Urteil des BFH vom 13.03.2017

BFH (lieferung, umsatzsteuer, ewg, eugh, richtlinie, erwerb, identifikationsnummer, mitgliedstaat, juristische person, erwerber)

BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 10.11.2010, XI R 11/09
EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung - Nichtverwendung und
Nichtaufzeichnung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer im Rahmen eines Reihengeschäfts - Korrespondenzprinzip
zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb - Rechtssicherheit und
Verhältnismäßigkeit
Leitsätze
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erlaubt die Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten, eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur dann
anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers buchmäßig nachweist?
2. Ist es für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung
- ob es sich bei dem Erwerber um einen in einem Drittland ansässigen Unternehmer handelt, der zwar den Gegenstand der
Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat versendet hat, aber in
keinem Mitgliedstaat umsatzsteuerrechtlich registriert ist, und
- ob der Steuerpflichtige die Abgabe einer Steuererklärung über den innergemeinschaftlichen Erwerb durch den Erwerber
nachgewiesen hat?
Tatbestand
1
I. Sachverhalt
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist umsatzsteuerrechtliche Organträgerin einer in Deutschland
ansässigen GmbH.
3
Die GmbH verkaufte im November 1998 zwei Maschinen (nebst Zubehör) an das US-amerikanische Unternehmen A
mit Sitz in M/USA. A hatte eine Niederlassung in Portugal, war aber in keinem Mitgliedstaat der Union für
umsatzsteuerrechtliche Zwecke registriert.
4
Nachdem die GmbH die A aufgefordert hatte, ihre Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mitzuteilen, antwortete die A,
sie habe die Maschinen an ein Unternehmen (Ltd.) in Finnland (weiter) veräußert und teilte der GmbH die
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer dieser Ltd. (FI ...) mit, die die GmbH auf ihre Richtigkeit überprüfte.
5
Die Maschinen wurden sodann am 14. Dezember 1998 von einer Spedition, die die A beauftragt hatte, bei der GmbH
abgeholt, nach L (Deutschland) verbracht und am 17. Dezember 1998 nach Finnland verschifft. Ob A in Finnland
einen innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt hat, ist nicht festgestellt.
6
Über die Lieferung der Maschinen erteilte die GmbH der A unter Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der
finnischen Ltd. am 14. Dezember 1998 eine Rechnung ohne Umsatzsteuer.
7
Die Klägerin behandelte diese Lieferung in ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1998 (Streitjahr) als steuerfrei.
8
Dagegen sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Lieferung als steuerpflichtig an, weil die
A als Erwerberin keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Bestimmungsmitgliedstaats oder eines anderen
Mitgliedstaats verwendet habe.
9
Das Finanzgericht wies die Klage mit entsprechender Begründung ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der
Finanzgerichte 2009, 1418 veröffentlicht.
10 Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs sei
Finnland, wo sich der Gegenstand am Ende der Beförderung befunden habe. Dort unterliege der Erwerb der
Maschinen der Umsatzbesteuerung (Erwerbsbesteuerung). Dafür komme es nicht darauf an, in welchem Land die
Erwerberin A ihren Sitz habe. Maßgeblich sei, dass der Erwerb der Maschinen ein in Finnland steuerbarer Vorgang
sei. Ein Nachweis, dass eine Erwerbsbesteuerung tatsächlich stattgefunden habe, müsse vom liefernden
Unternehmer hingegen nicht erbracht werden. Die Verwendung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sei keine
notwendige Voraussetzung dafür, dass die Lieferung der Maschinen in Finnland der Erwerbsbesteuerung unterliege;
ihr komme keine materiell-rechtliche Qualität zu.
11 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Vorentscheidung den Umsatzsteuerbescheid für 1998 dahingehend zu ändern, dass die
Umsatzsteuer um ... DM herabgesetzt wird,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur
Vorabentscheidung vorzulegen.
12 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
13 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es ist der Auffassung, die Steuerfreiheit
einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfordere, dass der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat für
Umsatzsteuerzwecke erfasst sei, also eine (ihm erteilte) Umsatzsteuer-Identifikationsnummer besitze, die er im
Rahmen des Umsatzes verwende. Das sei vorliegend nicht der Fall.
14 Hilfsweise regt das BMF an, die Sache dem EuGH zur Auslegung von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der
Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) vorzulegen.
Entscheidungsgründe
15 II. Der Senat legt die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts dem EuGH vor und setzt das
Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
16 1. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen
17 a) Nationales Recht
18 aa) Eine --gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie-- innergemeinschaftliche Lieferung
liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
19 (1) Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
befördert oder versendet,
20 (2) der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr
Unternehmen erworben hat oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber und
21 (3) der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den
Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
22 bb) Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom Unternehmer
nachgewiesen sein.
23 Dazu ist auf der Grundlage von § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG in § 17a Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -
-UStDV-- (BGBl I 1993, 600) geregelt worden, dass der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im
Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen muss, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand
der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat; dies muss sich aus den Belegen
eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben (sog. Belegnachweis).
