Urteil des BFH vom 08.12.2008

BFH: Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung: Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer beanstandeten Norm, Voraussetzung für Erlass wegen persönlicher Billigkeitsgründe, grundstück, vollstreckung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.12.2008, VII B 81/08
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung: Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer beanstandeten Norm -
Verfahrensmangel: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Entscheidungsfindung - Voraussetzung für
Erlass wegen persönlicher Billigkeitsgründe
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat erhebliche Steuerschulden. Seit 2001 versucht der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) diese beizutreiben. Nachdem mehrere Vollstreckungsmaßnahmen ohne
Erfolg geblieben waren, beantragte das FA im Januar 2004 die Eintragung einer Sicherungshypothek auf einem im
Eigentum des Klägers und dessen Ehefrau stehenden Grundstück hinsichtlich des hälftigen Miteigentumsanteils des
Klägers. Nachdem das FA einen Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge abgelehnt hatte, trug das Amtsgericht die
Sicherungshypothek in das Grundbuch ein.
2 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Antrag auf Eintragung der
Sicherungshypothek rechtmäßig sei und dass der Kläger keinen Anspruch auf einstweilige Einstellung der
Vollstreckung nach § 258 der Abgabenordnung (AO) habe. Die der Eintragung der Sicherungshypothek zu Grunde
liegenden Steuer- und Zinsforderungen beliefen sich auf … EUR. Die Rückstandshöhe ergebe sich hinreichend aus
der Vollstreckungsakte. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Antrag auf Eintragung der Sicherungshypothek nach
§ 322 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 4, § 249 AO i.V.m. § 867 der Zivilprozessordnung (ZPO) seien im Streitfall erfüllt.
Angesichts der Erfolglosigkeit der Vollstreckungsversuche sei die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des
Klägers unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Insgesamt erweise sich die getroffene
Maßnahme als ermessensfehlerfrei. Es sei nicht ersichtlich, dass eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung
geeignet wäre, eine etwaige Unbilligkeit zu beseitigen.
3 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision. Dabei stützt er sich auf sämtliche in § 115 Abs.
2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Zulassungsgründe. Verfahrensfehlerhaft habe das FG keine
Feststellungen über die tatsächliche Höhe der Steuerrückstände getroffen und damit gegen den
Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen. In keinster Weise sei die Rückständeaufstellung des FA nachvollziehbar. Für das
Jahr 1995 ergebe sich sogar ein Steuerguthaben. Steuerbescheide habe sich das FG nicht vorlegen lassen. Zudem
habe das FG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Hätte es ordnungsgemäß ermittelt, wäre
erkennbar geworden, dass bereits Grundschulden in erheblicher Höhe auf dem Grundstück lasteten, so dass das FA
bei der Verteilung eines etwaigen Versteigerungserlöses leer ausgegangen wäre. Schließlich habe das FG im Rahmen
der Beurteilung persönlicher Billigkeitsgründe nach § 227 AO den schlechten Gesundheitszustand des Klägers außer
Acht gelassen. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob das der Altersversorgung dienende Einfamilienhaus
unter den gesetzlich neu geregelten Pfändungsschutz des § 851c ZPO falle. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sich
der Pfändungsschutz nur auf Versicherungsverträge erstrecken solle. Folglich liege eine gleichheitswidrige
Ungleichbehandlung der Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen gegenüber der Altersvorsorge in Form von
Immobilien und Wertpapieren vor.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erfordert
substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer konkreten Rechtsfrage, der auch
Bedeutung für die Allgemeinheit zukommt. Darzulegen ist, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von
der Klärung einer zweifelhaften und umstrittenen Rechtslage abhängt. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit
den Äußerungen im Schrifttum und ggf. mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen befassen. Dabei kann die bloße
Behauptung, eine Norm sei verfassungswidrig, nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
führen, sofern diese nicht offenkundig ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Februar 2002 XI B 39/01,
BFH/NV 2002, 1035, m.w.N.). Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, muss der
Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift den behaupteten Verfassungsverstoß im Einzelnen darlegen. Erforderlich
ist hierzu eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) orientierte rechtliche Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil
(BFH-Beschlüsse vom 26. September 2002 VII B 270/01, BFH/NV 2003, 480, und vom 3. April 2001 VI B 224/99,
BFH/NV 2001, 1138).
