Urteil des BFH vom 18.02.2008

BFH: Haftungsbescheid gegen den Erben, Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses, Übergehen eines als untauglich gewerteten Beweisantrags, beschränkte haftung, erbschein, haushalt, erbschaft, unterlassen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.2.2008, VII B 155/07
Haftungsbescheid gegen den Erben - Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses - Übergehen eines als untauglich gewerteten
Beweisantrags
Tatbestand
1 I. Wegen rückständiger Abgaben der X. und Y. GbR nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--)
die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) in Haftung. Die Klägerin, Schwester des Gesellschafters X., ist laut
Erbschein des Nachlassgerichts Erbin dieses Gesellschafters. Im Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich die
Klägerin gegen ihre Heranziehung, weil nicht sie, sondern die minderjährige Tochter des X. aus geschiedener Ehe
Erbin geworden sei. Der Erbschein weise sie zu Unrecht als Erbin aus, da die Tochter die Erbschaft zwar
ausgeschlagen habe, die Ausschlagungserklärung aber formell unwirksam und verspätet erfolgt sei. Die
Ausschlagungsfrist habe spätestens an dem Tag begonnen, an dem der als Zeuge benannte Rechtsanwalt Y. im
Auftrag der Mutter des Verstorbenen der Mutter des Kindes (Mutter) telefonisch mitgeteilt habe, dass ihre Tochter
Alleinerbin nach X. sei. Ausgehend von diesem Fristbeginn sei die 6-wöchige Ausschlagungsfrist bei Abgabe der
Ausschlagungserklärung abgelaufen gewesen. Im Übrigen sei die Haftung auf den --überschuldeten-- Nachlass zu
beschränken; dies sei nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu beachten.
2 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Dem Einwand der Klägerin, sie sei nicht Erbin geworden, stehe der auf ihren
Namen zutreffend ausgestellte Erbschein entgegen. Die Richtigkeitsvermutung des Erbscheins nach § 2365 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die auch im Steuerrecht gelte, sei nach Aktenlage und dem Vorbringen der Klägerin
nicht erschüttert. Insbesondere könne dem Vortrag der Klägerin, die Erbausschlagung der Tochter sei verfristet
gewesen, weil deren Mutter von der Alleinerbenstellung ihrer Tochter bereits durch das Telefonat mit Rechtsanwalt Y.
zuverlässig erfahren habe, nicht gefolgt werden. Die nicht sogleich nachprüfbare Mitteilung eines fremden
Rechtsanwalts, der die Interessen Dritter vertrete, genüge regelmäßig nicht, um einem möglichen Erben die nach §
1944 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderliche zuverlässige Kenntnis über dessen Erbenstellung zu verschaffen. Die
Vernehmung des Rechtsanwalts Y. zum Inhalt des Telefongesprächs mit der Mutter sei deshalb verzichtbar gewesen.
Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses gemäß § 1990 Abs. 1 BGB entfalte ihre Rechtswirkung (Beschränkung der
Erbenhaftung auf die Gegenstände des dürftigen Nachlasses) erst im Zwangsvollstreckungsverfahren und sei daher im
vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen (Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
11. August 1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705; vom 24. Juni 1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II
1981, 729).
3 Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde, die Revision zuzulassen, weil Verfahrensfehler vorlägen, auf denen das
Urteil beruhe, und die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung habe. Indem das FG den Rechtsanwalt Y. nicht als
Zeugen vernommen habe, sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Denn als Rechtsanwalt
sei dieser sehr wohl in der Lage gewesen, der Mutter über den Anfall der Erbschaft und die Berufung ihrer Tochter als
Alleinerbin solche Kenntnis zu verschaffen, dass die Ausschlagungsfrist zu laufen begonnen habe. Auch habe das FG
die Aufklärungspflicht verletzt. Wenn nämlich das FG sie darauf hingewiesen hätte, dass es das Zeugnis des
Rechtsanwalts Y. für untauglich halte, hätte sie Zeugen dafür benannt, dass die Mutter bereits vor der Beerdigung im
Haushalt des Verstorbenen angerufen und sich danach erkundigt habe, was ihre Tochter erben würde. Das Verfahren
habe insoweit grundsätzliche Bedeutung, als die Dürftigkeit des Nachlasses nicht erst im Vollstreckungs-, sondern
bereits im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigten sei.
Entscheidungsgründe
4 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die behaupteten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
5 1. Das FG hat mit der Nichterhebung des Zeugenbeweises und dem Unterlassen eines Hinweises auf die
Untauglichkeit dieses Beweismittels keinen Verfahrensfehler begangen. Denn nach der bei der Prüfung eines
Verfahrensfehlers allein maßgeblichen Rechtsauffassung des FG, auf deren materiell-rechtliche Richtigkeit es in
diesem Zusammenhang nicht ankommt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Februar 2007 X B 89/06, BFH/NV 2007, 958),
konnte der von Rechtsanwalt Y. zu bezeugende Inhalt des Telefongesprächs der Mutter nicht die für den Beginn der
Ausschlagungsfrist erforderliche zuverlässige Kenntnis von der Erbenstellung ihrer Tochter verschaffen, weil sie nach
Auffassung des FG die Angaben zu diesem Zeitpunkt nicht hätte überprüfen können. Die Rüge der Klägerin, das FG
habe ihren Beweisantrag verfahrensfehlerhaft übergangen, richtet sich im Grunde gegen diese zur Untauglichkeit des
angebotenen Zeugenbeweises führende Rechtsauffassung des FG. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des
materiellen Rechts im Einzelfall rechtfertigen aber grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision. Der Sonderfall, dass
die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem
denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008,
102, m.w.N.), liegt im Streitfall offensichtlich nicht vor; die Entscheidung ist vielmehr plausibel und nachvollziehbar
begründet.
begründet.
6 Da sich die nach der Rechtsauffassung des FG erforderliche zuverlässige Kenntnis der Mutter von der Erbenstellung
ihrer Tochter auch nicht mit deren in der Beschwerde unter Beweis gestellten telefonischen Nachfrage im Haushalt des
Verstorbenen, was ihre Tochter erben würde, belegen lässt, geht auch die diesbezügliche Aufklärungsrüge fehl; auch
dieser Zeugenbeweis wäre somit verzichtbar gewesen, die Vernehmung hätte zu keiner anderen Entscheidung des FG
führen können (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 25. Februar 2005 III B 90/04, BFH/NV 2005, 1329).
7 2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Sie hat sich in keiner Weise zum Klärungsbedarf der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage geäußert, ob die auf den
Nachlass beschränkte Haftung des Erben im Streit um den Haftungsbescheid zu berücksichtigen ist, obwohl das FG
seine Rechtsauffassung, sie könne nur im Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung finden, mit --zutreffenden--
Rechtsprechungsnachweisen belegt hat. Erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich.