Urteil des BFH vom 07.03.2007
BFH: gegenleistung, bilanzstichtag, kreditnehmer, passiven, entschädigung, bauer, beendigung, verzicht, abgrenzung, entlassung
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 7.3.2007, I R 18/06
Vorfälligkeitsentschädigung als passiver Rechnungsabgrenzungsposten
Leitsätze
Eine Vergütung, die der Kreditgeber für seine Bereitschaft zu einer für ihn nachteiligen Änderung der Vertragskonditionen
vom Kreditnehmer vereinnahmt hat, ist in der Bilanz des Kreditgebers nicht passiv abzugrenzen.
Tatbestand
1 I. Streitpunkt ist, ob eine Bank Vergütungen, die sie im Zusammenhang mit der Änderung der Vertragsgrundlage von ihr
ausgegebener Darlehen vereinnahmt hat, passiv abgrenzen kann.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Genossenschaftsbank, ist Rechtsnachfolgerin einer eingetragenen
Genossenschaft (B), die ebenfalls Bankgeschäfte betrieb. Im Streitjahr 1998 vereinnahmte die B von etlichen
Kreditkunden Vergütungen, die Letztere im Zusammenhang mit auf ihren Wunsch vor Ablauf des jeweiligen
Festzinszeitraums erfolgten Zinsänderungen zu zahlen hatten und die teilweise als "Vorfälligkeitsentschädigungen"
bezeichnet wurden.
3 Für die Änderungsvereinbarungen verwendete die B im Regelfall neue Vertragsformulare, in denen als
Abschlussgrund "vorzeitige Neuvereinbarung Zinsfestschreibung" angegeben wurde. Geändert wurden die
Vereinbarungen über Zinssätze, Darlehenslaufzeiten und Annuitäten. Neue Sicherheiten wurden nicht bestellt.
Gegenüber dem Außenprüfer beschrieb die B die Vereinbarungen wie folgt:
4 "In aller Regel wurde mit dem Kunden über den Restkreditbetrag, und in zunehmendem Maße wurde auch die zu
zahlende Vorfälligkeitsentschädigung gleich ... mitfinanziert, ein neuer Kreditvertrag geschlossen. Im gleichen Zug
wurde das 'Altdarlehen' abgerechnet und auf ein weiteres Darlehenskonto übertragen. Das Vertragsverhältnis mit dem
Kunden wurde in keiner Weise gelöst, sondern nur wegen der technischen Seite und den gesetzlichen Bestimmungen
der Effektivzinsangabe, veränderten Vertragslaufzeit etc. auf ein 'anderes' Vertragsverhältnis übertragen."
5 In ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1998 bildete die B im Hinblick auf die vereinnahmten Vergütungen passive
Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) in Höhe von insgesamt 130 029 DM. Diese erkannte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr --zuletzt
durch einen während des vorinstanzlichen Verfahrens erlassenen Änderungsbescheid-- nicht an. Die deswegen von
der B erhobene Klage, die nach Verschmelzung der B auf die Klägerin von dieser fortgeführt worden ist, hat das
Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil vom 15.
Dezember 2005 3 K 100/02 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 636 abgedruckt.
6 Gegen das Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
7 Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil aufzuheben und den Änderungsbescheid vom 25.
Oktober 2004 dahin zu ändern, dass bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer der B für 1998 ein passiver
Rechnungsabgrenzungsposten in Höhe von 130 029 DM und die dadurch bedingte Verringerung der Gewerbesteuer-
Rückstellung berücksichtigt werden.
8 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen. Das FG
hat die im Streitjahr von der B vereinnahmten Vergütungen zu Recht nicht passiv abgegrenzt.
10 1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die "handelsrechtlichen" GoB ergeben sich
insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs "Vorschriften für alle Kaufleute" der §§
238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).
11 2. Gemäß § 250 Abs. 2 HGB sind als RAP auf der Passivseite Einnahmen vor dem Abschlussstichtag auszuweisen,
soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Zeitpunkt darstellen; dem entspricht wörtlich § 5 Abs. 5 Satz 1
Nr. 2 EStG. Diese Vorschriften sollen gewährleisten, dass ein vom Steuerpflichtigen vorab vereinnahmtes Entgelt
entsprechend dem Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 und Nr. 5 HGB) erst dann --durch Auflösung des
RAP-- erfolgswirksam wird, wenn der Kaufmann seine noch ausstehende Gegenleistung erbracht hat (Senatsurteil
vom 23. Februar 2005 I R 9/04, BFHE 209, 248, BStBl II 2005, 481; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Mai
1983 VIII R 100/81, BFHE 138, 443, BStBl II 1983, 572; vom 9. Dezember 1993 IV R 130/91, BFHE 173, 393, BStBl II
1995, 202). Gewinne dürfen erst berücksichtigt werden, wenn sie am Abschlussstichtag durch Umsatzakte realisiert
sind (Senatsurteil vom 24. Juli 1996 I R 94/95, BFHE 181, 64, BStBl II 1997, 122). Insoweit ist die Zielrichtung der
passiven Rechnungsabgrenzung mit der der Passivierung von Anzahlungen (§ 266 Abs. 3 C. Nr. 3 HGB) vergleichbar.
12 3. Im Hinblick auf die für eine Rechnungsabgrenzung erforderliche zeitliche Zuordenbarkeit des Entgelts ("bestimmte
Zeit") muss die noch ausstehende Gegenleistung des Kaufmanns zeitbezogen oder periodisch aufteilbar sein (vgl.
Bauer in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz F 97). Dies setzt eine zumindest qualitativ gleich
bleibende Dauerverpflichtung voraus (Senatsurteil in BFHE 209, 248, BStBl II 2005, 481; BFH-Urteile vom 20. Mai
1992 X R 49/89, BFHE 168, 182, BStBl II 1992, 904; vom 10. September 1998 IV R 80/96, BFHE 186, 429, BStBl II
1999, 21), die einem "Wertverzehr" unterliegt (Senatsurteil vom 18. Dezember 2002 I R 17/02, BFHE 201, 234, BStBl II
2004, 126, m.w.N.).
13 Da das bezogene Entgelt am jeweiligen Bilanzstichtag nur insoweit abzugrenzen ist, als es Ertrag für eine bestimmte
Zeit "nach diesem Zeitpunkt" darstellt, muss darüber hinaus seitens des Kaufmanns eine Verpflichtung zu einer nach
diesem Bilanzstichtag (zumindest zeitanteilig) noch zu erbringenden Gegenleistung bestehen (vgl. Ellrott/Krämer in
Beck'scher Bilanz-Kommentar, 6. Aufl., § 250 HGB Rz 20). Im Hinblick auf eine bereits vollzogene Leistung kann eine
Rechnungsabgrenzung nicht erfolgen (Senatsurteil in BFHE 209, 248, BStBl II 2005, 481; BFH-Urteile in BFHE 173,
393, BStBl II 1995, 202; in BFHE 138, 443, BStBl II 1983, 572).
14 4. Nach diesen Grundsätzen berechtigte die vor dem Bilanzstichtag erfolgte Vereinnahmung der streitbefangenen
Vergütungen die B nicht zur Bildung von passiven RAP. Insbesondere besteht auf der Grundlage der vom FG
getroffenen Feststellungen nicht der für eine passive Abgrenzung erforderliche Zusammenhang zwischen den
Zahlungen der Kreditnehmer und nach dem Bilanzstichtag von der B noch zu erbringenden Leistungen.
15 a) Erhält die Bank im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Darlehensverhältnisses vom Darlehensnehmer eine
Vorfälligkeitsentschädigung, handelt es sich hierbei wirtschaftlich um eine Leistung, die den Schaden ausgleichen
soll, der der Bank durch die vorzeitige Vertragsbeendigung entsteht (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom
30. November 2004 XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196). Derartige Entschädigungen sind kein Entgelt für eine vom
Empfänger noch zu erbringende Gegenleistung, sondern für eine einmalige, vor dem jeweiligen Stichtag durch
Aufhebungsvertrag (Verzicht) bereits vollzogene Leistung (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 25. Aufl., § 5 Rz 246;
Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 296). Der wirtschaftliche Grund für diese Einnahmeerzielung liegt
somit vor dem Bilanzstichtag (Schreiber in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz 904). Dementsprechend sind beispielsweise Entschädigungen anlässlich der
Aufhebung von Hausverwalterverträgen (Senatsurteil in BFHE 209, 248, BStBl II 2005, 481) und
Ertragswertentschädigungen für die einvernehmliche Einschränkung von Betrieben (Senatsurteil vom 11. Juli 1973 I R
140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840) nicht passiv abzugrenzen.
16 b) Entgegen der Sicht der Klägerin gilt nichts anderes, wenn die Entschädigung nicht im Zusammenhang mit einer
vollständigen Beendigung des Vertragsverhältnisses, sondern im Rahmen einer vorzeitigen Änderung der
Vertragsbedingungen --insbesondere der Laufzeit oder des Zinssatzes-- geleistet wird. Auch dann wird die
Entschädigung für die Entlassung des Kreditnehmers aus den "alten" Vertragskonditionen gezahlt und stellt sie damit
die Gegenleistung für eine vom Empfänger bereits erbrachte Leistung --den Verzicht auf die Fortführung des
Vertrages zu den ursprünglich vereinbarten Bedingungen-- dar.
17 Dass im Streitfall die B auch nach den Vertragsänderungen weiterhin zur Überlassung von Darlehenskapital
verpflichtet war und es sich hierbei um eine Gegenleistung zur Zinszahlungspflicht der Kreditnehmer handelt, besagt
noch nicht, dass die vereinbarten Vergütungen im Rahmen der Rechnungsabgrenzung als Gegenleistungen zu
dieser künftigen Kapitalüberlassungspflicht gewertet werden müssten. Eine solche Verknüpfung könnte vielmehr nur
dann gerechtfertigt sein, wenn die Vergütungen nicht nur den für die B nachteiligen Wegfall der bisherigen
Vertragskonditionen hätten ausgleichen sollen, sondern es sich zugleich um ein Disagio zum Zwecke der
Kompensation des Unterschieds zwischen dem neu vereinbarten (Nominal-)Zinssatz und dem Marktzins gehandelt
hätte. Für einen solchen Vertragszweck der Änderungsvereinbarungen ergibt sich jedoch anhand der vom FG
getroffenen Feststellungen kein Anhalt.
18 c) Richtigerweise differenziert das angefochtene Urteil auch nicht danach, ob die B und die Kreditnehmer, die eine
Veränderung der Zins- oder Laufzeitkonditionen gewünscht haben, aus zivilrechtlicher Sicht die alten Kreditverträge
durch neue ersetzt oder die bestehenden Kreditverträge bloß geändert haben (vgl. § 305 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs --BGB-- in der im Streitjahr geltenden Fassung, jetzt § 311 Abs. 1 BGB). Für die Bildung von passiven
RAP ist in erster Linie das Bestehen oder das Nichtbestehen eines wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen der
Einnahme und etwaigen künftigen Leistungen maßgeblich, nicht aber die formale zivilrechtliche Gestaltung. Aus
wirtschaftlicher Sicht bedeutet es aber keinen für die Rechnungsabgrenzung erheblichen Unterschied, ob die
Vergütungen im Zusammenhang mit der Aufhebung der alten und dem gleichzeitigen Abschluss von neuen
Darlehensverträgen oder ob sie im Rahmen der Änderung der Konditionen der bestehenden Kreditverträge vereinbart
worden sind.
19 d) Soweit die Klägerin sich für ihre Auffassung schließlich auf BFH-Entscheidungen zur Behandlung von
Vorfälligkeitsentschädigungen im Umsatzsteuerrecht (BFH-Urteil vom 20. März 1980 V R 32/76, BFHE 130, 435, BStBl
II 1980, 538), im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG (BFH-Urteil vom 3. März 2005 III
R 54/03, BFH/NV 2005, 1529) und im Bereich der gewerbesteuerrechtlichen Dauerschulden (BFH-Urteil vom 25.
Februar 1999 IV R 55/97, BFHE 188, 406, BStBl II 1999, 473) beruft, stehen diese der vorstehend dargelegten
Sichtweise nicht entgegen. Denn die in diesen Entscheidungen behandelten Rechtsfragen haben keinen inhaltlichen
Bezug zu der im Streitfall allein maßgeblichen Frage der periodengerechten Ergebnisermittlung.