martina heck

03.02.2015

Hobelspäne als Streugut? – Besser nicht!

Da sich der Winter nun doch gebietsweise noch einmal mit Schneefall bemerkbar macht, machen wir auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm aufmerksam, bei dem es um Ansprüche gegen einen Hauseigentümer und einen Mieter wegen eines Sturzes auf einem Bürgersteig und die Frage des richtigen Streumittels geht.

In dem entschiedenen Fall nahm die Klägerin die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch und machte geltend, sie sei am 06.01.2011 gegen 16.55 Uhr auf dem Gehweg vor dem an den beklagten Mieter vermieteten Haus der beklagten Hauseigentümerin gestürzt.  Da die Beklagten ihrer Räum- und Streupflicht nicht hinrechend nachgekommen seien und nur Hobelspäne gestreut gehabt hätten, sei der Boden glatt gewesen.

Das Landgericht Arnsberg hat die Klage abgewiesen und hat dies unter anderem damit begründet, dass die Beklagten ihrer Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen seien. Es sei gerichtsbekannt, dass seit Dezember 2010 außergewöhnlich schwierige winterliche Verhältnisse geherrscht hätten sowie, dass insbesondere Tausalze aufgebraucht und nicht mehr käuflich zu erwerben gewesen seien. Eine unzureichende Bevorratung könne man den Beklagten nicht anlasten. Im Übrigen führe, wie ebenfalls gerichtsbekannt sei, auch die Verwendung von Hobelspänen zu einer abstumpfenden Wirkung. Jedenfalls könne man den Beklagten den Einsatz von Hobelspänen als Streumittel nicht als schuldhaftes Verhalten anlasten.

Die Berufung der Klägerin, mit der diese insbesondere rügt, das Landgericht habe ohne Beweiserhebung weder davon ausgehen dürfen, dass keine Tausalze verfügbar gewesen seien, noch davon, dass Hobelspäne als abstumpfendes Mittel geeignet seien, hatte beim Oberlandesgericht Hamm zum Teil Erfolg.

Dem Grunde nach sind die Beklagten der Klägerin gemäß §§ 823, 831, 830, 253 BGB zum Ersatz des materiellen und des immateriellen Schadens verpflichtet, der der Klägerin aus dem Unfall vom 06.01.2011 bereits entstanden ist und künftig noch entstehen wird, so dass dem Feststellungsbegehren im Grundsatz stattzugeben war (mit einer Wuote von 50 % – siehe unten). Denn bei einer Oberarmfraktur, wie sie die Klägerin erlitten hat, ergibt sich die Möglichkeit weiterer Schadensverwirklichung schon aus der Art der Verletzung.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand fest, dass die Klägerin zu der von ihr angegebenen Zeit an der von ihr bezeichneten Stelle, also auf dem Bürgersteig des Q-Weges vor dem Haus, ausgerutscht und gestürzt ist. Bewiesen ist ferner, dass es an der Unfallstelle glatt war.

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus einem anderen Grund als der Bodenglätte gestürzt ist, sind nicht ersichtlich. Für den Kausalzusammenhang zwischen Glätte und Sturz spricht der Beweis des ersten Anscheins.

Die Glätte im Bereich der Unfallstelle beruhte nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm auf pflichtwidrigem fahrlässigem Verhalten der Beklagten.

Gemäß der Gemeindesatzung war es grundsätzlich Sache der Hauseigentümerin, im Bereich der Unfallstelle im Rahmen der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht den Winterdienst zu erledigen. Diese Pflicht hatte sie durch den Mietvertrag wirksam auf die Mieterin übertragen. Die notwendigen Arbeiten mussten folglich von der Mieterin vorgenommen werden. Der Hauseigentümerin oblag weiterhin eine Aufsichts- und Kontrollpflicht.

Daraus, dass es an der Unfallstelle glatt war und nur Hobelspäne gestreut worden waren, folgt, dass die Mieterin ihre Pflichten verletzt hat. Denn bei pflichtgemäßem Verhalten hätte sich der Gehweg nicht in einem verkehrswidrigen Zustand befunden.

Bei den Hobelspänen, die die Mitarbeiter der Mieterin flächendeckend auf dem Gehweg ausgestreut hatten, handelte es sich nicht um ein Streumittel mit der erforderlichen abstumpfenden Wirkung. Die gegenteilige Feststellung des Landgerichts Arnsberg wollte sich das Oberlandesgericht Hamm nicht anschliessen, da es diese Feststellung seiner Entscheidung nicht nach § 529 ZPO zugrundelegen konnte, denn im angefochtenen Urteil sei schon nicht hinreichend dargelegt, worauf die die Eignung von Hobelspänen als Streumittel betreffende eigene Sachkunde des Landgerichts beruhe. Das Oberlandesgericht hat daher ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen 2013 eingeholt, das dieser vor dem Oberlandesgericht auch mündlich erläutert und ergänzt hat. Dieses Gutachten hat ergeben, dass jedenfalls Hobelspäne von der Art, wie sie die Klägerin kurz nach dem Unfall sichergestellt hat und die auch dem Material entsprechen, das die Beklagten dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt haben, keine abstumpfende Wirkung entfaltet haben. Derartige Hobelspäne saugen sich mit Feuchtigkeit voll, so dass sie zu einer Art Eisflocken mit Rutscheffekt werden.

