Urteil des BFH vom 12.12.2013

Abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen wegen eines Sanierungsgewinns - rechtlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 5.3.2014 als NV-Entscheidung abru

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.12.2013, X R 39/10
Abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen wegen eines Sanierungsgewinns -
rechtlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 5.3.2014 als NV-Entscheidung abrufbar
Leitsätze
1. Bei einem Einzelunternehmer kann die Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit nicht auf die
Wirtschaftslage des Unternehmens beschränkt werden. Vielmehr ist auch die private
Leistungsfähigkeit des Unternehmers einschließlich seines Privatvermögens zu beleuchten, da
eine Krise im privaten Bereich eine Unternehmenskrise verstärken kann. Dies bedeutet, dass der
Einzelunternehmer vorhandenes Privatvermögen zur Lösung der Unternehmenskrise einsetzen
muss.
2. Ein rechtlicher Hinweis, den das FG in der mündlichen Verhandlung erteilt, stellt einen
wesentlichen Vorgang der Verhandlung dar und ist deshalb protokollierungspflichtig (§ 94 FGO
i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO).
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2005 zur
Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger betreibt eine Handelsvertretung, den
Gewinn ermittelt er durch Bestandsvergleich. Der Gewinn 2005 in Höhe von 454.118 EUR
enthielt einen außerordentlichen Ertrag in Höhe von 511.608,13 EUR, der aus einem
teilweisen Darlehensverzicht der A-Bank resultierte. Hierzu war es wie folgt gekommen:
2 Im Jahr 1997 errichtete der Kläger auf dem Grundstück B ein Einfamilienhaus. Im Rahmen
des sog. Zwei-Konten-Modells entnahm er seinem Unternehmen finanzielle Mittel für den
Hausbau und finanzierte anschließend den betrieblichen Mittelbedarf in Höhe eines Betrags
von 3.065.000 DM über mehrere Darlehen bei der A-Bank. Die Darlehen wurden durch
Grundschulden sowie mehrere Lebensversicherungen gesichert. Im Jahr 2000 erfolgten
erste Umfinanzierungen, da der Kläger --bedingt durch rückläufige betriebliche Erträge,
steigende betriebliche Kosten und hohe Privataufwendungen-- die Kapitaldienste gegenüber
der A-Bank nur noch schwer leisten konnte.
3 Nachdem der Kläger aufgrund eines stetigen Rückgangs der betrieblichen Erträge mit
Beginn des Jahres 2002 seine Verpflichtungen gegenüber der A-Bank nicht mehr rechtzeitig
und vollständig erfüllen konnte, kündigte diese am 17. Juli 2002 die Darlehen. Der Kläger
leistete zunächst keine Rückzahlungen. Die A-Bank betrieb daraufhin aufgrund eines
Beschlusses des Amtsgerichts X aus April 2003 die Zwangsvollstreckung in das
Grundstück B, deren Vollziehung gegen auflagegemäße Zahlungen des Klägers von
monatlich 6.000 EUR ausgesetzt wurde. Der Beleihungswert der Immobilie B wurde zu
dieser Zeit auf 950.000 EUR geschätzt.
4 Der Kläger führte ab dem Frühjahr des Jahres 2004 Verhandlungen mit der A-Bank und der
Sparkasse Y, die der Umfinanzierung der Verbindlichkeiten und der Vermeidung der
Zwangsvollstreckung in die Immobilie B dienten. Ein Sanierungsplan wurde nicht aufgestellt.
Ende des Jahres 2004 kamen der Kläger und die Kreditinstitute überein, dass fortan die
Sparkasse die Finanzierung übernehmen würde. Diese gewährte dem Kläger zwei Darlehen
in Höhe von insgesamt 1,1 Mio. EUR, die in Höhe von 920.000 EUR zur Kredittilgung an die
A-Bank flossen. Zudem verwertete der Kläger drei Lebensversicherungen und verwandte die
Erlöse in Höhe von 231.388 EUR ebenfalls zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten bei der A-
Bank. Im Gegenzug verpflichtete sich diese, die zu ihren Gunsten bestellten Grundschulden
an die Sparkasse abzutreten und die restlichen Darlehensverbindlichkeiten des Klägers zu
erlassen. Im Januar 2005 bestätigte die A-Bank, dass nach Zahlungseingang die
Grundpfandrechte an die Sparkasse abgetreten und keine weiteren Ansprüche gegen den
Kläger geltend gemacht würden.
5 Die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2005 erfolgte im Wesentlichen
erklärungsgemäß und ist bestandskräftig. Im März 2007 beantragten die Kläger unter
Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. März
2003 IV A 6 -S 2140- 8/03 (BStBl I 2003, 240), den Sanierungsgewinn nicht der Besteuerung
zu unterwerfen und die Einkommensteuer 2005 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der
Abgabenordnung (AO) entsprechend herabzusetzen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) lehnte diesen Antrag ab.
6 Das Einspruchsverfahren gegen den Ablehnungsbescheid blieb ohne Erfolg. Das FA war
der Auffassung, zwar sei nicht auszuschließen, dass die A-Bank in Sanierungsabsicht
gehandelt habe. Das Unternehmen des Klägers sei aber weder sanierungsbedürftig noch
der Schulderlass zu dessen Sanierung geeignet gewesen.
7 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011,
644 veröffentlichten Gründen ab. Das FA habe ermessensfehlerfrei entschieden, dass die
Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163
AO) wegen sachlicher Unbilligkeit nicht gegeben seien. Die Kläger hätten nicht substantiiert
dargelegt, dass die Betriebssubstanz des Unternehmens ohne den Schulderlass der A-Bank
nicht hätte erhalten werden können, mithin sanierungsbedürftig gewesen sei. Zu
berücksichtigen sei dabei u.a., dass die Handelsvertretung als solche trotz rückläufiger
Umsätze profitabel gewesen und die Krisensituation der Kläger vordergründig privat
veranlasst sei. Ihr überwiegendes Privatvermögen in Gestalt der Immobilie B hätten diese
bei ihren Lösungsversuchen aber verschont. Zudem lägen keine überzeugenden
Anhaltspunkte für ein Handeln der A-Bank in Sanierungsabsicht vor. Ob der Schulderlass
der A-Bank geeignet gewesen sei, eine Sanierung des Unternehmens zu bewirken, bedürfe
nach alledem keiner Entscheidung mehr.
8 Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das FG
habe in rechtsfehlerhafter Auslegung und Anwendung des § 163 Satz 1 AO das Vorliegen
eines Sanierungsgewinns verneint. Das FG-Urteil verletze zudem den Grundsatz des
rechtlichen Gehörs, da es zum einen eine unzulässige Überraschungsentscheidung
darstelle, weil das FG dort ausführe, die Kläger hätten die Voraussetzungen der
Sanierungsbedürftigkeit und der Sanierungsabsicht nicht substantiiert dargelegt. Hiermit
hätten sie nach dem Verfahrensverlauf nicht rechnen müssen. Zum anderen habe das FG
gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, weil es angebotene Beweise nicht erhoben
habe.
9 Die Kläger beantragen, das FG-Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 12. Juli 2007 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 26. Juni 2008 aufzuheben und das FA zu verpflichten, im
Wege der Billigkeit den außerordentlichen Ertrag in Höhe von 511.608,13 EUR bei der
Ermittlung der Einkommensteuer für das Jahr 2005 außer Ansatz zu lassen.
10 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Ablehnung des
Billigkeitsantrags durch das FA nicht ermessensfehlerhaft war. Erst recht steht den Klägern
kein Anspruch auf die begehrte abweichende Festsetzung der Einkommensteuer aus
Billigkeitsgründen zu.
12 1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne
Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn
die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Der Zweck des
§ 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der
Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den
Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen,
als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (Urteil des Bundesfinanzhofs
--BFH-- vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, m.w.N.).
13 2. Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine
Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die von den Gerichten nur in den
von § 102 FGO --ggf. i.V.m. § 121 Satz 1 FGO-- gezogenen Grenzen überprüft werden kann
(Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser
Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer
Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr
eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass
aussprechen (§ 101 Satz 1 i.V.m. § 121 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart
eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht
kommt (Ermessensreduzierung auf Null; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil
vom 14. Juli 2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916).
14 3. Für den Erlass von Sanierungsgewinnen aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das BMF
im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder eine Verwaltungsvorschrift
in BStBl I 2003, 240 erlassen, die die Anwendung der Billigkeitsregeln in diesen Fällen
vereinheitlichen soll. Dies hat der erkennende Senat im Hinblick auf den Willen des
Gesetzgebers, nach dem der Besteuerung von Sanierungsgewinnen trotz Aufhebung des
§ 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. vor Aufhebung dieser Norm durch das
Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (EStG a.F.) vom 29. Oktober 1997
(BGBl I 1997, 2590) in begründeten Härtefällen durch eine Billigkeitsmaßnahme begegnet
werden könne, im Grundsatz nicht beanstandet (vgl. im Einzelnen die Begründung in BFHE
229, 502, BStBl II 2010, 916, unter B.II.4. und B.II.6.b. aa). Hierdurch ist der Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht tangiert (vgl. die Ausführungen im Senatsurteil in
BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916, unter B.II.4.; zweifelnd BFH-Beschluss vom 28. Februar
2012 VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135).
15 4. Ob die möglichen Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in
BStBl I 2003, 240 gemessen an der Intention des Gesetzgebers zu weit reichen, braucht der
Senat nicht zu entscheiden, da schon die von der Verwaltung selbst formulierten
Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt sind. Eine auf sachlichen Gründen beruhende
Billigkeitsmaßnahme ist damit ausgeschlossen (so bereits Senatsurteil in BFHE 229, 502,
BStBl II 2010, 916, unter B.II.6.).
16 Nach der Verwaltungsanweisung in BStBl I 2003, 240 ist eine Billigkeitsmaßnahme möglich
in Fällen einer unternehmensbezogenen Sanierung, d.h. einer Maßnahme, die darauf
gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger (juristische oder natürliche
Person) vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu
machen (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, Tz 1). Erhöht sich das Betriebsvermögen
dadurch, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden,
ist ein begünstigter Sanierungsgewinn anzunehmen, wenn kumulativ das Unternehmen
sanierungsbedürftig und sanierungsfähig sowie der Schulderlass zur Sanierung geeignet ist
und die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240,
Tz 3 und 4). Damit knüpft die Billigkeitsmaßnahme an die von der Rechtsprechung in der
Vergangenheit --insbesondere zu § 3 Nr. 66 EStG a.F.-- entwickelten Voraussetzungen für
das Vorliegen eines Sanierungsgewinns an.
17 5. Das FG hat das Vorliegen eines begünstigten Sanierungsgewinns, der nach dem BMF-
Schreiben in BStBl I 2003, 240 Voraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme ist, zutreffend
verneint. Zunächst ist die Würdigung des FG, im Streitfall sei bereits keine
Sanierungsbedürftigkeit gegeben, revisionsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden
(hierzu unter a). Es fehlt zudem an der Sanierungseignung des Forderungserlasses (hierzu
unter b). Die ablehnende Ermessensentscheidung des FA ist deshalb vom FG zu Recht
nicht beanstandet worden.
18 a) Ob ein Unternehmen sanierungsbedürftig ist, richtet sich bei einem Einzelunternehmer
danach, ob infolge der Überschuldung die Existenz des Unternehmens derart bedroht ist,
dass es ohne den Schulderlass nicht ertragbringend weitergeführt werden kann.
19 aa) Maßgebend sind die Gesamtumstände. Zu überprüfen ist für den Zeitpunkt des
Schulderlasses nicht nur die Ertragslage, das Verhältnis der flüssigen Mittel zur Höhe der
Schuldenlast und die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens und etwa vorhandener
weiterer Unternehmen des Unternehmers, sondern auch die Höhe dessen Privatvermögens
(vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1990 I R 129/85, BFHE 161, 39, BStBl II 1990, 955). Da
Gläubiger des Einzelunternehmers unabhängig von der Zuordnung ihrer Forderungen
sowohl auf das Betriebsvermögen wie auch auf das Privatvermögen Zugriff nehmen können,
ist in die Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens außer dem positiven auch
das überschuldete und ertraglose Privatvermögen einzubeziehen, das die Leistungsfähigkeit
des Unternehmens beeinträchtigt und möglicherweise zur nachhaltigen Zahlungsunfähigkeit
des Unternehmers führt (BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 48/95, BFH/NV 1998, 1214).
20 bb) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Verneinung der Sanierungsbedürftigkeit
des Unternehmens revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
21 (1) Allerdings vermag der erkennende Senat der Auffassung des FG nicht zu folgen, wonach
im Streitfall keine Anzeichen dafür erkennbar seien, dass die unternehmerische Existenz des
Klägers ohne den Forderungserlass nicht gefährdet gewesen sei.
22 So waren nach den Feststellungen des FG bereits im Jahr 2000 Umfinanzierungen
erforderlich, da der Kläger --bedingt durch rückläufige betriebliche Erträge, steigende
betriebliche Kosten und hohe Privataufwendungen-- die Kapitaldienste gegenüber der A-
Bank nur noch schwer leisten konnte. Im Jahr 2002 kam es zu einem weiteren erheblichen
Umsatzrückgang, so dass der Kläger seine Verpflichtungen gegenüber der A-Bank erneut
nicht mehr rechtzeitig und vollständig erfüllen konnte, was zur Kündigung sämtlicher
Darlehen führte. Dies konnte der Kläger nicht verhindern, obwohl er in diesem Jahr infolge
von Ausgleichszahlungen nach § 89b des Handelsgesetzbuchs in Höhe von ca.
452.000 EUR noch einen Gewinn von knapp 289.000 EUR erwirtschaftete. Gerade das
Gebrauchmachen der Hausbank von ihrem außerordentlichen Kündigungsrecht ist ein
gravierendes Indiz dafür, dass eine Unternehmenskrise sich bereits nach außen sichtbar
manifestiert hat. Durch die Kündigung des Kreditengagements wird die Liquiditätskrise
zudem weiter verstärkt. Ohne eine Umfinanzierung oder anderweitige Einigung mit der Bank
droht in diesen Fällen regelmäßig die Zahlungsunfähigkeit.
23 Im Jahr 2003 gingen die Umsätze nochmals zurück; der Gewinn betrug nur noch etwas über
22.000 EUR. Zwar kam es im Jahr 2004 wieder zu einer Umsatz- und Gewinnsteigerung.
Trotz des Gewinns in Höhe von ca. 116.000 EUR musste der Kläger jedoch die zur
Abwendung der von der A-Bank eingeleiteten Zwangsvollstreckung in die Immobilie B
vereinbarten Zahlungen von zunächst 6.000 EUR auf 3.000 EUR reduzieren.
24 Nicht nachvollziehbar ist zudem die Annahme des FG, das Unternehmen wäre im Streitjahr
2005 ohne den Forderungsverzicht nicht in die Verlustzone geraten; das Gegenteil wäre der
Fall gewesen. Ferner ist anzunehmen, dass der Kläger für das Weiterbestehen seiner
Handelsvertretung auf Bankkredite angewiesen war.
25 (2) Entgegen der Auffassung des FG kommt es für die Frage der Sanierungsbedürftigkeit bei
einem Einzelunternehmen nicht allein darauf an, dass dieses bislang in der Lage war, seine
betrieblichen Aufwendungen einschließlich der betrieblich bedingten Zinsen bedienen zu
können. Infolge der umfassenden persönlichen Haftung des Betriebsinhabers ist vielmehr
entscheidend, dass die (verbleibende) Liquidität auch ausreicht, um dessen Lebenshaltung
zu gewährleisten sowie ggf. vorhandene private Verbindlichkeiten zu bedienen. Ein
Unternehmen kann insbesondere auch dann sanierungsbedürftig sein, wenn --wie im
Streitfall-- die unternehmerische Krise durch eine Krise im privaten Bereich verstärkt wird. So
führen hohe Privatentnahmen, die ihre Ursache beispielsweise in einem (zu) hohen
Lebensstandard haben, häufig trotz einer noch zufriedenstellenden Ertragssituation im
Unternehmen zu einer Liquiditätsbelastung, die in Liquiditätsengpässen münden kann. Auch
private finanzielle Engagements (z.B. Eigenheim) erfordern zur Abdeckung regelmäßige
Liquiditätsentnahmen aus dem Unternehmen, die in Zeiten rückläufiger Erträge nicht mehr
vom Betrieb erwirtschaftet werden können. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung
allerdings, dass der Einzelunternehmer in seiner Existenz als Unternehmer bedroht ist, d.h.
durch die Überschuldung des Betriebs- und des Privatvermögens muss der Zusammenbruch
des Unternehmens drohen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 1214).
26 In solch einem Fall einer durch das Zusammenspiel von betrieblichen (z.B. Wegfall von
Einnahmen, steigende Kosten) und persönlichen Faktoren (hoher Lebensstandard und
dadurch hohe Privatentnahmen, private Verschuldung) bedingten Unternehmenskrise stellt
sich --neben der Heranziehung des Privatvermögens-- vielmehr verstärkt die Frage, ob die
von dem Steuerpflichtigen ergriffenen Maßnahmen zur Sanierung geeignet sind.
27 (3) Haften natürliche Personen für die Unternehmensverbindlichkeiten, so lehnt die
Rechtsprechung eine krisenbedingte Sanierungsbedürftigkeit gleichwohl ab, wenn durch
Heranziehen des Privatvermögens die Verpflichtungen erfüllt werden können (z.B. BFH-
Urteil vom 27. Januar 1998 VIII R 64/96, BFHE 186, 12, BStBl II 1998, 537, unter II.3.c und
m.w.N.). Allein der Austausch eines Gläubigers unter Weitergabe von Sicherheiten an
Gegenständen des Privatvermögens --wie im Streitfall-- stellt indes keinen Beitrag des
Steuerpflichtigen zur Sanierung dar. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er der
Weitergabe der Sicherheit von dem alten an den neuen Gläubiger zustimmen muss.
28 Nach den Feststellungen des FG haben die Kläger ihr wesentliches Privatvermögen --
nämlich die Immobilie B mit einem Beleihungswert von 950.000 EUR sowie weitere
Immobilien-- vom Einsatz für eine Schuldentilgung verschont. Soweit die Kläger in diesem
Zusammenhang einwenden, es sei reine Spekulation, ob ein freihändiger Verkauf
angesichts der Besonderheiten des Objekts B überhaupt erfolgversprechend gewesen wäre,
vermag dies eine Sanierungsbedürftigkeit nicht zu begründen. Die Kläger haben --soweit
ersichtlich-- noch nicht einmal konkrete Versuche unternommen, mit dem Verkauf der
Immobilien die bestehenden Verbindlichkeiten abzulösen oder zumindest auf ein
erträgliches Maß zurückzuführen, um so die Liquidität wieder herzustellen. Ihre Annahme,
der Finanzbedarf habe nicht auf diese Weise gedeckt werden können, ist damit ebenfalls
reine Spekulation. Da die Sanierungsbedürftigkeit objektiv bestehen und vom Schuldner
nachgewiesen werden muss (BFH-Urteil vom 3. Dezember 1963 I 375/60 U, BFHE 78, 327,
BStBl III 1964, 128), kommt es auch nicht darauf an, ob die A-Bank als Gläubigerin einen
freihändigen Verkauf der Immobilie(n) für erfolgversprechend hielt oder nicht.
29 b) Zwar hat das FG die Sanierungseignung --anders als das FA in der
Einspruchsentscheidung-- dahinstehen lassen, die getroffenen Feststellungen reichen
jedoch aus, um auch dieses Merkmal zu verneinen.
30 aa) Die Sanierungseignung des Schulderlasses erfordert, dass dieser allein oder zusammen
mit anderen Maßnahmen das Überleben des Betriebes herbeizuführen geeignet ist (vgl.
BFH-Urteil vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Ein
steuerfreier Sanierungsgewinn liegt nicht vor, wenn der Schulderlass das
sanierungsbedürftige Unternehmen zwar vor dem Zusammenbruch bewahrt, hierdurch
jedoch die Ertragsfähigkeit nicht wiederhergestellt wird (BFH-Urteil vom 25. Februar 1972
VIII R 30/66, BFHE 105, 260, BStBl II 1972, 531). In diesem Zusammenhang ist zu
untersuchen, welche Zahlungsverpflichtungen das Unternehmen im Zeitpunkt des
Schulderlasses hat, wie weit diese Verpflichtungen aus dem laufenden Geschäft erfüllt
werden können und ob nach Fortfall der erlassenen Schulden die Zahlungsfähigkeit als
gesichert angesehen werden kann (BFH-Beschluss vom 17. Februar 1999 IV B 153/97,
BFH/NV 1999, 929).
31 bb) Dies ist aufgrund der von dem FG getroffenen Feststellungen zu verneinen. Auch nach
dem teilweisen Schulderlass im Rahmen der Umschuldung kann nicht davon ausgegangen
werden, die Lage der Kläger insgesamt, also die durch die Krise im privaten Bereich
verstärkte Unternehmenskrise, habe sich so entspannt, dass eine gesicherte
Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit erreicht worden wäre. So wurde durch den
teilweisen Darlehensverzicht der A-Bank die jährliche Zinslast lediglich geringfügig gesenkt.
Das Unternehmen blieb durch die nun von der Sparkasse gewährten Darlehen in Höhe von
1,1 Mio. EUR weiter hoch belastet. Die Kläger haben nicht dargetan, dass und aus welchen
Gründen im Zeitpunkt des Forderungserlasses davon ausgegangen werden konnte, das
Unternehmen werde durch den Erlass wieder ausreichend ertragsfähig. Auch ist objektiv
nicht erkennbar, wie sich die finanzielle Gesamtsituation der Kläger allein durch die
Umschuldung und ohne weitere, begleitenden Maßnahmen wesentlich verbessern sollte.
32 Die Kläger haben ersichtlich ohne Erstellung eines fundierten Sanierungsplans gehandelt.
Dass sie konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der Krise im privaten Bereich getroffen,
insbesondere ihr Ausgabeverhalten an die über die Jahre veränderten Rahmenbedingungen
angepasst hätten, haben sie nicht dargelegt. Der Forderungserlass hat zwar zunächst den
Zusammenbruch des Unternehmens verhindert, eine hierdurch bewirkte Wiederherstellung
der Ertragsfähigkeit ist indes nicht substantiiert dargelegt.
33 c) Ob die A-Bank als Gläubigerin in Sanierungsabsicht handelte, braucht der Senat nach
alledem nicht zu entscheiden.
34 6. Die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
35 a) Die Kläger sind der Auffassung, das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen,
weil es in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich einen rechtlichen Hinweis erteilt habe,
wonach im Streitfall die Merkmale der Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungseignung und
Sanierungsabsicht gegeben seien. Ein rechtlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO hätte
indes gemäß § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als wesentlicher
Vorgang der Verhandlung protokolliert werden müssen (vgl. Schallmoser in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 94 FGO Rz 19). Dazu ist dem Sitzungsprotokoll (zu dessen
Beweiskraft: § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO) nichts zu entnehmen. Die Kläger hätten insoweit
bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Protokollergänzung nach
§ 160 Abs. 4 ZPO stellen müssen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 2008 VII S 56/07
(PKH), BFH/NV 2008, 809; vom 24. Februar 2003 III B 117/02, BFH/NV 2003, 810, unter 3.b,
m.w.N.). Der von dem Prozessbevollmächtigten selbst gefertigte "Terminsbericht" kann die
fehlende Protokollierung nicht ersetzen.
36 b) Soweit die Kläger das Übergehen der in der Klageschrift zur Untermauerung ihres
Sachvortrags für das Vorliegen der Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsabsicht
genannten Zeugen rügen, liegt ein Verfahrensfehler, auf dem das FG-Urteil beruhen kann,
jedenfalls nicht vor. Nach der insoweit maßgeblichen --und gemäß den Ausführungen unter
II.5.a. bb (3) zutreffenden-- Rechtsauffassung des FG war die Sanierungsbedürftigkeit im
Streitfall u.a. angesichts des fehlenden Einsatzes des vorhandenen Privatvermögens zu
verneinen. Hierauf bezogen sich der Sachvortrag und damit die angebotenen Zeugen jedoch
nicht. Auf der unterbliebenen Vernehmung der Zeugen kann die Entscheidung des FG mithin
nicht beruhen. Entsprechendes gilt, soweit das FG den zum Beweis des Handelns der A-
Bank in Sanierungsabsicht genannten Zeugenangeboten nicht nachgegangen ist.
37 c) Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, sie hätten für den Fall, dass das FG
ihren Vortrag in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht nicht als ausreichend erachte,
ausdrücklich um einen Hinweis gebeten. Ein Hinweis auf nahe liegende rechtliche oder
tatsächliche Gesichtspunkte ist zumindest dann nicht erforderlich, wenn die Kläger --wie im
Streitfall-- fachkundig vertreten sind (z.B. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2008 XI B 202/07,
BFH/NV 2009, 118, unter 5.).
38 d) Von einer weiteren Begründung hinsichtlich der Verfahrensrügen sieht der Senat ab
(§ 126 Abs. 6 FGO).