Urteil des BFH vom 18.01.2008

BFH: Rüge mangelhafter Protokollierung und Nichtzulassungsbeschwerde, kein Vertretungszwang für PKH-Antrag beim BFH, wiedereinsetzung in den vorigen stand, unbeschränkte haftung, unterlassen, koch

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.1.2008, VII S 56/07 (PKH)
Rüge mangelhafter Protokollierung und Nichtzulassungsbeschwerde - kein Vertretungszwang für PKH-Antrag beim BFH
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) als
Mitgesellschafterin einer sog. unechten GmbH-Vorgesellschaft, die es als GbR gewertet hat, wegen deren
Lohnsteuerrückständen bestätigt. Eine unechte Vorgesellschaft hat es in Anlehnung an die diesbezügliche
Rechtsprechung angenommen, weil die Gesellschafter von vornherein die Eintragung der GmbH nicht ernsthaft
betrieben hätten.
2 Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG möchte die Antragstellerin Beschwerde einlegen. Sie meint, das
FG habe zu Unrecht eine unbeschränkte Haftung nach GbR-Grundsätzen statt einer beschränkten Haftung nach
GmbH-Grundsätzen angenommen, weil es in der mündlichen Verhandlung gemachte Aussagen des Geschäftsführers
dieser Vorgesellschaft zu den Gründen für die zeitlichen Verzögerungen im Zusammenhang mit dem
Eintragungsantrag weder protokolliert noch im Urteil berücksichtigt habe.
3 Für dieses Rechtsmittelverfahren beantragt sie Prozesskostenhilfe (PKH).
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH hat keinen Erfolg, weil die von der Antragstellerin beabsichtigte
Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
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1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei,
die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Für den beim Bundesfinanzhof (BFH) als Prozessgericht zu stellenden Antrag auf PKH besteht kein Vertretungszwang
(§ 78 Abs. 5, § 117 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 142, § 155 FGO; Beschluss vom 13. Juli 1995 VII S 1/95, BFH/NV 1996, 10).
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Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht bereits deshalb erfolglos,
weil die Beschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO durch eine vor dem BFH
vertretungsbefugte Person oder Gesellschaft i.S. des § 62a FGO erhoben worden ist. Denn einem Beteiligten, der
wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, ein Rechtsmittel, das dem Vertretungszwang unterliegt, wirksam zu
erheben, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden, wenn ihm PKH bewilligt worden
ist.
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2. Die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH liegen indes nicht vor. Die durch Erhebung der
Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der
Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg. Gründe für eine Zulassung der Revision i.S. des § 115 Abs. 2 FGO sind
weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Der Senat versteht das Vorbringen der Antragstellerin dahin, dass bei gehöriger Protokollierung der mündlichen
Verhandlung Aspekte aktenkundig geworden wären, die, hätte das FG sie berücksichtigt, zu einer für die
Antragstellerin günstigeren Entscheidung hätten führen müssen. Aber selbst diese im wohlverstandenen
Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin weitgehende Auslegung zeigt keine Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs.
2 FGO auf. Zwar kann die Nichtberücksichtigung von Tatsachen durch das FG einen Verfahrensfehler i.S. des § 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellen. Das setzt aber voraus, dass das FG diese Tatsachen festgestellt hat, oder dass es diese
Feststellung trotz entsprechender prozessualer Hinweise bzw. Anträge der Beteiligten unterlassen hat und dass es --
nach der insoweit allein maßgeblichen, ggf. sogar unrichtigen Rechtsauffassung des FG-- bei Berücksichtigung dieser
Tatsachen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
10 a) Ob das Gericht bestimmte Tatsachen festgestellt hat, ergibt sich aus dem Urteil und den darin in Bezug
genommenen Unterlagen, insbesondere dem Protokoll der mündlichen Verhandlung. Die Antragstellerin rügt aber
gerade die fehlende Protokollierung der vermeintlich entscheidenden Angaben des Geschäftsführers in der
mündlichen Verhandlung. Dieser Mangel kann nur durch Protokollergänzungsantrag bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung geltend gemacht werden (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 ZPO). Nur wenn das FG einen solchen Antrag
abgelehnt hat, kann ein Rechtsmittel gegen das Urteil auf den Protokollierungsmangel gestützt werden (vgl.
Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 94 Rz 9, m.w.N.). Die Antragstellerin behauptet nicht, einen
entsprechenden Antrag vergeblich gestellt zu haben.
11 b) Auch einer vermeintlich mangelhaften Wiedergabe der entscheidungserheblichen Tatsachen im Urteil kann nur mit
einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim FG binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils begegnet
werden (§ 108 FGO). Sie kann nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden (ständige
Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2007 V B 6/06, BFH/NV 2007, 1809, m.w.N.).
12 c) Wenn die Antragstellerin meinen sollte, das FG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den anwesenden
Geschäftsführer als Zeugen zu vernehmen, so könnte sie ihrer Beschwerde damit schon deshalb nicht zum Erfolg
verhelfen, weil eine unterlassene Zeugeneinvernahme im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit
der Verfahrensrüge angegriffen werden kann, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder
fachkundig vertretene Beteiligte den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte
verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529, m.w.N.). So liegt es hier.
13 d) Schließlich ist weder ersichtlich, dass das FG die Angaben des Geschäftsführers nicht berücksichtigt hat, noch dass
diese Angaben --nach der im Urteil mitgeteilten Rechtsauffassung-- für die Entscheidung des FG von Bedeutung
waren. Denn es hat die Eintragungsabsicht schon aufgrund des --aus seiner Sicht schon wegen des Zeitablaufs von
drei Monaten seit Aufnahme des Geschäftsbetriebes schuldhaft-- verzögerten Eintragungsantrags und der nicht
unverzüglichen Beantragung der noch fehlenden Erlaubnis nach § 3 des Güterkraftverkehrsgesetzes verneint.
14 e) Einwände gegen diese Beurteilung des FG rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht, da die Grundsätze der
Tatsachen- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des
BFH im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 14.
Februar 2007 VII B 106/06, BFH/NV 2007, 1157, m.w.N.).