Urteil des BFH vom 21.12.1998

BFH (berechnung, unechte rückwirkung, gesetzliche grundlage, beendigung, erwerb, indexierung, tod, geldentwertung, ehegatte, erbe)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 27.6.2007, II R 39/05
Indexierung des Anfangvermögens bei Berechnung des fiktiven Anspruchs auf Zugewinnausgleich - Vertrauensschutz von
Verwaltungsvorschriften
Leitsätze
Bei der Berechnung des fiktiven Anspruchs auf Zugewinnausgleich nach § 5 Abs. 1 ErbStG sind die Anfangsvermögen und
die diesen hinzuzurechnenden späteren Erwerbe zum Ausgleich der Geldentwertung nach Maßgabe der Rechtsprechung
des BGH zu indexieren.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin der während des Klageverfahrens verstorbenen
Erblasserin … (E), die ihrerseits Alleinerbin ihres im Jahr 2000 verstorbenen Ehemannes (M) gewesen war. Die seit
1970 miteinander verheirateten Eheleute hatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Erbschaftsteuer für den Erwerb der E als Erbin
des M in der Einspruchsentscheidung auf 9 567 580 EUR (18 712 560 DM) fest. Bei der Berechnung des nicht als
Erwerb i.S. des § 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltenden fiktiven Anspruchs der E
auf Zugewinnausgleich (§ 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) ließ das FA die infolge des Kaufkraftschwunds nur nominale
Wertsteigerung des Anfangsvermögens beider Ehegatten und des nach § 1374 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) dem Anfangsvermögen des M hinzuzurechnenden Vermögens außer Ansatz, indem es nach R 11 Abs. 3 Satz 3
der Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR) vom 21. Dezember 1998 (BStBl I SonderNr. 2/1998, 2) und H 11 Abs. 3 der
Hinweise zu den ErbStR vom 21. Dezember 1998 (BStBl I 1998, 1529) die Anfangsvermögen und die
hinzuzurechnenden Vermögensgegenstände mit dem Lebenshaltungskostenindex zur Zeit der Beendigung des
Güterstandes multiplizierte und durch die für den Zeitpunkt des Beginns des Güterstandes bzw. des nachträglichen
Erwerbs geltende Indexzahl dividierte.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der sich die Klägerin gegen diese Indexierung gewandt hatte, durch das in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1548 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Berechnung
des fiktiven Zugewinnausgleichsanspruchs stimme mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) überein.
Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids stehe die bis Ende 1998 in den gleichlautenden Erlassen der
obersten Finanzbehörden der Länder vom 20. Dezember 1974/10. März 1976 (BStBl I 1976, 145) für den
Steuerpflichtigen vorgesehene Möglichkeit, abweichend von dieser Rechtsprechung zur Berechnung der fiktiven
Zugewinnausgleichsforderung das Anfangsvermögen und die diesem zuzurechnenden Vermögensgegenstände mit
dem Nominalwert anzusetzen, nicht entgegen.
4 Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 5 Abs. 1 ErbStG. Bei der Berechnung des fiktiven
Zugewinnausgleichsanspruchs sei keine Indexierung vorzunehmen, da es dafür keine zivilrechtliche Grundlage gebe
und ein Verstoß gegen das Nominalwertprinzip vorliege. Zudem habe die Verwaltung die in den Erlassen in BStBl I
1976, 145 vorgesehene Möglichkeit, sich für eine Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung ohne
Indexierung zu entscheiden, nicht ohne gesetzliche Grundlage streichen dürfen, jedenfalls nicht ohne
Übergangsregelung.
5 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Erbschaftsteuer auf 6 607 664,78 EUR
herabzusetzen.
6 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG
hat zu Recht angenommen, dass das FA den fiktiven Zugewinnausgleichsanspruch der E zutreffend berechnet hat.
