Urteil des BFH vom 19.02.2013

Gleichstehender Rechtsakt i.S. von §§ 7h, 7i EStG - Begriff des "obligatorischen Erwerbsvertrags" - Annahme eines notariellen Kaufangebots nach Ablauf seiner befristeten Unwiderruflichkeit

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.2.2013, IX R 32/12
Gleichstehender Rechtsakt i.S. von §§ 7h, 7i EStG - Begriff des "obligatorischen Erwerbsvertrags" -
Annahme eines notariellen Kaufangebots nach Ablauf seiner befristeten Unwiderruflichkeit
Leitsätze
Ein erst nach Ablauf seiner befristeten Unwiderruflichkeit angenommenes, notarielles Kaufangebot
stellt keinen "gleichstehenden Rechtsakt" i.S. von § 7h Abs. 1 Satz 3 bzw. § 7i Abs. 1 Satz 5 EStG
dar.
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) gaben gegenüber dem Bauträger am 10. Juli 2003
ein notariell beurkundetes Vertragsangebot zum Abschluss eines Bauträgervertrags über eine
Wohneinheit (WE 1) ab. Das Vertragsangebot enthält u.a. folgende Klausel: "Der Anbieter hält
sich an dieses Angebot vier Monate gerechnet ab heute unwiderruflich gebunden. Der
Angebotsempfänger kann das Angebot bis zu diesem Termin annehmen. Nach Ablauf der
Frist erlischt das Angebot nicht von selbst, kann jedoch durch den Anbieter jederzeit
widerrufen werden." Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 11. November 2003 nahm der
Bauträger das Angebot an.
2 Mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die
Einkommensbesteuerung und für die Festsetzung der Investitionszulage nach der Verordnung
zu § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt --FA--) die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für die Abschreibungen
nach § 7 Abs. 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie die Grundlagen für die
Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG)
1999 bzw. die erhöhte Investitionszulage nach § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 i.V.m.
Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1999 gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest
und erkannte Anschaffungskosten für nach Kaufvertragsabschluss durchgeführte
Modernisierungs- bzw. Baumaßnahmen in Höhe von 90.391 EUR an. Dabei legte es den
10. Juli 2003 als Zeitpunkt des rechtswirksamen Abschlusses des obligatorischen
Kaufvertrags oder gleichstehenden Rechtsakts zugrunde. Eine Feststellung für die erhöhten
Absetzungen nach §§ 7h, 7i und 10f EStG wurde in diesem Bescheid nicht getroffen.
3 Im Rahmen einer beim Bauträger durchgeführten Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der
Auffassung, dass zwar für die WE 1 auch begünstigte Sanierungsaufwendungen nach § 7h
und 7i EStG vorlägen, dass aber maßgeblicher Zeitpunkt für die Begünstigung erst die
Annahme des Vertragsangebots durch den Bauträger am 11. November 2003 sei. Ein einem
obligatorischen Kaufvertrag gleichstehender Rechtsakt liege nicht schon in dem notariellen
Kaufangebot, da die Annahme erst nach Ablauf der von den Klägern gesetzten Bindungsfrist
erfolgt sei. Da bis zum Abschluss des Kaufvertrags bereits 69,17 % der Baumaßnahmen
durchgeführt worden seien, könnten lediglich 26.829 EUR als nachträgliche
Herstellungskosten anerkannt werden. Das FA schloss sich der Auffassung der
Betriebsprüfung an und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid; der Vorbehalt der
Nachprüfung wurde aufgehoben.
4 Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
5 Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der geänderte Feststellungsbescheid in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung sei rechtmäßig. Unabhängig davon, ob das notarielle
Kaufangebot vom 10. Juli 2003 durch den Bauträger innerhalb oder außerhalb der
Bindungsfrist angenommen worden sei, könne dieses nicht als "gleichstehender Rechtsakt"
i.S. von § 7h EStG bzw. § 7i EStG angesehen werden. Dem Abschluss eines obligatorischen
Vertrags seien nur solche Fälle gleichgestellt, die die gleichen bindenden Wirkungen für die
Vertragsparteien auslösten wie der Abschluss eines Vertrags. Danach schieden alle
Vorbereitungshandlungen einschließlich der Angebotsabgabe zum Abschluss eines
Erwerbsvertrags aus dem Anwendungsbereich des "gleichstehenden Rechtsakts" aus.
6 Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts
rügen. Mit Abgabe des notariellen Kaufangebots am 10. Juli 2003 liege ein dem
obligatorischen Erwerbsvertrag gleichstehender Rechtsakt vor. Denn hinsichtlich des
"gleichstehenden Rechtsakts" komme es nur auf die Bindung des Steuerpflichtigen an.
Insbesondere sei § 7h Abs. 1 Satz 3 bzw. § 7i Abs. 1 Satz 5 EStG kein Stufenverhältnis zu
entnehmen, welches dazu führe, dass ein später abgeschlossener Erwerbsvertrag ein
vorangegangenes Vertragsangebot in sich aufnehme. Im Übrigen habe auch nach Ablauf der
Bindungsfrist immer noch ein die Käufer bindendes und jedenfalls bis zum 11. November
2003 unwiderrufenes Kaufvertragsangebot vorgelegen.
7 Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG aufzuheben und den Feststellungsbescheid vom 9. Juni 2008 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Bemessungsgrundlage für
Abschreibungen nach §§ 7h, 7i und 10f EStG auf 90.391 EUR festgestellt wird.
8 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Zutreffend hat das FG das streitbefangene Vertragsangebot nicht
als "gleichstehenden Rechtsakt" i.S. von § 7h EStG bzw. § 7i EStG behandelt und so für die
bis zur Annahme des Vertragsangebots durchgeführten Baumaßnahmen keine erhöhten
Absetzungen gewährt.
10 1. Gemäß § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG kann der Steuerpflichtige die erhöhten Absetzungen im
Jahr des Abschlusses der fraglichen Maßnahme und in diesen folgenden neun Jahren auch
für Anschaffungskosten in Anspruch nehmen, die auf Maßnahmen i.S. von § 7h Abs. 1
Sätze 1 und 2 EStG entfallen, soweit diese nach dem rechtswirksamen Abschluss eines
obligatorischen Erwerbsvertrags oder eines gleichstehenden Rechtsakts durchgeführt
worden sind. Eine entsprechende Regelung enthält § 7i Abs. 1 Satz 5 EStG. Danach setzen
die erhöhten Absetzungen grundsätzlich voraus, dass die betroffenen Maßnahmen nach
einem obligatorischen Erwerb anfallen, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Investition
des Steuerpflichtigen in das begünstigte Gebäude dahingehend konkretisiert hat, dass er
einen rechtswirksamen obligatorischen Erwerbsvertrag abgeschlossen hat. Die Alternative
des gleichstehenden Rechtsakts muss einen entsprechenden Konkretisierungsgrad
erreichen.
11 Mit einem obligatorischen Erwerbsvertrag wird zum einen eine beidseitige Bindung von
Voreigentümer und Erwerber definiert, zum anderen --notariell beurkundet-- ein objektiv
eindeutiger Zeitpunkt hierfür festgelegt. Da nach § 7h Abs. 1 Satz 3 EStG "obligatorischer
Erwerbsvertrag" und "gleichstehender Rechtsakt" gleichwertige alternative
Begünstigungsvoraussetzungen darstellen, sind an den gleichstehenden Rechtsakt
hinsichtlich seiner Rechtsbindung und der Rechtsklarheit dieselben Anforderungen zu
stellen wie an den obligatorischen Erwerbsvertrag.
12 Der Begriff des obligatorischen Erwerbsvertrags umfasst insbesondere Kauf oder Tausch
eines bebauten Grundstücks; maßgebender Zeitpunkt für den Erwerb ist die formgerechte
schuldrechtliche Erwerbsverpflichtung, von der sich kein Beteiligter mehr einseitig lösen
kann (s. Kleeberg in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 7h Rz B 21). Parallel hierzu sind
gleichstehende Rechtsakte insbesondere der Erbfall, das Vermächtnis nach Annahme (s.
Kleeberg in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.), der Zuschlag im
Zwangsversteigerungsverfahren oder der Erwerb von Anteilen an einer
Personengesellschaft (s. Siebenhüter in Herrmann/Heuer/Raupach, § 7h EStG Rz 18), nicht
aber ein unwiderrufliches notarielles Kaufangebot (so Sächsisches FG, Beschluss vom
29. Juli 2009 6 V 736/09, juris). Denn ein solches begründet weder eine beidseitige
Verpflichtung noch definiert es einen konkreten Erwerbszeitpunkt.
13 2. Nach diesen Grundsätzen stellt das im Streitfall zu beurteilende Vertragsangebot vom
10. Juli 2003 keinen gleichstehenden Rechtsakt i.S. von § 7h Abs. 1 Satz 3, § 7i Abs. 1
Satz 5 EStG dar; daran ändert auch seine befristete Unwiderruflichkeit nichts. Es kommt
jedenfalls dann nicht darauf an, wie lange das Angebot bindend war, wenn --wie im Streitfall-
- das Angebot erst nach Ablauf der Bindungsfrist (am 11. November 2003) angenommen
wurde. Daher konnten erst für Maßnahmen nach Annahme des Vertragsangebots
begünstigte Sanierungsaufwendungen anfallen.