Urteil des BFH vom 21.08.2008

BFH: Nichtzulassungsbeschwerde: Fragen des Einzelfalls nicht grundsätzlich bedeutsam, hier: zu einer möglichen Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters einer GmbH, erlass, geschäftsführer, form

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 21.8.2008, VII B 254/07
Nichtzulassungsbeschwerde: Fragen des Einzelfalls nicht grundsätzlich bedeutsam - hier: zu einer möglichen
Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters einer GmbH
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin
einer GmbH & Co. KG (KG) war. Die KG befand sich in erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten. Für die Monate April bis
Juni 2002 zahlte die KG die Löhne an die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer noch in voller Höhe aus, unterließ jedoch
die Abführung der darauf entfallenden Lohnsteuern und steuerlichen Nebenleistungen. Im August 2002 wurde der
Kläger durch den alleinigen Gesellschafter der GmbH und zugleich alleinigen Kommanditisten der KG (G) mit sofortiger
Wirkung als Geschäftsführer abberufen. Im August 2002 stellte G den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der beiden Gesellschaften. Da eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der KG und der
GmbH erfolglos blieben, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger für die
rückständigen Abgaben gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung als Haftungsschuldner in Anspruch. Im
Einspruchsverfahren erhöhte das FA zunächst die Haftungssumme. Im Verlauf des Klageverfahrens nahm es den
angefochtenen Haftungsbescheid hinsichtlich der Lohnsteuern für den Monat Juni 2002 zurück.
2 Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger seine Pflichten als Geschäftsführer der
GmbH zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Auf eine Besserung der Liquiditätslage der KG habe er nicht vertrauen
dürfen. Der Haftungsbescheid sei nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil das FA den Alleingesellschafter G nicht
vorrangig oder zumindest gleichrangig im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen habe. Eine
Durchgriffshaftung komme nur ausnahmsweise bei einem gläubigerschädigenden und existenzvernichtenden Zugriff
des Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen in Betracht. Diese Voraussetzungen habe der Kläger bis zum
Erlass der Einspruchsentscheidung weder im Einzelnen dargelegt noch nachgewiesen. Die bloße Behauptung, G habe
durch eine überhöhte Pacht der KG Vermögen und Liquidität entzogen, genügte insoweit nicht. Da der Kläger Belege
für Privatentnahmen des G erst im Klageverfahren vorgelegt habe, könnten diese keine Berücksichtigung finden.
Deshalb könne es dahinstehen, ob diese Entnahmen als gläubigerschädigend gewertet werden könnten. Schließlich
sei zu berücksichtigen, dass im Streitfall nicht der GmbH, sondern der KG Vermögenswerte entzogen worden seien,
denn die vorgelegten Unterlagen wiesen Zahlungen an G vom Firmenkonto der KG aus.
3 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Von
grundsätzlicher Bedeutung seien die Rechtsfragen, ob das FA den Sachverhalt vor einer haftungsrechtlichen
Inanspruchnahme des GmbH-Geschäftsführers dahingehend weiter aufklären müsse, ob der Alleineigentümer der
GmbH sowie der KG als Haftender aus Durchgriffshaftung in Betracht komme, wenn das FA eindeutige Hinweise dafür
habe, dass der Alleineigentümer der KG laufend Liquidität entziehe, so dass der KG bei Fälligkeit die zur
Steuerzahlung notwendigen Mittel fehlten, und ob das FG die Aufklärung des Sachverhalts nachholen müsse, wenn
nach Erlass der Einspruchsentscheidung Beweise für das mögliche Vorliegen einer Durchgriffshaftung erbracht worden
seien. Im Streitfall komme eine Durchgriffshaftung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Vermögensvermischung als
auch unter dem des existenzvernichtenden Eingriffs in Betracht. Da eine Haftung des G bei Erlass der angefochtenen
Verwaltungsakte nicht berücksichtigt worden sei, habe das FA das ihm zustehende Auswahlermessen fehlerhaft
ausgeübt.
4 Darüber hinaus habe das FG das Vorbringen hinsichtlich der Vermischung der privaten Verhältnisse des G mit den
Verhältnissen der KG ungewürdigt gelassen und den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt. Auch das FA habe sich in der
Einspruchsentscheidung nicht mit der Vermischung von privaten Konten und Konten der Gesellschaft befasst, obwohl
ihm dieser Umstand aus den geführten Gesprächen hätte bekannt sein müssen.
