Urteil des BFH vom 19.06.2001

BFH (vstg, abgabe, höhe, aufforderung, sache, steuerhinterziehung, versuch, unterlassen, erlass, steuerpflicht)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 29.10.2008, II R 25/06
Pflicht zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung
Tatbestand
1 I. Die bis dahin nicht vermögensteuerpflichtige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erbte von ihrem im Juni 1989
verstorbenen Vater ein Vermögen von rund 4 Mio. DM. Anfang Oktober 1991 verlegte sie ihren Wohnsitz in die USA,
ohne jemals Vermögensteuererklärungen abgegeben zu haben. Sie wurde auch nicht wirksam zur Abgabe von
Vermögensteuererklärungen aufgefordert.
2 Nach einer Steuerfahndungsprüfung, die im Dezember 1997 begonnen worden war, schätzte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) das steuerpflichtige Vermögen der Klägerin infolge des Erbfalls auf 3 610
000 DM und erließ am 19. Juni 2001 einen als "Neuveranlagungsbescheid" bezeichneten Nachveranlagungsbescheid
über Vermögensteuer auf den 1. Januar 1990 und 1. Januar 1991 in Höhe von jeweils 18 005 DM zuzüglich
Nachzahlungszinsen in Höhe von jeweils 4 320 DM sowie am 24. Juli 2001 einen Bescheid über weitere
Hinterziehungszinsen in Höhe von jeweils 6 120 DM.
3 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) auch die Klage gegen den
Vermögensteuerbescheid, mit der sich die Klägerin gegen die Annahme einer Steuerhinterziehung gewandt hatte, ab.
Die Klägerin sei gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a des Vermögensteuergesetzes (VStG) auch ohne Aufforderung durch
das FA verpflichtet gewesen, Vermögensteuererklärungen auf den 1. Januar 1990 und 1. Januar 1991 abzugeben, da
ihr Gesamtvermögen nach dem Erbfall wesentlich größer als 70 000 DM gewesen sei. Da dies nicht geschehen sei,
habe sich die Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängert.
4 Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a VStG.
5 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, soweit es die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1990 und 1.
Januar 1991 betrifft, sowie den Vermögensteuerbescheid vom 19. Juni 2001 auf den 1. Januar 1990 und 1. Januar
1991 und den Bescheid über Hinterziehungszinsen vom 24. Juli 2001 --beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 29. April 2002; den Zinsbescheid allerdings beschränkt auf die Zinsen für die Vermögensteuer-- aufzuheben.
6 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG, soweit es die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1990 und den 1.
Januar 1991 nebst Zinsen betrifft, sowie der Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1990 und 1. Januar 1991
und der Bescheid über Hinterziehungszinsen bezüglich dieser Steuer --jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 29. April 2002-- waren aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat
verkannt, dass sich eine Verpflichtung der Klägerin zur Abgabe von Vermögensteuererklärungen ohne vorherige
Aufforderung durch das FA nicht aus § 19 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a VStG ergeben kann.
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1. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 VStG sind Vermögensteuererklärungen auf jeden Hauptfeststellungszeitpunkt
abzugeben. Für andere Veranlagungszeitpunkte hat gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 VStG eine Erklärung abzugeben, wer
von den Finanzbehörden gemäß § 149 der Abgabenordnung (AO) dazu aufgefordert wird. Daran ändert § 19 Abs. 2
und 3 VStG nichts. Entgegen der Auffassung des FG regelt § 19 Abs. 2 und 3 VStG lediglich den Personenkreis, den
gemäß Abs. 1 der Vorschrift --ggf. nach Aufforderung durch die zuständige Behörde-- die Pflicht zur Abgabe einer
Vermögensteuererklärung trifft bzw. treffen kann. Die Pflicht selbst ergibt sich ausschließlich aus § 19 Abs. 1 VStG. Da
der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben.
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2. Die Sache ist spruchreif. Der Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1990 und 1. Januar 1991 ist ebenso
aufzuheben wie der Bescheid über die Hinterziehungszinsen bezüglich dieser Steuern. Die Vermögensteuer für 1990
und 1991 war bei Erlass des angefochtenen Steuerbescheides bereits festsetzungsverjährt.
10 Hauptveranlagungszeitpunkte der Vermögensteuer waren der 1. Januar 1989 und 1993. An beiden Stichtagen war
die Klägerin nicht vermögensteuerpflichtig, und zwar weder unbeschränkt (zum 1. Januar 1989) noch beschränkt (zum
1. Januar 1993). Soweit das FA in der Revisionserwiderung nach mehr als zehn Jahren und trotz zwischenzeitlicher
Steuerfahndungsprüfung erstmals vorträgt, der Klägerin habe zum 1. Januar 1993 Inlandsvermögen i.S. des § 121
Abs. 2 des Bewertungsgesetzes i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297)
von mindestens 20 000 DM gehört (§ 9 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 VStG), ist dieses Vorbringen unter
Berücksichtigung des Akteninhalts zu wenig substantiiert, um die Möglichkeit einer beschränkten Steuerpflicht auf den
1. Januar 1993 und eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz in Betracht zu ziehen. War die Klägerin aber
auf die Hauptfeststellungszeitpunkte 1. Januar 1989 und 1993 nicht vermögensteuerpflichtig, konnte eine
Erklärungspflicht auf die streitbefangenen Stichtage 1. Januar 1990 und 1991 nur entstehen, wenn das FA bei der
Klägerin gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO Steuererklärungen auf diese Zeitpunkte wirksam angefordert hätte. Dies ist
nicht geschehen. Ein erster dahingehender Versuch ist gescheitert, ein zweiter Versuch nicht mehr unternommen
worden.
11 Mangels Erklärungspflicht scheidet eine Hinterziehung der Vermögensteuer 1990 und 1991 durch Unterlassen i.S.
des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. Infolgedessen ist es im Streitfall bei der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AO geblieben, deren Anlauf auch nicht gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt worden sein kann.
Mithin endete die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1994 bzw. 1995. Zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171
Abs. 5 AO ist es nicht gekommen. Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Dezember 2005 II R 63/04 (BFH/NV
2006, 1061) kann sich das FA nicht berufen, da es an eine Erklärungspflicht auf den nachfolgenden
Hauptfeststellungszeitpunkt anknüpft, an der es im Streitfall gerade fehlt.