Urteil des BFH vom 24.01.2007

BFH (antrag, allgemeiner rechtsgrundsatz, einfache anfrage, beschwerde, verfahrensablauf, verhandlung, begründung, nichtigkeit, ermessen, beteiligter)

BUNDESFINANZHOF Beschluß vom 23.1.2008, I B 149/07
Entscheidungsform über Urteilsergänzungsantrag
Tatbestand
1 I. In einem Verfahren auf Abänderung eines Beschlusses zur Aussetzung der Vollziehung kam es im Zuge einer
tatsächlichen Verständigung in einem mehrere Verfahren betreffenden Gesamtkomplex zu einer Erledigung der
Hauptsache (Finanzgericht --FG-- des Saarlandes 1 V 13/05). Das Vorbringen der Klägerin und Beschwerdeführerin
(Klägerin) gegenüber dem FG, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die tatsächliche
Verständigung nicht umgesetzt habe, wertete das FG als Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens 1 V 13/05. Dieser
Antrag wurde durch den Beschluss des FG vom 24. Januar 2007 1 V 1233/05 als unbegründet zurückgewiesen. Die
gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge wurde vom FG als unbegründet zurückgewiesen (Beschluss vom
26. Februar 2007 1 V 1068/07). Die Klägerin erhob daraufhin "Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss - AZ 1 V
1068/07". Sie beantragte, die Nichtigkeit des Beschlusses 1 V 1068/07 festzustellen und den Beschluss aufzuheben.
Ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens sei von ihr nicht gestellt worden; es sei auch überhaupt kein Verfahren mehr
anhängig gewesen, das habe fortgesetzt werden können. Diesen Sachumstand habe das Gericht auch durch einfache
Anfrage bei ihr klären können.
2 Das FG hat die "Klage wegen Nichtigkeit des Beschlusses vom 26. Februar 2007, 1 V 1068/07" durch Urteil vom 30.
Mai 2007 1 K 1198/07 --zugestellt am 26. Juni 2007-- als unzulässig abgewiesen. Dagegen wurde
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. I B 111/07).
3 Die Klägerin hat beim FG am 9. Juli 2007 einen "Antrag auf Tatbestandsberichtigung", auf "Ergänzung des
Tatbestandes" und auf "Urteilsergänzung" gestellt und beantragt, den Tatbestand des Urteils vom 30. Mai 2007 im
Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu berichtigen und zu ergänzen sowie das Urteil durch nachträgliche
Entscheidung zu ergänzen.
4 Das FG hat die Anträge durch Beschluss vom 12. Juli 2007 (1 K 1198/07) zurückgewiesen. In seiner
Rechtsmittelbelehrung hat das FG auf die Möglichkeit einer Beschwerde hingewiesen, soweit der Antrag auf
Urteilsergänzung zurückgewiesen wurde. Der von der Klägerin erhobenen Beschwerde wurde vom FG nicht
abgeholfen (Beschluss vom 1. August 2007).
5 Mit der Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass das FA die Zentralzuständigkeit eines anderen Finanzamts
anerkannt habe. Es sei "der Beteiligtenwechsel durchzuführen, die Revision zuzulassen und in der Revision die
Entscheidung aufzuheben und zur erneuten Verhandlung mit dem gesetzlich Beteiligten an das Finanzgericht Freiburg
zurückzuverweisen". Damit beantragt sie jedenfalls sinngemäß, den angefochtenen Beschluss, soweit er nicht
unanfechtbar ist (§ 108 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), aufzuheben.
Entscheidungsgründe
6
II. Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit darin der
Antrag auf Urteilsergänzung beschieden wurde. Das FG hätte über diesen Antrag durch Urteil entscheiden müssen.
7
1. Über einen Antrag auf Urteilsergänzung (§ 109 Abs. 1 FGO) ist unabhängig davon, ob dem Antrag stattgegeben
oder ob er abgelehnt wird, durch Urteil zu entscheiden (Rückschluss aus § 109 Abs. 2 Satz 2 FGO; ständige
Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. September 1991 VI B 60/91, BFH/NV 1992,
186; vom 27. November 2002 X B 108/02, BFH/NV 2003, 340; siehe auch z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
AO/FGO, § 109 FGO Rz 32; Stapperfend in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 109 Rz 1; Brandis in
Tipke/Kruse, AO/FGO, § 109 FGO Rz 5; Brandt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 109 FGO Rz 66, 68). Soweit sich das
FG für berechtigt gehalten hat, abweichend davon durch Beschluss zu entscheiden, weil der Antrag der Klägerin
unzulässig (rechtsmissbräuchlich) sei, kann dem nicht beigepflichtet werden.
8
a) Das FG hat zur Begründung darauf verwiesen, dass es darum gehe, eine von der Klägerin augenscheinlich
beabsichtigte Verfahrensverschleppung zu verhindern. Hier bestehe eine Parallele zur Entscheidung über
rechtsmissbräuchlich gestellte Ablehnungsanträge. Die Verfahrensverschleppungsabsicht der Klägerin sei schon im
gerichtlichen Verfahren, das zum Urteil geführt habe, ersichtlich gewesen und zeige sich auch an dem Inhalt der
Begründung des Urteilsergänzungsantrags, der sich nicht am Tatbestand des § 109 Abs. 1 FGO orientiere. Würde im
Urteilswege entschieden, drohe eine weitere Verzögerung mit Blick auf die Aktenübersendung an den BFH im
Verfahren I B 111/07 und durch zu erwartende Fristverlängerungs-, Terminverlegungs- oder Ablehnungsanträge bzw.
Verfahrensrügen der Klägerin. Nicht zuletzt könne die Klägerin nach einem für sie nachteilig entschiedenen
(Ergänzungs-)Urteil durch einen weiteren Ergänzungsantrag nochmals das Verfahren (des § 109 FGO) in Gang
setzen und damit eine abschließende Entscheidung unmöglich machen.
9
b) Dass ein ausdrücklich als Urteilsergänzungsantrag gestellter Antrag tatsächlich auf etwas anderes als eine
Urteilsergänzung i.S. des § 109 Abs. 1 FGO gerichtet ist, macht diesen Antrag unbegründet, aber nicht unzulässig (s.
z.B. den Gegenstand des BFH-Beschlusses in BFH/NV 2003, 340). Auch kann die Befürchtung, ein Beteiligter werde
sich in einer verfahrensverzögernden Weise verhalten, den gesetzlich vorgegebenen Verfahrensablauf nicht
bestimmen. Aus der vom FG in Bezug genommenen Rechtsprechung zur Entscheidungsbefugnis bei
rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsanträgen (vgl. Nachweise bei Koch in Gräber, a.a.O., § 51 Rz 71) lässt sich kein
allgemeiner Rechtsgrundsatz ableiten, der besagt, dass bei als rechtsmissbräuchlich gewerteten Verfahrensanträgen
nach dem Ermessen des Gerichts vom gesetzlichen Verfahrensablauf abgewichen werden kann.
10 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO in entsprechender Anwendung (zur Anwendung in einem
Beschlussverfahren s. z.B. BFH-Beschluss vom 20. Februar 1997 X B 232/96, BFH/NV 1997, 606). Gerichtskosten für
das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erheben (§ 21 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes).