Urteil des BFH vom 28.01.2014

Keine Aufrechnung mit der Haftungsschuld des Eigentümers von Gegenständen (§ 74 AO) gegen dessen Steuervergütungsansprüche

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 28.1.2014, VII R 34/12
Keine Aufrechnung mit der Haftungsschuld des Eigentümers von Gegenständen (§ 74 AO) gegen
dessen Steuervergütungsansprüche
Leitsätze
Eine Verrechnung der Haftungsschuld des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten
Eigentümers von Gegenständen mit einem diesem zustehenden Steuerguthaben ist unwirksam.
Tatbestand
1 I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) nach § 74 der Abgabenordnung (AO) für die
Umsatzsteuerrückstände 2007 bis 2010 einer in Insolvenz geratenen GmbH auf Haftung in
Anspruch genommen, weil die Klägerin der GmbH Grund und Boden sowie Gebäude
überlassen habe und an der GmbH als deren alleinige Gesellschafterin wesentlich beteiligt
sei. Die Umsatzsteuer sei während des Bestehens dieser Beteiligung entstanden.
2 Der Klägerin stehen aufgrund von Umsatzsteuerfestsetzungen 2007 bis 2010 vom 4. März
2011 gegenüber dem FA Guthaben zu. Das FA ist der Auffassung, dieses Guthaben der
Klägerin sei durch Aufrechnung mit ihren Haftungsschulden erloschen. Es hat darüber den
angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 20. Juni 2011 erlassen.
3 Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, die Erfolg
hatte. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Aufrechnung des FA sei nicht wirksam. Es fehle an
der Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung. Die Hauptforderung sei auf Geld
gerichtet, nicht jedoch die Gegenforderung des FA. Gegenstand derselben sei vielmehr ein
Anspruch auf Geldzahlung aus einem Grundstück (Hinweis u.a. auf das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 9. Februar 1965 V ZR 49/63, Wertpapier-Mitteilungen 1965, 476,
siehe dort unter III.), welcher nur durch eine Zwangsvollstreckung in das der GmbH
überlassene Grundstück verwirklicht werden könne. Die Haftung, aufgrund derer die
Gegenforderung begründet sei, sei dinglich beschränkt auf die überlassenen Gegenstände.
Die Klägerin müsse lediglich die Verwertung der betreffenden Betriebsmittel dulden, woraus
folge, dass die Forderung des FA nicht auf Geld laute. Das Urteil ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte 2012, 2179 veröffentlicht.
4 Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, das geltend macht, bei dem
Haftungsanspruch nach § 74 AO handele es sich um einen Zahlungsanspruch, der folglich
einer Aufrechnung zugänglich sei. Dies sei nicht nur die mehrheitliche Auffassung der
Rechtsprechung der Finanzgerichte, sondern ergebe sich auch aus dem Urteil des Senats
vom 22. November 2011 VII R 63/10 (BFHE 235, 126, BStBl II 2012, 223).
5 Die Klägerin beruft sich darauf, dass der Haftungsanspruch nach § 74 AO gegenständlich
begrenzt sei und ein Leistungsanspruch auf Geld aus dieser Vorschrift nicht folge.
Anderenfalls müsste der Anspruch in das gesamte Vermögen des Haftungsschuldners
vollstreckt werden können, was § 74 AO jedoch gerade ausschließe.
Entscheidungsgründe
6 II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118
Abs. 1 FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht geurteilt, die vom FA erklärte Aufrechnung
gegen die Umsatzsteuerguthaben der Klägerin mit deren nach § 74 AO festgesetzter
Haftungsschuld sei unwirksam.
7 Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist nach § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs zunächst, dass die aufgerechneten Forderungen --
Hauptforderung und Gegenforderung-- ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Die gegen
die Klägerin festgesetzte Haftungsforderung könnte folglich mit deren auf Zahlung von Geld
gerichteten Umsatzsteuerguthaben nur dann verrechnet werden, wenn es sich ebenfalls um
eine auf Zahlung von Geld gerichtete Forderung handelte. Das ist zweifellos insofern der
Fall, als auch die Haftungsforderung des FA auf einen Geldbetrag lautet und von der
Klägerin durch die Zahlung eines entsprechenden Geldbetrags befriedigt werden könnte.