Ohne Erfolg berufen sich die Beklagten darauf, am Nachmittag des Unfalltages hätten so extreme Witterungsverhältnisse geherrscht, dass sich Streumaßnahmen jeglicher Art als wirkungslos erwiesen haben würden. Anhaltpunkte dafür, dass noch unmittelbar vor dem Unfall der Klägerin Regen gefallen ist, der auf dem Boden zu Glatteisbildung geführt hat, lagen nach der Beweisaufnahme nicht vor.

Der somit verkehrswidrige Zustand des Gehweges im Zuständigkeitsbereich der Mieterin indiziert, dass die Mieterin die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und daher fahrlässig gehandelt hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Mieterin vorgetragen hat, ihr Geschäftsführer habe jahrelange positive Erfahrungen mit Hobelspänen als Streumittel gemacht. Denn nach dem Gutachten des Sachverständigen vermag dies nicht zu überzeugen, und zwar selbst dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass die Verwendung von Sägemehl pp. als Streumittel gelegentlich auch im Internet empfohlen werden mag. Die Mieterin hätte die Eignung der von ihr verwendeten Hobelspäne leicht selbst untersuchen können.

Auch mit der Behauptung, wegen der schon seit Anfang Dezember 2010 andauernden winterlichen Witterung seien geeignete Streumittel auf dem Markt nicht verfügbar gewesen, vermag sich die Mieterin nicht mit Erfolg zu entlasten. Es ist schon nicht dargetan, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie sich vor Einbruch des Winterwetters bevorratet hatte.

Die Hauseigentümerin vermochte sich ebenfalls nicht zu entlasten. Sie wohnte in der Nähe und wusste von der Verwendung von Hobelspänen als Streumittel. Im Rahmen der ihr obliegenden Kontroll- und Überwachungspflicht hätte sie sich mit der Eignung der Hobelspäne als abstumpfendes Mittel näher befassen und einschreiten müssen. Diesen Anforderungen ist sie nicht gerecht geworden.

Die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten besteht jedoch nur in einem um 50 % Mitverantwortlichkeit der Klägerin reduzierten Umfang. Dies ergibt die Abwägung gemäß § 254 BGB.

Die Klägerin muss sich entgegen halten lassen, dass sie für jeden Schaden mitverantwortlich ist, an dessen Entstehung sie in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Sie hat diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die jedem verständigen Menschen obliegt, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. § 254 BGB beruht auf dem Rechtsgedanken, dass derjenige, der die Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache geboten erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Kürzung seines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss. Denjenigen, der sich bewusst und ohne Not in eine Gefahr begibt, handelt nicht nur unvorsichtig sondern verletzt in hohem Maße die erforderliche Sorgfalt. Wenn jemand eine erkennbar nicht bestreute glatte Fläche betritt und stürzt, dann spricht dies in der Regel dafür, dass er die gebotene Vorsicht außer Acht gelassen hat.

Auf Seiten der Beklagten kann ein über leichte Fahrlässigkeit  hinaus gesteigertes Verschulden nicht angenommen werden, zumal die Beklagten mit ihrer Vorstellung von der Eignung der Hobelspäne als Streumittel nicht völlig allein stehen. Aber auch der Klägerin kann nur ein leichter Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt nachgewiesen werden. Vom Parkplatz bis zum Bestattungsunternehmen musste sie nur 40 m weit gehen und durfte bei Antritt ihres Weges grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Anlieger ihrer Räum- und Streupflicht nachgekommen waren. Allerdings hatte sie schon auf dem Weg zuvor  erkannt, dass alles vereist war, und hatte daher den Bürgersteig gemieden. Sie war über die ihrer Darstellung nach „freigeregneten“ Spuren auf der Fahrbahn gegangen. Auf dem Rückweg war sie kurz vor ihrem Unfall nur wegen eines Pkw von der Fahrbahn auf den Gehweg gewechselt. Zu ihrem Eigenschutz wäre es geboten gewesen, die Vorbeifahrt des Pkw am Rande der Fahrbahn abzuwarten und den Weg dann auf dem freigeregneten Bereich der Fahrbahn fortzusetzen.

Unter Berücksichtigung aller Umstände erachtete das Oberlandesgericht Hamm die Verantwortlichkeit auf Seiten der Klägerin für ebenso hoch wie auf Seiten der Beklagten.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 24.11.2014 – 6 U 92/12