Urteil des BFH vom 11.06.2013

Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung - Zivilrechtliche Stellung des Testamentsvollstreckers

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.6.2013, II R 10/11
Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung - Zivilrechtliche
Stellung des Testamentsvollstreckers
Leitsätze
Ein Testamentsvollstrecker ist nach § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG zur Abgabe einer
Erbschaftsteuererklärung für einen Erwerber nur verpflichtet, wenn sich die
Testamentsvollstreckung auf den Gegenstand des Erwerbs bezieht und das FA die Abgabe der
Erklärung vom Testamentsvollstrecker verlangt.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im notariell beurkundeten Erbvertrag
ihrer Großeltern vom 21. November 1975 von dem länger lebenden Großelternteil als
Nachvermächtnisnehmerin hinsichtlich der Miteigentumsanteile von je 1/2 an einem
Grundstück nach dem Ableben der jeweiligen Vorvermächtnisnehmerinnen A und C
eingesetzt. Die Großeltern der Klägerin ordneten eine Testamentsvollstreckung für ihren
Nachlass an. Das Amt des Testamentsvollstreckers sollte u.a. die Aufgabe umfassen, für die
Ausführung der Vermächtnisse zu sorgen und die vermachten Gegenstände auch nach der
Vermächtniserfüllung für die im Erbvertrag bestimmte Dauer der Testamentsvollstreckung
weiter zu verwalten. Das sollte insbesondere auch für die vermachten Miteigentumsanteile an
Grundstücken gelten. Die Testamentsvollstreckung sollte für die Dauer von dreißig Jahren seit
dem Eintritt des Erbfalls gelten. Nach dem Ableben des zuletzt verstorbenen Großelternteils
im Mai 1990 nahm der Testamentsvollstrecker seine Tätigkeit auf.
2 Die am 1. Oktober 2008 verstorbene Vorvermächtnisnehmerin C wurde von ihrer Schwester S
alleine beerbt. S machte im Rahmen ihrer Erbschaftsteuererklärung das zugunsten der
Klägerin angeordnete Nachvermächtnis hinsichtlich des Miteigentumsanteils der C an dem
Grundstück als Nachlassverbindlichkeit geltend.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte daraufhin, ohne von der
Klägerin oder dem Testamentsvollstrecker eine Erbschaftsteuererklärung anzufordern, wegen
des Nachvermächtnisses mit Bescheid vom 30. April 2009 gegenüber der Klägerin
Erbschaftsteuer in Höhe von 21.804 EUR fest. Der Besteuerung legte das FA nicht das
Verhältnis der Klägerin zu dem zuletzt verstorbenen Großelternteil, sondern ihr Verhältnis zu
der Vorvermächtnisnehmerin C zugrunde. Der Erbschaftsteuerbescheid war an die Klägerin
gerichtet und wurde ihr auch bekannt gegeben.
4 Den Antrag der Klägerin vom 29. Juni 2009, den Erbschaftsteuerbescheid dem
Testamentsvollstrecker erneut bekannt zu geben, lehnte das FA ab. Den weiteren Antrag der
Klägerin vom 12. August 2009, den nach ihrer Ansicht wegen fehlerhafter Bekanntgabe
unwirksamen Erbschaftsteuerbescheid vom 30. April 2009 aufzuheben und der Besteuerung
ihr Verhältnis zum zuletzt verstorbenen Großelternteil zugrunde zu legen, lehnte das FA im
Bescheid vom 24. August 2009 ebenfalls ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
5 Die Klage, mit der die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit des Erbschaftsteuerbescheids
vom 30. April 2009 begehrte, wurde als unbegründet zurückgewiesen, weil der
Steuerbescheid der Klägerin wirksam bekannt gegeben worden sei. Das Urteil des
Finanzgerichts (FG) ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1081.
6 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 5 Satz 1
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).
7 Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung
aufzuheben und festzustellen, dass der Erbschaftsteuerbescheid vom 30. April 2009
unwirksam ist.
8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der
Erbschaftsteuerbescheid der Klägerin wirksam bekannt gegeben wurde.
10 1. Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) ist ein
Steuerbescheid demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der
von ihm betroffen ist. Der Steuerbescheid ist für den Steuerschuldner bestimmt, gegen den
sich die Steuerfestsetzung richtet. Er wird in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er dem
Steuerschuldner bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Steuerschuldner der
Erbschaftsteuer ist grundsätzlich der Erwerber (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Ein
Erbschaftsteuerbescheid wird daher regelmäßig mit der Bekanntgabe an den Erwerber
(Steuerschuldner) wirksam.
11 2. Abweichend von § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist in den Fällen des § 31 Abs. 5 ErbStG der
Steuerbescheid dem Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bekanntzugeben (§ 32
Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Mit dieser Bekanntgabe wird der Steuerbescheid gegenüber dem
Steuerschuldner i.S. von § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wirksam (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
-BFH-- vom 14. November 1990 II R 58/86, BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52).
