Urteil des BFH vom 20.08.2010

Zur verlängerten Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung bei Eheleuten - rechtliches Gehör - Wechsel der ehrenamtlichen Richter - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Berufung auf Rechtsprechung zur Einkünfteerzielungsabsicht bei dauerhafter Vermietun

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 20.8.2010, IX B 41/10
Zur verlängerten Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung bei Eheleuten - rechtliches Gehör - Wechsel der
ehrenamtlichen Richter - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Berufung auf Rechtsprechung zur
Einkünfteerzielungsabsicht bei dauerhafter Vermietung
Gründe
1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ihre Begründung entspricht zum Teil nicht den Darlegungsanforderungen des §
116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); jedenfalls liegen die von den Klägern und Beschwerdeführern
(Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor.
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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die von den Klägern
aufgeworfenen Rechtsfragen sind zum einen bereits geklärt, zum anderen stellen sie sich nicht.
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a) Hinsichtlich der Frage der verlängerten Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 der
Abgabenordnung --AO--) bei Eheleuten genügt es nämlich für deren Anwendung, wenn (nur) einem der
zusammenveranlagten Ehegatten eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist. Hat sich ein Ehegatte darauf beschränkt,
die gemeinsame Steuererklärung nur zu unterschreiben, ohne zugleich selbst eine Steuerhinterziehung zu begehen,
so hindert das zwar eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nach § 71 AO (dazu Urteil des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 16. April 2002 IX R 40/00, BFHE 198, 66, BStBl II 2002, 501), ändert indes nichts an der Hinterziehung des
Steueranspruchs als solchem (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Februar 2008 VIII B 49/07, BFH/NV 2008, 1158, unter 2.
b; vom 30. März 2005 IV B 161/03, juris, m.w.N.). Dem stehen die BFH-Urteile vom 14. August 1991 X R 86/88 (BFHE
165, 458, BStBl II 1992, 128: keine zusammenveranlagten Eheleute) und vom 21. Oktober 1988 III R 194/88 (BFHE
155, 232, BStBl II 1989, 216: Einzelveranlagung) nicht entgegen. Relevante neue Aspekte, die eine nochmalige
Befassung mit der Frage rechtfertigen würden, sind nicht vorgetragen worden.
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Entsprechend geht auch die Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) --unabhängig von
einer hinreichenden Darlegung (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; dazu BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 2007 VIII B
180/05, BFH/NV 2007, 751; vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, unter 2. b, m.w.N.)-- ins Leere.
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b) Hinsichtlich der Einkünfteerzielungs- bzw. Vermietungsabsicht verkennen die Kläger zum einen, dass nach der
Systematik des Gesetzes und ständiger Rechtsprechung sich die Frage der Einkünfteerzielungsabsicht als subjektives
Tatbestandsmerkmal erst stellt, nachdem eine auf Einkünfteerzielung gerichtete Tätigkeit (als objektiver Tatbestand)
festgestellt wurde. Daran mangelt es aber im Streitfall, wenn das zugrunde liegende Mietverhältnis zwischen dem
Kläger und seiner Tochter steuerrechtlich wegen nicht nachgewiesener tatsächlicher Durchführung vom Finanzgericht
(FG) in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht anerkannt wurde (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. Juli
2004 IX R 73/01, BFH/NV 2005, 192, unter II. 4.; vom 31. Juli 2007 IX R 8/07, BFH/NV 2008, 350; jeweils zum
Fremdvergleich bei Mietverhältnissen unter nahen Angehörigen). Zum anderen können sich die Kläger nicht auf die
ständige BFH-Rechtsprechung zur unterstellten Einkünfteerzielungsabsicht bei auf Dauer angelegter
Vermietungstätigkeit berufen, weil mit der Vermietung des neuerbauten Objekts in den Streitjahren erst begonnen
werden sollte, eine vorherige Vermietung mit Indizwirkung also noch nicht stattgefunden hatte und der endgültige
Entschluss zur Einkünfteerzielung erst noch festgestellt werden musste (vgl. BFH-Urteile vom 14. Dezember 2004 IX R
1/04, BFHE 208, 235, BStBl II 2005, 211; vom 9. Februar 2002 IX R 47/99, BFHE 199, 417, BStBl II 2003, 580).
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c) Auf die zum Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 81 FGO) gestellten Rechtsfragen kommt es mangels Klärungsfähigkeit
und aus den nachfolgend unter 2. c genannten Gründen nicht an.
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2. Das Urteil des FG ist auch nicht verfahrensfehlerhaft ergangen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) wegen
unterlassener persönlicher Ladung der Klägerin zur mündlichen Verhandlung ist nicht gegeben. Kläger und Klägerin
sind ausweislich der Akten (Bl. 305 bis 307a, Bl. 415, 416 FG-Akte Bd. II) über ihre Prozessbevollmächtigten zu den
beiden mündlichen Verhandlungen vom November 2009 und Januar 2010 geladen worden. Dass das persönliche
Erscheinen (§ 80 Abs. 1 Satz 1 FGO) der Klägerin --anders als das des Klägers für den Januar-Termin-- nicht
angeordnet wurde, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.
