Urteil des BFH vom 07.11.2006

BFH (tatsächliche vermutung, beweiswürdigung, gegenbeweis, ergebnis, entkräftung, fortbildung, sicherung, vermutung, interesse, auslegung)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 20.10.2009, VI B 74/08
Privatnutzung des Dienstwagens - Erschütterung des Anscheinsbeweises
Gründe
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Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat --bei Zweifeln an der Zulässigkeit-- jedenfalls in
der Sache keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder
grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch ist eine Entscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich
(§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Darüber hinaus liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen
kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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1. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Bewertungsregelungen des § 8 Abs. 2 Sätze 2 und
3 des Einkommensteuergesetzes nicht zur Anwendung kommen, wenn eine Privatnutzung des Dienstwagens
ausscheidet (z.B. BFH-Urteile vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, mit Anm.
Bergkemper, Finanz-Rundschau 2007, 392; vom 15. März 2007 VI R 94/04, BFH/NV 2007, 1302; BFH-Beschlüsse
vom 20. August 2008 VI B 45/08, BFH/NV 2008, 2021; vom 21. Dezember 2006 VI B 20/06, BFH/NV 2007, 716). Dabei
spricht allerdings aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private
Nutzung des Dienstwagens. Der Anscheinsbeweis kann indessen durch den Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert
werden. Hierzu bedarf es nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt
wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden
Geschehensablaufs ergibt. Jedoch bedürfen die Tatsachen, aus denen die Möglichkeit eines atypischen
Geschehensablaufs abgeleitet werden soll, des vollen Beweises (BFH-Urteil in BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116;
BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 2021; vom 14. März 2008 VI B 122/07, juris; Seer in Tipke/ Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz 44; vgl. umfassend von Bornhaupt, Deutsches Steuerrecht --
DStR-- 2007, 792 ff.).
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2. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht (FG) unter Würdigung der Umstände des
Streitfalles entschieden, die Klägerin habe den Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert, der für eine private
Nutzung der --dem Gesellschafter-Geschäftsführer überlassenen-- Dienstwagen spreche.
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a) Sollte das FG allerdings auch die Auffassung vertreten haben, dass ein Steuerpflichtiger den Gegenbeweis allein
durch Beweise, die in ihrer Gesamtheit wie ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch Auskunft über die tatsächliche
Nutzung geben, führen kann, hat der Senat Zweifel, ob er sich dem anschließen könnte. Im vorliegenden Verfahren
kommt es hierauf jedoch nicht an, da anders als von der Klägerin angeführt das FG seine Entscheidung nicht darauf
gestützt hat, dass der Gegenbeweis nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt werden kann. Es hat
vielmehr im Ergebnis entscheidend darauf abgestellt, dass die Tatsachen, aus denen die Möglichkeit eines
atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann, nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts vorgetragen
worden sind. In seiner Gesamtbeurteilung hat das FG die vorgelegten Aufzeichnungen, u.a. weil sie nicht zeitnah
erstellt worden sind, nicht als so wesentlich angesehen, um eine Entkräftung des Anscheinsbeweises bejahen zu
können.
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b) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kann nicht bereits dann angenommen
werden, wenn das FG die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten abstrakten Rechtsgrundsätze zum
Ausgangspunkt seiner konkreten Würdigung genommen hat und lediglich im Rahmen der Einzelfallbeurteilung zu
einem von der Klägerin nicht für zutreffend gehaltenen Ergebnis gelangt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 1. April 2008
X B 257/07, juris). Gleiches gilt für den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im
Grundsätzlichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
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c) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts eine
Entscheidung des BFH erfordert. Davon ist auszugehen, wenn im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und
Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts
aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Angesichts der erwähnten Rechtsprechung des
BFH ist eine derartige Veranlassung nicht zu erkennen.
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d) Im Übrigen werden im Streitfall keine grundsätzlichen und fallübergreifenden Rechtsfragen aufgeworfen, die im
allgemeinen Interesse einer Klärung bedürften (vgl. hierzu: Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz
25). Es ist auch nicht erkennbar, dass das FG in seiner Entscheidung Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze
verletzt hat. Schließlich ist das FG bei seiner Entscheidung im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, dass die
Regel über den Anscheinsbeweis nicht zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führt (vgl. hierzu Anzinger,
Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutung im Ertragsteuerrecht, 2006, S. 40 ff., insbesondere 45; Völlmeke, DStR
1996, 1070 ff., 1074, 1075).
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3. Die Einwendungen der Klägerin beziehen sich hauptsächlich darauf, dass das FG im Rahmen der
Beweiswürdigung einzelnen, für eine Entkräftung des Anscheinsbeweises sprechenden Umständen kein größeres
und durchgreifendes Gewicht beigemessen habe.
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a) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann mit der Rüge, das FG habe aufgrund einer fehlerhaften Würdigung des
Sachverhalts und der Beweise entschieden, grundsätzlich --wie auch hier-- kein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO) begründet werden. Verfahrensfehler sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der
Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die
Entscheidung im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2006 X S 5/06 (PKH),
BFH/NV 2007, 94; vom 9. Januar 2006 XI B 25/05, BFH/NV 2006, 1106; vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76
und 82; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 108, jeweils m.w.N.). Dass dies im Streitfall anders sein sollte, ist
nicht ersichtlich (vgl. auch BFH-Beschluss vom 4. Juni 2004 VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416 zum Anscheinsbeweis).
10 b) Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht kann schon deshalb nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen
werden, weil der Verfahrensverstoß in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt worden ist (vgl. auch BFH-Beschluss
vom 28. Oktober 2008 VIII B 62/07, juris). Es genügt insoweit nicht, dass die Beweisanträge in den Schriftsätzen
enthalten waren. Im Übrigen ist das FG davon ausgegangen, dass es auf die angebotenen Beweismittel nicht
ankommt bzw. die Beweistatsache als wahr unterstellt werden kann.
11 c) Die Klägerin verkennt zudem, dass die Frage, ob der Anscheinsbeweis durch den Gegenbeweis erschüttert worden
ist, grundsätzlich nicht revisibel ist (Anzinger, a.a.O., S. 227; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 105).
Soweit sich die Klägerin insoweit gegen die vom FG vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung wendet, ist
nur ein die Zulassung der Revision nicht rechtfertigender vermeintlicher materiell-rechtlicher Mangel der
Vorentscheidung gegeben (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2000 VI B 384/98, BFH/NV
2000, 868; vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 81 f.; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 105 ff.). Überdies
kann die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG in einem Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob die
Schlussfolgerungen des FG aus den verfahrensrechtlich einwandfrei festgestellten Tatsachen mit den
allgemeinverbindlichen Grundsätzen der Tatsachen- und Beweiswürdigung, insbesondere den allgemeinen
Erfahrungssätzen und den Denkgesetzen, vereinbar sind (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 30.
Dezember 2004 VI B 67/03, BFH/NV 2005, 702; vom 18. Oktober 2007 VIII B 212/06, BFH/NV 2008, 210, m.w.N.).