Urteil des BFH vom 01.04.2009

BFH: Behaltefrist und Auflösungsverlust i.S. von § 17  EStG, auflösung der gesellschaft, wesentliche beteiligung, erwerb, entgeltlich, kapitalgesellschaft, privatvermögen, missbrauch, verlustabzug

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 1.4.2009, IX R 31/08
Behaltefrist und Auflösungsverlust i.S. von § 17 EStG
Leitsätze
Ein Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 2, 4 EStG ist auch zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige eine wesentliche
Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erwirbt, die Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Auflösung der
Gesellschaft aber auf einen Prozentsatz unterhalb der Grenze des § 17 Abs. 1 EStG abgesenkt wird.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb im Jahr 1999 einen Geschäftsanteil von 1,043 % (900 DM) an der S-
GmbH zum Preis von 145 396,44 DM. Im Zuge von drei Kapitalerhöhungen und Übernahme der neuen
Geschäftsanteile durch neue Gesellschafter sank die Beteiligung des Klägers zunächst auf 1,025 %, sodann im Jahr
2001 auf 0,860 % und später auf 0,819 %. In dem im Januar des Streitjahres 2002 über das Vermögen der GmbH
eröffneten Insolvenzverfahren wurde Masseunzulänglichkeit festgestellt.
2 Der Kläger beantragte im Rahmen eines Lohnsteuerermäßigungsverfahrens für das Jahr 2002 die Eintragung eines
Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte wegen eines Verlustes aus der GmbH-Beteiligung. In dem diesbezüglichen
finanzgerichtlichen Verfahren erzielten die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Höhe des
geltend gemachten Verlustes sowie der Verlustentstehung im Jahr 2002 und einigten sich auf die Eintragung des
beantragten Freibetrags in Höhe von 74 341 EUR (145 396,44 DM) auf der Lohnsteuerkarte. Streitig blieb die
Berücksichtigung des Auflösungsverlustes dem Grunde nach. Den mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr
erklärten Verlust aus der GmbH-Beteiligung in Höhe von 78 009 EUR erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) nicht an, da die Beteiligung an der GmbH nicht wesentlich i.S. von § 17 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gewesen sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) entschied, der Berücksichtigung des Beteiligungsverlustes des Klägers stehe § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002) entgegen. Die
Beteiligung des Klägers habe im Zeitpunkt der Verlustentstehung unterhalb der relevanten Beteiligungsgrenze von 1 %
gelegen.
4 Die hiergegen gerichtete Revision der Kläger stützt sich auf die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b Satz 2 EStG). Der Erwerb von Anteilen führe auch dann zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung des
Steuerpflichtigen i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 1. Alternative EStG, wenn die erworbenen Anteile selbst
eine wesentliche Beteiligung darstellten. Zudem solle ein Verlust aus einer derart erworbenen relevanten Beteiligung
unabhängig von einer Behaltefrist und unabhängig davon zu berücksichtigen sein, ob die Beteiligung im
Auflösungszeitpunkt/Veräußerungszeitpunkt noch eine wesentliche sei. Die gegenteilige Wortlautauslegung des FG
verfehle die mit der Korrektur des § 17 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 angestrebte Reduzierung der
Verlustausgleichsbeschränkung auf die eigentlichen Missbrauchsfälle. Beim Erwerb einer originär wesentlichen
Beteiligung sei jeder Gestaltungsmissbrauch denklogisch ausgeschlossen.
5 Die Kläger beantragen sinngemäß,
6 das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 dahingehend zu ändern, dass ein Verlust des Klägers aus § 17 EStG in
Höhe von 39 005 EUR berücksichtigt und die festzusetzende Einkommensteuer auf Null herabgesetzt wird.
7 Das FA beantragt,
8 die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG den geltend gemachten
Auflösungsverlust des Klägers nicht berücksichtigt. Zwar hat er die Anteile entgeltlich erworben und diese haben nicht
innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre vor der Auflösung der Gesellschaft zu einer Beteiligung des Klägers i.S. von
§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitfall geltenden Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom
20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) gehört (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1 EStG). Jedoch ist
der Auflösungsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift zu berücksichtigen.
10 1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG auch der Gewinn aus der
Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft
unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Die relevante Beteiligung von zumindest 1 % gilt für
Auflösungen ab dem Jahr 2002 (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2004 VIII B 129/04,
BFH/NV 2005, 540).
11 Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1, Abs. 4 EStG ist ein Auflösungsverlust nicht zu berücksichtigen, soweit er auf
Anteile entfällt, die entgeltlich erworben sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer Beteiligung
i.S. von Abs. 1 Satz 1 gehört haben. Dies gilt nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb
zur Begründung einer Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von Abs. 1 Satz 1 geführt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b
Satz 2 1. Halbsatz EStG).
12 Nach ihrem Wortlaut erfasst diese Norm --mit der Rechtsfolge der vollen Verlustberücksichtigung-- auch den Fall, in
dem eine ursprünglich in relevanter Höhe erworbene Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der
Veräußerung/Auflösung der Gesellschaft auf einen Prozentsatz unterhalb der Relevanzschwelle abgesenkt wurde
(anders wohl Herzig/Förster, Der Betrieb 1999, 711, 716; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 27. Aufl., § 17 Rz 199;
Schneider, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 417 f., m.w.N.). Die Gesetzesformulierung "Erwerb zur
Begründung einer Beteiligung" umfasst nicht nur den Hinzuerwerb von Anteilen, durch den eine bis dahin geringere
Beteiligung relevant i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG wird (vgl. Schneider; in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 17
Rz C 425 f.).
13 Diese am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung wird bestätigt durch den Zweck des Gesetzes,
Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden, im Rahmen derer eine zunächst unwesentliche Beteiligung zur
steuerwirksamen Verlustrealisierung zu einer wesentlichen aufgestockt wird (vgl. BTDrucks 14/23, S. 179, 14/265, S.
180). Erwirbt aber der Steuerpflichtige von vorneherein eine qualifizierte (oder: relevante) Beteiligung, kann es zu
keinem Missbrauch kommen. Er muss den Gewinn aus dieser Beteiligung versteuern und ist berechtigt, auch die
Verluste steuerrechtlich geltend zu machen. Der Gesetzgeber zielt nach der Gesetzesbegründung vielmehr auf Fälle,
in denen der Steuerpflichtige im Privatvermögen eine nicht relevante Beteiligung hält, dann erkennt, dass sie zu
Verlusten führt, und diese Verluste dadurch abziehbar machen möchte, dass er Anteile hinzuerwirbt. So verhält es
sich z.B., wenn der Steuerpflichtige eine verlustträchtige 0,9 %-Beteiligung hält. Es soll verhindert werden, dass er
durch den Erwerb weiterer 0,1 % den gesamten Verlust geltend machen könnte. § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2
EStG beschränkt den Verlustabzug in diesem Fall auf die 0,1 % der Anteile. Im Streitfall hat der Kläger aber von
vornherein eine Beteiligung über 1 % erworben. Er muss also alle Gewinne versteuern und in der Konsequenz auch
berechtigt sein, die Verluste geltend zu machen. Nur der so erreichte Gleichklang der Besteuerung von
Auflösungsgewinn und -verlust entspricht dem objektiven Nettoprinzip als systemtragendem Grundprinzip des
Einkommensteuergesetzes (vgl. §§ 2 Abs. 2, 10d EStG).
14 2. Nach diesen Grundsätzen war der streitige Auflösungsverlust zu berücksichtigen. Die Sache ist spruchreif. Die
Höhe des Verlustes steht nach der entsprechenden tatsächlichen Verständigung im finanzgerichtlichen Verfahren fest.