August 2009 X B 14/09, Zeitschrift für Steuern & Recht 2009, R 1144; vom 18. Dezember 2009 III B 118/08, BFH/NV
2010, 665). Der Klägerin blieb es unbenommen, den jeweiligen Termin --neben ihren Prozessbevollmächtigten, wie
der Kläger im November-Termin-- gleichwohl persönlich wahrzunehmen. Die Verhandlungstermine hat die Klägerin
indes nicht wahrgenommen.
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b) Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO) ist nicht gemäß §
116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt. Denn Tatsachen dazu, dass die in der mündlichen Verhandlung am 20.
Januar 2010 anwesenden zwei ehrenamtlichen Richter nicht nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans des FG
und der dazugehörigen (Haupt-)Liste bzw. Hilfsliste (§ 27 FGO) dem erkennenden FG-Senat zugeteilt oder willkürlich
zur dieser Sitzung herangezogen wurden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
10 c) Soweit die Kläger eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und damit zugleich
einen Verstoß gegen § 103 FGO rügen, weil die ehrenamtlichen Richter des Januar-Termins nicht auch an der
vorangehenden Sitzung im November teilgenommen haben, greift dieser verfahrensrechtliche Einwand nicht durch.
11 Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besagt, dass das erkennende Gericht grundsätzlich selbst die
erforderlichen Beweise in der mündlichen Verhandlung erheben muss (§ 81 Abs. 1 FGO), insbesondere kann das
Urteil nur von den (Berufs-)Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde
liegenden Verhandlung teilgenommen haben (§ 103 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH und anderer
oberster Bundesgerichte bezieht sich das Tatbestandsmerkmal "der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung",
das nach § 103 FGO den gesetzlichen Richter bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung, d.h. auf den letzten
Verhandlungstag vor Ergehen des Urteils. Danach ist bei mündlicher Verhandlung an mehreren --im Streitfall: zwei--
Sitzungstagen ein Richterwechsel (hier: der ehrenamtlichen Richter) nach Beweisaufnahme und Vertagung (s.
Sitzungsprotokoll vom 25. November 2009 S. 7, Bl. 408 FG-Akte Bd. II) --anders als bei einer bloßen Unterbrechung--
der mündlichen Verhandlung unschädlich (so BFH-Beschlüsse vom 28. August 2006 V B 26/06, BFH/NV 2006, 2293;
vom 28. Juli 2008 IX B 13/08, BFH/NV 2008, 2029; vom 13. Januar 2010 I B 83/09, BFH/NV 2010, 913, jeweils m.w.N.),
zumal wenn die Aussagen der Zeugin durch Verlesen des Sitzungsprotokolls vom 25. November 2009 in die
mündliche Verhandlung im Januar 2010 eingeführt wurden (s. Sitzungsprotokoll vom 20. Januar 2010 S. 2, Bl. 466
FG-Akte Bd. II). Danach liegt ein Verstoß gegen § 103 FGO nicht vor.
12 Im Übrigen braucht der Senat zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, insbesondere zur Frage des
persönlichen Eindrucks (zur Glaubwürdigkeit der Zeugin und zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussage) der (in der letzten
mündlichen Verhandlung anwesenden) ehrenamtlichen Richter nicht abschließend Stellung zu nehmen; denn
vorliegend fehlt es insoweit an einer schlüssigen Rüge des geltend gemachten Verfahrensmangels. Bei einem
Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz handelt es sich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (§ 81 Abs. 1
FGO), auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge
verzichten kann (BFH-Beschluss vom 24. Mai 2006 V B 120/05, BFH/NV 2006, 2084; vom 22. April 2008 X B 67/07,
BFH/NV 2008, 1346). Vorliegend waren die Kläger an beiden Verhandlungstagen durch denselben
Prozessbevollmächtigten fachkundig vertreten. Trotzdem haben sie in der mündlichen Verhandlung am 20. Januar
2010, an der zwei andere ehrenamtliche Richter als im November 2009 teilgenommen haben (s.a. Sitzungsaushang,
Augenschein), nach Verlesen der Aussagen der Zeugin aus der mündlichen Verhandlung vom November 2009 und
nachdem die Beteiligten das Wort erhielten (s. Sitzungsprotokoll vom 20. Januar 2010 S. 2, Bl. 466 FG-Akte Bd. II),
rügelos zur Sache verhandelt und dadurch ihr Rügerecht verloren (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 der
Zivilprozessordnung; BFH-Beschluss vom 19. Mai 2009 VI B 8/08, BFH/NV 2009, 1454). Auch haben die Kläger nicht
vorgetragen, dass sie die nach ihrer Ansicht fehlende Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der mündlichen
Verhandlung am 20. Januar 2010 gerügt hätten oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich war (vgl. BFH-
Beschluss vom 7. September 2007 VI B 17/07, BFH/NV 2007, 2327).