12 a) Die Bekanntgabe eines Erbschaftsteuerbescheids an den Testamentsvollstrecker setzt
einen Fall des § 31 Abs. 5 ErbStG voraus. Nach § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG ist, wenn ein
Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter vorhanden ist, die Steuererklärung von
diesem abzugeben. Das Finanzamt kann verlangen, dass die Steuererklärung auch von
einem oder mehreren Erben unterschrieben wird (§ 31 Abs. 5 Satz 2 ErbStG).
13 § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG regelt die Verpflichtung des Testamentsvollstreckers zur Abgabe
der Erklärung, ohne die Erklärungspflicht von weiteren Voraussetzungen abhängig zu
machen. Die Vorschrift ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass sie im Falle einer
Testamentsvollstreckung eine uneingeschränkte Erklärungspflicht des
Testamentsvollstreckers anordnet. Vielmehr ist wegen der zivilrechtlichen Stellung und der
Aufgaben des Testamentsvollstreckers sowie im Zusammenhang mit § 31 Abs. 1 Satz 1
ErbStG, der die Erklärungspflicht des an einem Erbfall Beteiligten regelt, davon auszugehen,
dass der Testamentsvollstrecker nach § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG nur zur Abgabe der
Erbschaftsteuererklärung für einen Erwerber verpflichtet ist, wenn sich die
Testamentsvollstreckung auf den Gegenstand des Erwerbs bezieht und das Finanzamt die
Abgabe der Erklärung vom Testamentsvollstrecker verlangt.
14 b) Zivilrechtlich ist der Testamentsvollstrecker weder Vertreter des Erblassers oder des
Nachlasses noch Vertreter des oder der Erben; er hat die Stellung eines Treuhänders und ist
Inhaber eines privaten Amtes (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 7. Juli 1982
IVa ZR 36/81, Neue Juristische Wochenschrift 1983, 40, m.w.N.). Seine Aufgabe ist es, die
letztwilligen Verfügungen des Erblassers auszuführen (vgl. § 2203 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs --BGB--) und den Nachlass zu verwalten (§§ 2205, 2216 BGB). Das
Verwaltungsrecht besteht während der Dauer der Vollstreckung und erstreckt sich
grundsätzlich auf den gesamten Nachlass, also auf das durch Gesamtrechtsnachfolge
(§ 1922 Abs. 1 BGB) übergegangene Vermögen des Erblassers (Palandt/Weidlich,
Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., § 2205 Rz 1).
15 Die Testamentsvollstreckung kann auch für einen Nachvermächtnisnehmer angeordnet
werden (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2223 Rz 1 f.). Hat der Erblasser den vermachten
Gegenstand von einem nach dem Anfall des Vermächtnisses eintretenden bestimmten
Zeitpunkt oder Ereignis an einem Dritten zugewendet (sog. Nachvermächtnis), so gilt der
erste Vermächtnisnehmer als beschwert (§ 2191 Abs. 1 BGB). Die Ausführung der einem
Vermächtnisnehmer auferlegten Beschwerungen kann gemäß § 2223 BGB einem
Testamentsvollstrecker übertragen werden (sog. Vermächtnisvollstreckung). Zudem kann
der Erblasser entsprechend den §§ 2209, 2210 BGB anordnen, dass der
Testamentsvollstrecker den Vermächtnisgegenstand auch nach der Übertragung an den
Vermächtnisnehmer verwaltet (sog. Verwaltungs- oder Dauervollstreckung, vgl. BGH-Urteil
vom 29. April 1954 IV ZR 152/53, BGHZ 13, 203; Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2223 Rz 2;
Zimmermann in Münchener Kommentar BGB, 6. Aufl., § 2223 Rz 6).
16 c) Die Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung (§ 31
Abs. 5 Satz 1 ErbStG) knüpft an seine zivilrechtliche Stellung an. Aufgrund seiner bürgerlich-
rechtlichen Befugnisse ist der Testamentsvollstrecker in der Lage, die gemäß § 31 Abs. 2
ErbStG erforderlichen Angaben zum Gegenstand und zum Wert des Erwerbs zu machen
sowie ein Verzeichnis über die zum Nachlass gehörenden Gegenstände (vgl. auch § 2215
BGB) zu erstellen. Die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung erstreckt sich auf Erwerbe von
Todes wegen durch Erben bzw. Vermächtnisnehmer, wenn die Testamentsvollstreckung
hinsichtlich des Nachlasses bzw. des Vermächtnisses angeordnet wurde (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52, und BFH-Beschluss vom 9. Juni 1999 II B 101/98, BFHE
188, 440, BStBl II 1999, 529).
17 In Bezug auf einen Vermächtnisnehmer tritt eine Steuererklärungspflicht des
Testamentsvollstreckers jedoch nur ein, wenn der Testamentsvollstrecker über die bloße
Erfüllung des Vermächtnisses hinaus weitere Befugnisse hinsichtlich des vermachten
Gegenstands hat. Das betrifft vor allem Fälle, in denen für das Vermächtnis eine
Dauervollstreckung entsprechend den §§ 2209, 2210 BGB angeordnet wurde. Der
Aufgabenkreis des Testamentsvollstreckers ist zivilrechtlich und damit auch
erbschaftsteuerrechtlich begrenzt. Er umfasst grundsätzlich nicht die Regelung von
(weiteren) Angelegenheiten der Personen, denen --wie einem Vermächtnisnehmer (vgl.
§ 2174 BGB)-- infolge des Erbfalls lediglich schuldrechtliche Ansprüche erbrechtlicher Natur
gegenüber den Erben zustehen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52, und
BFH-Beschluss in BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529). Erstreckt sich jedoch der
Aufgabenkreis des Testamentsvollstreckers auf die Verwaltung des vermachten
Gegenstands nach Erfüllung des Vermächtnisses, kann der Testamentsvollstrecker auch zur
Abgabe der Erbschaftsteuererklärung für den Vermächtnisnehmer aufgefordert werden.
18 d) Die Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe der Steuererklärung entsteht --wie bei
einem an einem Erbfall Beteiligten-- erst mit der Aufforderung des Finanzamts, eine
Steuererklärung abzugeben.
19 Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG kann das Finanzamt von jedem an einem Erbfall Beteiligten
die Abgabe einer Erklärung ohne Rücksicht darauf verlangen, ob er selbst steuerpflichtig ist.
Für den am Erbfall Beteiligten entsteht die Verpflichtung zur Abgabe der
Erbschaftsteuererklärung, wenn das Finanzamt ihn zur Abgabe einer Erklärung auffordert
(vgl. BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 50/98, BFHE 193, 48, BStBl II 2001, 14).
20 Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift ist § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG dahin auszulegen,
dass auch die Steuererklärungspflicht des Testamentsvollstreckers eine Aufforderung des
Finanzamts zur Abgabe der Steuererklärung voraussetzt (vgl. Schuck in
Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 31 ErbStG Rz 13; Jochum in Wilms/Jochum, ErbStG § 31
Rz 35; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 31
Rz 12; Pahlke in Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 31 Rz 41; Kien-
Hümbert in Moench/ Weinmann, § 31 ErbStG Rz 12; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG,
§ 31 Rz 28; Viskorf, Finanz-Rundschau --FR-- 1999, 1256; Gohlisch, Zeitschrift für die
Steuer- und Erbrechtspraxis 2011, 133, 136; Billig, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht
2012, 178; offen gelassen: BFH-Beschlüsse in BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529, und vom
7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233).
21 Die dem Testamentsvollstrecker obliegende öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Abgabe
der Erbschaftsteuererklärung kann nach dem Sinn und Zweck des § 31 ErbStG nicht stärker
ausgeprägt sein als die dem Beteiligten selbst obliegende Verpflichtung. Bei einem Erbfall,
einer Schenkung oder einer Zweckzuwendung wird es nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG dem
Finanzamt überlassen zu entscheiden, ob und gegebenenfalls von wem es die Abgabe einer
Steuererklärung verlangen will. Die Regelung zielt erkennbar darauf ab, dass nur in den
Fällen, in denen auch eine Steuerfestsetzung erwartet werden kann, zur Abgabe der
Steuererklärung aufgefordert werden soll. Damit soll zugleich in steuerlich nicht relevanten
Fällen jeder weitere Verwaltungsaufwand und jede unnötige Belastung der Steuerpflichtigen
vermieden werden. Dem widerspräche es, den Testamentsvollstrecker in jedem Fall
unabhängig davon, ob mit der Festsetzung einer Steuer gerechnet werden kann, als zur
Abgabe einer Erklärung verpflichtet anzusehen (Viskorf, FR 1999, 1256).
22 3. Nach diesen Grundsätzen ist der Erbschaftsteuerbescheid vom 30. April 1999 der
Klägerin als Nachvermächtnisnehmerin wirksam bekannt gegeben worden. In Bezug auf das
Nachvermächtnis war zwar eine Dauervollstreckung angeordnet worden. Eine Bekanntgabe
des für die Klägerin bestimmten Erbschaftsteuerbescheids an den Testamentsvollstrecker
war aber nicht erforderlich, weil das FA diesen nicht zur Abgabe einer
Erbschaftsteuererklärung für die Klägerin wegen deren Erwerb durch das Vermächtnis
aufgefordert hatte.