Urteil des BFH vom 30.06.2010
Unterhaltszahlungen an Angehörige im Ausland - Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers - Wert des Vermögens einer unterhaltenen Person - Berücksichtigung eines eigengenutzten Wohnhauses - Aufteilung einheitlicher Unterhaltszahlungen
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 30.6.2010, VI R 35/09
Unterhaltszahlungen an Angehörige im Ausland - Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers - Wert des Vermögens einer
unterhaltenen Person - Berücksichtigung eines eigengenutzten Wohnhauses - Aufteilung einheitlicher Unterhaltszahlungen
Leitsätze
1. Ein eigengenutztes Wohnhaus ist ebenso wie ein Angehörigen überlassenes Wohnhaus als Vermögen des
Unterhaltsempfängers mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen (entgegen R 33a.1 EStR).
2. Der Wert des Vermögens einer unterhaltenen Person ist in der Regel bis zu einem Wert von 15.500 EUR gering; diese
Wertgrenze ist bei Zahlungen ins Ausland entsprechend der sog. Ländergruppeneinteilung an die Verhältnisse des
Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person anzupassen.
3. Leben mehrere Unterhaltsempfänger zusammen, ist eine Aufteilung einheitlicher Unterhaltszahlungen nur möglich, wenn
diese gewissermaßen "aus einem Topf" wirtschaften.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Aufwendungen für den Unterhalt von in der Türkei lebenden Angehörigen als außergewöhnliche
Belastungen nach § 33a des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) zu berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im
Streitjahr (2005) zahlten sie insgesamt 7.350 EUR an die in der Türkei lebenden Eltern der Klägerin. Ausweislich einer
von den türkischen Behörden ausgestellten Unterhaltsbescheinigung sind die Eltern nicht berufstätig, haben keine
eigenen Einkünfte oder Vermögen und tragen neben den Klägern keine anderen Personen zu ihrem Unterhalt bei. In
der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) wurden die Angaben dahingehend berichtigt, dass der Vater
der Klägerin eine Rente in Höhe von 220 EUR monatlich bezieht und Eigentümer von zwei Häusern mit jeweils einer
Wohnfläche von etwa 45 qm ist. In einem Haus wohnen die Eltern selbst, das andere Haus, das in unmittelbarer
Nachbarschaft zum Wohnhaus der Eltern belegen ist, wird unentgeltlich von dem Bruder der Klägerin und dessen
Familie genutzt. Neben dem Bruder leben noch zwei Schwestern mit ihren jeweiligen Familien in derselben Gemeinde,
aber nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Eltern.
3 In der gemeinsamen Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr beantragten die Kläger, die
Unterhaltszahlungen nach § 33a Abs. 1 EStG abzuziehen. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt --FA--) ab und wies den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Kläger wandten sich dagegen mit
der Klage.
4 Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1565 veröffentlichten Gründen teilweise
statt.
5 Mit der Revision rügt das FA die unzutreffende Anwendung von § 33a EStG.
6 Das FA beantragt,
das Urteil des FG Köln vom 20. Mai 2008 6 K 1156/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die bisherigen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Entscheidung, dass die
Zahlungen der Kläger an die in der Türkei lebenden Eltern der Klägerin als Unterhaltszahlungen i.S. von § 33a Abs. 1
Satz 1 EStG zu berücksichtigen sind. Das FG wird nach Maßgabe der nachstehenden Rechtsgrundsätze des Senats
die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und erneut zu entscheiden haben.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem
Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch
ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.680 EUR im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen
werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei Unterhaltszahlungen an Empfänger im Ausland bestimmt § 33a Abs. 1 Satz
5 2. Halbsatz EStG zusätzlich, dass nach inländischen Maßstäben zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige zum
Unterhalt gesetzlich verpflichtet ist.
10 a) Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) (Urteil des erkennenden Senats vom 5. Mai 2010 VI
R 29/09, BFHE 230, 12) knüpft die gesetzliche Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG an die
zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs --Anspruchsgrundlage, Bedürftigkeit, Leistungsfähigkeit--
an und beachtet auch die Unterhaltskonkurrenzen (§§ 1606, 1608 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Die
Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers i.S. des § 1602 BGB ist daher Voraussetzung für die Annahme einer
Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG. Bedürftigkeit ist beispielsweise gegeben, wenn die
unterhaltene Person weder Vermögen hat noch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielt. Die Grenzbeträge in §
33a Abs. 1 Satz 1, 4 und 5 EStG sowie das zu berücksichtigende eigene Vermögen des Unterstützten in § 33a Abs. 1
Satz 3 EStG ergänzen insoweit die zivilrechtlichen Regelungen, ersetzen diese aber nicht (so aber
Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl., § 33a Rz 19). Der Senat folgt damit der sog. konkreten Betrachtungsweise und
verweist zur näheren Begründung auf sein Urteil in BFHE 230, 12).
11 b) Die bisherigen Feststellungen des FG gestatten keine Entscheidung darüber, ob die von den Klägern unterstützten
Angehörigen tatsächlich bedürftig sind. Das FG hat die beiden Häuser des Vaters der Klägerin zu Unrecht nicht als
relevantes Vermögen i.S. des § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt und daher keine Feststellungen zu deren Wert
getroffen.
12 aa) Nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ist Voraussetzung für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen u.a., dass die
unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich unabhängig
von der Anlageart nach dem gemeinen Wert des Vermögens; ein Wert von bis zu 15.500 EUR ist in der Regel gering
(BFH-Urteil vom 12. Dezember 2002 III R 41/01, BFHE 201, 192, BStBl II 2003, 655). Der Senat hält an dieser Grenze
von 15.500 EUR zumindest für das Streitjahr weiterhin fest.
13 Der Wert von 15.500 EUR ist im Streitfall aber entsprechend der sog. Ländergruppeneinteilung im Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 17. November 2003 IV C 4 -S 2285- 54/03 (BStBl I 2003, 637) für jede
unterhaltene Person um die Hälfte auf 7.750 EUR zu mindern, da nur so das Vermögen der Unterhaltsempfänger
typisierend nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person angemessen abgebildet werden
kann (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 50/03, BFH/NV 2005, 1009).
14 bb) Nach den Feststellungen des FG besitzt der Vater der Klägerin ein eigengenutztes Haus, dessen Verkehrswert
aber nach Überzeugung des FG die Wertgrenze von 15.500 EUR nicht überschreitet. Das FG folgt damit im Grundsatz
der Rechtsprechung des III. Senats des BFH, der im Rahmen des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ein selbstgenutztes
Eigenheim mit dem Verkehrswert ansetzt. Der erkennende Senat folgt dieser Auslegung, da die Regelung des § 33a
Abs. 1 EStG ihre Rechtfertigung und ihren sachlichen Grund im Zivilrecht findet (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 201,
192, BStBl II 2003, 655; entgegen R 33a.1 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2005). Würde man das
eigengenutzte Haus nach den Wertungen des Sozialrechts als Schonvermögen ansehen, wäre selbstgenutztes
Wohneigentum gegenüber anderem Vermögen privilegiert.
15 Das FG hat jedoch keine konkreten Feststellungen zum Wert des eigengenutzten Hauses getroffen. Es ist nicht
erkennbar aufgrund welcher Umstände oder Überlegungen das FG zu dieser Überzeugung gelangt ist, dass der Wert
des eigengenutzten Hauses die Wertgrenze des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG nicht überschreitet. Im Hinblick auf die dazu
nachzuholenden Feststellungen weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Kläger nach § 90 Abs. 2 der
Abgabenordnung erhöhte Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Sachverhalts und für die Vorsorge sowie
Beschaffung von Beweismitteln treffen, wenn sie Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende Angehörige
steuermindernd geltend machen.
16 cc) Entgegen der Auffassung des FG ist das im Eigentum des Vaters der Klägerin befindliche Wohnhaus aufgrund der
unentgeltlichen Überlassung an den Sohn auch nicht als unverwertbares Vermögen unberücksichtigt zu lassen. Eine
generelle Unverwertbarkeit kann nur angenommen werden, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine
Verwertung des Vermögens ausgeschlossen ist. Eine derartige Unverwertbarkeit schließt den Ansatz eines
Vermögens im Rahmen des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG aus, das Vermögen ist wertlos (so auch sinngemäß BFH-Urteil
vom 29. Mai 2008 III R 48/05, BFHE 221, 221, BStBl II 2009, 361). Dies ist im Streitfall weder vorgetragen noch
ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Unterhaltsempfänger mit der Überlassung seine Bedürftigkeit
selbst herbeigeführt hat (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 12. November 1996 III R 38/95, BFHE 182, 64, BStBl II 1997,
387).
17 Der im Eigentum des Vaters der Klägerin stehende Grundbesitz ist daher unabhängig von seiner konkreten Nutzung
als verwertbares Vermögen anzusehen.
18 2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch
nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist.
19 a) Das FG hat im weiteren Rechtsgang festzustellen, ob das Vermögen des Vaters der Klägerin und das Vermögen
der Mutter der Klägerin jeweils den Wert von 7.750 EUR übersteigen. Es wird hierzu eine Bewertung der Vermögen
des Vaters und der Mutter der Klägerin vorzunehmen haben. Dabei wird es nach § 31 des Bewertungsgesetzes
(BewG) das ausländische Grundvermögen nach § 9 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen haben. Sollte das FG
feststellen, dass lediglich der Vater der Klägerin über relevantes Vermögen verfügt, wird es zu prüfen haben, ob der
Vater der Klägerin so leistungsfähig ist, dass er seiner vorrangigen Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Mutter der
Klägerin nach § 1608 BGB nachkommen kann.
20 b) Das FG hat festgestellt, dass der Bruder der Klägerin mit seiner Familie in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Eltern
in einem dem Vater der Klägerin gehörenden Haus wohnt. Diese Feststellungen des FG lassen jedoch nicht den
Schluss zu, dass der Bruder der Klägerin zusammen mit seinen Eltern eine Haushaltsgemeinschaft i.S. der
Rechtsprechung des BFH gebildet hat. Nach dieser Rechtsprechung kann bei einem Zusammenleben mehrerer
unterstützter Personen in einem Haushalt grundsätzlich nicht darauf abgestellt werden, an welchen der Angehörigen
jeweils einzelne Teilbeträge überwiesen worden sind. Einheitliche Unterhaltsleistungen, die für den Unterhalt einer
solchen Personengruppe bestimmt sind, sind vielmehr nach einem allgemeinen Maßstab aufzuteilen (BFH-Urteil vom
2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483, m.w.N.).
21 In Anlehnung an die Legaldefinition der "Haushaltsgemeinschaft" in § 24b Abs. 2 Satz 2 EStG liegt eine
Haushaltsgemeinschaft dann vor, wenn über das bloße gemeinsame Wohnen hinaus quasi "aus einem Topf"
gewirtschaftet wird (vgl. auch BTDrucks 15/1516, S. 53 zum Begriff der Haushaltsgemeinschaft in § 9 Abs. 5 des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch). Ein derartiges gemeinsames Wirtschaften ist nach den Feststellungen des FG
nicht zu erkennen. Die Feststellungen des FG lassen im Übrigen auch nicht auf ein gemeinsames Wohnen schließen.
Hierfür genügt es nicht, dass zwei räumlich getrennte Wohnungen lediglich in unmittelbarer Nachbarschaft belegen
sind. Zudem hat das FG keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Zahlungen, die tatsächlich an den Vater der
Klägerin in der Türkei ausgezahlt wurden, auch für den Bruder der Klägerin bestimmt waren. Dies wäre aber
Voraussetzung, um überhaupt von Zahlungen an Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft sprechen zu können (BFH-
Beschluss vom 25. März 2009 VI B 152/08, BFH/NV 2009, 932). Das FG ist daher nach den bisherigen Feststellungen
zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zahlungen von insgesamt 7.350 EUR nur zu 2/3 --also in Höhe von 4.900
EUR-- dem Unterhalt der beiden Eltern der Klägerin gedient haben und zu 1/3 dem Unterhalt der Familie des Bruders
der Klägerin.