Urteil des BFH vom 08.01.2009

BFH: rüge, reserven, stillen, eigentum, vertragserfüllung, personengesellschaft, verzicht, unterlassen, zivilprozessordnung, buchführung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.1.2009, VIII B 175/07
Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen Divergenz und wegen eines Verfahrensmangels wegen Nichterhebung
eines angebotenen Zeugenbeweises
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO-- (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) und des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO
(Verfahrensmangel) sind nicht gegeben.
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1. Eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO wegen Divergenz setzt voraus, dass das Finanzgericht
(FG) in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts, das über dieselbe Rechtsfrage entschieden
hat, abgewichen ist, die abweichend beantwortete Rechtsfrage für beide Entscheidungen rechtserheblich war, die
Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, die vom FG abweichend
beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
(BFH) zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2007 IV B 163/06, BFH/NV
2008, 212).
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Allerdings ist nicht stets erforderlich, dass das FG den abweichenden Rechtssatz in den Urteilsgründen ausdrücklich
formuliert hat. Er kann auch konkludent in scheinbar nur fallbezogenen Rechtsausführungen ausgesprochen sein.
Eine Abweichung kann deshalb auch vorliegen, wenn das FG einem bestimmten Sachverhalt eine andere
Rechtsfolge beigemessen hat als sie der BFH zu einem im Wesentlichen gleichen Sachverhalt ausgesprochen hat
(BFH-Beschluss vom 19. Februar 2008 VIII B 49/07, BFH/NV 2008, 1158, m.w.N.).
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2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend machen, das
FG sei von dem Beschluss des BFH vom 20. Dezember 2005 X B 128/05 (BFH/NV 2006, 704) abgewichen. Ob ein
Wirtschaftsgut abweichend von dem Grundsatz des § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) einem anderen als
dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen ist, bestimmt sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall
(vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2001 II R 32/99, BFH/NV 2002, 469). Eine Divergenz ist deshalb in einem solchen
Fall nur gegeben, wenn der Sachverhalt der Vorentscheidung mit dem der angeführten Divergenzentscheidung in
allen wesentlichen Einzelheiten übereinstimmt. Weder aus der Beschwerdebegründung noch aus den Gründen des
Beschlusses in BFH/NV 2006, 704 ist jedoch ersichtlich, dass der BFH dort über die Frage der steuerrechtlichen
Zurechnung eines unter Nießbrauchsvorbehalt übertragenen Grundstücks im Veranlagungszeitraum vor der
Eigentumsumschreibung zu entscheiden hatte. Nur dann könnte dem angeführten BFH-Beschluss der Rechtssatz
entnommen werden, dass bei unentgeltlicher Übertragung eines Grundstücks unter Vorbehalt des lebenslänglichen
Nießbrauchs das wirtschaftliche Eigentum stets erst mit dem zivilrechtlichen Vollerwerb, d.h. erst mit der
Eigentumsumschreibung im Grundbuch, auf den Erwerber übergeht.
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3. Soweit die Kläger rügen, das FG sei von der ständigen Rechtsprechung des BFH zum Zeitpunkt der
Gewinnrealisierung bei Grundstücksgeschäften abgewichen, haben sie zwar dargelegt, dass der BFH in den
angeführten Urteilen den Rechtssatz aufgestellt habe, das wirtschaftliche Eigentum gehe grundsätzlich mit dem
Erwerb von Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten über. Aus dem angefochtenen Urteil des FG ergibt sich jedoch kein
davon abweichender abstrakter Rechtssatz. Vielmehr machen die Kläger insoweit im Ergebnis nur geltend, das FG
habe die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung unzutreffend auf den Streitfall angewendet. Darin läge jedoch
allenfalls ein Subsumtionsfehler, der als materieller Rechtsfehler im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht
berücksichtigt werden kann.
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4. Die Kläger tragen ferner vor, das angefochtene Urteil weiche mit der Rechtsbehauptung, die von den Klägern
beanspruchte Steuervergünstigung nach § 24 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) i.V.m. § 34 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) sei zu versagen, weil die hierfür erforderliche Einbringungsbilanz und
Eröffnungsbilanz nicht zeitnah aufgestellt worden sei, von dem Urteil des BFH vom 5. April 1984 IV R 88/80 (BFHE
141, 27, BStBl II 1984, 518) ab. Der BFH habe in dem genannten Urteil den Rechtssatz aufgestellt, der
Einbringungsgewinn sei bei Einbringung einer freiberuflichen Praxis, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele,
auf der Grundlage einer Einbringungs- und Eröffnungsbilanz zu erstellen. Danach genüge es, wenn der
Übergangsgewinn von der Einnahmen-Überschussrechnung zum Betriebsvermögensvergleich nach den
Grundsätzen der Bilanzierung ermittelt würde. Dies sei im Streitfall geschehen.
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Der BFH hat in dem genannten Urteil indes keinen Rechtssatz mit dem von den Klägern behaupteten Inhalt
aufgestellt. Vielmehr hat der BFH im Urteil in BFHE 141, 27, BStBl II 1984, 518 entschieden, dass die
Steuervergünstigung des § 24 UmwStG i.V.m. § 34 EStG von Steuerpflichtigen mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3
EStG nur beansprucht werden kann, wenn auf den Zeitpunkt der Einbringung eine Einbringungs- und
Eröffnungsbilanz eingereicht wird.
