Urteil des BFH vom 19.11.2008

BFH: Zur Anwendung der Sachbezugsverordnung bei einer Auswärtstätigkeit, Erklärung der Erledigung der Hauptsache nach Entscheidung durch Gerichtsbescheid und Antrag auf mündliche Verhandlung, betrug

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.11.2008, VI R 80/06
Zur Anwendung der Sachbezugsverordnung bei einer Auswärtstätigkeit - Erklärung der Erledigung der Hauptsache nach
Entscheidung durch Gerichtsbescheid und Antrag auf mündliche Verhandlung - Kostenentscheidung
Leitsätze
1. Aufwendungen für Mahlzeiten, die zur Beköstigung der Arbeitnehmer anlässlich einer Auswärtstätigkeit
(Fortbildungsveranstaltung) abgegeben werden, sind mit den tatsächlichen Werten und nicht mit den Werten der
Sachbezugsverordnung anzusetzen (Bestätigung des BFH-Urteils vom 6. Februar 1987 VI R 24/84, BFHE 149, 172, BStBl II
1987, 355; gegen R 31 Abs. 6a Nr. 2 bzw. Abs. 8 Nr. 2 LStR).
2. Steuerfreie Bezüge sind in die Prüfung der Freigrenze gemäß § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nicht einzubeziehen.
3. § 3 Nr. 16 EStG kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber nicht einen Geldbetrag, sondern die damit zu
erlangende Leistung unmittelbar zuwendet (Bestätigung des BFH-Urteils vom 19. Februar 1993 VI R 42/92, BFHE 170, 560,
BStBl II 1993, 519).
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt sog. Back-Shops. Sie ließ in den Streitjahren 1998 bis 2002
ihre Bezirksleiter und das Verkaufspersonal regelmäßig in mehrtägigen Seminaren schulen. Die Schulungen, die von
externen Dozenten durchgeführt wurden, fanden regelmäßig in einem im jeweiligen Vertriebsgebiet gelegenen Hotel
statt. Die Veranstaltungen dauerten entweder vom Montagvormittag bis Mittwochmittag oder von Mittwochmittag bis
Freitagnachmittag. Im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen wurden den Arbeitnehmern Mahlzeiten gereicht, deren
Kosten ausschließlich die Klägerin übernahm. Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin vertrat
der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass die Kostenübernahme für die
Mahlzeiten als geldwerter Vorteil anzusehen und gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu
bewerten sei. Gegen den Nachforderungsbescheid legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Das Finanzgericht (FG)
gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 657 veröffentlicht.
2 Gegen den die Revision zurückweisenden Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2008 beantragte das FA zunächst mündliche
Verhandlung, stellte anschließend die Klägerin durch Änderung des angefochtenen Bescheids klaglos und erklärte die
Hauptsache für erledigt. Die Klägerin schloss sich der Erledigungserklärung an.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Der Rechtsstreit ist infolge der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt. Die
Erledigung der Hauptsache kann auch dann erklärt werden, wenn nach Ergehen eines Gerichtsbescheids Antrag auf
mündliche Verhandlung gestellt worden ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. November 2007 III R
7/07, BFH/NV 2008, 403, m.w.N.).
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Da die Erklärungen der Beteiligten erst im Revisionsverfahren abgegeben wurden, ist das angefochtene Urteil
gegenstandslos geworden, so dass der Senat nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens gemäß §§ 143 Abs.
1 i.V.m. 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu entscheiden hat (vgl. nur BFH-Beschluss vom 25. Januar 2006 IV R
14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418, m.w.N. unter 1.b). Dabei kann dahinstehen, ob § 138 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall
FGO vor § 138 Abs. 1 FGO anzuwenden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 1992 VII R 42/91, BFH/NV 1992, 854,
und vom 22. Februar 2001 VIII R 78/98, BFH/NV 2001, 936, unter II. 2. der Gründe, m.w.N.). Denn selbst bei Annahme
eines Vorranges des § 138 Abs. 1 FGO sind unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach
billigem Ermessen gemäß dieser Vorschrift die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen. Dabei ist im
Rahmen des § 138 Abs. 1 FGO zu prüfen, wie der Rechtsstreit mutmaßlich ausgegangen wäre (vgl. BFH-Beschluss
vom 15. Dezember 1986 IV R 251/83, BFH/NV 1988, 182; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 138 Rz
27).
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2. Die Revision des FA wäre unbegründet und deshalb zurückzuweisen gewesen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass die den Arbeitnehmern anlässlich der Fortbildungsveranstaltungen gewährten
Mahlzeiten nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG zu bewerten sind, und fehlerfrei festgestellt, dass es sich dabei um
geringfügige Vorteile i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG handelt.
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a) Die Übernahme der Kosten für die im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen zur Verfügung gestellten
Mahlzeiten durch die Klägerin stellt einen geldwerten Vorteil i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dar. Die
Aufwendungen wurden nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin getätigt.
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b) Die Bewertung der Einnahmen richtet sich nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG.
