Urteil des BFH vom 30.04.2009

BFH: Widerruf der Bestellung als Steuerberater wegen Vermögensverfalls, Erledigung des Verfahrens, rechtliches gehör, ermessen, hauptsache, ersetzung, verfahrensmangel, bestätigung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 30.4.2009, VII R 32/08
Widerruf der Bestellung als Steuerberater wegen Vermögensverfalls - Erledigung des Verfahrens - Keine zwangsläufige
Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich aufgrund der Möglichkeit einer Bereinigung der wirtschaftlichen Situation
Tatbestand
1 I. Über das Vermögen der zur Steuerberaterin bestellten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde das
Insolvenzverfahren eröffnet. Auf Vorschlag des Insolvenzverwalters wurde eine Vereinbarung mit den Gläubigern
getroffen, derzufolge die Steuerberaterpraxis der Klägerin aus der Insolvenzmasse freigegeben wurde und die Klägerin
sich während einer 68 Monate langen Wohlverhaltensphase verpflichtete, einen Teil der Schulden aus ihren an den
Insolvenzverwalter abgetretenen Gehaltsansprüchen für eine Geschäftsführertätigkeit bei einer
Steuerberatungsgesellschaft zu begleichen.
2 Mit Bescheid vom ... widerrief die Beklagte und Revisionsbeklagte (die Steuerberaterkammer) die Bestellung der
Klägerin. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass im Zeitpunkt des
Bescheiderlasses die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater vorgelegen hätten. Dass die
Klägerin seinerzeit der Steuerberaterkammer mitgeteilt habe, dass die Einzelpraxis aus der Insolvenzmasse
freigegeben worden sei und ein Insolvenzplanverfahren begonnen habe, reiche nicht aus, die aus der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens folgende Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen. Eine Aufhebung des Widerrufs komme
auch nicht wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Sachlage in Betracht. Wegen des noch nicht
abgeschlossenen Insolvenzverfahrens sei der Vermögensverfall weiterhin zu vermuten. Diese Vermutung habe die
Klägerin nicht widerlegt. Einen angenommenen und bestätigten Insolvenzplan gebe es nicht und eine
Restschuldbefreiung sei weder erteilt noch angekündigt. Es stehe auch nicht fest, dass sich die Vermögensverhältnisse
der Klägerin nachhaltig gebessert hätten. Insoweit reiche die aufgrund der Vereinbarung mit den Gläubigern
möglicherweise bestehende Aussicht auf eine Besserung der Vermögensverhältnisse nicht, denn die Klägerin habe
nach dieser Vereinbarung fast sechs Jahre lang Zahlungen zu leisten, die sie nur aufbringen könne, wenn die
prognostizierten Einnahmen und Ausgaben auch einträfen. Es sei ungewiss, ob der Klägerin die Bereinigung ihrer
wirtschaftlichen Situation gelingen werde. Mit einem angenommenen und gerichtlich bestätigten Insolvenzplan sei die
mit den Gläubigern getroffene Vereinbarung nicht zu vergleichen.
3 Mit ihrer Revision hat die Klägerin geltend gemacht, dass das FG den mit den Gläubigern vereinbarten Sanierungsplan,
der sämtliche Regelungsinstrumente eines wirksamen Insolvenzplans enthalte, nicht hinreichend gewürdigt habe.
Außerdem hat sie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das FG gerügt.
4 Während des Revisionsverfahrens hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren aufgehoben. Die
Steuerberaterkammer hat daraufhin den angefochtenen Widerrufsbescheid aufgehoben und die Beteiligten haben den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
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II. Mit der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist die Erledigung des Rechtsstreits
in der Hauptsache eingetreten (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 138 Rz 11, m.w.N.). Damit ist
das angefochtene Urteil des FG einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden;
der Senat hat nunmehr über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden (vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs vom 17. Dezember 2002 I R 87/00, BFH/NV 2003, 785, m.w.N.).