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Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Ohne sich mit der Rechtsprechung des BVerfG zur
Ausprägung und zum Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) zu befassen, behauptet der
Kläger lediglich einen gleichheitswidrigen Zugriff auf den der Altersversorgung dienenden Immobilienbesitz und
fordert eine verfassungskonforme Auslegung von § 851c ZPO. Mit dem Vorbringen, es sei nicht nachvollziehbar,
weshalb mit dem Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge nur Versicherungsverträge, nicht aber
Immobilienanlagen geschützt werden sollen, so dass aufgrund der Untätigkeit des Gesetzgebers eine teleologische
Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 851c ZPO geboten sei, und der Bezugnahme auf einen einzigen, dem
Gericht in Kopie überlassenen Aufsatz zum Thema des Pfändungsschutzes der Altersvorsorge von Selbständigen,
wird der behauptete Verfassungsverstoß nicht substantiiert belegt.
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2. Hinsichtlich der Feststellung der Höhe der rückständigen Steuerforderungen liegt der vom Kläger gerügte
Verfahrensverstoß der mangelhaften Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht vor. In der Urteilsbegründung hat das FG
ausdrücklich darauf verwiesen, dass sich aus der Vollstreckungsakte hinreichend die Rückstandshöhe und deren
Entwicklung bis zum streitigen Antrag auf Eintragung der Sicherungshypothek ergebe. Den danach festgestellten
Rückstand hat das FG betragsmäßig genau beziffert. Aus der maßgeblichen Sicht des FG musste sich ihm daher das
Erfordernis einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht aufdrängen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch keine Beweisanträge zur Ermittlung der
genauen Höhe der Steuerrückstände gestellt, obwohl unter Zugrundelegung der Auffassung des Klägers Anlass dazu
bestanden hätte.
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3. Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen zu belegen versucht, dass die Aufstellung der Rückstände durch das
FA nicht nachvollziehbar und dass das FG zu einer unzutreffenden Feststellung dieser Rückstände gelangt ist, wendet
er sich gegen die Sachverhaltswürdigung durch das FG, das die Rückstände anhand der Aktenlage ermittelt hat. Mit
diesem Vorbringen wird jedoch der behauptete Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt. Denn etwaige Mängel in
der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind dem materiellen Recht zuzuordnen.
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4. Hinsichtlich der vermeintlich verfahrensfehlerhaft unterlassenen Berücksichtigung der Vorbelastung des
Grundstücks mit Grundschulden verkennt die Beschwerde, dass das Urteil des FG nicht auf Aussagen über die Höhe
der Grundschulden beruht. Aus der Sicht des FG kam es auf die genaue Ermittlung der Höhe der auf dem Grundstück
lastenden Grundpfandrechte nicht an. Es hat dazu ausgeführt, dass der Eignung der angefochtenen
Vollstreckungsmaßnahme zur Beitreibung der Steuerrückstände der Umstand nicht entgegenstehe, dass bereits
mehrere Grundschulden auf dem Grundstück eingetragen worden seien. Auch mit der Behauptung, das FG habe
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, lässt sich die Darlegung eines Verfahrensmangels nicht
begründen. Denn mit diesem Vorbringen greift der Kläger die vermeintlich unzutreffende rechtliche Würdigung des FG
an, was jedoch zur Zulassung der Revision nicht führen kann.
10 5. Ein Verfahrensverstoß liegt auch nicht deshalb vor, weil das FG keinen Beweis über den Gesundheitszustand des
Klägers erhoben hat. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, weshalb sich dem FG das Erfordernis einer
entsprechenden Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen; sie führt lediglich aus, dass das FG auf den schlechten
Gesundheitszustand des Klägers hingewiesen worden sei. Dabei stellt der Kläger die nicht näher substantiierte
Behauptung auf, dass aufgrund des Gesundheitszustandes hinreichende Gründe für einen Billigkeitserweis nach §
227 AO vorgelegen hätten. Unberücksichtigt lässt der Kläger, dass ein Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit nur
dann in Betracht kommt, wenn sich der Erlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen noch auswirken
könnte (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2002 VII B 312/00, BFH/NV 2002, 889, m.w.N.). Dies hat das FG aber
gerade verneint. Im Übrigen hat der Kläger Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung, z.B. den Antrag auf
Einholung eines Sachverständigengutachtens, nicht gestellt und damit sein Rügerecht verloren.