrensfehler, sondern eine nicht zur Zulassung der Revision
führende Verletzung des materiellen Rechts geltend.
12 d) Die Kläger haben nicht schlüssig gerügt, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO)
verletzt. Wird geltend gemacht, das FG habe auch ohne entsprechende Beweisantritte den Sachverhalt von Amts
wegen aufklären müssen, dann ist nach der ständigen Rechtsprechung u.a. darzulegen, dass ein solcher Mangel in
der mündlichen Verhandlung vor dem FG, in der der Beteiligte wie hier rechtskundig vertreten war, gerügt wurde, oder
aus welchen entschuldbaren Gründen eine dahingehende Rüge unterblieb (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. April
2008 X B 67/07, BFH/NV 2008, 1346).
13 Insoweit machen die Kläger im Streitfall lediglich geltend, eine solche Rüge sei deshalb nicht erhoben worden, weil
das Unterlassen einer weiteren Sachaufklärung für sie nicht erkennbar gewesen sei. Sie hätten nicht damit rechnen
müssen, dass das FG das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht auf der Grundlage des von den Klägern
dargelegten ungünstigsten Schadensverlaufs beurteilen werde. Dies trifft indessen, wie oben unter 2.a dargelegt,
nicht zu. Im Übrigen hätten die rechtskundig vertretenen Kläger, wenn sie eine weitere Sachaufklärung durch
Befragen des Klägers für erforderlich hielten, die für notwendig gehaltenen Erklärungen in der mündlichen
Verhandlung abgeben oder Beweisanträge stellen können.
14 3. Soweit die Kläger mit Schriftsatz vom 30. März 2010 erstmals geltend machen, das angefochtene Urteil sei auch
deshalb fehlerhaft, weil das Halten von mehr als fünf Vogelpaaren nach der Durchführungsverordnung zum
Tierschutzgesetz als gewerblich zu beurteilen sei, ist dieser Vortrag verspätet.
15 Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung dürfen Zulassungsgründe, die wie hier erst nach Ablauf der
Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO geltend gemacht werden, nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. z.B.
Senatsbeschluss vom 20. Juni 2007 X B 116/06, BFH/NV 2007, 1705).
16 Zum Zweck der Klarstellung weist der beschließende Senat darauf hin, dass die tierschutzrechtliche Beurteilung, unter
welchen Voraussetzungen eine gewerbliche Vogelzucht gegeben ist, nichts darüber besagt, ob eine solche
Betätigung i.S. des § 15 des Einkommensteuergesetzes eine mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene gewerbliche
Tätigkeit ist.