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Anders als die Klägerin meint, liegen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im
Streitfall nicht vor, denn die Aufhebung des Widerrufsbescheids beruht nicht auf der seitens der Steuerberaterkammer
erkannten Rechtswidrigkeit des Bescheids, sondern auf einer zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Sachlage,
die es nicht gestattet, den Widerrufsbescheid aufrechtzuerhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 28. April 1992 VII B 48/92,
BFH/NV 1993, 320). Die Kostenentscheidung ist daher gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen unter
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen. Bei der Ausübung dieses Ermessens bedarf es
weder einer Sachaufklärung noch einer abschließenden Klärung ungeklärter Rechtsfragen; vielmehr genügt eine
bloße summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 1989 VII K 32-39/87,
BFH/NV 1989, 679, und vom 27. April 1993 VII K 13/92, BFH/NV 1993, 761).
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Nach Ansicht des Senats entspricht es im Streitfall billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen, weil ihre Revision, wäre das erledigende Ereignis nicht eingetreten, als unbegründet zurückzuweisen
gewesen wäre.
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Nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes wird ein Vermögensverfall des Steuerberaters (u.a.) vermutet,
wenn ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist. Das FG hat daher zu Recht und in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats entschieden, dass die durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Steuerberaters nach der Insolvenzordnung eintretenden Rechtsfolgen
nicht geeignet sein können, die Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen, und dass allein die Möglichkeit, die
wirtschaftliche Situation des in Vermögensverfall geratenen Steuerberaters im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu
bereinigen, noch nicht zur Folge hat, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nunmehr als geordnet zu betrachten
wären (vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 79/02, BFH/NV 2004, 90). Vielmehr muss die Ordnung der
wirtschaftlichen Verhältnisse auch tatsächlich eingetreten sein. Ob dies erreicht worden ist, ist jedoch zumindest bis
zur Annahme und Bestätigung eines Insolvenzplanes (§§ 235 ff. der Insolvenzordnung --InsO--) bzw. --im
Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO-- bis zur Annahme eines vom Schuldner vorgelegten
Schuldenbereinigungsplans oder der Ersetzung der Zustimmung (§§ 308, 309 InsO) völlig ungewiss
(Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 90, m.w.N.). Ob auch ohne das Vorliegen eines bestätigten Insolvenzplans
Vereinbarungen mit den Gläubigern die Vermutung des Vermögensverfalls widerlegen, ist eine vom Tatrichter zu
beantwortende Frage des Einzelfalls.
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Im Streitfall hat das FG die mit den Gläubigern der Klägerin getroffene Vereinbarung als mit einem angenommenen
und gerichtlich bestätigten Insolvenzplan nicht vergleichbar angesehen, weil dieser --anders als jene Vereinbarung--
nach § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO auch für Gläubiger gelte, die ihre Forderungen nicht angemeldet hätten, und er nach §
258 Abs. 1 InsO zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens führe, während der Abschluss des Insolvenzverfahrens der
Klägerin nicht absehbar sei. Im Übrigen hat das FG geordnete Vermögensverhältnisse als nicht wiederhergestellt
angesehen, weil die mögliche Bereinigung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin durch die mit den Gläubigern
getroffene Vereinbarung auf der unsicheren Prognose ihres künftigen Einkommens beruhe und daher ungewiss sei,
und weil die Gläubiger auf längere Zeit unbefriedigt blieben. An diese tatsächliche Würdigung des FG wäre der Senat
bei seiner Revisionsentscheidung gebunden gewesen, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass sie durch
einen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze beeinflusst ist. Die Würdigung des FG ist möglich
und nachvollziehbar begründet. Ob auch eine andere Würdigung in Betracht kommt, ist revisionsrechtlich nicht
entscheidend.
10 Der gerügte Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist mit dem
Vorbringen der Revision, dass das FG die Angaben des Insolvenzverwalters zum bevorstehenden Schlusstermin mit
Ankündigung der Restschuldbefreiung "nicht hinreichend bewertet" habe, nicht schlüssig dargelegt.