Jedoch weist die Haftungsforderung gegenüber gewöhnlichen Forderungen aus einem
Steuerschuldverhältnis eine Besonderheit auf: Der Haftungsschuldner haftet nach § 74
Abs. 1 Satz 1 AO nur "mit" den dem Unternehmen überlassenen Gegenständen. Das
bedeutet, dass die Haftungsforderung im Fall ausbleibender Zahlung des
Haftungsschuldners nicht in dessen gesamtes Vermögen vollstreckt werden kann, sondern
nur durch Vollstreckung in die Gegenstände, derentwegen der Haftungsschuldner in
Anspruch genommen worden ist, sowie in von ihm an deren Stelle erlangte, in seinem
Vermögen noch vorhandene Surrogate --wozu auch ein Erlös oder eine
Schadenersatzzahlung gehören soll (Urteil des Senats in BFHE 235, 126, BStBl II 2012,
223)--, sofern nicht --was in der Rechtsprechung des erkennenden Senats bisher
offengeblieben ist-- § 74 AO darüber hinaus eine Haftung in Höhe des Werts der ehemals
überlassenen Gegenstände begründet.
8 Daraus lässt sich zwar nicht unmittelbar etwas gegen die Wirksamkeit der vom FA erklärten
Aufrechnung herleiten, weil sich das FA durch diese zwar Befriedigung durch Verwertung an
sich nicht für einen Zugriff aufgrund der Haftung zur Verfügung stehender Gegenstände --der
Umsatzsteuerguthaben der Klägerin-- verschafft hat, dies aber nicht im Wege der
Vollstreckung geschehen ist, welche § 74 AO --wie ausgeführt-- nicht zuließe; denn
Aufrechnung ist keine Vollstreckung. Mit Recht hat das FG aber sinngemäß darauf
hingewiesen und auch die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung den Gedanken
hervorgehoben, dass sich der Sinngehalt des § 74 AO nicht darin erschöpft, eine
Vollstreckung in das von der Überlassung von Vermögensgegenständen des
Haftungsschuldners an den Steuerschuldner nicht betroffene Vermögen zu verhindern. Die
Vorschrift will bewirken, dass das Finanzamt hinsichtlich der Befriedigungsmöglichkeiten für
seine Steuerforderungen so (aber auch nicht besser) steht, wie wenn die dem Unternehmen
von dem Haftungsschuldner lediglich zur Nutzung überlassenen Gegenstände zu dem
Vermögen des Unternehmens gehörten. Es soll dem an einem Unternehmen wesentlich
beteiligten Dritten verwehrt sein, dem Finanzamt Vollstreckungssubstanz vorzuenthalten
oder zu entziehen, obwohl das Unternehmen unter Nutzung der betreffenden Gegenstände
betrieben wird und daher die durch diesen Betrieb entstehenden Steuerforderungen --
jedenfalls typischerweise-- gerade auf der Nutzung der überlassenen Gegenstände
(zumindest mit-)beruhen.
9 Über dieses Ziel schösse es aber hinaus, wenn man dem Finanzamt --statt es auf den Weg
einer Vollstreckung in die für die Befriedigung der Haftungsforderung vom Gesetz
vorgesehenen Gegenstände zu verweisen-- eine Aufrechnung mit irgendwelchen
Forderungen des an dem Unternehmen beteiligten Dritten gestattete; denn diese stünden
dem Finanzamt zur Befriedigung wegen Steuerschulden des Unternehmens auch dann nicht
zur Verfügung, wenn jene von dem Dritten überlassenen Gegenstände Eigentum des
Unternehmens und damit Vollstreckungssubstanz wären.
10 Ob eine Aufrechnung gegen solche Forderungen des Haftungsschuldners auch dann
unzulässig wäre, wenn die Haftungsforderung ohnehin nur noch durch Zugriff auf
Forderungen des Haftungsschuldners vollstreckt werden kann, weil an die Stelle der dem
Unternehmen ehemals überlassenen Gegenstände inzwischen ein entsprechendes Surrogat
getreten ist, bedarf keiner Entscheidung; denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.