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1. Wird der Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 BGB) durch den Tod eines Ehegatten beendet und wird
der überlebende Ehegatte nicht Erbe und steht ihm auch kein Vermächtnis zu, so kann er gemäß § 1371 Abs. 2 BGB
Ausgleich des Zugewinns nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 BGB verlangen. Diese Vorschriften für
den Ausgleich des Zugewinns gelten nach § 1372 BGB auch, wenn der Güterstand auf andere Weise als durch den
Tod eines Ehegatten, also etwa durch Ehescheidung, beendet wird. In beiden Fällen unterliegt die
Ausgleichsforderung des überlebenden Ehegatten und deren Erfüllung nicht der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer,
wie § 5 Abs. 2 ErbStG klarstellend regelt.
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Wird im Todesfall der Zugewinn nicht nach § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen, weil der überlebende Ehegatte Erbe
wird oder ihm ein Vermächtnis zusteht, gilt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Betrag, den der überlebende Ehegatte
nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 BGB als Ausgleichsforderung geltend machen könnte, nicht als Erwerb i.S. des § 3
ErbStG. Obwohl in diesem Fall dem überlebenden Ehegatten güterrechtlich keine Ausgleichsforderung nach § 1378
BGB zusteht, wird eine solche für die Erbschaftsteuer fiktiv errechnet und vom Erwerb abgezogen. Die Vorschrift des §
5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG bewirkt danach, dass der Erwerb des überlebenden Ehegatten vorbehaltlich der in § 5 Abs. 1
Sätze 2 bis 5 ErbStG getroffenen Sonderregelungen zu dem Anteil nicht mit Erbschaftsteuer belastet wird, der ihm bei
einer gedachten güterrechtlichen Lösung als Ausgleichsforderung zugestanden hätte (Urteil des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 29. Juni 2005 II R 7/01, BFHE 210, 455, BStBl II 2005, 873). Der über diese fiktive Ausgleichsforderung
hinausgehende Erwerb unterliegt der normalen Besteuerung (BFH-Urteil vom 10. März 1993 II R 87/91, BFHE 171,
321, BStBl II 1993, 510). Damit wird eine Angleichung der erbschaftsteuerrechtlichen Behandlung von erbrechtlicher
und güterrechtlicher Lösung bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten erreicht,
soweit § 5 Abs. 1 Sätze 2 bis 5 ErbStG nichts anderes bestimmen. Diese Angleichung setzt voraus, dass der fiktive
Zugewinnausgleichsanspruch nach denselben zivilrechtlichen Grundsätzen berechnet wird wie ein tatsächlich
geltend gemachter. Für die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften über die Berechnung des
Zugewinnausgleichs ist dabei vorrangig die Rechtsprechung des BGH als des für Familienrecht zuständigen obersten
Gerichtshofs des Bundes maßgebend.
10 2. Durch die Geldentwertung eingetretene, nur nominelle Wertsteigerungen des Anfangsvermögens und der
Vermögensgegenstände, die diesem zuzurechnen sind, führen nach der Rechtsprechung des BGH nicht zu einem
Anspruch auf Zugewinnausgleich (Urteile vom 14. November 1973 IV ZR 147/72, BGHZ 61, 385; vom 13. Oktober
1983 IX ZR 106/82, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 434, und vom 20. Mai 1987 IVb ZR 62/86, BGHZ
101, 65). Der durch den Kaufpreisschwund des Geldes verursachte, unechte Zugewinn ist nach dieser
Rechtsprechung dadurch von der Berechnung der Zugewinnausgleichsforderung auszunehmen, dass die nach §
1374 Abs. 1 BGB anzusetzenden (positiven) Anfangsvermögen beider Ehegatten mit dem Preisindex für die
Lebenshaltung bei Beendigung des Güterstandes multipliziert und durch den Index bei Beginn des Güterstandes
dividiert werden. Bei den dem Anfangsvermögen nach § 1374 Abs. 2 BGB hinzuzurechnenden
Vermögensgegenständen ist statt des Preisindexes bei Beginn des Güterstandes der für den Zeitpunkt des Erwerbs
maßgebende zu berücksichtigen. Die Inflationsbereinigung ist auch geboten, soweit Geldforderungen oder
Geldschulden betroffen sind (BGH-Urteil vom 18. Oktober 1989 IVb ZR 82/88, BGHZ 109, 89).
