Urteil des BFH vom 20.04.1998

BFH (wirtschaftliche einheit, grund, einheit, gebäude, boden, grundstück, bewg, kläger, einfamilienhaus, gesetzliche grundlage)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 1.2.2007, II R 52/05
Ursprünglich für bebautes Grundstück festgestellter und nach der Überführung des Grund und Bodens in "Eigentum des
Volkes" einem Gebäudeerwerber zugerechneter Einheitswert als Ausgangspunkt für die Prüfung der
Wertfortschreibungsgrenzen bei späterem Erwerb des Grund und Bodens durch Gebäudeeigentümer
Leitsätze
1. Wurde in der DDR nach Überführung des zu einem bebauten Grundstück gehörenden Grund und Bodens in "Eigentum
des Volkes" das Gebäude veräußert und sodann dem Erwerber durch Zurechnungsfortschreibung der bisher für das
Grundstück samt Gebäude festgestellte Einheitswert zugerechnet, setzte sich die wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens
nicht im Grund und Boden, sondern im Gebäude fort.
2. Erwirbt der Gebäudeeigentümer nach dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages den Grund und Boden hinzu, bestimmen
sich die Wertfortschreibungsgrenzen nach dem mit der Zurechnungsfortschreibung fortgeführten, inzwischen noch nicht
geänderten Einheitswert.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, kauften im Jahr 1987 ein im späteren Beitrittsgebiet gelegenes
Wohnhaus auf einem im "Eigentum des Volkes" stehenden Grundstück, an dem sie ein Nutzungsrecht erhielten. Die
seinerzeit zuständige Behörde der DDR rechnete daraufhin durch Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1988
das als "Einfamilienhaus" bezeichnete Gebäude mit einem Einheitswert von 4 950 Mark der DDR den Klägern zu und
setzte den Grundsteuermessbetrag auf der Grundlage dieses Einheitswerts fest. Der Einheitswert von 4 950 Mark der
DDR für das damals den Grund und Boden und das Gebäude umfassende Grundstück war auf der Grundlage des
Brandkassenwerts bereits zum 1. Januar 1935 in RM festgestellt worden.
2
Nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
--FA--) gegenüber den Klägern im Wege der Neuveranlagung einen Grundsteuermessbescheid auf den 1. Januar
1991, durch den der Grundsteuermessbetrag für das "Einfamilienhaus" auf der Grundlage des auf den 1. Januar 1935
festgestellten Einheitswerts von "4 950 DM" berechnet wurde.
3
Die Stadt ... wurde am 3. Oktober 1990 Eigentümerin des bisher "volkseigenen" Grund und Bodens; 1997 kauften ihn
die Kläger von der Stadt.
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Das FA hob daraufhin mit gegenüber den Klägern erlassenem Bescheid vom 20. April 1998 den Einheitswert für das
diesen zugerechnete "Grundstück" auf den 1. Januar 1998 auf und führte aus, bisher seien als Einheitswert 4 950 DM
und als Art "Einfamilienhaus auf fremdem Grund und Boden" festgestellt gewesen. Zugleich erließ das FA gegenüber
der Stadt einen Einheitswertbescheid --Nachfeststellung auf den 1. Januar 1991--, mit dem es für das "unbebaute
Grundstück" einen Einheitswert von 1 700 DM feststellte. Ausgehend von diesem Bescheid rechnete das FA mit
Einheitswertbescheid vom 20. Mai 1998 --Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1998-- das
Grundstück einschließlich Gebäude den Klägern je zur Hälfte zu und stellte die Grundstücksart "Einfamilienhaus" und
einen Einheitswert von 8 600 DM fest.
