Urteil des BFH vom 25.06.2009

BFH: Materiell vorläufiger Charakter von Abschreibungen auf Anzahlungen und Teilherstellungskosten, Rückabwicklung eines Bauvertrags keine nachträglich bekanntgewordene Tatsache, begünstigung, vollzug

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 25.6.2009, IX R 13/07
Materiell vorläufiger Charakter von Abschreibungen auf Anzahlungen und Teilherstellungskosten - Rückabwicklung eines
Bauvertrags keine nachträglich bekanntgewordene Tatsache
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Grundstücksgemeinschaft. Sie kaufte im Streitjahr (1992) von T
ein Grundstück und schloss ebenfalls im Streitjahr mit einer Immobilien GmbH (GmbH) einen Generalübernehmer-
/Bauträgervertrag (Bauvertrag) ab, um auf diesem Grundstück ein Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Der
Generalübernehmer sollte sämtliche planerische, technische und handwerkliche Leistungen für die schlüsselfertige
Erstellung des Bauvorhabens gegenüber der Klägerin erbringen. Das Entgelt für das gesamte Bauvorhaben sollte 3
046 425 DM betragen. Es sollten bis zum 30. Dezember des Streitjahres Anzahlungen in Höhe von 2,7 Mio. DM im
Voraus geleistet werden und wurden auch tatsächlich bezahlt. Zur Sicherung hatte der Generalübernehmer eine
unbefristete Bürgschaft eines deutschen Kreditinstituts zur Verfügung zu stellen, die von der Klägerin entsprechend
dem Baufortschritt freizugeben war. Der Grundstückserwerb scheiterte und die Errichtung des Gebäudes unterblieb. Im
Jahr 1998 wurde der Bauvertrag rückabgewickelt.
2 In ihrer Erklärung über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für
das Streitjahr machte die Klägerin Sonderabschreibungen nach § 4 des Fördergebietsgesetzes (FördG) von 1 139 188
DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte die Besteuerungsgrundlagen mit
Bescheid vom 20. Oktober 1993 erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Im Anschluss an
eine Außenprüfung im Jahr 2001 erließ das FA unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO)
am 18. Juli 2002 den angefochtenen Änderungsbescheid, in dem es die Sonderabschreibungen wegen
Rückabwicklung des Bauvertrags im Jahr 1998 nicht mehr gewährte.
3 Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Klageabweisung damit, ein
rückwirkendes Ereignis liege im Rückgängigmachen des Bauvertrags, aufgrund dessen im Streitjahr zu Recht
Sonderabschreibungen auf geleistete Anzahlungen in Anspruch genommen worden seien. Dabei könne es jedenfalls
wegen § 41 Satz 1 AO dahinstehen, ob der Bauvertrag insgesamt (§ 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) oder
zum Teil zivilrechtlich unwirksam gewesen sei.
4 Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht rügt. Im Zeitpunkt des
geänderten Bescheids sei die vierjährige Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
bereits abgelaufen gewesen. Auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO habe das FA die Änderung nicht stützen dürfen; denn mit
dem Rückgängigmachen des Bauvertrags liege kein rückwirkendes Ereignis vor. Vielmehr sei allenfalls § 173 Abs. 1
Nr. 2 AO einschlägig, der aber wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht zum Zuge komme. Die Klägerin habe schon
im Streitjahr Sonderabschreibungen nicht in Anspruch nehmen dürfen. Denn es habe sich bei den Vorauszahlungen
um Anzahlungen auf Teilherstellungskosten gehandelt, die nicht begünstigt gewesen seien. Abschlagszahlungen hätte
die GmbH nur verlangen können, wenn das Bauwerk in Teilen abzunehmen gewesen wäre. Indes sei es wegen des
gescheiterten Grundstückserwerbs aufgrund des Bauvertrags zu keiner Zeit zu Herstellungsmaßnahmen gekommen.
5 Die Klägerin beantragt,
6 das angefochtene Urteil und den geänderten Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung 1992 vom 18. Juli 2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2003 aufzuheben und die Besteuerungsgrundlage entsprechend dem
ursprünglichen Bescheid vom 20. Oktober 1993 einheitlich und gesondert festzustellen.
7 Das FA beantragt,
8 die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat
zutreffend das FA als nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berechtigt angesehen, den angefochtenen
Änderungsbescheid zu erlassen und es abzulehnen, die im Streitjahr beanspruchten Sonderabschreibungen zu
gewähren.
10 1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (i.V.m. § 181 Abs. 1 AO) ist ein Feststellungsbescheid zu ändern, soweit ein
Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob dies der Fall ist, richtet sich allein nach den
Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. September 2008 IX R 72/06, BFHE 222, 571, unter II. 2. b, dd). Das Ereignis muss
ferner nachträglich eintreten, weil nur in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen.
Konnte und musste es bei Erlass des geänderten Bescheides bereits berücksichtigt werden, greift § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO nicht ein (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II
2009, 227, unter II. 1. a, m.w.N.).
11 2. Zutreffend hat das FG im Streitfall in der Rückabwicklung des Bauvertrages ein solches Ereignis gesehen, das
nachträglich --weil im Jahr 1998 eingetreten-- auf das Streitjahr zurückwirkt. Denn mit der Rückabwicklung des
Bauvertrags konnte es nicht mehr zur Herstellung eines begünstigten Gebäudes kommen.
12 a) Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 FördG kann der Steuerpflichtige für eine nach § 3 FördG begünstigte Investition, die er im
Fördergebiet durchführt, Sonderabschreibungen nach § 4 FördG vornehmen. Er muss die in § 3 FördG beschriebene
Baumaßnahme tatsächlich durchführen und --bezogen auf den Streitfall-- das Gebäude anschaffen oder herstellen.
Nimmt er Sonderabschreibungen bereits für Anzahlungen in Anspruch (§ 4 Abs. 1 Satz 5 FördG, § 7a Abs. 2 des
Einkommensteuergesetzes), so haben sie materiell-rechtlich vorläufigen Charakter. Für die Begünstigung
maßgebend ist allein der Vollzug des Anschaffungsgeschäfts (vgl. zum Vorstehenden BFH-Urteil vom 20. Januar 2009
IX R 9/07, BFHE 224, 248). Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Sonderabschreibungen auf
Teilherstellungskosten in Anspruch nimmt. Auch dann kommt es entscheidend darauf an, ob es zu einer durch § 3
FördG begünstigten Baumaßnahme kommt. Die Begünstigung entfällt deshalb in beiden Fällen rückwirkend, wenn der
Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang nicht abgeschlossen wird (Blümich/Brandis, § 7a EStG Rz 40, m.w.N. aus
der Rechtsprechung).
13 b) Nach diesen Maßstäben liegt in der Rückabwicklung des Bauvertrags im Jahre 1998 ein rückwirkendes Ereignis.
Denn damit konnte der Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang nicht mehr abgeschlossen werden. Dabei kann offen
bleiben, ob das Wohn- und Geschäftsgebäude durch die Klägerin angeschafft oder hergestellt werden sollte.
14 aa) Handelt es sich --wovon die Vorinstanz ausgeht-- um eine beabsichtigte Anschaffung, würde die Klägerin die
Sonderabschreibungen für Anzahlungen auf Anschaffungskosten zu Unrecht in Anspruch nehmen, nachdem es zu
einem Anschaffungsgeschäft nicht mehr gekommen war. Da die Beteiligten des Bauvertrags dessen wirtschaftliches
Ergebnis jedenfalls bis zur Rückabwicklung im Jahr 1998 haben bestehen lassen, kann mit dem FG wegen § 41 Abs.
1 Satz 1 AO dahinstehen, ob und inwieweit dieser Vertrag zivilrechtlich unwirksam war (z.B. wegen § 134 BGB i.V.m.
§§ 2, 3 der Makler- und Bauträgerverordnung).
15 bb) Aber auch dann, wenn man mit der Revision davon ausginge, die geplante Baumaßnahme führe zu
Herstellungskosten, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.
16 Der Revision ist insoweit beizupflichten, dass im Streitfall mehr für eine geplante Herstellung durch die Klägerin
spricht. Denn Berechtigte und Verpflichtete des Kaufvertrages und des Bauvertrags sind jeweils verschiedene
Personen, so dass nicht von einem einheitlich auf den Erwerb des Grundstücks gerichteten Vertragsbündel
auszugehen ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Juli 1991 IX R 43/89, BFHE 165, 245, BStBl II 1991, 918). Ginge man
von einem Herstellungsvorgang aus, hätte die Klägerin zwar keine Sonderabschreibungen auf Teilherstellungskosten
beanspruchen dürfen, weil solche nicht angefallen und Anzahlungen auf Teilherstellungskosten nicht begünstigt sind.
Das änderte aber nichts daran, dass es mit der Rückabwicklung des Bauvertrags 1998 nicht zu einer nach § 3 FördG
geförderten Baumaßnahme hätte kommen können. Damit bestünde für die (geplante) Herstellung des Wohn- und
Geschäftshauses insgesamt keine Legitimation mehr, gefördert zu werden. Entfallen die Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen --wie hier-- rückwirkend, weil der Herstellungsvorgang nicht vollzogen
wird, so umfasst dieses Ereignis materiell-rechtlich vorläufig gewährte Sonderabschreibungen unabhängig davon, ob
die Voraussetzungen für eine vorläufige Förderung vorlagen oder nicht (so auch BFH-Urteil vom 23. November 2000
IV R 85/99, BFHE 193, 75, BStBl II 2001, 122, m.w.N.).
17 Darin liegt entgegen der Revision der Unterschied zur Korrekturnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, die diesen Fall
ersichtlich nicht erfasst. Denn das hier maßgebende Ereignis der Rückabwicklung des Bauvertrags ist keine
nachträglich bekanntgewordene, sondern eine nachträglich eingetretene Tatsache, die auf die in der
Vergangenheit von vornherein nur materiell vorläufig gewährten Sonderabschreibungen vor Fertigstellung oder vor
Durchführung des Anschaffungsgeschäfts einwirkt. Dies gilt unabhängig davon, ob das FA vor dem Ablauf der
Festsetzungsfrist überdies berechtigt gewesen wäre, die einheitliche und gesonderte Feststellung für das Streitjahr,
mit dem ursprünglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Berücksichtigung von Sonderabschreibungen
festgestellt wurden, nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, wenn es erfahren hätte, dass die Klägerin in Wirklichkeit
keine Anschaffung, sondern eine Herstellung beabsichtigte. Unterstellt, diese Tatsache hätte bereits mit
Vertragsabschluss vorgelegen und bei nachträglichem Bekanntwerden schon im Feststellungsverfahren beachtet
werden müssen, ist sie aber offenkundig nicht identisch mit dem hier maßgebenden Ereignis der Vertragsauflösung,
die erst im Jahr 1998 zu verorten ist und das FA auch nicht daran hindern würde, die Bescheide --wie geschehen--
wegen des rückwirkenden Ereignisses zu berichtigen. Hätte die Klägerin nämlich zu Recht Sonderabschreibungen in
Anspruch genommen, wären also Teilherstellungskosten bereits angefallen gewesen, würde die Begünstigung
rückwirkend mit der Bauvertragsrückabwicklung entfallen. Das gilt auch, wenn die Voraussetzungen für eine
vorläufige Förderung schon nicht oder nicht in vollem Umfang vorgelegen haben. Denn sonst würde in Bezug auf das
nachträglich eingetretene Ereignis derjenige besser gestellt, der von vornherein keinen Anspruch auf die von ihm
begehrte Förderung hatte.
18 c) Da das rückwirkende Ereignis mithin im Jahr 1998 eingetreten ist, begann die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 181
Abs. 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem Ablauf dieses Jahres, so dass das FA --wie
das FG zutreffend entschieden hat-- den angefochtenen Änderungsbescheid zu Recht erlassen hat.