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Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost, Waren und sonstige Sachbezüge), sind nach dieser
Vorschrift mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Bei
Arbeitnehmern, für deren Sachbezüge durch Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch Werte bestimmt worden sind, sind dagegen diese Werte maßgebend (§ 8 Abs. 2 Satz 6 EStG; vgl.
dazu BFH-Urteil vom 23. August 2007 VI R 74/04, BFHE 218, 548, BStBl II 2007, 948). Von dieser Ermächtigung hat
die Bundesregierung auch für die Streitjahre mit der Sachbezugsverordnung Gebrauch gemacht (vgl. dazu Birk/Kister
in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 8 EStG Rz 123, m.w.N.) und u.a. für die unentgeltliche oder verbilligte
Gewährung von Verpflegung pauschale Werte festgesetzt.
10 Die Bewertung des geldwerten Vorteils nach § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die
Sachbezugsverordnung ist auf Fälle der vorliegenden Art nicht anwendbar. Nach der Rechtsprechung des Senats
werden von ihr nämlich nur Fälle erfasst, in denen auf eine gewisse Dauer gerichtet im üblichen Rahmen eines
Arbeitsverhältnisses die Verpflegung als Teil des Arbeitslohns zur Verfügung gestellt wird. Die
Sachbezugsverordnung findet keine Anwendung auf die Gewährung von Verpflegung aus einmaligem Anlass (vgl. im
Einzelnen BFH-Urteile vom 6. Februar 1987 VI R 24/84, BFHE 149, 172, BStBl II 1987, 355; vom 19. August 2004 VI R
33/97, BFHE 207, 230, BStBl II 2004, 1076). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (vgl. auch HHR/Birk/Kister,
§ 8 EStG Rz 127; Schmidt/ Drenseck, EStG, 27. Aufl., § 8 Rz 55; Küttner/Thomas, Personalbuch 2007, Stichwort
Sachbezug, Rz 23; Pust in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 8 Rz 477 f.; Blümich/Glenk,
§ 8 EStG Rz 135 und 138; Gröpl, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 8 Rz C 36). Daraus folgt, dass die
Sachbezugsverordnung hier nicht einschlägig ist. Denn von einer "auf eine gewisse Dauer" zur Verfügung gestellten
Kost kann bei vom Arbeitgeber veranlassten unentgeltlichen Mahlzeiten anlässlich einer zweitägigen
Auswärtstätigkeit keine Rede sein (v. Bornhaupt, Betriebs-Berater 1996, 1909).
11 c) Bei der erforderlichen Bewertung der Verpflegung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die Freigrenze des Satzes 9 der
Vorschrift zu beachten (Pust, a.a.O., Rz 477). Danach bleiben Sachbezüge außer Ansatz, wenn die sich nach
Anrechnung der vom Steuerpflichtigen gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile insgesamt 50 DM bzw. im Streitjahr
2002 50 EUR im Kalendermonat nicht übersteigen.
12 aa) Daraus folgt ohne Weiteres, dass im Streitjahr 2002 die Sachbezüge außer Ansatz bleiben. Denn diese beliefen
sich je Arbeitnehmer auf monatlich 34,24 EUR bzw. 30,66 EUR und unterschritten damit die genannte Freigrenze von
50 EUR.
13 bb) Auch in den Streitjahren 1998 bis 2001 sind die Sachbezüge nicht anzusetzen. Zwar belief sich hier der nach § 8
Abs. 2 Satz 1 EStG ermittelte Wert auf monatlich 67 DM bzw. 60 DM, während die Freigrenze nur 50 DM betrug. In die
Prüfung der Freigrenze sind jedoch steuerfreie Sachbezüge nicht einzubeziehen (Steiner in Lademann, EStG, § 8
EStG Rz 167, m.w.N; Schmidt/Drenseck, a.a.O., Rz 23). Im Streitfall ergibt sich die teilweise Steuerfreiheit der
Sachbezüge aus § 3 Nr. 16 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG.
14 Nach § 3 Nr. 16 EStG sind die Vergütungen, die Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Dienstes von ihrem
Arbeitgeber u.a. zur Erstattung von Reisekosten erhalten, steuerfrei, soweit sie bei Verpflegungsmehraufwendungen
die Pauschbeträge nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG nicht überschreiten. Nach der Rechtsprechung des Senats greift
die Steuerfreiheit auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern nicht einen Geldbetrag, sondern die damit
zu erlangende Leistung unmittelbar zuwendet (BFH-Urteil vom 19. Februar 1993 VI R 42/92, BFHE 170, 560, BStBl II
1993, 519; vgl. auch von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 3 Rz B 16/30; Handzik in
Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 3 Rz 628). Im Streitfall hat die Klägerin ihren Arbeitnehmern im Rahmen der
Auswärtstätigkeiten eine solche steuerfreie Sachleistung, nämlich Kost bzw. Verpflegung verschafft.
15 Die Steuerfreiheit der Vergütungen für Verpflegungsmehraufwand ist auf die Pauschbeträge nach § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 5 Satz 2 EStG beschränkt. Die Pauschbeträge beliefen sich gemäß Buchst. c der Vorschrift auf 10 DM je
Veranstaltungstag, also auf insgesamt 20 DM je Arbeitnehmer und Monat. In dieser Höhe konnte die Klägerin
Verpflegungsmehraufwendungen steuerfrei vergüten bzw. Verpflegung gewähren. Da die Sachbezüge --soweit
steuerfrei-- nicht in die Freigrenze einzubeziehen sind, reduzieren sich die steuerpflichtigen Bezüge auf 47 DM bzw.
40 DM und bleiben steuerlich insgesamt unberücksichtigt, weil sie die Freigrenze von 50 DM nicht überschreiten.