Urteil des BFH vom 13.03.2017

Zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung - Beitreibungsersuchen kein Verwaltungsakt - Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/44/EG - Rechtsschutz - Abgrenzung zwischen Prozessführungsbefugnis und Passivlegitimation

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.7.2009, VII R 52/08
Zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung - Beitreibungsersuchen kein Verwaltungsakt - Anwendungsbereich der
Richtlinie 2001/44/EG - Rechtsschutz - Abgrenzung zwischen Prozessführungsbefugnis und Passivlegitimation
Leitsätze
1. § 63 Abs. 1 FGO bestimmt ohne Ansehen des rechtlichen Inhalts des streitigen Rechtsverhältnisses, wer zu verklagen ist,
d.h. die Prozessführungsbefugnis. Davon zu unterscheiden ist die Sachlegitimation oder Passivlegitimation, die die Frage
beantwortet, ob der Beklagte nach dem materiellen Recht auch der Anspruchsverpflichtete ist .
2. Bei der Übermittlung von Beitreibungsersuchen an eine Behörde in einem EG-Mitgliedstaat hat das Bundeszentralamt für
Steuern die Funktion einer "Kontaktstelle oder Verbindungsstelle" für die Abwicklung des Ersuchens mit dem Ausland. Herr
des Verfahrens im Inland ist das für die Vollstreckung zuständige FA .
3. Das Ersuchen ist kein Verwaltungsakt, aber auch kein rein behördeninterner Vorgang. Rechtsschutz auf Rücknahme des
Ersuchens kann mit der Leistungsklage gesucht werden .
Tatbestand
1 I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) richtete mit Schreiben vom Januar 2007 ein
Beitreibungsersuchen gemäß Art. 6 bis 13 der Richtlinie 76/308/EWG (RL 76/308/EWG) des Rates vom 15. März 1976
über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen ... (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 73/18) über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nach Zypern. In dem
Beitreibungsersuchen ist das FA ausdrücklich als ersuchende Behörde aufgeführt. Es betrifft rückständige
Umsatzsteuer und steuerliche Nebenleistungen (Zinsen und Säumniszuschläge) des Klägers und Revisionsklägers
(Kläger). Das FA ordnete in der beigefügten Aufstellung auf amtlichem Vordruck die Zinsen den Hauptforderungen und
nicht der eigenständigen Rubrik "bis zur Unterzeichnung dieses Ersuchens entstandene Zinsen" zu, sondern erfasste
dort die Säumniszuschläge. Als Vollstreckbarkeitstermin wurde bei den Zinsen zur Einkommensteuer 1996 der 15.
Oktober 2001 und bei den entsprechenden Säumniszuschlägen auch der 15. Oktober 2001, der 9. Januar und der 23.
Mai 2002 angegeben. Für diese Positionen ist außerdem angegeben "unanfechtbar seit 05.10.2005". Der genannte
Vollstreckbarkeitstermin fast aller übrigen Forderungen liegt nach dem 22. Januar 2002. Das in griechischer Sprache
verfasste Beitreibungsersuchen wurde dem steuerlichen Vertreter des Klägers in Limassol zugestellt. Nach erfolglosem
Einspruchsverfahren --das FA sah in dem Beitreibungsersuchen eine behördeninterne Maßnahme-- wies das
Finanzgericht (FG) die auf Rücknahme des Beitreibungsersuchens gerichtete Klage als unbegründet ab. Das Ersuchen
sei zwar kein Verwaltungsakt, weil es an eine ausländische Behörde gerichtet und damit keine hoheitliche Maßnahme
sei, die Klage sei jedoch als auf Vornahme einer anderen Leistung i.S. des § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) gerichtete Leistungsklage zulässig. Mit den auf die Verletzung von Vorschriften der RL 76/308/EWG und der
Richtlinie 2002/94/EG (RL 2002/94/EG) der Kommission vom 9. Dezember 2002 zur Festlegung ausführlicher
Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der RL 76/308/EWG ... (AblEG Nr. L 337/41), zuletzt geändert
durch die Richtlinie 2006/84/EG der Kommission vom 23. Oktober 2006 (ABlEG Nr. L 362/99) gestützten
Einwendungen könne die Klage aber keinen Erfolg haben, da sich der Kläger im vorliegenden Verfahren gegen das
beklagte FA auf diese Vorschriften nicht berufen könne. Die Verletzung der RL 76/308/EWG und 2002/94/EG könnte
nur gegenüber dem BZSt mit Erfolg geltend gemacht werden. Unbeschadet dessen, dass --soweit es um
Beitreibungsersuchen an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) gehe-- keine Umsetzung in
unmittelbar verbindliches Recht erfolgt sei, weil das insoweit erlassene EG-Beitreibungsgesetz (EG-BeitrG) i.d.F. der
Bekanntmachung vom 3. Mai 2003 (BGBl I 2003, 654), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 13. Dezember
2007 (BGBl I 2007, 2897), nur den umgekehrten Fall der Vollsteckung von Geldforderungen im Inland erfasse, habe
sich zwar das Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der
Steuererhebung (Merkblatt) vom 19. Januar 2004 (BStBl I 2004, 66) selbst an die Vorgaben dieser Richtlinien
gebunden. Die Verantwortung für die Berücksichtigung dieser Vorgaben liege nach entsprechender Delegation (§ 5
Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes über die Finanzverwaltung --FVG--, Erlass vom 13. Dezember 1976, BStBl I 1977, 33) nun
allein beim BZSt. Deshalb komme es auf die vermeintlichen Mängel des Beitreibungsersuchens, nämlich ob
Säumniszuschläge vom Anwendungsbereich der RL 76/308/EWG erfasst würden, die Erfassung der Zinsen in einer
falschen Rubrik der Forderungsaufstellung erheblich sei sowie die Fünf-Jahres-Frist gemäß Art. 14 Abs. 2 RL
76/308/EWG eingehalten und somit die Mindestbetragsgrenze von 1.500 EUR nach Art. 25 Abs. 2 RL 2002/94/EG
erreicht worden sei, nicht an. Mit der Revision hält der Kläger daran fest, er habe einen Anspruch auf Rücknahme des
Beitreibungsersuchens gegen das FA. Das Ersuchen sei ein rechtswidriger Verwaltungsakt, da die Beitreibung von
Säumniszuschlägen in Art. 2 RL 76/308/EWG nicht vorgesehen sei und die Vollstreckungstitel sowohl zu den
Säumniszuschlägen als auch zu den Zinsen betreffend Einkommensteuer 1996 bei Erlass des Ersuchens älter als fünf
Jahre gewesen seien, so dass nach Art. 14 der Richtlinie keine Verpflichtung des ersuchten Staates zur Vollstreckung
bestanden habe. Die Umsatzsteuerforderungen nebst Zinsen seien bereits am 28. Oktober 2008 bezahlt worden. Da
das FA das rechtswidrige Ersuchen in die Wege geleitet habe und der einzige Ansprechpartner für den Kläger
gewesen sei, müsse ihm ein Rechtsanspruch auf Rücknahme gegen dieses FA zustehen. Das FA hält die
Entscheidung des FG im Ergebnis für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet.
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1. Die Revision scheitert nicht schon daran, dass das FG die Klage bereits als unzulässig hätte abweisen müssen.
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a) Das FG hat das FA zutreffend als den richtigen Beklagten angesehen. Nach § 63 Abs. 1 FGO ist die Klage gegen
die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen oder die den beantragten Verwaltungsakt
oder die andere Leistung unterlassen oder abgelehnt hat. Das FA ist in dem Beitreibungsersuchen ausdrücklich als
die ersuchende Behörde bezeichnet und hat außerdem die Rücknahme des Ersuchens gegenüber dem Kläger
abgelehnt. § 63 Abs. 1 FGO bestimmt ohne Ansehen des rechtlichen Inhalts des streitigen Rechtsverhältnisses, wer zu
verklagen ist, d.h. die Prozessführungsbefugnis. Davon zu unterscheiden ist die Sach- oder Passivlegitimation, die die
Frage beantwortet, ob der Beklagte nach dem materiellen Recht auch der Anspruchsverpflichtete ist.
Dementsprechend hat der Bundesfinanzhof (BFH) für eine Klage auf Unterlassung einer Auskunft an eine
ausländische Steuerbehörde nicht die Prozessführungsbefugnis des FA, sondern seine Passivlegitimation verneint,
weil das FA für die streitige Auskunft unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zuständig gewesen sei (Urteil vom 23.
Juli 1986 I R 306/82, BFHE 148, 1, BStBl II 1987, 92). Das FG allerdings spricht, indem es die Beklagtenstellung des
FA gemäß § 63 Abs. 1 FGO bejaht, offensichtlich in Anlehnung an die Gleichstellung der Begriffe "Passivlegitimation
(Prozessführungsbefugnis des Beklagten)" im BFH-Beschluss vom 19. Mai 2008 V B 29/07 (BFH/NV 2008, 1501)
davon, das FA sei "passivlegitimiert". Lediglich klarstellend sei angemerkt, dass dieser Begriff in diesem
Zusammenhang ebenso wie seine Verwendung in dem Senatsurteil vom 26. Februar 1980 VII R 60/78 (BFHE 130, 12,
BStBl II 1980, 1199) missverständlich ist (wie hier z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. August 2007 IV B 98/06, BFH/NV
2007, 2322; vom 6. März 2000 II B 48/99, BFH/NV 2000, 1112).
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b) Das FG hat auch zutreffend das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für seine Leistungsklage auf Rücknahme des
Beitreibungsersuchens bejaht.
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Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des FG Düsseldorf (Beschluss vom 13. September 1989 5 V 364/89 AE,
Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 646), dass ein solches Ersuchen als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.
Zum Einen ergeht es schon der äußeren Form nach nicht als Verwaltungsakt. Als Ersuchen an eine Behörde eines
Mitgliedstaates fehlt es der Maßnahme darüber hinaus auch an einer Regelung i.S. des § 118 der Abgabenordnung
(AO). Die darin enthaltenen Daten werden nicht festgestellt, sondern lediglich mitgeteilt. Das gilt auch für die nach Rz.
2.2.2.1 des Merkblattes abzugebende Erklärung, dass die Voraussetzungen für das Vollstreckungsersuchen
vorliegen. Zwar sieht die Rechtsprechung des Senats in den für die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen
erforderlichen Anträgen an das (inländische) Vollstreckungsgericht oder Grundbuchamt Verwaltungsakte, weil sie die
Bestätigung enthalten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen (z.B. Senatsbeschluss
vom 15. Dezember 1992 VII B 131/92, BFH/NV 1993, 460). Die Bestätigung nach Rz. 2.2.2.1 des Merkblattes ist aber -
-auch wenn der Wortlaut dies nahelegt-- mit der Bestätigung der Vollstreckungsvoraussetzungen bei Anträgen an das
Vollstreckungsgericht oder das Grundbuchamt nicht gleichzusetzen. Denn Letztere ist eine nach § 322 Abs. 3 Satz 2
AO zwingende Voraussetzung für das Tätigwerden des Vollstreckungsgerichts, da "diese Fragen nicht der Beurteilung
des Vollstreckungsgerichts oder des Grundbuchamts (unterliegen)" (§ 322 Abs. 3 Satz 3 AO). Das Grundbuchamt hat
vielmehr ohne Weiteres aufgrund des Ersuchens die gewünschte Eintragung vorzunehmen (§ 38 der
Grundbuchordnung). Eine solche Bedeutung kommt der Bestätigung nach Rz. 2.2.2.1 des Merkblattes nicht zu. Sie
dient vielmehr nur der Information der ausländischen Behörde, die selbst entscheidet, ob und welche
Vollstreckungsmaßnahmen sie ergreift. Ob die inländischen Vollstreckungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen, ist
und bleibt in dem zugrunde liegenden Steuerrechtsverhältnis zwischen Kläger und FA zu klären, während die
ersuchte ausländische Behörde ggf. Vollstreckungsvoraussetzungen nach dortigem Recht prüft (vgl. Art. 12 RL
76/308/EWG).
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Andererseits handelt es sich bei dem ins Ausland übermittelten Ersuchen aber auch nicht um einen rein
behördeninternen Vorgang. Dies folgt schon daraus, dass mit dem Ersuchen die Vollstreckung im Ausland eingeleitet
wird und dabei steuerliche Verhältnisse des Klägers offen gelegt werden. Ist das Ersuchen, wie im Streitfall, bereits
erfolgt, muss dem Kläger jedenfalls die Möglichkeit verbleiben, gerichtlich nachprüfen zu lassen, ob die Behörde die
Voraussetzungen für die Übermittlung des Ersuchens eingehalten hat und, sollte dies nicht der Fall sein, die Behörde
zu zwingen, das Beitreibungsersuchen zurückzunehmen, um damit die Vollstreckung im Ausland zu stoppen. An der
gerichtlichen Überprüfung dieser Rechtslage hat der Kläger somit ein geschütztes Interesse, das er mit der
Leistungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO verfolgen kann.
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2. Die Revision scheitert ferner auch nicht daran, dass der Kläger die vermeintliche Rechtswidrigkeit des streitigen
Beitreibungsersuchens daraus herleitet, das FA habe Regelungen der RL 76/308/EWG und 2002/94/EG verletzt. Zwar
kann eine Revision nach § 118 Abs. 1 FGO nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer
Verletzung von Bundesrecht beruhe. Wie das FG zutreffend erkannt hat, sind diese Richtlinien durch das EG-BeitrG
nur hinsichtlich der Vollstreckung von Geldforderungen, die in anderen Mitgliedstaaten der EG entstanden sind, in
innerstaatliches Recht umgesetzt worden (§ 1 Abs. 2 EG-BeitrG), so dass es im Streitfall nicht um die unmittelbare
Anwendung dieser Richtlinien geht.
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Die Finanzbehörden können aber gemäß § 117 Abs. 1 AO zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe nach Maßgabe
des deutschen Rechts in Anspruch nehmen. Dazu macht das BMF unter Tz. 2 des vom FG zitierten Merkblattes zur
zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung die Regelungen der Richtlinien zur Grundlage auch für
"Ausgehende Ersuchen". Die Revisibilität von Entscheidungen auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften hat der
Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte für den Fall anerkannt, dass die
Bedeutung der Vorschrift über die einer bloßen Anweisung für den inneren Dienstbetrieb hinausgeht, weil sie eine im
Gesetz nur allgemein festgelegte Rechtspflicht durch bestimmte und für alle gleichgelagerten Fälle allgemein
geltende Regel konkretisiert und damit das Ermessen der Verwaltung mit Außenwirkung bindet (Selbstbindung der
Verwaltung, vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 1976 VII R 40/73, BFHE 118, 492, BStBl II 1976, 457, m.w.N.). Mit dem
FG ist davon auszugehen, dass das Merkblatt eine solche Außenwirkung entfaltet, weil es die Voraussetzungen, unter
denen ein Beitreibungsersuchen gestellt werden darf, konkretisiert.
10 3. Der Kläger verfolgt seinen Anspruch auch zu Recht gegenüber dem FA. Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG,
dass das BZSt für den Erlass des Beitreibungsersuchens zuständig sei. Die Argumentation, dass dies eine Folge der
gesetzlichen Aufgabenübertragung nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG sei, ist nicht überzeugend. Danach ist dem BZSt u.a. die
Ausübung der Funktion der zuständigen Behörde auf dem Gebiet der steuerlichen Rechts- und Amtshilfe übertragen,
soweit das zuständige Bundesministerium seine Befugnisse in diesem Bereich delegiert, wie es mit der Übertragung
des Teilbereichs "Vollstreckungs- und Zustellungssachen" aus der Aufgabe "Internationale Rechts- und Amtshilfe"
durch Erlass vom 13. Dezember 1976 (BStBl I 1977, 33) geschehen ist. Zwar ist es richtig, dass damit das BZSt als
ersuchende Behörde i.S. des Art. 3 RL 76/308/EWG, d.h. im Verhältnis zu dem ersuchten Mitgliedstaat, gilt. Das
besagt aber nichts darüber, welche Behörde das Ersuchen erlässt und dem Vollstreckungsschuldner gegenüber für
die Einhaltung der Vorgaben des Merkblattes verantwortlich ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 FVG sind die Finanzämter als
örtliche Landesbehörden für die Verwaltung der Steuern zuständig. Das BZSt ist demgegenüber für den
Rechtsverkehr mit dem Mitgliedstaat zuständig, es "übermittelt", wie in Tz. 1.4.1 des Merkblattes formuliert, inländische
Ersuchen an die zuständige ausländische Behörde und achtet auf die Einhaltung der durch die EG-Vorschriften
aufgestellten Voraussetzungen. In Tz. 2.1 des Merkblattes heißt es, "Finanzämter können an Finanzbehörden der in
der Anlage 1 aufgeführten Staaten Ersuchen der in Tz. 1.3 genannten Art richten". Daraus ergibt sich, dass dem BZSt
die Funktion einer "Kontakt- oder Verbindungsstelle" für die Abwicklung des Ersuchens mit dem Ausland zukommt, die
darauf zu achten hat, dass die formalen Voraussetzungen für das jeweilige Ersuchen erfüllt sind. Das BZSt ist nach
den vom Kläger vorgelegten Schreiben offenbar selbst der Auffassung, dass ihm aufgrund der Funktionsübertragung
lediglich die Zusammenarbeit mit dem Ausland und die Prüfung der formalen Voraussetzungen des
Beitreibungsersuchens obliegt, während für die Rücknahme eines Ersuchens --wie für die sonstigen Aufgaben der
Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung von Steuerforderungen-- das jeweilige FA zuständig sei. Auch das beklagte
FA geht von seiner Zuständigkeit aus, da es sich in dem streitigen Beitreibungsersuchen selbst als die ersuchende
Behörde bezeichnet.
11 Entgegen der Auffassung des FG lässt sich die Zuständigkeit des BZSt nicht damit begründen, dass nach der
Rechtsprechung des I. Senats des BFH im Bereich der zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in
Steuersachen Rechtsbehelfe gegen Auskünfte an ausländische Behörden nicht gegen das örtlich zuständige FA,
sondern gegen das BMF bzw. BZSt zu richten sind, sofern die Zuständigkeit nicht auf eine untergeordnete Behörde
verlagert wurde. Die zitierten Entscheidungen enthalten keine grundsätzlichen Ausführungen zur ausschließlichen
Zuständigkeit des BMF bzw. BZSt. In dem Beschluss vom 29. Oktober 1986 I B 28/86 (BFHE 147, 492, BStBl II 1987,
440) ging es allein darum, die Weiterleitung eines Auskunftsersuchens durch das BMF vorläufig zu verhindern. Im
Verfahren I B 35/05 (Beschluss vom 13. Januar 2006, BFH/NV 2006, 922) sollte dem BZSt untersagt werden, eine
beabsichtigte Spontanauskunft zu erteilen. In beiden Fällen stand demnach gerade die Übermittlung einer Auskunft
durch das BZSt im Vordergrund. Demgegenüber geht es im Streitfall um die Voraussetzungen eines
Beitreibungsersuchens. Nur bei dieser Frage kommt eine Differenzierung zwischen der sachlichen Zuständigkeit und
derjenigen der Übermittlung in Betracht.
12 4. Letztlich bleibt die Revision aber ohne Erfolg, denn das FG hat die Klage im Ergebnis zutreffend als unbegründet
abgewiesen, weil das Ersuchen nicht an den vom Kläger gerügten Mängeln leidet und auch darüber hinaus
Rechtsfehler nicht erkennen lässt.
13 a) Der Einwand, die Beitreibung von Säumniszuschlägen sei in Art. 2 RL 76/308/EWG nicht vorgesehen, trifft nur
insoweit zu, als Säumniszuschläge darin nicht ausdrücklich benannt sind. Nach dem Verständnis des BMF, wie es in
Tz. 2.2.2.1 4. Anstrich des Merkblattes zum Ausdruck kommt, sind die Säumniszuschläge den Zinsen zuzurechnen.
Dort heißt es u.a., das Vollstreckungsersuchen aufgrund der EG-Beitreibungsrichtlinien EG-BeitrRL ... enthält ...
Angaben über die Art und Höhe der Forderung ... aufgeschlüsselt nach Hauptforderung(en), Zinsen (einschließlich
Säumniszuschlägen) und Kosten. Unbeschadet dessen, dass diese Auffassung im Hinblick auf die Funktion des
Merkblattes als Selbstbindung der Verwaltung der Prüfung des Ersuchens zugrunde zu legen ist, ist sie nach
Auffassung des Senats auch zutreffend. Denn nach Art. 2 Buchst. e und g RL 76/308/EWG i.d.F. der Richtlinie
2001/44/EG des Rates vom 15. Juni 2001 (ABlEG Nr. L 175/17) findet diese Richtlinie Anwendung auf alle
Forderungen im Zusammenhang mit Einkommen-, Mehrwert- und Kapitalsteuern. Dazu gehören nach deutschem
Recht auch die Säumniszuschläge i.S. des § 240 AO. Die Auflistung der entsprechenden Beträge in der Rubrik Zinsen
steht dem nicht entgegen; sie erscheint vielmehr sachgerecht, da damit zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich
insoweit nicht um eine Hauptforderung handelt.
14 b) Auch die Tatsache, dass die Vollstreckungstitel zu den Säumniszuschlägen und zu den Zinsen betreffend
Einkommensteuer 1996 bei Erlass des Ersuchens älter als fünf Jahre waren, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des
Ersuchens. Abgesehen davon, dass --wie der Kläger selbst erkannt hat-- nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 RL
76/308/EWG im Fall von Altforderungen lediglich bestimmt ist, dass keine Verpflichtung des ersuchten Staates zur
Vollstreckung besteht, gilt die Befristung nach Satz 2 der Regelung bei Anfechtung der Forderung oder des
Vollstreckungstitels erst ab Feststellung der Unanfechtbarkeit durch den ersuchenden Staat. In Tz. 2.2.1.1. Buchst. d
des Merkblattes ist dementsprechend verfügt: "Bei Ersuchen aufgrund der EG-BeitrRL darf der Zeitraum zwischen der
Ausstellung des Vollstreckungstitels (Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis) oder der
Unanfechtbarkeit der Forderung bzw. des Vollstreckungstitels und dem Datum des Ersuchens nicht mehr als fünf
Jahre betragen (Artikel 14 Abs. 1 Buchstabe b EG-BeitrRL)". Nach den Feststellungen des FG erfüllen die
Säumniszuschläge und Zinsen betreffend Einkommensteuer 1996 diese Voraussetzung. In der dem Ersuchen
beigefügten Forderungsaufstellung ist zu den Säumniszuschlägen und Zinsen betreffend Einkommensteuer 1996
vermerkt, dass sie seit 5. Oktober 2005 unanfechtbar sind.
15 c) Schließlich ist der Hinweis des Klägers, die Umsatzsteuerforderungen nebst Zinsen seien bereits am 28. Oktober
2008 bezahlt worden, im vorliegenden Revisionsverfahren unbeachtlich. Das FG hat Zahlungen des Klägers in
seinem Urteil vom 29. Oktober 2008 nicht festgestellt. Eine Berücksichtigung dieses Vorbringens wäre, wenn der
Kläger das FG vor Erlass des Urteils noch darüber informiert haben sollte, nur in einem Antrag an das FG auf
Berichtigung des Tatbestands binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils (§ 108 FGO) möglich gewesen.
Andernfalls ist der Vortrag im Revisionsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen.