Urteil des BFH vom 12.03.2009

BFH: XI S 23/08, XI S 24/08, XI S 25/08, Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Juli 2008  3 AZN 584/08 (F), Neue Juristische Wochenschrift 2009, 541, zu § 78a des Arbeitsgerichtsgesetzes

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.3.2009, XI S 22-26/08; XI S 22/08; XI S 23/08; XI S 24/08; XI S 25/08; XI
S 26/08
Anhörungsrüge gegen Entscheidung über Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit - Besetzung des
Spruchkörpers - Gewährung rechtlichen Gehörs
Gründe
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1. Die Verbindung der Verfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Sie erscheint
zweckmäßig, da mit den Anhörungsrügen dieselben Gründe vorgebracht worden sind und deshalb über dieselben
Fragen zu entscheiden ist.
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2. Der Senat entscheidet über die vom Kläger, Beschwerdeführer und Rügeführer (Kläger) jeweils eingelegte
"sofortige Beschwerde in Form einer Gehörsrüge" in der geschäftsplanmäßigen Besetzung (vgl. Beschluss des Senats
vom 17. Dezember 2008 XI ER-S 5/08, Tz. II.3. i.V.m. I.2.b dd, nicht veröffentlicht --n.v.--).
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a) Die Rügen richten sich gegen die Entscheidungen des Senats, mit denen die Ablehnungsgesuche gegen die
Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof (BFH) A als unbegründet zurückgewiesen wurden. Gegen derartige
Entscheidungen ist im Gesetz eine Beschwerde nicht vorgesehen. Eine außerordentliche Beschwerde neben den
gesetzlich normierten Rechtsmitteln kommt nicht in Betracht (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH--- vom 8.
November 2004 II ZB 24/03, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 294). Die
eingelegten Rechtsbehelfe sind daher ausschließlich als Anhörungsrügen i.S. des § 133a FGO zu verstehen.
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b) Über die Anhörungsrügen ist mangels einer speziellen Regelung in der regulären Besetzung laut
Geschäftsverteilungsplan des Senats zu entscheiden (vgl. BGH-Beschluss vom 28. Juli 2005 III ZR 443/04,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 206, zur vergleichbaren Regelung in § 321a der Zivilprozessordnung
--ZPO--; Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Juli 2008 3 AZN 584/08 (F), Neue Juristische Wochenschrift
2009, 541, zu § 78a des Arbeitsgerichtsgesetzes; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November
2007 8 C 17/07, n.v., zu § 152a der Verwaltungsgerichtsordnung).
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Die Vorschrift des § 133a FGO trifft keine Regelung dahingehend, dass über eine Anhörungsrüge nur die Richter
entscheiden, die bei der gerügten Entscheidung mitgewirkt haben. Das hat zur Folge, dass bei der Entscheidung über
eine Anhörungsrüge, die sich gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs richtet, auch ein Richter mitwirken
kann, der von dem Ablehnungsgesuch betroffen war. Die Mitwirkung dieses Richters ist nicht nach anderen
Verfahrensvorschriften ausgeschlossen. Denn mit der Ablehnung des Befangenheitsantrags durch unanfechtbaren
Beschluss eines letztinstanzlichen Gerichts ist das Verfahren über das Ablehnungsgesuch abgeschlossen. Damit
endet für den betroffenen Richter das sog. Enthaltungsgebot des § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 47 Abs. 1 ZPO (vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2007 1 BvR 1273/07, Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report 2008, 289, unter III.4. der Gründe; BFH-Beschluss vom 17. Juli 2008 I B
22/08, n.v.).
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3. Die Anhörungsrügen sind jedenfalls unbegründet.
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a) Nach § 133a Abs. 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das
Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den
Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Rüge muss das
Vorliegen der genannten Voraussetzungen darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 6 FGO).
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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- und § 96 Abs. 2 FGO)
verlangt von dem erkennenden Gericht vornehmlich, dass es die Beteiligten über den Verfahrensstoff informiert, ihnen
Gelegenheit zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in
Erwägung zieht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 2005 VII S 17/05, BFH/NV 2005, 1614; vom 27. Dezember 2006 V
S 24/06, BFH/NV 2007, 1667).
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b) Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist durch die Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche nicht
verletzt worden. Der Senat hat bei seinen Entscheidungen keine Tatsachen berücksichtigt, zu denen der Kläger nicht
gehört worden ist.
10 aa) Der Einwand, die Beschlüsse vom 19. November 2008 seien wegen fehlerhafter Besetzung der Richterbank und
damit wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nichtig, weil die Geschäftsverteilungspläne des BFH
keine Regelungen für den Fall von Richterablehnungen wegen Besorgnis der Befangenheit vorsähen, ist im Rahmen
der Anhörungsrüge ausgeschlossen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Mai 2007 V S 6/07, BFHE 217, 230, BStBl II 2007,
653; vom 10. September 2008 I S 14/08, n.v.).
11 bb) Soweit der Kläger rügt, die Richterin am BFH B und der Richter am BFH C hätten wegen ihrer eigenen
Befangenheit nicht an den Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende Richterin am BFH A
mitwirken können, macht er geltend, der Senat habe das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG) verletzt. Damit kann der Kläger im Anhörungsrügeverfahren nicht gehört werden. Im Übrigen waren diese Richter
nach der unanfechtbaren Ablehnung der gegen sie gerichteten Befangenheitsanträge in den Beschlüssen vom 13.
November 2008 und nach der am 18. November 2008 erfolgten Absendung dieser Entscheidungen durch die
Geschäftsstelle nicht mehr gehindert, an weiteren Entscheidungen mitzuwirken.
12 cc) Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei deshalb verletzt worden,
weil der Spruchkörper in den Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende Richterin am BFH
A die tatsächlich angeführten Gründe für die Ablehnung nicht unverändert auf ihre Tauglichkeit geprüft, sondern der
eigenen Auffassung entsprechend modifiziert und mit den Entscheidungen angeblich den Tatbestand der
Rechtsbeugung gemäß § 339 des Strafgesetzbuchs erfüllt habe. Soweit sich der Kläger damit gegen die Auffassung
des Gerichts wendet, dass Ablehnungsgründe nicht vorliegen, ist die Rüge im vorliegenden Verfahren nicht statthaft.
Eine andere Rechtsauffassung des Senats führt nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Entsprechendes
gilt, soweit in den gerügten Entscheidungen die wissenschaftliche Tätigkeit der Vorsitzenden Richterin am BFH A nicht
als Anlass zur Besorgnis der Befangenheit angesehen worden ist.
13 dd) Der Kläger begründet die Anhörungsrügen vor allem auch damit, dass seine Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1,
Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden seien, § 18 des Einkommensteuergesetzes nicht
angewendet werden dürfe, das Umsatzsteuergesetz (UStG) seit 1. Januar 2002 aufgrund des eingefügten § 27b UStG
(Umsatzsteuer-Nachschau) nichtig und eine Einkommensbesteuerung seiner Einkünfte sowie eine
Umsatzbesteuerung seiner Tätigkeit ausgeschlossen sei. Soweit der Kläger daraus ableiten sollte, dass die
Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche materiell-rechtlich fehlerhaft seien, kann dies mit der Anhörungsrüge
nicht geltend gemacht werden. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffenen Entscheidungen in der Sache
zu überprüfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 2006 VI S 5/06, BFH/NV 2006, 1337; vom 6. Mai 2008 IX S 12/08,
Zeitschrift für Steuern und Recht 2008, R752), selbst wenn eine Verletzung von Grundrechten behauptet wird (vgl.
BFH-Beschluss vom 8. Juli 2008 IX B 54/08, n.v.). Gerügt werden kann nur die Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör.
14 ee) Aus dem vorgenannten Grund ist der Kläger auch mit der Rüge ausgeschlossen, die an den Entscheidungen über
die Ablehnungsgesuche beteiligten Richter hätten mit den Beschlüssen vom 19. November 2008 gewaltsam den
Versuch unternommen, die auf dem GG basierende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern.
15 4. Eine Berichtigung des in den gerügten Beschlüssen vom 19. November 2008 jeweils dargestellten Sachverhalts
(unter I. der Gründe) ist nicht veranlasst.