Urteil des BFH vom 08.10.2010

Zurückweisung eines Befangenheitsantrags - Keine verfassungsmäßige Garantie eines Instanzenzugs - Ansatz der Steuerbilanzwerte beim Einheitswert des Betriebsvermögens

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.10.2010, II B 18/10
Zurückweisung eines Befangenheitsantrags - Keine verfassungsmäßige Garantie eines Instanzenzugs - Ansatz der
Steuerbilanzwerte beim Einheitswert des Betriebsvermögens
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1
und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht in der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3
FGO) schlüssig dargelegt. Der geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht vor.
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1. Die Klägerin rügt als Verfahrensfehler, das Finanzgericht (FG) sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 119 Nr.
1 FGO). Bei dem angefochtenen Urteil habe zu Unrecht ein abgelehnter Richter mitgewirkt, weil der
Befangenheitsantrag greifbar gesetzwidrig und objektiv willkürlich zurückgewiesen worden sei. Zwar kann die
Zulassung der Revision wegen einer Vorenthaltung des gesetzlichen Richters durch eine greifbar gesetzwidrige
Ablehnung eines Befangenheitsantrags erreicht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH--- vom 15. Dezember 2009 VIII B 211/08, BFH/NV 2010, 663, m.w.N.). Im Streitfall sind aber
keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin willkürlich zurückgewiesen wurde.
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a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der
Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit
zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund besteht, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus --jedoch nach
Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung-- davon ausgehen kann, der Richter werde nicht
unvoreingenommen, sondern unsachlich oder willkürlich entscheiden. Freimütige oder saloppe Formulierungen
geben grundsätzlich keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Mai 2001 IV B
118/00, BFH/NV 2001, 1431, m.w.N.). Evident unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende und
beleidigende Äußerungen des Richters können aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie den
nötigen Abstand zwischen Person und Sache vermissen lassen. Das gilt auch bei Äußerungen gegenüber dem
Prozessbevollmächtigten eines Verfahrensbeteiligten, wenn die ablehnende Einstellung des Richters zum
Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Beteiligten in Erscheinung getreten ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV
2001, 1431, m.w.N.)
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Ob die Entscheidung eines Gerichts über ein Ablehnungsgesuch auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung
oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und
Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) grundlegend verkennt, kann
nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--- vom 20. Juli 2007 1 BvR 3084/06, Neue Juristische Wochenschrift-
Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2008, 72, unter II.1.a).
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b) Das FG hat bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Klägerin die höchstrichterliche
Rechtsprechung zur Befangenheit zugrunde gelegt und dabei sowohl die Darstellung des zur Ablehnung führenden
Telefonats durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin als auch die dienstliche Äußerung des abgelehnten
Richters hierzu gewürdigt. Eine greifbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung ergibt sich hieraus nicht. Die
Befangenheit des abgelehnten Richters soll nach Auffassung der Klägerin darauf beruhen, dass der Richter
anlässlich eines Telefonats mit ihrem Prozessbevollmächtigten geäußert habe, dass er den Prozessbevollmächtigten
als kompetenten Gesprächspartner schätze, und nach dem Dank des Prozessbevollmächtigten dann sinngemäß
geantwortet habe, "er würde auch seinem Feind den diesem gebührenden Respekt nicht verweigern". Auf die
Erwiderung des Prozessbevollmächtigten, dass er doch nicht sein Feind sei, wie er denn darauf komme, sei der
Richter nicht eingegangen. Das von der Klägerin daraufhin gestellte Ablehnungsgesuch wurde ohne Mitwirkung des
abgelehnten Richters zurückgewiesen und damit begründet, dass sich die Äußerung "einem Feind" oder "meinem
Feind" nicht auf den Prozessbevollmächtigten, sondern auf einen fiktiven Dritten bezogen habe, diese Äußerung im
Zusammenhang mit der Kundgabe einer positiven Wertschätzung des Richters gegenüber dem
Prozessbevollmächtigten gefallen sei und allein die fehlende Antwort des Richters auf die vom
Prozessbevollmächtigten erbetene Erläuterung keine Voreingenommenheit des Richters gegenüber der Klägerin
begründen könne. Andere Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung des Richters gegenüber der Klägerin seien
weder vorgetragen worden noch sonst erkennbar geworden. Aufgrund dieser Umstände konnte das FG davon
ausgehen, dass das Telefonat zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem abgelehnten Richter bei verständiger
Betrachtung nicht geeignet war, die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Klägerin zu begründen.
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Die Rüge der Klägerin, das FG habe sich einer angemessenen Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts
verweigert und sei Zweifeln an der Sachverhaltsdarstellung in der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters
nicht nachgegangen, ist unberechtigt. Das FG hat im Beschluss vom 16. Januar 2009 6 K 491/06, mit dem das
Ablehnungsgesuch zurückgewiesen wurde, zu den unterschiedlichen Sachverhaltsschilderungen bezüglich der
Frage, ob der Prozessbevollmächtigte eine nähere Erläuterung zu der vom Richter verwendeten Wortwahl "Feind"
erbeten habe, Stellung genommen (unter II.2.c der Gründe). Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine
Befangenheit gegenüber der Klägerin nicht gegeben sei, selbst wenn der abgelehnte Richter --entsprechend der
Darstellung des Prozessbevollmächtigten-- aufgrund der Äußerung entstandene Irritationen des
Prozessbevollmächtigten nicht ausgeräumt habe. Diese Würdigung ist möglich und kann daher nicht als willkürlich
angesehen werden.
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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass die von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen klärungsbedürftig bzw. in
dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sind.
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a) Die Klägerin sieht als klärungsbedürftig an, ob "§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 128 Abs. 2 FGO verfassungswidrig sei, soweit
die gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen über Befangenheitsanträge gegen Gerichtspersonen im Rahmen
eines Revisionsverfahrens ausgeschlossen sei, über die nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1
ZPO von dem Spruchkörper entschieden worden sei, dem der abgelehnte Richter angehöre, und deren unmittelbare
Anfechtbarkeit nach § 128 Abs. 2 FGO ausgeschlossen sei".
10 Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift
den behaupteten Verfassungsverstoß im Einzelnen darlegen. Erforderlich ist hierzu eine substantiierte, an den
Vorgaben des GG und der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH orientierte rechtliche
Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Dezember 2008 VII B 65/08, BFH/NV
2009, 707, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht.
11 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist ein Instanzenzug von Verfassungs wegen nicht garantiert (vgl. BVerfG-
Beschluss vom 30. April 2003 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, unter C.I.2.a). Aus dem allgemeinen
Justizgewährleistungsanspruch folgt zwar das Gebot einer zumindest einmaligen Kontrolle der Einhaltung von
Verfahrensgrundrechten, insbesondere derjenigen gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG; jedoch muss
diese Kontrolle nicht zwingend durch eine höhere Instanz erfolgen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 395, unter
C.I.2.c). Die Verfahrensgrundrechte sollen gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung willkürfrei durch eine
nach objektiven Kriterien bestimmte Instanz auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage und auf Grund
einer unvoreingenommenen rechtlichen Würdigung unter Einbeziehung des Vortrags der Parteien ergeht. Überprüfen
die unabhängigen Gerichte in diesem Rahmen einen Vorgang auf rechtliche Fehler und begehen sie dabei keinen
neuen eigenständigen Verstoß gegen die grundgesetzlichen Verfahrensgarantien, ist es verfassungsrechtlich
grundsätzlich unbedenklich, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht mehr durch eine weitere Instanz auf Fehler hin
überprüft werden kann. Dementsprechend hat es der Bundesgerichtshof (BGH) als verfassungsrechtlich unbedenklich
angesehen, dass über ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit eines oder mehrerer Richter eines
Oberlandesgerichts durch andere Richter dieses Gerichts abschließend entschieden wird und eine nochmalige
Überprüfung dieses Gesuchs wegen § 557 Abs. 2 i.V.m. § 522 Abs. 3 und 2 Satz 1 ZPO durch ein Rechtsmittelgericht
nicht stattfindet (vgl. BGH-Beschluss vom 8. November 2004 II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294). Im Übrigen erfolgt im
Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH eine eingeschränkte Überprüfung der Entscheidung des
FG über das Ablehnungsgesuch im Hinblick darauf, ob der Befangenheitsantrag greifbar gesetzwidrig und damit
willkürlich zurückgewiesen wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 663, m.w.N.).
12 Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, inwieweit ein über diese Rechtsprechung hinausgehender zusätzlicher
Klärungsbedarf besteht.
13 b) Die Klägerin hat weiter die Rechtsfrage aufgeworfen, ob die erstmalige höchstrichterliche Entscheidung einer
abstrakten außersteuerlichen Rechtsfrage in einem Verfahren, an dem der Steuerpflichtige selbst nicht beteiligt ist,
eine ansatz- oder wertbegründende Tatsache sein kann, die eine Passivierung von Verbindlichkeiten bei dem am
Rechtsstreit nicht beteiligten Steuerpflichtigen rechtfertigen kann.
14 Insoweit fehlt es an einer Darlegung, dass die Rechtsfrage in dem Verfahren wegen Einheitswert des
Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1996 geklärt werden könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können
Streitfragen, die die Steuerbilanz betreffen, in einem die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens für Stichtage ab
dem 1. Januar 1993 bis zum 1. Januar 1997 betreffenden gerichtlichen Verfahren nicht geklärt werden (BFH-Urteil
vom 11. März 2008 II R 84/05, BFH/NV 2008, 1454, m.w.N.). Bei bilanzierenden Gewerbetreibenden sind gemäß §§
109 Abs. 1, 109a des Bewertungsgesetzes (in der bis 31. Oktober 1997 geltenden Fassung) in der
Vermögensaufstellung für den Ansatz der aktiven und passiven Wirtschaftsgüter die Steuerbilanzansätze dem Grunde
und der Höhe nach maßgebend (BFH-Urteile vom 25. Oktober 2000 II R 58/98, BFHE 194, 238, BStBl II 2001, 92; vom
31. März 2004 II R 67/01, BFH/NV 2004, 1074). Diese --speziell die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens
betreffende-- Bindung an die Steuerbilanz ist eine rein formale. Sie besteht unabhängig davon, ob die Bilanzansätze
nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen zutreffend sind. Ein Streit über den Ansatz oder den Wert einzelner
Wirtschaftsgüter kann daher nur auf dem Gebiet der Ertragsteuern ausgetragen werden. Kommt es für
ertragsteuerrechtliche Zwecke zu einer Bilanzberichtigung oder Bilanzänderung, erstreckt sich die Maßgeblichkeit der
Steuerbilanz für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auch auf die neuen Steuerbilanzwerte. Die Aufhebung
oder Änderung eines Einheitswertbescheids kann insoweit erst erfolgen, wenn es für ertragsteuerrechtliche Zwecke
zu einer Bilanzberichtigung oder Bilanzänderung gekommen ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1454).
15 Mit dieser Rechtsprechung hat sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht auseinander gesetzt. Dies war
nicht deshalb entbehrlich, weil das FG diese Rechtsprechung seiner Entscheidung nicht zugrundegelegt hat. Denn
eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass die aufgeworfene
Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren auch geklärt werden könnte (BFH-Beschluss vom 21. April 2010 IV B 32/09,
BFH/NV 2010, 1469). Daran fehlt es im Streitfall.
16 3. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO wegen Divergenz bzw. wegen eines
schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers kommt im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zur Maßgeblichkeit
der Steuerbilanzwerte im Verfahren wegen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1996 (vgl.
BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1454) ebenfalls nicht in Betracht. Es kann dahinstehen, ob die Zulassungsgründe
überhaupt schlüssig dargelegt worden sind. Denn eine Zulassung der Revision scheidet schon deshalb aus, weil eine
möglicherweise fehlerhafte Bilanzierung von Verbindlichkeiten der Klägerin und die Frage der Bilanzberichtigung
bzw. der Bilanzänderung im anhängigen Verfahren wegen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1.
Januar 1996 nicht entscheidungserheblich sind.