Urteil des BFH vom 11.11.2008

BFH: Zurückweisung von Bevollmächtigten, Zeitpunkt der Zurückweisung, Vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistung, Zulässigkeit einer Beschwerde, rechtliches gehör, mitgliedstaat, anerkennung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.11.2008, I B 107/08
Zurückweisung von Bevollmächtigten - Zeitpunkt der Zurückweisung - Vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistung
- Zulässigkeit einer Beschwerde
Tatbestand
1 I. Die Beschwerdeführer traten in einem finanzgerichtlichen Verfahren als Prozessbevollmächtigte auf. Die
Beschwerdeführerin zu 3. ist eine in Großbritannien registrierte "Rechtsanwaltsgesellschaft Limited" mit einem "Büro" in
den Niederlanden und einer "Beratungsstelle" in Deutschland. Ihre Schriftsätze sind vom Beschwerdeführer zu 2.
unterzeichnet. In Deutschland ist sie nicht als Rechtsanwaltsgesellschaft anerkannt.
2 In dem Klageverfahren der X-GmbH (Klägerin) über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung hat das
Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz die Beschwerdeführer durch Beschlüsse in der mündlichen Verhandlung am 5.
März 2008 5 K 2353/05 als Bevollmächtigte zurückgewiesen. Dieser Zurückweisung war die Zurückweisung der
früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin --einer in Großbritannien registrierten Y Wirtschafts- und
Steuerberatungsgesellschaft Ltd. mit einem "Büro" in … (Belgien), deren Schriftsätze von der Beschwerdeführerin zu 1.
unterzeichnet waren-- vorausgegangen. Eine Beschwerde gegen diese frühere Zurückweisung blieb erfolglos
(Senatsbeschluss vom 9. Juli 2007 I B 70/07, BFH/NV 2007, 2357; s.a. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2008 I S 19/07,
nicht veröffentlicht).
3 In den hier angefochtenen Zurückweisungsbeschlüssen hat das FG zu den Beschwerdeführern zu 1. und zu 2. auf
rechtskräftige Zurückweisungen in anderen bei ihm anhängig gewesenen Verfahren verwiesen (zur
Beschwerdeführerin zu 1.: Urteil vom 13. November 2006 in der Sache 5 K 2269/06 mit Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. August 2007 IX B 247/06; zum Beschwerdeführer zu 2.: Urteil vom 8. Mai 2006 in der
Sache 5 K 1831/05 mit BFH-Beschluss vom 8. März 2007 IX B 240/06, BFH/NV 2007, 1195). Darüber hinaus hat es
seine Zurückweisung damit begründet, dass alle Beschwerdeführer nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft,
regelmäßig wiederkehrend und kontinuierlich im Inland steuerberatend tätig seien.
4 Die Beschwerdeführer haben an der mündlichen Verhandlung der Streitsache 5 K 2353/05 trotz ordnungsgemäßer
Ladung nicht teilgenommen; einem Antrag auf Terminsverlegung hatte das FG nicht entsprochen. Die
Beschwerdeführerin zu 3. hatte durch Schriftsatz vom 28. Februar 2008 erklärt, dass "die Klägerseite unter Protest am
Termin, so er stattfindet, nicht teilnehmen wird, um dem gar nicht erst den Anschein eines ordnungsgemäßen
Verfahrens zu geben"; so sei die Ladung der Beschwerdeführer zu 1. und zu 2. "offenkundig nicht (erfolgt), um mit ihnen
zu verhandeln; es wird klägerseits unterstellt, dass die beiden im Termin zurückgewiesen und damit 'mundtot' gemacht
werden sollen".
