Urteil des BFH vom 21.09.2009

BFH: I B 49/09 Beweiskraft der Zustellungsurkunde, Fristbeginn an einem Sonntag, wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesetzliche frist, ablauf der frist, briefkasten, verschulden, abgabenordnung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 21.9.2009, I B 48, 49/09; I B 48/09; I B 49/09
Beweiskraft der Zustellungsurkunde - Fristbeginn an einem Sonntag
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Rechtsanwalt, hat für die Streitjahre 1996 und 1997 keine
Einkommensteuererklärungen abgegeben. Er wendet sich gegen die auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen (§
162 der Abgabenordnung) beruhenden Einkommensteuerbescheide des Beklagten und Beschwerdegegners
(Finanzamt --FA--) für die Streitjahre. Seine Klagen vor dem Hessischen Finanzgericht (FG) blieben ohne Erfolg; das FG
hat sie mit Urteilen vom 18. Februar 2009 2 K 2772/06 (betreffend 1996) und 2 K 1722/07 (betreffend 1997) als
unbegründet abgewiesen. Nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde wurden beide Urteile am Samstag, den 28. Februar
2009 vom Postbediensteten in den zur Wohnung des Klägers gehörigen Briefkasten eingelegt, nachdem eine
Übergabe nicht möglich war.
2 Gegen die FG-Urteile richten sich die am 30. März 2009 (einem Montag) eingelegten und mit am Donnerstag, den 30.
April 2009 per Telefax beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsätzen des Klägers begründeten
Nichtzulassungsbeschwerden. Der Kläger ist der Auffassung, er habe die Frist zur Begründung der Beschwerden nicht
versäumt; hilfsweise begehrt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
3 Der Kläger beantragt, die Revision gegen die FG-Urteile zuzulassen.
4 Das FA beantragt (sinngemäß), die Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
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II. Die vom Senat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer
Entscheidung verbundenen Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig und deshalb zu verwerfen. Der Kläger hat
die gesetzliche Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerden von zwei Monaten nach Zustellung des
angefochtenen Urteils (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) nicht eingehalten.
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1. Die FG-Urteile wurden dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am Samstag, den 28. Februar 2008 durch
Einlegung in seinen Briefkasten zugestellt (Ersatzzustellung gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 der
Zivilprozessordnung --ZPO--). Die Behauptung des Klägers, am 28. Februar 2009 seinen Briefkasten selbst geleert
und keine Zustellungsurkunden vorgefunden zu haben, kann die Beweiskraft der Zustellungsurkunden als öffentliche
Urkunden i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. April 2007 VIII B 249/05, BFH/NV 2007, 1465; vom
16. Juni 2009 V E 1/09, juris) nicht erschüttern. Zwar ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der durch
die Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen zulässig. Dazu ist aber der volle Nachweis eines anderen
Geschehensablaufs erforderlich. Die bloße Behauptung des Zustellungsadressaten, er habe die Sendung nicht
erhalten, reicht zur Entkräftung nicht aus (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1465).
Im Übrigen wird die Behauptung des Klägers dadurch widerlegt, dass sich auf den mit den Beschwerdeschriftsätzen
eingereichten Urteilskopien jeweils Eingangsstempel des Klägers mit dem Datum des 28. Februar 2009 befinden.
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Ohne Relevanz für die Wirksamkeit der Zustellung ist der vom Kläger bemängelte Umstand, dass sie nicht am frühen
Morgen erfolgt sei. Anderes könnte nur gelten, wenn die Sendungen erst zu einem Zeitpunkt in den Briefkasten
eingelegt worden wären, zu dem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht mehr mit der Zustellung von
Postsendungen zu rechnen gewesen wäre. Dafür besteht hier indes kein Anhalt.
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2. Der Lauf der Beschwerdebegründungsfrist beginnt gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 ZPO, § 187 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs am auf die Zustellung folgenden Tag; im Streitfall begann er mithin am 1. März 2009. Dass dieser Tag
ein Sonntag war, spielt für den Fristbeginn keine Rolle (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 54 FGO Rz 13); denn die Bestimmung des § 222 Abs. 2 ZPO bezieht sich nur auf das
Fristende.
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3. Mithin sind die Begründungsfristen nach Ablauf von zwei Monaten am Dienstag, den 28. April 2009 abgelaufen. Die
erst am 30. April 2009 eingegangenen Beschwerdebegründungen des Klägers haben die gesetzliche Frist deshalb
nicht gewahrt.
10 4. Dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht stattgegeben werden.
Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist
gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO); die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind vom Antragsteller glaubhaft zu
machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
11 Der Kläger hat nicht dargetan, dass ihn kein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Zur Begründung des Antrags
hat er ausgeführt, er hätte bei Kenntnis vom tatsächlichen Ablauf der Frist rechtzeitig Fristverlängerung wegen
Arbeitsüberlastung beantragt. Aus welchen Gründen der Kläger jedoch von einem unzutreffenden Fristablauf
ausgegangen ist und warum diese Gründe ein Verschulden ausschließen könnten, ist der Antragsbegründung nicht
zu entnehmen. Die fehlende Kenntnis der Regeln über den Fristbeginn ist bei einem berufsmäßigen Vertreter, auch
wenn er in eigener Sache tätig wird, kein hinreichender Entschuldigungsgrund (BFH-Urteil vom 23. August 1995 II R
97/92, BFH/NV 1996, 358). Gleiches gilt für die behauptete Arbeitsüberlastung (Senatsbeschluss vom 5. November
2003 I B 99-101/03, BFH/NV 2004, 358).