Urteil des BFH vom 19.12.2000

Umsatzbesteuerung von Kleinunternehmern mit schwankenden Umsätzen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.10.2007, V B 164/06
Umsatzbesteuerung von Kleinunternehmern mit schwankenden Umsätzen
Leitsätze
§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 gilt nach seinem Sinn und Zweck grundsätzlich auch dann, wenn bereits zu Beginn des Jahres
voraussehbar ist, dass der Jahresumsatz wieder unter die Grenze von 17 500 EUR sinken wird .
Tatbestand
1 I. Im Jahr 2002 und dem Streitjahr (2003) führte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) jeweils nur einen Umsatz
aus. Die Hauptauftraggeberin des Klägers hatte im Jahre 2003 ihren Geschäftsbetrieb eingestellt, so dass weitere
Aufträge durch diese nicht mehr zu erwarten waren.
2 Die Bruttoumsätze des Klägers beliefen sich im Kalenderjahr 2003 und den Vorjahren auf:
2001
0 EUR
2002 42 340,00 EUR
2003
8 700,00 EUR
3
4 Für das Kalenderjahr 2002 erhob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) keine Umsatzsteuer,
weil der Kläger die Umsatzgrenzen des § 19 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) i.d.F. des Art.
14 Nr. 7 des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000,
1790, BStBl I 2001, 3) nicht überschritten hatte.
5 In seiner Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 2003 ging der Kläger davon aus, dass er weiterhin
Kleinunternehmer sei, weil er die Umsatzgrenze des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 i.d.F. des Art. 5 des Gesetzes zur
Förderung der Kleinunternehmer und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung
(Kleinunternehmerförderungsgesetz) vom 31. Juli 2003 (BGBl I 2003, 1550, BStBl I 2003, 398) von 17 500 EUR im
Kalenderjahr 2003 nicht überschritten habe.
6 Abweichend hiervon setzte das FA mit Bescheid über Umsatzsteuer vom 29. Juni 2005 die Umsatzsteuer für das
Kalenderjahr 2003 auf 1 200 EUR fest. Zur Begründung verwies es darauf, dass der Umsatz im Kalenderjahr 2002
mehr als 17 500 EUR betragen habe und somit die sog. Kleinunternehmerregelung nicht zur Anwendung komme. Den
Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 10. November 2005 als unbegründet zurück.
7 Die hiergegen erhobene Klage des Klägers hatte keinen Erfolg.
8 Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
9 Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache und Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts sowie
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung stützt.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
11 1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1 der Vorschrift) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2 der Vorschrift). Die Nichtzulassung
kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die
Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
12 2. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des
Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und
Handhabung des Rechts berührt. Die Zulassung der Revision kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und
klärbaren Rechtsfrage in Betracht. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne
weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder bereits aufgrund der Rechtsprechung geklärt ist (vgl. BFH-Beschluss
vom 16. Oktober 1998 V B 56/98, BFH/NV 1999, 227, m.w.N.).
13 Der Kläger misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob von der Erhebung der Umsatzsteuer für das
laufende Kalenderjahr auch dann abzusehen ist, wenn zwar die Umsätze des Vorjahres die Grenze des § 19 Abs. 1
Satz 1 UStG 1999 i.d.F. des Art. 5 des Kleinunternehmerförderungsgesetzes von 17 500 EUR überschreiten, nicht
jedoch diejenigen des laufenden Kalenderjahres. Diese Rechtsfrage lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz
beantworten.
14 a) Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 wird die für die Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999
geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der in Satz 2 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden
Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17 500 EUR nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50 000
EUR voraussichtlich nicht übersteigen wird.
15 Diese Voraussetzungen waren im Kalenderjahr 2003 nicht erfüllt, da der maßgebende Vorjahresumsatz (zuzüglich
Steuer) 17 500 EUR überstiegen hat.
16 b) § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 gilt nach seinem Sinn und Zweck grundsätzlich auch dann, wenn bereits zu Beginn
des Jahres voraussehbar ist, dass der Jahresumsatz wieder unter die Grenze von 17 500 EUR absinken wird (ebenso
Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 223 Rz 64 und 71; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., § 19 Rz 5; Hundt in
Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 2. Aufl., § 19 Rz 7; Zugmaier in
Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, E § 19 Rz 35 und 39; Westenberger in Offerhaus/Söhn/Lange, § 19
UStG Rz 26 f.; Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 19 Rz 23; Mößlang in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 19 Rz 14; offengelassen in BFH/NV 1999, 227).
17 Durch das Abstellen auf den Gesamtumsatz des vorangegangenen Kalenderjahres wird erreicht, dass der
Unternehmer bereits zu Beginn des laufenden Kalenderjahres darüber Kenntnis hat, ob von ihm aufgrund der
Umsatzfreigrenze von 17 500 EUR Umsatzsteuer erhoben wird oder nicht und ob er Umsatzsteuer in Rechnung
stellen darf und Umsatzsteuervorauszahlungen zu leisten hat.
18 Die zusätzlich eingefügte 50 000 EUR-Grenze (voraussichtlicher Umsatz des laufenden Kalenderjahres) soll lediglich
verhindern, dass die vorgesehene Regelung zu einer nicht mehr vertretbaren ungleichmäßigen Besteuerung führt
(vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes --UStG 1979-- , BTDrucks 8/1779, BTDrucks 8/2827, 1, 77 f.; Zugmaier in
Hartmann/Metzenmacher, a.a.O., E § 19 Rz 2). Sie findet in Kalenderjahren, in denen der Unternehmer sein
Unternehmen beginnt, keine Anwendung. In diesen Fällen ist die Umsatzgrenze von 17 500 EUR für das laufende
Kalenderjahr maßgeblich (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1984 V R 170/83, BFHE 142, 316, BStBl II 1985, 142).
Der voraussichtliche Gesamtumsatz ist dabei gegebenenfalls entsprechend der Vorschrift des § 19 Abs. 3 Sätze 3 und
4 UStG 1999 auf einen für das restliche Jahr prognostizierten Gesamtjahresumsatz umzurechnen (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 142, 316, BStBl II 1985, 142). Ebenso hat die Umsatzgrenze von 50 000 EUR keine eigene Bedeutung, wenn
der Vorjahresumsatz bereits die Grenze von 17 500 EUR übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1992 V R 91/87,
BFHE 169, 548, BStBl II 1993, 209). Bedeutung hat die Umsatzgrenze nur für den Fall, dass die Umsätze des
vorangegangenen Jahres geringer sind als 17 500 EUR, aber im laufenden Jahr voraussichtlich 50 000 EUR
übersteigen.
19 Die vom Kläger vertretene Auffassung, dass die Steuer nicht erhoben werden darf, wenn der Umsatz im
vorangegangenen Kalenderjahr zwar 17 500 EUR überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 17 500 EUR
voraussichtlich nicht übersteigen wird (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 19 Rz 29; Conradi,
Deutsches Steuerrecht 1980, 618, 619), findet daher keine Stütze im Gesetz (vgl. Widmann in Plückebaum/Malitzky/
Widmann, a.a.O., § 19 Rz 23).
20 3. Eine Entscheidung des BFH ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
21 a) Mangels Klärungsbedürftigkeit der vom Kläger herausgestellten Rechtsfrage (dazu bereits unter II. 2.) ist eine
Revision zur Fortbildung des Rechts nicht geboten.
22 b) Ebenso ist eine Revisionszulassung auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die
Vorentscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des BFH ab; das FG kommt unter Berücksichtigung des BFH-
Urteils in BFHE 169, 548, BStBl II 1993, 209 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG
1999 aufgrund Überschreitens der Vorjahresumsatzgrenze von 17 500 EUR im Kalenderjahr 2003 nicht erfüllt sind.