5 Schließlich hätte das FG in der mündlichen Verhandlung auf den Gesichtspunkt hinweisen müssen, dass nach seiner
Auffassung dem FA die zur Annahme einer Vermischung führenden Tatsachen nicht bekannt gewesen seien. Für ihn,
den Kläger, habe nach der fristlosen Entlassung als Geschäftsführer ein absoluter Beweisnotstand bestanden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Entgegen der Auffassung des Klägers wirft der Rechtsstreit keine Rechtsfrage
von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Streitigkeiten, deren Entscheidung maßgeblich
von der Beurteilung der tatsächlichen Besonderheiten des konkreten Sachverhalts abhängt, nicht grundsätzlich
bedeutsam (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.).
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a) Danach kommt der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob das FA beim Erlass eines Haftungsbescheids
gegen einen GmbH-Geschäftsführer den Sachverhalt im Hinblick auf eine mögliche Durchgriffshaftung des
Alleingesellschafters der GmbH näher aufklären muss, keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn es hängt von den
Erkenntnissen des FA im jeweiligen Einzelfall ab, ob sich Anhaltspunkte für die Annahme einer Durchgriffshaftung
ergeben, die weitere Sachverhaltsermittlungen geboten erscheinen lassen. Soweit der Kläger seiner Frage zugrunde
legt, dass dem FA eindeutige Hinweise auf einen laufenden Entzug von Kapital durch den Alleingesellschafter
vorlagen, wäre die Frage in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Ausweislich der
Urteilsbegründung hat das FG darauf hingewiesen, dass die pauschale Behauptung, der Alleingesellschafter habe
der Gesellschaft laufend Liquidität entzogen, nicht als ausreichend erachtet werden könne, und dass das FA aufgrund
der unzureichenden Angaben des Klägers keine Veranlassung gehabt habe, neben dem Kläger auch G als
Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Da der Kläger insoweit keine zulässige und begründete Verfahrensrüge
erhoben hat und somit nicht davon ausgegangen werden kann, dass das FA tatsächlich über eindeutige Hinweise auf
einen existenzvernichtenden Liquiditätsentzug verfügte, würde sich die vom Kläger aufgeworfene Frage in dieser
Form nicht stellen.
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b) Auch der zweiten Frage nach dem Umfang der dem Gericht nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Pflicht zur
Sachverhaltsaufklärung beim Vorliegen von Beweisen für eine mögliche Durchgriffshaftung kommt keine
grundsätzliche Bedeutung zu. Denn auch die Beantwortung dieser Frage hängt von den Umständen des jeweiligen
Einzelfalls ab, so dass sich eine allgemeingültige Klärung nicht herbeiführen lässt. Zudem hat das FG in der
Urteilsbegründung zutreffend darauf abgestellt, dass für die gerichtliche Prüfung der Ermessensausübung des FA die
Verhältnisse maßgebend sind, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten Ermessensausübung bekannt waren oder
bekannt sein mussten. Umstände, die erst nach dem Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind,
musste das FA nicht zum Anlass für eine weitere Sachaufklärung nehmen.
10 2. Soweit der Kläger sinngemäß die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine vom FG getroffene
Überraschungsentscheidung rügt, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Das Gericht ist nämlich nicht dazu
verpflichtet, vor seiner Entscheidungsfindung seine Rechtsansicht mündlich oder schriftlich mitzuteilen bzw. die für die
Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte und Rechtsfragen im Voraus anzudeuten oder sogar umfassend zu
erörtern (BFH-Beschlüsse vom 5. April 2006 I B 84/05, BFH/NV 2006, 1497, und vom 10. August 2005 VIII B 344/04,
BFH/NV 2006, 78, m.w.N., sowie Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, Neue
Juristische Wochenschrift 1997, 2305). Einen fachkundig vertretenen Prozessbeteiligten braucht es auf naheliegende
rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte nicht hinzuweisen (BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95,
BFH/NV 1999, 329). Um einen solchen naheliegenden Gesichtspunkt handelt es sich im Streitfall, denn dem Kläger
war die Bedeutung der Kenntnis des FA im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung von Umständen, die auf die
Möglichkeit einer Durchgriffshaftung hingedeutet hätten, durchaus bewusst. Im Übrigen räumt der Kläger selbst ein,
dass dem FG aus den ihm vorliegenden Akten eine Vermischung von Vermögen des G und der KG nicht erkennbar
gewesen sei. Demzufolge hätte das FG einen Hinweis auf diesen Gesichtspunkt auch nicht geben können. Schließlich
lässt sich der Urteilsbegründung die vom Kläger behauptete Aussage des FG nicht entnehmen, dass gerade die zur
Vermischung führenden Tatsachen dem FA nicht bekannt gewesen seien. Vielmehr hat sich das FG lediglich mit einer
möglichen Durchgriffshaftung aufgrund eines existenzvernichtenden Zugriffs auf das Gesellschaftsvermögen befasst.