11 Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung der Geldentwertung bei der Berechnung des Anspruchs auf
Zugewinnausgleich verstößt nicht gegen das Nennwertprinzip (Nominalismus). Aus diesem der Währungsordnung
zugrunde liegenden Prinzip folgt, dass Geldbetrags- oder Geldsummenschulden zum Nennwert in der gesetzlichen
Währungseinheit erfüllbar sind. Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber nicht um diese Fragestellung, sondern
um den Vergleich von zeitlich auseinander liegenden Vermögenslagen und die dem Sinn der Zugewinngemeinschaft
entsprechende Berücksichtigung der Geldentwertung zwischen den Bewertungszeitpunkten (BGH-Urteil in BGHZ 61,
385, 392).
12 In der Praxis hat sich die Rechtsprechung des BGH allgemein durchgesetzt. Sie wird in der Literatur heute weit
überwiegend gebilligt (Thiele in Staudinger (2000), BGB, § 1373 Rz 9 ff.; Soergel/Lange, BGB, 12. Aufl., § 1376 Rz 9 f.;
MünchKommBGB/ Koch, 4. Aufl., § 1373 Rz 5 ff.; Finke in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1376 Rz 17 ff.; Palandt/Brudermüller,
BGB, 66. Aufl., § 1376 Rz 25 ff.; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB, § 1376 Rz 39 ff.; Jauernig/Berger, BGB, 11. Aufl., §
1376 Rz 11; Limbach in Anwaltkommentar zum BGB, § 1376 Rz 37 ff.; Weinreich in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, §
1374 Rz 6 ff.; Jaeger in Johannsen/Henrich, Eherecht, 4. Aufl., § 1376 BGB Rz 20 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen,
Familienrecht, 5. Aufl., S. 408 f.; Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 3. Aufl., S. 1517 ff.).
13 Der Geldwertschwund ist nicht nur bei der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft durch
Ehescheidung, sondern auch bei der Beendigung durch den Tod eines Ehegatten zu berücksichtigen. Wie bereits
dargelegt, gelten für die Berechnung des Zugewinnausgleichs in beiden Fällen die Vorschriften der §§ 1373 bis 1383,
1390 BGB, die u.a. den Zugewinn, das Anfangsvermögen, das Endvermögen und die Wertermittlung des Anfangs-
und Endvermögens betreffen. Entgegen der Ansicht der Klägerin fehlt es bei der Beendigung des Güterstandes der
Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten auch nicht an einer unterschiedlichen Interessenlage; sie
besteht in diesem Fall zwischen dem überlebenden Ehegatten, der nicht Erbe wird und dem auch kein Vermächtnis
zusteht, und dem/den ausgleichspflichtigen Erben.
14 3. Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung der Geldentwertung bei der Berechnung des Anspruchs auf
Zugewinnausgleich ist auch für die Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG maßgebend (ebenso
Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 5 Rz 33; Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 5 ErbStG Rz 26;
Kapp/Ebeling, ErbStG, § 5 Rz 35; Hübner in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2. Aufl., § 5 ErbStG Rz 22; Moench/Weinmann, Erbschaft- und
Schenkungsteuer, § 5 Rz 19 f.; Moench/Albrecht, Erbschaftsteuer, S. 82; a.A. Meincke, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., § 5 Rz 14). Nur so lässt sich die von § 5 Abs. 1 ErbStG gewollte
Angleichung der erbschaftsteuerrechtlichen Behandlung von erbrechtlicher und güterrechtlicher Lösung bei
Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten erreichen. Nach dieser Vorschrift soll der
nicht als Erwerb i.S. des § 3 ErbStG geltende Anspruch auf den fiktiven Zugewinnausgleich vorbehaltlich der in § 5
Abs. 1 Sätze 2 bis 5 ErbStG getroffenen Sonderregelungen dem Anspruch entsprechen, der sich bei einem tatsächlich
durchgeführten güterrechtlichen Zugewinnausgleich ergäbe. Bei Letzterem bestünde aber der Ausgleichsanspruch
nur in dem Umfang, der durch die vom BGH vorgenommene Gesetzesauslegung bestimmt wird. Dies schließt die
Indexierung ein.
15 Soweit sich die Klägerin demgegenüber hinsichtlich des Nominalwertprinzips auf die BFH-Urteile vom 27. Juli 1967 IV
300/64 (BFHE 89, 422, BStBl III 1967, 690) und vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72 (BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572)
beruft, kann ihr nicht gefolgt werden. Diese Urteile betreffen allein die Besteuerung der Kapitalzinsen als Einkünfte
aus Kapitalvermögen (§ 20 des Einkommensteuergesetzes) mit dem Nominalwert. Sie sind für die Berechnung des
Anspruchs auf Zugewinnausgleich, bei der die Vermögensgegenstände zu u.U. weit auseinander liegenden
Zeitpunkten zu vergleichen sind, ohne Bedeutung.
16 4. Der Anwendung der Rechtsprechung des BGH zur Indexierung des Anfangsvermögens steht auch die bis 1998
nach Abschn. 2.1 Buchst. c der Erlasse in BStBl I 1976, 145 bestehende Möglichkeit des Steuerpflichtigen, zwischen
der Berücksichtigung und Nichtberücksichtigung des Inflationsausgleichs zu wählen, nicht entgegen. Die
Finanzverwaltung war berechtigt, die Verwaltungsvorschriften mit Wirkung für künftige Erbfälle an die mittlerweile
gefestigte Rechtsprechung des BGH und die dieser entsprechende zivilrechtliche Praxis anzupassen.
17 Der Klägerin stand insoweit kein Vertrauensschutz zu. Soweit Verwaltungsvorschriften überhaupt einen
Vertrauensschutz begründen sollten (grundsätzlich ablehnend BFH-Urteil vom 23. Oktober 2003 V R 24/00, BFHE
203, 523, BStBl II 2004, 89, unter II. 3.; BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 IX B 182/03, BFH/NV 2005, 1058, je
m.w.N.), könnte dieser jedenfalls nicht weiter reichen als der Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand gesetzlicher
Vorschriften. Die unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung von Gesetzesänderungen, die dann
vorliegt, wenn das Gesetz nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen
für die Zukunft einwirkt, ist jedoch grundsätzlich zulässig (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar
2002 2 BvR 305/93 u.a., BVerfGE 105, 17, 37 ff.; BFH-Urteile vom 1. März 2005 VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II
2005, 398, und VIII R 25/02, BFHE 209, 275, BStBl II 2005, 436; vom 18. Januar 2006 II R 64/04, BFH/NV 2006, 948).
Danach können Verwaltungsvorschriften jedenfalls mit Wirkung für künftige Erbfälle an die gesetzliche Rechtslage
angepasst werden (vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 168 ff.; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 4
Rz 183; Maurer in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 3. Aufl., § 79 Rz 130). Eine solche Anpassung
entspricht der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, § 85 Satz 1 der Abgabenordnung)
und bedarf daher keiner speziellen gesetzlichen Grundlage. Die zeitliche Beschränkung der Anwendbarkeit der
geänderten Verwaltungsvorschrift auf künftige Erbfälle enthält eine Übergangsregelung, da davon abgesehen wird,
die bereits seit langem bestehende Rechtsprechung des BGH auf alle noch offenen Erbschaftsteuerfälle anzuwenden.