Urteil des VG Wiesbaden vom 31.01.2008

VG Wiesbaden: bundesamt für migration, mitgliedstaat, europäische kommission, verordnung, asylverfahren, anhörung, vollstreckung, wiederaufnahme, anfechtungsklage, bankrecht

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Gericht:
VG Wiesbaden 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 1101/07.A(1)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG
Ablehnung eines Asylantrages wegen Zuständigkeit eines
anderen Staates
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der am XXX geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, hielt sich nach
seinen eigenen Angaben in der Zeit vom August 2004 bis Oktober 2005 in
Frankreich auf, wo er ohne Erfolg ein Asylverfahren betrieb. Nach seinen
Behauptungen in der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
am 04.07.2007 will der Kläger sich sodann zurück in die Türkei begeben haben.
Von dort will er am 10.06.2007 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein,
wo er sodann einen Asylantrag stellte.
Mit Bescheid vom 30.08.2007 stellte das Bundesamt fest, der Asylantrag sei
unzulässig und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Frankreich an. Zur
Begründung führte das Bundesamt u. a. aus, der Kläger sei von Frankreich
kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Auf ein entsprechendes
Übernahmeersuchen hätten die französischen Behörden mit Schreiben vom
27.07.2007 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages erklärt.
Am 31.08.2007 heiratete der Kläger eine in der Bundesrepublik Deutschland
lebende türkische Staatsangehörige, die als Asylberechtigte anerkannt ist.
Am 04.09.2007 wurde der Kläger nach Frankreich abgeschoben.
Am 17.09.2007 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 30.08.2007
erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, er habe einen Anspruch darauf, dass die
Bundesrepublik Deutschland sein Asylgesuch prüfe, da er mit einer
Asylberechtigten verheiratet sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.08.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die eingegangen Ehe begründe keine Zuständigkeit zur
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Sie ist der Auffassung, die eingegangen Ehe begründe keine Zuständigkeit zur
Prüfung des Asylantrages durch die Bundesrepublik Deutschland, da die Ehe erst
nach Stellung des Asylantrages eingegangen worden sei. Im Übrigen folge aus Art
13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und
Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist
(EG-AsylZustVO), dass Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens
zuständig sei, da dort der erste Asylantrag gestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt, so dass in dieser Weise verfahren werden kann (vgl. § 101
Abs. 2 VwGO).
Das Gericht kann offen lassen, ob Art. 20 Abs. 1 lit. e) EG-AsylZustVO davon
ausgeht, dass die Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaats über die
Wiederaufnahme angreifbar ist. Ob die behördliche Entscheidung Frankreichs
gegenüber dem Kläger bekanntgegeben wurde, lässt sich der vorgelegten
Behördenakte nicht entnehmen. Die Entscheidung des Bundesamtes, die auf § 31
Abs. 1 und § 27 a AsylVfG beruht, ist jedenfalls mit der Klage angreifbar, was sich
mittelbar auch aus §§ 31 Abs. 1 Satz 4, 34 a Abs. 2 AsylVfG ergibt. Anhaltspunkte
dafür, dass Art. 20 Abs. 1 lit. e) EG-AsylZustVO es den Mitgliedstaaten untersagen
würde, auch die Entscheidung des ersuchenden Staates einem
Rechtsbehelfsverfahren zu unterziehen, lassen sich dieser Norm jedenfalls nicht
entnehmen (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. A., 2007, Art. 20 K8,
gehen sogar davon aus, dass die Entscheidung des ersuchenden Staates
bescheidförmig mit effektiver Berufungsmöglichkeit ergehen müsse).
Die hiernach zulässige Anfechtungsklage ist aber unbegründet, da der Bescheid
vom 30.08.2007 nicht rechtswidrig ist.Gemäß § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag
unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der
Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Zuständigkeit von Frankreich ergibt sich aus Art 13 EG-AsylZustVO. Hiernach
ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung
des Asylantrags zuständig, wenn sich anhand der Kriterien der Verordnung nicht
bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt. Den
Art. 6 - 12 EG-AsylZustVO lassen sich vorliegend keine Kriterien zur Bestimmung
des zuständigen Mitgliedstaats entnehmen (vgl. Art. 5 Abs. 1 EG-AsylZustVO). Auf
Art. 7 EG-AsylZustVO kann sich der Kläger im Hinblick auf die eingegangene Ehe
nicht mit Erfolg berufen, denn gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-AsylZustVO ist bei der
Bestimmung des nach den Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation
auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen
Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellte. Da die Eheschließung sogar
erst nach Stellung des zweiten Asylantrags erfolgte, kann der Kläger aus Art. 7 EG-
AsylZustVO keinen Anspruch für sich ableiten. Die übrigen Kriterien (Art. 6 - 12 EG-
AsylZustVO) sind offensichtlich nicht erfüllt.Der Wortlaut des Art 13 EG-AsylZustVO
ist etwas unklar (laut Filzwieser/Liebminger, a. a. O. Art. 13 K 4, spricht die
Europäische Kommission von einer unglücklichen - "unfortunate" - Formulierung),
denn mit dem Begriff Asylantrag kann auch der zweite oder auch ein noch
späterer Asylantrag gemeint sein. Hiernach wäre - sofern die Kriterien nach Art. 6 -
12 EG-AsylZustVO nicht vorlägen -, stets der Mitgliedstaat zuständig, in dem der
Asylzweitantrag (vgl. § 71a Abs. 1 AsylVfG) gestellt wird. Dies entspricht aber nicht
der Systematik der EG-AsylZustVO. Wie sich Art. 16 Abs. 1 lit. d) EG-AsylZustVO
entnehmen lässt, soll gerade der Mitgliedstaat, in dem bereits ein Asylantrag
gestellt wurde, auch im Falle einer Asylantragstellung in einem weiteren
Mitgliedstaat, für das Asylverfahren zuständig bleiben. Art. 13 EG-AsylZustVO ist
mithin so zu verstehen, dass der Mitgliedstaat, in dem der erste Asylantrag
gestellt worden ist, für spätere Asylverfahren zuständig bleibt (vgl.
Filzwieser/Liebminger, a. a. O. Art. 13 K 4). Da der Kläger seinen ersten Asylantrag
in Frankreich gestellt hatte, ist mithin auch dieser Mitgliedstaat für den später in
der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag zuständig. Dem steht auch
nicht Art 16 Abs. 3 EG-AsylZustVO entgegen, wonach die Verpflichtungen nach
Art. 16 Abs. 1 EG-AsylZustVO erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens 3 Monate verlassen hat. Hiervon
kann nämlich nicht (mehr) ausgegangen werden. Angesichts des Umstandes,
dass in der Klageschrift festgestellt wird, es sei zutreffend, "dass der Kläger aus
Frankreich kommend in die BRD eingereist" sei, bedarf es keiner
Auseinandersetzung mit der Frage, ob seine zunächst hiervon abweichenden
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Auseinandersetzung mit der Frage, ob seine zunächst hiervon abweichenden
Behauptungen während der Anhörung vor dem Bundesamt als ausreichend im
Sinne von Art. 4 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003
anzusehen gewesen wären.
Ist hiernach die Zuständigkeit Frankreichs gegeben, so entspricht die im Bescheid
des Bundesamtes getroffene Feststellung, der Asylantrag sei unzulässig, der
Gesetzeslage (§ 27 a AsylVfG). Dies gilt auch für die im Bescheid vom 30.08.2007
ausgesprochene Abschiebungsanordnung (§ 34 a Abs. 1 AsylVfG).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO in Verbindung mit § 167 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.