24 Ferner bestimmt § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im
Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der Steuerbefreiung "einschließlich Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer des Abnehmers" buchmäßig nachweisen muss (sog. Buchnachweis). Die Voraussetzungen
müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
25 b) Unionsrecht
26 aa) Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.
Dezember 1991 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 376, S. 1) geänderten Fassung lautet:
27 "Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie
zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung
von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:
28 a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 und des Artikels 28a Absatz 5 Buchstabe a), die durch
den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten
Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen
anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als
solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der
Gegenstände handelt. ..."
29 bb) Nach Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG unterliegt der Mehrwertsteuer (auch) der
innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der gegen Entgelt im Inland "durch einen Steuerpflichtigen, der
als solcher handelt", bewirkt wird, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist und als solcher handelt und für ihn die
Steuerbefreiung gemäß Art. 24 der Richtlinie 77/388/EWG nicht gilt.
30 Als innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstandes gilt nach Art. 28a Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG die
Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen,
welcher durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als
dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den
Erwerber versendet oder befördert wird.
31 Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt nach Art. 28b Teil A Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG der Ort, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der
Beförderung an den Erwerber befinden.
32 cc) Nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen
Vorkehrungen, damit die dort näher bezeichneten Steuerpflichtigen eine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
erhalten.
33 Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sieht die Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in
Rechnungen vor.
34 Nach Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Gleichbehandlung der
von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie
als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu
vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim
Grenzübertritt führen.
35 2. Zur Rechtslage nach nationalem Recht
36 a) Die Lieferung der Maschinen von der GmbH an die A ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG in Deutschland
steuerbar. Die GmbH hat die Maschinen an die A gemäß § 3 Abs. 6 Sätze 1, 5 und 6 UStG im Inland (§ 1 Abs. 2 Satz 1
UStG) geliefert.
37 Die Beteiligten haben ein sog. Reihengeschäft (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG) vorgenommen. Mehrere Unternehmer (die
GmbH, die A und die finnische Ltd.) haben über dieselben Gegenstände (Maschinen) Umsatzgeschäfte geschlossen;
die Gegenstände sind durch Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Die
beteiligten Unternehmer führten zwei aufeinander folgende Lieferungen aus (vgl. EuGH-Urteil vom 6. April 2006 Rs.
C-245/04 --EMAG Handel Eder OHG--, Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-
- 2006, 342): eine Lieferung zwischen der GmbH und der A und eine Lieferung zwischen der A und der finnischen Ltd.
38 b) Ob die Lieferung der GmbH an die A nach nationalem Recht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei ist,
hängt auch davon ab, ob im Streitfall die Voraussetzung des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG erfüllt ist, dass der Erwerb
der Maschinen beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat (Finnland) "den Vorschriften der Umsatzbesteuerung"
unterlag.
39 Dieses Tatbestandmerkmal könnte gemäß der vom FA und vom BMF vertretenen Auffassung voraussetzen, dass der
Abnehmer bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung eine ihm erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
verwendet, damit die Finanzbehörden des Bestimmungsmitgliedstaats den Vorgang der Umsatzbesteuerung
unterwerfen können.
40 Die Steuerbefreiung könnte nach nationalem Recht auch daran scheitern, dass die Klägerin entgegen § 17c Abs. 1
Satz 1 UStDV die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der A nicht aufgezeichnet hat. Das konnte sie auch nicht, weil
A nicht unter einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten ist.
41 Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 27. September
2007 Rs. C-146/05 --Collèe-- (Slg. 2007, I-7861, BFH/NV Beilage 2008, 34, UR 2007, 813) die Steuerbefreiung nach §
4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG zu gewähren, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten
nach §§ 17a, 17c UStDV aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1
UStG vorliegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 59/03, BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57; BFH-
Beschluss vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, unter II.3., m.w.N.).
42 Es ist aber aus den nachfolgenden Gründen fraglich, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt auf die
Nichtverwendung und Nichtaufzeichnung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer anzuwenden ist.
43 3. Zur Anrufung des EuGH
44 a) Der Wortlaut von Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG verlangt für eine Steuerfreiheit einer
innergemeinschaftlichen Lieferung nicht, dass der Erwerber dabei unter einer ihm erteilten Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer handelt.
45 Zudem hat der EuGH festgestellt, "dass neben den Voraussetzungen in Bezug auf die Eigenschaft der
Steuerpflichtigen, die Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, und die
physische Verbringung der Gegenstände von einem Mitgliedstaat in einen anderen keine weitere Voraussetzung für
die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb von
Gegenständen aufgestellt werden kann" (vgl. EuGH-Urteil vom 27. September 2007 Rs. C-409/04 --Teleos u.a.--, Slg.
2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 70). Diese Voraussetzungen sind mithin abschließend.
46 b) Allerdings könnte die in Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG aufgestellte Bedingung,
dass der Erwerber ein "Steuerpflichtiger" ist, "der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat ... handelt", für eine
Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung voraussetzen, dass der Erwerber eine Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer besitzt und diese bei dem Erwerb auch tatsächlich verwendet und dass der die Steuerbefreiung
begehrende Unternehmer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in der Buchführung nachprüfbar aufgezeichnet
hat. Jedenfalls könnte das Unionsrecht die Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Regelung durch den
Einleitungssatz des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG, wonach die Befreiung unter den Bedingungen gewährt
wird, die die Mitgliedstaaten "zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden
Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen", oder durch
Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG ermächtigen.
47 aa) Dafür könnte sprechen, dass Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG seine Grundlage in der
Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel findet, in deren Rahmen die Besteuerung
des Handels zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz beruht, dass die Steuereinnahmen dem Mitgliedstaat
zustehen, in dem der Endverbrauch erfolgt. Auf diese Weise kann durch die Befreiung einer innergemeinschaftlichen
Lieferung im Mitgliedstaat des Beginns der innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung von
Gegenständen, welcher ein innergemeinschaftlicher Erwerb entspricht, der im Mitgliedstaat der Beendigung dieser
Versendung oder Beförderung besteuert wird, die Doppelbesteuerung und damit eine Verletzung des dem
gemeinsamen Mehrwertsteuersystems innewohnenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität vermieden werden
(vgl. EuGH-Urteil --Collèe-- in Slg. 2007, I-7861, BFH/NV Beilage 2008, 34, UR 2007, 813, Rz 22 und 23).
48 bb) Im Hinblick auf dieses Korrespondenzprinzip zwischen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung und
einem steuerbaren und steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb (vgl. dazu z.B. EuGH-Urteile --EMAG
Handel Eder OHG-- in Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294, UR 2006, 342, Rz 26 ff.; --Teleos u.a.-- in Slg.
2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 21 ff., 24; vom 22. April 2010 Rs. C-536/08 und C-539/08 --
X und Facet--, BFH/NV 2010, 1225, UR 2010, 418, Rz 30) könnte unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes
Voraussetzung für die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung jedenfalls die Möglichkeit der Verifizierung
der Erwerbsbesteuerung beim Empfänger anhand der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sein.
49 Dafür könnte möglicherweise auch die Aussage des EuGH angeführt werden, im Rahmen der Übergangsregelung für
den innergemeinschaftlichen Erwerb und die innergemeinschaftliche Lieferung sei es zur Sicherstellung einer
ordnungsgemäßen Erhebung der Mehrwertsteuer erforderlich, "dass die zuständigen Finanzbehörden unabhängig
voneinander prüfen, ob die Voraussetzungen für den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Befreiung der
entsprechenden Lieferung erfüllt sind" (vgl. EuGH-Urteil --Teleos u.a.-- in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25,
UR 2007, 774, Rz 71). Denn diese Prüfung kann die für den innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsland
zuständige Finanzbehörde nur dann vornehmen, wenn sie von dem fraglichen Umsatz überhaupt erfährt.
50 Auch durch die Regelung in Art. 28b Teil A Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Ort des
innergemeinschaftlichen Erwerbs das Gebiet des Mitgliedstaats gilt, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb
verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, wenn der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb
nach Maßgabe der Regelung in Abs. 1 dieses Artikels besteuert worden ist, soll sichergestellt werden, dass
Mehrwertsteuer auf den fraglichen Erwerb erhoben wird (vgl. EuGH-Urteil --X und Facet-- in BFH/NV 2010, 1225, UR
2010, 418, Rz 33).
51 cc) Allerdings müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer ihnen durch den Einleitungssatz des Art. 28c Teil A
der Richtlinie 77/388/EWG und durch Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Befugnisse die
allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der
Verhältnismäßigkeit gehören (vgl. EuGH-Urteile vom 27. September 2007 Rs. C-184/05 --Twoh International--, Slg.
2007, I-7897, BFH/NV Beilage 2008, 39, UR 2007, 782, Rz 25; --Teleos u.a.-- in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage
2008, 25, UR 2007, 774, Rz 45 ff.).
52 Im Hinblick darauf könnte es von Bedeutung sein, dass es sich im Streitfall bei dem Erwerber um einen in einem
Drittland ansässigen Unternehmer handelt, der zwar den Gegenstand der Lieferung im Rahmen eines
Reihengeschäfts von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat versendet hat, aber in keinem Mitgliedstaat
umsatzsteuerrechtlich registriert ist, und dass die GmbH die Abgabe einer Steuererklärung über den
innergemeinschaftlichen Erwerb durch den Erwerber nicht nachgewiesen hat.
53 dd) Die Klärung dieser entscheidungserheblichen Fragen durch Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG ist dem EuGH
vorbehalten; nur so kann eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des
Mehrwertsteuersystems verhindert werden (vgl. EuGH-Urteil vom 27. November 2003 Rs. C-497/01 --Zita Modes--,
Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128, Rz 32).
54 4. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union.
55 Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.