5 Mit ihrer Beschwerde --der das FG nicht abgeholfen hat-- beantragen die Beschwerdeführer, den Beschluss
aufzuheben. Es liege wegen fehlender Gewährung rechtlichen Gehörs eine "Überraschungsentscheidung" vor; die
Befugnis der Beschwerdeführerin zu 3. werde im Übrigen nicht aus § 3 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG)
abgeleitet, sondern beruhe auf § 3 Nr. 1 StBerG.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die Beschwerdeführer als Prozessbevollmächtigte nach der
im Zeitpunkt des Beschlusses geltenden Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --i.d.F. vor dem
Inkrafttreten der Änderungen durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007
(BGBl I 2007, 2840)-- (FGO a.F.) zurückgewiesen, weil sie nicht zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen im Inland
befugt waren.
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1. Der Zulässigkeit der am 10. April 2008 erhobenen Beschwerde steht nicht entgegen, dass nach der im Zeitpunkt der
Beschwerdeentscheidung geltenden Rechtslage (seit dem 1. Juli 2008) eine Beschwerde gegen die Entscheidung
über die Zurückweisung eines Bevollmächtigten nach § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --nach dem
Inkrafttreten der Änderungen durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007
(BGBl I 2007, 2840)-- (FGO) ausgeschlossen ist. Eine Einschränkung gilt für bereits anhängige Beschwerdeverfahren
nicht.
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2. Ein Verstoß des FG gegen die Pflicht, rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) zu gewähren, liegt
nicht vor. Den Beschwerdeführern zu 1. und zu 2. war aus den vorausgegangenen --sie persönlich betreffenden--
Zurückweisungsverfahren bekannt, dass eine Zurückweisung auch in dem jetzt anhängigen Rechtsstreit drohte. Sie
brachten eine solche Maßnahme gerade auch in einen Zusammenhang mit der persönlichen Ladung zum Termin zur
mündlichen Verhandlung. Für die Beschwerdeführerin zu 3. lag durch den personalen Zusammenhang mit dem
Beschwerdeführer zu 2. jedenfalls nahe, dass das FG auch in ihrem Fall --wie bei der ursprünglich aufgetretenen
Prozessbevollmächtigten als (ebenfalls) im Ausland registrierter Limited mit einem personalen Zusammenhang zur
Beschwerdeführerin zu 1.-- eine Zurückweisung erwägen könnte. Wenn unter diesen Voraussetzungen die
Möglichkeit, die mit einer Zurückweisung zusammenhängenden Fragen im Zuge der mündlichen Verhandlung beim
FG zu erörtern, von den Beschwerdeführern bewusst nicht genutzt wurde, sie damit nicht alles ihnen Mögliche
veranlasst haben, sich Gehör zu verschaffen, können sie sich auf eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör bzw. eine zu
ihren Lasten gehende unzulässige "Überraschungsentscheidung" nicht berufen (s. allgemein z.B. Senatsbeschluss
vom 14. Februar 2008 I B 162/07, BFH/NV 2008, 1353). Im Übrigen war das FG nicht gehindert, die
Zurückweisungsbeschlüsse erst in der mündlichen Verhandlung zu fassen. Auch aus § 76 FGO ist nicht abzuleiten,
dass eine Zurückweisung stets im vorbereitenden Verfahren (bzw. vor einer Terminsladung) erfolgen muss. Dies gilt in
besonderem Maße, wenn die Zurückweisung unter Hinweis auf tatsächliche Erkenntnisse erfolgt (z.B. die Frage, ob
eine Dienstleistung nur gelegentlich im Inland erbracht wird), deren Gesamtbild sich gegebenenfalls auch erst in
einem späteren Verfahrenszeitpunkt erschließt.
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3. a) Zur Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Beschwerdeführer zu 1. und zu 2. verweist der Senat inhaltlich auf
den gegenüber dem Beschwerdeführer zu 2. ergangenen BFH-Beschluss vom 21. August 2008 VIII B 70/08 (juris). In
diesem Beschluss ist ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer zu 2. die nach Maßgabe des Steuerberatungsgesetzes
notwendige Erlaubnis fehlt, da die Bestellung als Steuerberater widerrufen wurde (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 3 Nr. 1
StBerG) und dass ein Erlaubnistatbestand für eine grenzüberschreitende Dienstleistung von der im Ausland
gelegenen beruflichen Niederlassung aus nicht einschlägig ist. Dies gilt sowohl nach dem vom FG bei der Prüfung
herangezogenen § 3 Nr. 4 StBerG i.d.F. vor der Änderung durch das Achte Gesetz zur Änderung des
Steuerberatungsgesetzes (StBerG a.F.) als auch nach dem seit dem 12. April 2008 gültigen § 3a Abs. 1 Satz 1 StBerG
(i.d.F. des Achten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes --8. StBerÄndG--, BGBl I 2008, 666 [StBerG
n.F.]). Von einer --nur wiederholenden-- Darstellung der rechtlichen Erwägungen in dem BFH-Beschluss vom 21.
August 2008 im Einzelnen sieht der Senat ab. Diese Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Beschwerdeführerin zu 1.
10 b) Auch der Beschwerdeführerin zu 3. fehlt die nach Maßgabe des Steuerberatungsgesetzes notwendige Erlaubnis
zur unbeschränkten bzw. zur vorübergehenden bzw. gelegentlichen Hilfeleistung in Steuersachen. Die Befugnis zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen steht zwar auch Personen und Vereinigungen zu, die in einem
anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland beruflich niedergelassen sind und dort befugt
geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaates leisten, soweit sie mit der
Hilfeleistung eine Dienstleistung nach Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG)
i.d.F. des Vertrags von Nizza erbringen (s. BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE
201, 483, BStBl II 2003, 422; Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 2357; BFH-Beschluss vom 21. August 2008 VIII B
113/08, juris). Dies folgt aus § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG a.F. und nun aus § 3a Abs. 1 Satz 1 StBerG n.F.
11 Das 8. StBerÄndG dient nach dem amtlichen Hinweis der Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen
Parlamentes und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, geändert durch
die Richtlinie 2006/100/EG des Rates vom 20. November 2006. Eine zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu 3.
durchgreifende Rechtsänderung ist in der Neuregelung nicht zu erkennen. In dem schon vom FG herangezogenen
Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 2357 ist zutreffend ausgeführt, dass der maßgebende Begriff der Dienstleistung i.S.
des Art. 50 EG nur grenzüberschreitende vorübergehende Hilfeleistung in Steuersachen erfasst (s. jetzt auch
ausdrücklich § 3a Abs. 1 Satz 1 StBerG n.F.). Ob eine grenzüberschreitende Dienstleistung einen nur
vorübergehenden Charakter hat, beurteilt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit,
regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität. Diese somit schon nach alter Gesetzesfassung maßgeblichen Merkmale
sind nunmehr in das Gesetz aufgenommen (s. § 3a Abs. 1 Satz 5 StBerG n.F.). Nach den --unbestrittenen--
tatsächlichen Feststellungen des FG ist die Beschwerdeführerin zu 3. nicht nur vorübergehend im Inland tätig.
12 Die Beschwerdeführerin zu 3. kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 3 Nr. 1 StBerG berufen. Für eine "Person oder
Vereinigung, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland oder in der Schweiz
beruflich niedergelassen ist und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des
Niederlassungsstaates leisten", lässt sich eine Erlaubnis ausschließlich aus § 3 Nr. 4 StBerG a.F. bzw. aus § 3a Abs. 1
StBerG n.F. ableiten. Dass im Bereich der Dienstleistungsfreiheit Gesellschaften den natürlichen Personen
gleichzustellen sind, kann angesichts der Spezialregelung in § 3 Nr. 4 StBerG a.F. den Rückgriff auf § 3 Nr. 1 StBerG
(Berufsträger) nicht rechtfertigen; im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass zugunsten der Beschwerdeführerin zu 3. das
Niederlassungserfordernis nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (vom 9.
März 2000, BGBl I 2000, 182, 1349) erfüllt ist.