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Die Einsprüche gegen den Aufhebungsbescheid vom 20. April 1998 und den Einheitswertbescheid vom 20. Mai 1998
blieben erfolglos. Während des Klageverfahrens erließ das FA nach § 182 der Abgabenordnung (AO) gegenüber den
Klägern als Rechtsnachfolgern der Stadt einen Bescheid über die Nachfeststellung des Einheitswerts für das
"unbebaute Grundstück" auf den 1. Januar 1991, der inhaltlich dem der Stadt gegenüber ergangenen Bescheid vom
20. April 1998 entsprach.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Kläger die Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom 20. April
1998 und die Herabsetzung des im Bescheid vom 20. Mai 1998 festgestellten Einheitswerts auf 4 950 DM begehrt
hatten, durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 15 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab,
der Aufhebungsbescheid beziehe sich auf die ursprünglich auf den 1. Januar 1935 erfolgte Feststellung eines
Einheitswerts von 4 950 RM. Dieser Einheitswert habe zwar sowohl den Grund und Boden als auch das Gebäude
umfasst, weil die Aufspaltung in zwei wirtschaftliche Einheiten erst später erfolgt sei. Mit der nur auf den Grund und
Boden bezogenen Nachfeststellung auf den 1. Januar 1991 sei aber die Trennung der wirtschaftlichen Einheiten
erstmals für die Einheitsbewertung nachvollzogen worden, so dass es hinsichtlich der ursprünglichen Feststellung u.a.
einer Artfortschreibung in "Gebäude auf fremdem Grund" bedurft hätte. Diese sei jedoch im Hinblick auf § 132 Abs. 2
Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. § 42 des Grundsteuergesetzes (GrStG) unterblieben.
7
Die wirtschaftliche Einheit "Gebäude auf fremdem Grund und Boden" sei mit dem Erwerb des Grund und Bodens
durch die Kläger weggefallen. Der Einheitswert für diese wirtschaftliche Einheit sei daher nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 2 BewG auf den Beginn des Jahres 1998 aufzuheben gewesen. Bestehen geblieben sei demgegenüber die
wirtschaftliche Einheit "Grund und Boden". Die in § 22 Abs. 1 BewG bestimmten Grenzen für eine Wertfortschreibung
seien ausgehend von dem für den Grund und Boden festgestellten Einheitswert erreicht. Das sei entscheidend.
Bedenken gegen die Höhe des im Bescheid vom 20. Mai 1998 festgestellten Einheitswerts bestünden nicht.
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Mit der Revision machen die Kläger geltend, der Aufhebungsbescheid sei zu Unrecht ergangen. Die wirtschaftliche
Einheit "Einfamilienhaus" sei nicht weggefallen, sondern nur um das Eigentum am Grund und Boden ergänzt worden.
Der auf den 1. Januar 1935 festgestellte Einheitswert habe bereits den Grund und Boden und das Gebäude umfasst
und sei der Prüfung, ob die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG erreicht seien, zugrunde zu legen. Die für eine
Wertfortschreibung erforderliche Abweichung um mindestens 5 000 DM nach oben sei daher nicht gegeben.
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Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 1. September 1998 und den
Aufhebungsbescheid vom 20. April 1998 aufzuheben und den im Bescheid vom 20. Mai 1998 festgestellten
Einheitswert auf 4 950 DM herabzusetzen.
10 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 1.
September 1998, des Aufhebungsbescheids vom 20. April 1998 und des Einheitswertbescheids vom 20. Mai 1998,
soweit er die Wertfortschreibung betrifft (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
12 1. Die Klage ist insgesamt zulässig. Die im Bescheid vom 20. April 1998 erfolgte Aufhebung der
Einheitswertfeststellung belastet die Kläger bei isolierter Betrachtung zwar nicht. Der Bescheid steht aber in einem
untrennbaren Zusammenhang mit dem Einheitswertbescheid vom 20. Mai 1998 und beschwert sie daher (§ 40 Abs. 2
FGO).
13 2. Die Klage ist auch begründet. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der Aufhebungsbescheid vom 20. April
1998 und die Wertfortschreibung im Bescheid vom 20. Mai 1998 rechtmäßig seien.
14 a) Der Aufhebungsbescheid kann weder auf § 24 Abs. 1 Nr. 1 BewG noch auf eine andere Vorschrift gestützt werden.
15 aa) Nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BewG wird der Einheitswert aufgehoben, wenn dem FA bekannt wird, dass die
wirtschaftliche Einheit wegfällt. Aufhebungszeitpunkt ist in diesem Fall der Beginn des Kalenderjahres, das auf den
Wegfall der wirtschaftlichen Einheit folgt (§ 24 Abs. 2 BewG). Diese Vorschrift gilt nach § 129 Abs. 2 BewG auch für
Grundstücke im Beitrittsgebiet.
16 bb) Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Nr. 1 BewG sind nicht erfüllt. Durch den Erwerb des Grund und Bodens
durch die Kläger ist die wirtschaftliche Einheit "Einfamilienhaus" nicht weggefallen. Sie hat vielmehr als bebautes
Grundstück fortbestanden und lediglich ihre Eigenschaft als Gebäude auf fremdem Grund und Boden verloren.
Weggefallen ist hingegen die wirtschaftliche Einheit "unbebautes Grundstück". Dies ergibt sich aus folgenden
Erwägungen:
17 Die Überführung des Grund und Bodens in "Eigentum des Volkes" konnte theoretisch wie folgt beurteilt werden:
18 - Entstehung von zwei neuen, je für sich zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten, nämlich "unbebautes
Grundstück" und "Gebäude auf fremdem Grund und Boden";
19 - Fortbestand der ursprünglichen wirtschaftlichen Einheit in der wirtschaftlichen Einheit "unbebautes Grundstück" und
Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Einheit "Gebäude auf fremdem Grund und Boden";
20 - Fortbestand der ursprünglichen wirtschaftlichen Einheit in der wirtschaftlichen Einheit "Gebäude auf fremdem Grund
und Boden" und Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Einheit "unbebautes Grundstück".
21 Die seinerzeit zuständige Behörde der DDR ging von der zuletzt genannten Möglichkeit aus und nahm daher nach
dem Erwerb des Gebäudes durch die Kläger lediglich eine Zurechnungsfortschreibung vor. Den ursprünglich auf den
1. Januar 1935 festgestellten Einheitswert führte sie unverändert und als für das Gebäude maßgebend fort.
22 Dieser bewertungsrechtliche Vorrang des Gebäudes bei der Aufspaltung des Eigentums am bebauten Grundstück
beruhte auf der seinerzeit in der DDR geltenden Rechtslage. Der im "Eigentum des Volkes" stehende Grund und
Boden unterlag weder der Grundsteuer noch sonstigen einheitswertabhängigen Steuern (Erbschaft-, Schenkung- und
Vermögensteuer). Der ursprünglich für das bebaute Grundstück festgestellte Einheitswert wurde daher in voller Höhe
auf das Gebäude bezogen und sowohl der Grundsteuer als auch ggf. den sonstigen einheitswertabhängigen Steuern
zu Grunde gelegt.
23 Das FA schloss sich dieser Sachbehandlung an und setzte deshalb den Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar
1991 gegenüber den Klägern für deren "Einfamilienhaus" auf der Grundlage des zum 1. Januar 1935 festgestellten,
nach § 129 Abs. 1 BewG fortgeltenden Einheitswerts von "4 950 DM" fest. Dem Aufhebungsbescheid vom 20. April
1998 lag ebenfalls die Auffassung zu Grunde, dass sich die ursprüngliche wirtschaftliche Einheit in dem Gebäude auf
fremdem Grund und Boden fortgesetzt habe, deshalb der auf den 1. Januar 1935 festgestellte Einheitswert für das
"Einfamilienhaus" der Kläger maßgebend gewesen und daher nunmehr aufzuheben sei. Hätte das FA angenommen,
dass die ursprüngliche wirtschaftliche Einheit nach der Überführung des Grund und Bodens in "Eigentum des Volkes"
in dem "unbebauten Grundstück" fortbestanden habe und demgemäß der auf den 1. Januar 1935 festgestellte
Einheitswert für diese wirtschaftliche Einheit maßgebend sei, hätte es für den Grund und Boden gegenüber der Stadt
statt der Nachfeststellung (§ 23 BewG) auf den 1. Januar 1991 gemäß § 22 Abs. 1 BewG eine Wertfortschreibung
vornehmen müssen.
24 Aufgrund der Besonderheiten der Rechtslage und der tatsächlichen Handhabung der Bewertung in der DDR hatte
das Gebäude bei der (erneuten) Vereinigung des Eigentums am Gebäude und am Grund und Boden in der Hand der
Kläger bewertungsrechtlich ebenfalls Vorrang. Die in dem Gebäude bestehende wirtschaftliche Einheit setzte sich in
der nunmehr aus dem Grund und Boden und dem Haus bestehenden wirtschaftlichen Einheit fort. Eine gesetzliche
Grundlage für die vom FA vorgenommene Aufhebung des Einheitswerts gibt es daher nicht.
25 b) Die im Bescheid vom 20. Mai 1998 vorgenommene Wertfortschreibung ist zu Unrecht erfolgt. Die in § 22 Abs. 1
BewG bestimmten Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift, die gemäß §
129 Abs. 2 BewG auch für Grundstücke im Beitrittsgebiet gilt, scheidet eine Wertfortschreibung nach oben aus, wenn
der in DM ermittelte und auf volle hundert DM abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt,
von dem entsprechenden Wert des letzten Feststellungszeitpunkts nicht um mindestens 5 000 DM nach oben
abweicht. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
26 Bei der Prüfung, ob die in § 22 Abs. 1 BewG bestimmte Grenze erreicht ist, ist von dem für das "Einfamilienhaus" der
Kläger zuletzt maßgebenden Einheitswert von 4 950 DM auszugehen, da sich die in dem Gebäude bestehende
wirtschaftliche Einheit in der nunmehr aus dem Grund und Boden und dem Haus bestehenden wirtschaftlichen Einheit
fortgesetzt hat. Der für die wirtschaftliche Einheit "unbebautes Grundstück" festgestellte Einheitswert ist insoweit ohne
Bedeutung, da diese durch den Erwerb des Grund und Bodens durch die Kläger weggefallen ist. Es spielt danach
keine Rolle, dass ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden lediglich als Grundstück im bewertungsrechtlichen
Sinn "gilt" (§ 70 Abs. 3 BewG, für das Beitrittsgebiet § 129 Abs. 2 Nr. 1 BewG i.V.m. § 50 Abs. 3 des
Bewertungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik).
27 Soweit die Finanzverwaltung die Auffassung vertritt, dass bei einem Erwerb des Grund und Bodens durch den
Eigentümer des Gebäudes der Einheitswert der wirtschaftlichen Einheit des Grund und Bodens im Wege der Wert-,
Art- und Zurechnungsfortschreibung fortzuschreiben und ein für das Gebäude bestehender Einheitswert aufzuheben
sei (so Abschn. 2.2 des im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ergangenen Erlasses des
Thüringer Finanzministeriums vom 22. April 1996 22 G 1120 A-4-201.5, Deutsches Steuerrecht 1996, 1167), kann
dem jedenfalls für Fälle der vorliegenden Art nicht gefolgt werden.
28 3. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Der Aufhebungsbescheid vom 20. April 1998 und der Einheitswertbescheid vom 20. Mai 1998, soweit er
die Wertfortschreibung betrifft, sowie die Einspruchsentscheidung sind aufzuheben. Die in dem Einheitswertbescheid
enthaltene Art- und Zurechnungsfortschreibung ist nicht angefochten und daher nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens.