Urteil des BFH vom 23.04.2007

Steuerbescheid im Insolvenzverfahren - Klagebefugnis und Interessenschutz des Insolvenzverwalters - Erstmalige Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.12.2008, I R 41/07
Steuerbescheid im Insolvenzverfahren - Klagebefugnis und Interessenschutz des Insolvenzverwalters - Erstmalige
Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags
Tatbestand
1 I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines während eines Insolvenzverfahrens erlassenen Steuerbescheides.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Insolvenzverwalterin in einem in 2006 eröffneten Insolvenzverfahren
einer GmbH. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte durch einen Körperschaftsteuerbescheid
für das Streitjahr 2005 nach einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der GmbH in Insolvenz die
Körperschaftsteuer auf 0 EUR fest (Gesamtbetrag der Einkünfte: 0 EUR, zu versteuerndes Einkommen: 0 EUR); der
Abrechnungsteil weist einen verbleibenden Betrag von 0 EUR aus. Die gegen den Körperschaftsteuerbescheid
erhobene Klage hatte Erfolg (Urteil des Sächsischen Finanzgerichts --FG-- vom 23. April 2007 3 K 2092/06).
3 Mit der Revision macht das FA eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Es beantragt, das Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
4 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur
Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
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1. Die Klägerin war als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der GmbH zur Erhebung der Klage befugt (§ 40 Abs.
2 FGO). Die Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters (§ 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--) umfasst auch
die Wahrnehmung der Interessen der Insolvenzmasse gegenüber dem FA (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 26. Juli 2004 X R 30/04, BFH/NV 2004, 1547; vom 24. August 2004 VIII R 14/02, BFHE 207, 10, BStBl II 2005,
246).
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2. a) Aus § 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und § 87 InsO wird in ständiger Rechtsprechung abgeleitet,
dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen dürfen (Senatsurteil vom 18.
Dezember 2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; s. --zur Rechtslage nach der Konkursordnung (KO)--
auch Senatsurteil vom 2. Juli 1997 I R 11/97, BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428; BFH-Urteil in BFHE 207, 10, BStBl II
2005, 246). Der Steuergläubiger ist gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Maßgaben des
Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden (§ 38, § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO; § 251 Abs. 3 AO), um an der
gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen
Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (z.B. Senatsurteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003,
630; BFH-Urteil in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246, zu II.3.c bb aaa; FG München, Urteil vom 23. November 2005 10
K 4333/03, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2006, 589; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 14.
September 2006 3 K 2728/03, EFG 2007, 708; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, §
251 AO Rz 44; Neumann in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 50;
Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl., § 251 Rz 29; Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 251 AO Rz 405;
Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 3. Aufl., Rz 82; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und
Steuern, 7. Aufl., Rz 361 f.; Kling/Schüppen/Ruh in Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Aufl.,
Insolvenzsteuerrecht Rz 24b; Gundlach/Frenzel/Schirrmeister, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2004, 318, 319).
Unwirksam sind dabei insbesondere mit einem Leistungsgebot versehene Festsetzungen, die nach Anrechnung z.B.
bereits geleisteter Zahlungen zu einer --zur Eintragung in die Insolvenztabelle anzumeldenden-- Rest- oder
Nachforderung führen (Welzel, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1999, 559; Waza/Uhländer/Schmittmann, a.a.O., Rz
363). Unwirksam ist aber auch eine Festsetzung, wenn nach der Anrechnung eine konkrete Zahlungsverpflichtung
(zunächst) nicht mehr besteht, da ansonsten bei einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung eine durch
diesen (evtl. bestandskräftigen) Steuerbescheid titulierte Insolvenzforderung entstehen könnte (Welzel, DStZ 1999,
559 f.).
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b) Im Streitfall hat das FA mit der angefochtenen Körperschaftsteuer-Festsetzung, die einen Besteuerungszeitraum vor
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens betrifft, einen Vermögensanspruch gegen die Insolvenzmasse allerdings nicht
geltend gemacht, da sich eine Steuerschuld nicht ergibt. Insoweit war daher auch kein Anspruch zur Tabelle
anzumelden.
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3. a) Die durch die Insolvenzeröffnung bewirkte Unterbrechung des Verfahrens (analog § 240 der Zivilprozessordnung
i.V.m. § 155 FGO) bezieht sich nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht nur auf das eigentliche
Steuerfestsetzungsverfahren, sondern auch auf andere Verfahren, die --wie insbesondere das gesonderte
Feststellungsverfahren (§§ 179 ff. AO) auf der Grundlage des § 182 Abs. 1 AO-- Auswirkungen auf die nach § 174
InsO zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen haben können. So dürfen nach dem Senatsurteil in BFHE 183,
365, BStBl II 1998, 428 (zur Rechtslage während der Geltung der Konkursordnung) nach Eröffnung des
Konkursverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder
festgesetzt werden, die die Höhe der zur Konkurstabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten.
Denn andernfalls wäre es für die Finanzbehörden möglich, das in § 141 KO vorgeschriebene Verfahren zu
unterlaufen. Dass Bescheide, durch die lediglich Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, nicht
unmittelbar auf eine Befriedigung der Steuergläubiger gerichtet sind, ist unerheblich. Es reicht aus, dass die
festgestellten oder festgesetzten Besteuerungsgrundlagen für das Konkursverfahren insoweit präjudiziell sind, als sie
Steuern betreffen, die Konkursforderungen sein können.
10 Der Senat hat an dieser Rechtspraxis auch für das Verhältnis des Insolvenzverfahrens zum Festsetzungs- und
Feststellungsverfahren nach der Abgabenordnung festgehalten (Senatsurteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; s.
auch Waza/Uhländer/ Schmittmann, a.a.O., Rz 369 ff.). Der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des
Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungs- und Feststellungsverfahren nach der Abgabenordnung würde
unterlaufen, wenn die Finanzbehörden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen
gemäß §§ 176, 177 InsO noch mit Bindungswirkung Bescheide über die Feststellung oder Festsetzung von
Besteuerungsgrundlagen erlassen dürften, die sich auf die Höhe der als Insolvenzforderung zur Eintragung in die
Tabelle anzumeldenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auswirken könnten. Dabei ist gerade aus
Gründen der Rechtssicherheit unerheblich, ob sich die festgestellten Besteuerungsgrundlagen tatsächlich auf
anzumeldende Steuerforderungen auswirken oder nicht. Entscheidend ist, ob die festgestellten
Besteuerungsgrundlagen abstrakt geeignet sind, sich auf möglicherweise als Insolvenzforderungen anzumeldende
Steueransprüche auszuwirken. Nur in besonderen Konstellationen, z.B. wenn die Feststellung als Grundlage einer
Erstattungsforderung ausdrücklich beantragt wurde, können Feststellungen erfolgen (Senatsurteil in BFHE 201, 392,
BStBl II 2003, 630; Hofmeister, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2003, 643). Dieser Auffassung hat sich der
VIII. Senat des BFH angeschlossen (Urteile in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246; vom 7. September 2005 VIII R 4/05,
BFH/NV 2006, 12); auf Anfrage des erkennenden Senats (Beschluss vom 7. November 2007 I R 41/07, nicht
veröffentlicht --n.v.--) hat der VIII. Senat mitgeteilt, dass er an dieser Rechtsprechung festhält (Beschluss vom 8. April
2008 VIII ER-S 1/08, n.v.).
11 b) Der angefochtenen Festsetzung fehlt eine so beschriebene abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende
Steuerforderungen auszuwirken. Insbesondere sind mit dem Körperschaftsteuerbescheid des Streitjahres die aus der
früheren Rechtslage (§ 47 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung
der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I
2000, 1428) bekannten Feststellungswirkungen nicht verbunden.
12 aa) Das FG hat allerdings eine Wirkung auf den Bestand der Insolvenzmasse daraus abgeleitet, dass mit einer auf 0
EUR lautenden Steuerfestsetzung zugleich entschieden werde, dass Rückforderungsansprüche aus diesem
Steuerschuldverhältnis, die die Insolvenzverwalterin zur Masse einziehen und an die Gläubiger auskehren könnte,
nicht bestehen würden. Diese Auswirkungen seien zwar nicht in sich negativer Art, gleichwohl aber "nicht positiv", da
mit Regelungswirkung als Verwaltungsakt feststehe, dass derartige Ansprüche der Masse nicht gegeben seien. Hinzu
komme, dass eine Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 EUR mit Eintritt der Bestandskraft dem späteren Erlass
eines Verlustfeststellungsbescheides (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d des Einkommensteuergesetzes --EStG--)
entgegenstehe, soweit nicht zugleich eine Änderungsvorschrift der Abgabenordnung für den
Körperschaftsteuerbescheid eingreife. Damit werde die Insolvenzmasse in die Notwendigkeit gebracht, aus ihrer Sicht
erforderliche Rechtsmittel gegen diesen Bescheid sogleich einzulegen, um sich bzw. (für die Zeit nach Beendigung
der Insolvenz) die Gemeinschuldnerin davor zu schützen, einen etwa nachträglich als gegeben erkannten
Verlustvortrag nur noch unter den schwer zu überwindenden Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
AO erreichen zu können.
13 bb) Entgegen der Ansicht des FG ist eine Steuerfestsetzung auf 0 EUR nicht zugleich mit der Feststellung eines
Ausschlusses eines Erstattungsanspruchs verbunden; denn ein Erstattungsanspruch kann sich allein auf der
Grundlage eines Abrechnungsverfahrens ergeben. Dass eine bestandskräftige Steuerfestsetzung eine
Verlustfeststellung für denselben Zeitraum hindern kann, entspricht zwar der bisherigen Rechtsprechung des BFH
(BFH-Urteile vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97, BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3; vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFHE
195, 545, BStBl II 2002, 817; vom 14. April 2005 XI R 33/03, BFHE 210, 235, BStBl II 2005, 825). Der nunmehr für die
Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständige IX. Senat des BFH hat allerdings die Rechtsprechung geändert mit der
Folge, dass ein verbleibender Verlustvortrag auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert
festzustellen ist, wenn der Steuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber keine
nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte berücksichtigt worden sind (Urteil vom 17. September 2008 IX R 70/06,
DStR 2008, 2410). Da im streitgegenständlichen Steuerbescheid ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 EUR
berücksichtigt ist (s. insoweit US, DStR 2008, 2412), ist eine (erstmalige) Verlustfeststellung zum 31. Dezember 2005
auch bei einer Bestandskraft des Körperschaftsteuerbescheides nicht ausgeschlossen.
14 c) Eine Unterbrechung des Besteuerungsverfahrens lässt sich in der Konstellation des Streitfalls mit dem Zweck des
Insolvenzverfahrens --der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger-- nicht begründen. Es mag zwar
(möglicherweise auch aus Haftungsgesichtspunkten) ein Interesse eines Insolvenzverwalters daran bestehen, im
Rahmen seiner Amtsführung nicht mit steuerrechtlichen Prüfungsobliegenheiten konfrontiert zu werden. Ein solches
Interesse wird indes durch § 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 87 InsO nicht geschützt; es ist nicht spezifisch dem
Insolvenzverfahren zuzuweisen.