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5. Allerdings machen die Kläger zu Recht geltend, das FG sei mit dem von ihm aufgestellten Rechtssatz, für die
Inanspruchnahme der Steuervergünstigung des § 24 UmwStG i.V.m. § 34 EStG müssten sowohl die Einbringungs-
wie die Eröffnungsbilanz zeitnah eingereicht werden, von dem Urteil des Hessischen FG vom 17. Januar 2001 1 K
2654/97 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 700) abgewichen. Es trifft zu, dass das Hessische FG in der
genannten Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt hat, für den Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts nach § 24
Abs. 3 UmwStG bestehe mangels einer anderweitigen gesetzlichen Regelung keine Frist, so dass das Wahlrecht
grundsätzlich bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Steuerbescheids ausgeübt werden könne. Die
nachträgliche Aufstellung und Vorlage der Einbringungs- und Eröffnungsbilanz sei insbesondere dann unbedenklich,
wenn in der Buchführung der Personengesellschaft die stillen Reserven bereits aufgedeckt worden seien.
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Gleichwohl rechtfertigt diese Abweichung nicht die Zulassung der Revision, weil sie für die Entscheidung des FG nicht
entscheidungserheblich ist. Denn das FG hat die Tarifbegünstigung des § 24 UmwStG i.V.m. § 34 EStG aus mehreren
Gründen versagt, von denen jeder für sich die Entscheidung trägt. In einem solchen Fall kann die Revision nur
zugelassen werden, wenn für sämtliche der die Entscheidung tragenden Gründe Zulassungsgründe i.S. des § 115
Abs. 2 FGO gegeben sind (BFH-Beschluss vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524). Im Streitfall
hat das FG die Voraussetzungen für die Steuervergünstigung des § 24 UmwStG i.V.m. § 34 EStG nicht nur deshalb
verneint, weil die Kläger die Einbringungs- und Eröffnungsbilanz erst mehrere Jahre nach dem Zeitpunkt der
Einbringung vorgelegt haben, sondern auch deshalb, weil in der Eröffnungsbilanz der GbR die eingebrachten
Wirtschaftsgüter nicht mit dem Teilwert angesetzt worden seien. Denn die stillen Reserven des eingebrachten Betriebs
seien nicht vollständig, sondern nur zu 94 % aufgedeckt worden. Hinsichtlich dieser Begründung des FG ist kein
Zulassungsgrund ersichtlich.
10 Die insoweit erhobene Verfahrensrüge, das FG habe den angebotenen Zeugenbeweis nicht erhoben und damit seine
Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) verletzt, greift nicht durch. Da es sich bei § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO um eine
Verfahrensvorschrift handelt, auf deren Einhaltung der fachkundig vertretene Prozessbeteiligte --ausdrücklich oder
durch Unterlassen einer Rüge in der mündlichen Verhandlung-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der
Zivilprozessordnung), muss zur Bezeichnung des Verfahrensmangels grundsätzlich vorgetragen werden, dass die
Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder weshalb
eine solche Rüge nicht möglich gewesen sein soll (BFH-Beschlüsse vom 30. Dezember 2002 XI B 58/02, BFH/NV
2003, 787; vom 28. Juli 2008 VIII B 189/07, juris). Von einem Rügeverzicht ist bereits dann auszugehen, wenn zur
mündlichen Verhandlung kein Zeuge geladen worden ist und damit für den Kläger erkennbar ist, dass das FG die
beantragte Zeugenvernehmung nicht durchzuführen beabsichtigt; wird dies in der mündlichen Verhandlung nicht
gerügt, so liegt darin ein Verzicht auf die Geltendmachung des Verfahrensverstoßes der unterlassenen
Beweiserhebung (BFH-Beschluss vom 11. August 2006 VIII B 322/04, BFH/NV 2006, 2280, m.w.N.). Die Kläger haben
hierzu innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nichts vorgetragen. Auch aus dem angefochtenen Urteil und aus
der Sitzungsniederschrift des FG vom 31. Januar 2007 ergibt sich eine derartige Rüge nicht.
11 6. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen Abweichung des FG von dem Urteil des BFH vom 16. Februar 1995 IV
R 29/94 (BFHE 177, 389, BStBl II 1995, 635) zuzulassen. In der genannten Entscheidung hat der BFH entschieden, im
Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sei der Erlös aus dem Verkauf eines einzelnen Wirtschaftsguts
des Anlagevermögens erst im Jahr des Zuflusses des Veräußerungserlöses als Betriebseinnahme anzusetzen. Das
FG hat im angefochtenen Urteil keinen davon abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Denn der Streitfall betrifft nicht
den Verkauf eines einzelnen Wirtschaftsguts, sondern die Einbringung einer freiberuflichen Einzelpraxis in eine
Sozietät. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich in einem solchen Fall der Zeitpunkt der
Gewinnrealisierung nach der wirtschaftlichen Vertragserfüllung durch den Veräußerer bestimmt (vgl. auch BFH-Urteil
vom 23. Januar 1992 IV R 88/90, BFHE 167, 78, BStBl II 1992, 525; Schmidt/Wacker, EStG, 27. Aufl., § 18 Rz 222).