Urteil des VG Wiesbaden vom 01.04.2008

VG Wiesbaden: angemessene entschädigung, behinderung, vorstellungsgespräch, betroffene person, schadenersatz, staatssekretär, hessen, begriff, behandlung, mensch

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Gericht:
VG Wiesbaden 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 E 735/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 AGG, § 15 Abs 2
AGG, § 22 AGG, § 24 AGG, § 7
AGG
Entschädigung wegen Benachteiligung eines behinderten
Beamten
Leitsatz
1. Die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch stellt für einen
behinderten Bewerber dann keine Benachteiligung dar, wenn ihm wegen fehlender
Erfüllung eines zwingenden Merkmals des Anforderungsprofiles offensichtlich die
fachliche Eignung fehlt.
2. Nimmt der unterlegene Bewerber keinen einstweiligen Rechtsschutz gegen die
Ablehnung seiner Bewerbung in Anspruch, wird sein Anspruch auf Schadenersatz nach
§ 15 Abs. 1 AGG entsprechend dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB auf den
durch § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG gekennzeichneten Bereich, d. h. auf 3 Monatsgehälter,
beschränkt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist ... (A 16 BBesG) und als Referatsleiter im Hessischen Ministerium für
L tätig.
Auf die Ausschreibung der Stelle einer Präsidentin oder eines Präsidenten des
Hessischen Landesamtes ... der Besoldungsgruppe B 5 BBesG vom 20.07.2006
bewarb sich der Kläger neben neun weiteren Bewerbern. Das Anforderungsprofil
enthielt die Merkmale "abgeschlossenes Universitätsstudium, die Befähigung für
den höheren allgemeinen oder technischen Verwaltungsdienst, nachgewiesene
Führungs- und Leitungskompetenz, praktische Erfahrungen in der Leitung einer
größeren Organisationseinheit, umfassende fachliche und wissenschaftliche
Kenntnisse sowie Verwaltungserfahrung in mindestens einem der Bereiche
Umwelt, Wasser- und Abfallwirtschaft, Immissions- und Strahlenschutz sowie
Geologie und Boden, die Fähigkeit zu fachübergreifendem Denken und ein hohes
Maß an Entscheidungskompetenz sowie die Fähigkeit zur gezielten Anleitung und
Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern".
Mit Schreiben vom 20.07.2006 teilte der Kläger dem Abteilungsleiter I mit, dass er
einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt habe (50%
GdB), über den vom Versorgungsamt noch nicht entschieden worden sei.
Ein Vermerk zur Vorauswahl vom 24.08.2006, der vom Minister am 30.08.2006
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Ein Vermerk zur Vorauswahl vom 24.08.2006, der vom Minister am 30.08.2006
abgezeichnet wurde, legte dar, dass fünf Bewerbern, darunter dem Kläger,
eindeutig die in der Ausschreibung geforderte praktische Erfahrung bei der Leitung
von größeren Organisationseinheiten fehle. Es wurde gebeten, das weitere
Vorgehen zu erörtern. Mit Vermerk vom 05.09.2006 wurde nach einem Gespräch
mit dem Staatssekretär festgehalten, dass diese fünf Bewerber, darunter der
Kläger, nicht zu einem Bewerbergespräch geladen werden sollten, da ihnen die
genannte Mindestvoraussetzung fehle. Nachdem ein Bewerber seine Bewerbung
zurückgenommen hatte, fand mit den verbliebenen vier Bewerbern am 20.10.2006
ein Vorstellungsgespräch statt. Mit Auswahlvermerk des Staatssekretärs vom
07.11.2006, den der Minister am 10.11.2006 billigte, wurde einer der Bewerber für
die ausgeschriebene Leitungsposition vorgeschlagen. Am 11.12.2006 stimmte das
Kabinett der Ernennung des ausgewählten Beamten zum Präsidenten des
Hessischen Landesamtes ... zu, die sodann mit Wirkung vom 01.01.2007 erfolgte.
Bereits mit Schreiben vom 30.10.2006 war den unterlegenen Bewerbern das
Ergebnis der Auswahlentscheidung - vorbehaltlich der Zustimmung des Kabinetts -
mitgeteilt worden.
Mit Schreiben vom 27.12.2006 teilte der Kläger dem Hessischen Ministerium L mit,
dass er sich bei dem Auswahlverfahren zur Besetzung der Stelle des Präsidenten
des Hessischen Landesamtes ... diskriminiert fühle. Er beabsichtige deshalb, ein
Schmerzensgeld zu fordern. Das Ministerium antwortete dem Kläger mit
Schreiben vom 09.01.2007, es sehe eine Rechtsgrundlage für die Schadenersatz-
bzw. Schmerzensgeldforderung im Zusammenhang mit dem
Stellenbesetzungsverfahren nicht. Er habe bereits deshalb nicht in die engere Wahl
einbezogen werden können, da er die im Anforderungsprofil zwingend geforderten
praktischen Erfahrungen bei der Leitung von größeren Organisationseinheiten
nicht habe aufweisen können und somit ein wichtiges Anforderungskriterium für die
ausgeschriebene Stelle nachweislich nicht erfüllt habe. Mit anwaltlichem Schreiben
vom 08.02.2007 führte der Kläger aus, er habe dem Dienstherrn mitgeteilt, dass
er einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt habe.
Nach § 81 SGB IX seien dem Arbeitgeber bei der Bewerbung besondere Pflichten
auferlegt. Ein behinderter Beschäftigter dürfe wegen seiner Behinderung nicht
benachteiligt werden. Werde gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen,
könne der hierdurch benachteiligte schwerbehinderte Bewerber eine angemessene
Entschädigung in Geld verlangen. Wäre der schwerbehinderte Bewerber auch bei
benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden, habe er gegen den
Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung in Höhe von höchstens drei
Monatsverdiensten. § 82 SGB IX lege öffentlichen Arbeitgebern darüber hinaus
noch weitere Pflichten auf. Schwerbehinderte seien zu einem Vorstellungsgespräch
einzuladen, wenn sie sich um neu zu besetzende Arbeitsplätze bei einem
öffentlichen Arbeitgeber bewerben würden. Eine solche Einladung sei nur
entbehrlich, wenn dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehle. Der
Kläger sei zu einem Vorstellungsgespräch nicht eingeladen worden. Die
Begründung in der Absage vom 09.01.2007 treffe nicht zu. Wie aus der
Personalakte des Klägers unschwer erkennbar sei, habe er von Mai 1999 bis
Oktober 2005 größere Referate geleitet. Zuvor habe er von September 1986 bis
zu seinem Wechsel nach Hessen im April 1988 die ...Verwaltung des Landes YYY
verwaltet. Mit Schreiben vom 13.03.2007 lehnte das Ministerium eine
Schadensersatzforderung im Zusammenhang mit dem
Stellenbesetzungsverfahren erneut generell ab. Seit dem Eintritt in die Hessische
Ministerialverwaltung habe der Kläger unterschiedliche Referate mit einer nur sehr
geringen Leitungsspanne geleitet. Aufgrund dieser Sachlage seien die im
Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung zwingend geforderten praktischen
Erfahrungen bei der Leitung von größeren Organisationseinheiten im erforderlichen
Umfang bei dem Kläger nachweislich nicht vorhanden. Alleine seine Funktion als
Referatsleiter in einer obersten Landesbehörde mit einer Koordinierungsfunktion
auch gegenüber den nachgeordneten Behörden vermöge die geforderte Leitungs-
und Führungserfahrung keineswegs zu ersetzen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 07.04.2007, der am 10.04.2007 per Fax bei dem
Arbeitsgericht in Wiesbaden eingegangen ist, hat der Kläger Klage erhoben. Mit
Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16.05.2007 und wurde der
Rechtsstreit an das sachlich zuständige Verwaltungsgericht Wiesbaden verwiesen.
Zur Begründung der Klage vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Das
Anerkennungsverfahren bezüglich der Schwerbehinderung beim zuständigen
Versorgungsamt sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
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Die nach § 82 SGB IX erforderliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei
unstreitig nicht erfolgt. Der Kläger habe mit dem Staatssekretär im Vorfeld seiner
Bewerbung Gespräche geführt, die ihn veranlasst hätten, sich Hoffnungen auf die
ausgeschriebene Stellung zu machen. Wäre hier eine offensichtliche
Ungeeignetheit vorhanden gewesen, hätte man ihn erst gar nicht zu den
Bewerbungen ermuntern dürfen. Es werde auch bestritten, dass der Kläger das
Anforderungsprofil nicht erfülle. Der Kläger habe von Mai ... bis Oktober ... die ...
des Landes Hessen geleitet. Es handele sich um eine dreistufig aufgebaute
Vermögens-, Wirtschafts- und Liegenschaftsverwaltung, die über 15.000 ha Land
verwalte. Laut Stellenplan habe die Zahl der Mitarbeiter insgesamt 145 betragen.
In ... habe der Kläger im Ministerium von ... bis ... das Referat ... geleitet und damit
dem gesamten Fachgebiet ... vorgestanden. Von fehlenden praktischen
Erfahrungen bei der Leitung größerer Organisationseinheiten könne man somit bei
dem Kläger sicher nicht ausgehen. Die Tatsache, dass der Kläger nicht eingeladen
worden sei, stelle einen Verstoß gegen § 82 SGB IX dar.
Der Anspruch des Klägers auf Entschädigung und Schadenersatz richte sich nach
§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit dem
Hauptantrag werde gemäß § 15 Abs. 1 AGG ein Schaden für 36 Monate geltend
gemacht; hilfsweise werde ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in
Höhe von drei Monatsgehältern geltend gemacht. Es gehe nicht darum, die
Auswahlentscheidung aufheben zu lassen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Hessischen Ministeriums L vom 13.03.2007 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 29.08.2007 aufzuheben und den Beklagten zu
verurteilen, an den Kläger
1. 50.673,24 € zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der Bundesbank ab
Klagezustellung zu zahlen,
2. hilfsweise den Betrag von 21.486,- € zuzüglich 5% Zinsen über dem
Basiszinssatz der Bundesbank ab Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt der Beklagte vor, es bestehe kein Anspruch auf
Schadenersatz gemäß §§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG, § 82 SGB IX, da für das
beklagte Land keine Verpflichtung bestehe, auch Bewerber zu einem
Vorstellungsgespräch einzuladen, die offenkundig eine oder auch mehrere wichtige
Voraussetzungen des Anforderungsprofils nicht erfüllten. Der Kläger sei zu Recht
nicht in die engere Auswahl beim Stellenbesetzungsverfahren einbezogen worden,
da er die im Anforderungsprofil zwingend geforderten praktischen Erfahrungen bei
der Leitung von größeren Organisationseinheiten nicht habe aufweisen können und
er somit ein wichtiges Anforderungskriterien für die ausgeschriebene Stelle
nachweislich nicht erfüllt habe. Alleine die Funktion als Referatsleiter in einer
obersten Landesbehörde mit einer Aufsichtsfunktion gegenüber den
nachgeordneten Behörden könne die geforderte Leitungs- und Führungserfahrung
keineswegs ersetzen. Gleiches gelte für die Tätigkeit als ... bei der ... Im Übrigen
habe der Staatssekretär gegenüber dem Kläger bei den diversen Gesprächen
auch keine verbindlichen Zusagen gemacht, die in irgendeiner Weise Hoffnungen
auf die ausgeschriebene Stelle begründet hätten. Diese im Vorfeld immer wieder
durch den Kläger vorgetragene Behauptung sei nicht substantiiert und werde
ausdrücklich bestritten.
Im Übrigen stehe dem Kläger auch kein Ersatzanspruch unter Berücksichtigung
des Rechtsgedankens von § 839 Abs. 3 BGB zu, weil er es in zurechenbarer Weise
selbst versäumt habe, rechtzeitig gerichtlichen Rechtschutz unmittelbar gegen die
beanstandete Auswahlentscheidung in Anspruch zu nehmen.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 30.08.2007 wurde das
Ruhen des Verfahrens angeordnet, um den Beteiligten Gelegenheit zur
Nachholung des Widerspruchsverfahrens zu geben. Der Widerspruch des Klägers
vom 30.07.2007 gegen den ablehnenden Bescheid des Ministeriums L vom
13.03.2007 wurde durch dessen Widerspruchsbescheid vom 29.08.2007 als
unbegründet zurückgewiesen.
Durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13.03.2008 wurde der
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Durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13.03.2008 wurde der
Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO der Einzelrichterin übertragen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des vorgelegten Behördenvorganges (1 Leitzordner
Stellenbesetzungsverfahren) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Dass gemäß § 68 VwGO, § 126 Abs. 3 BRRG erforderliche Vorverfahren gegen den
ablehnenden Bescheid des Hessischen Ministeriums L vom 13.03.2007 wurde
während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt. Der Widerspruch des Klägers
vom 30.07.2007 wurde durch Widerspruchsbescheid des Hessischen Ministeriums
L vom 29.08.2007 zurückgewiesen. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.09.2007
wurde der Widerspruchsbescheid in die Klage miteinbezogen. Somit ist diese
Voraussetzung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts
erfüllt.
Die hiernach zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid des
Hessischen Ministeriums L vom 13.03.2007 und dessen Widerspruchsbescheid
vom 29.08.2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz gemäß
§ 15 Abs. 1 AGG bzw. hilfsweise Anspruch auf Entschädigung immaterieller
Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG. Zur Anwendung kommt das am 18.08.2006 in
Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG; BGBl I 2006, 1897),
das gemäß § 24 AGG auch auf Beamte anwendbar ist.
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verpflichtet, den hierdurch
entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen. Dieser bemisst sich danach,
welche Folgen die konkrete Benachteiligung für die betroffene Person hatte.
Der mögliche Anspruch wird vorliegend dadurch eingeschränkt, dass der Kläger
gegen die Ablehnung seiner Bewerbung nicht um einstweiligen Rechtschutz
nachgesucht hat, um sich die Chance auf das Amt durch eine erneute
Auswahlentscheidung zu erhalten (von Roetteken, Kommentar zum AGG, Rdnr. 97
zu § 15 AGG m.w.N.). Wird diese Möglichkeit nicht genutzt, kann später regelmäßig
kein Schadenersatz wegen rechtswidrig unterbliebener Einstellung oder
Beförderung durchgesetzt werden, weil dem der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3
BGB entgegensteht. Dies schränkt auch die Ersatzmöglichkeiten nach Maßgabe
von § 15 Abs. 1 AGG ein. Der Anspruch auf Entschädigung ist in derartigen Fällen
regelmäßig auf den durch § 15 Abs. 2 S. 2 AGG gekennzeichneten Bereich
beschränkt, weil die eine weitergehende Entschädigung rechtfertigende
Rechtsverletzung durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes hätte
verhindert werden können.
Für die Ansprüche nach § 15 Abs. 1 Satz 1 und hilfsweise nach Abs. 2 Satz 1 AGG
fehlt es allerdings bereits an einer anspruchsbegründenden unmittelbaren oder
mittelbaren Diskriminierung des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG in
Verbindung mit §§ 1 und 7 Abs. 1 AGG. Für eine mittelbare Benachteiligung, die
voraussetzt, dass dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder
Verfahren Personen wegen einer Behinderung gegenüber anderen Personen in
besonderer Weise benachteiligen können, ist nichts vorgetragen und auch nichts
erkennbar (§ 3 Abs. 2 AGG).
Eine unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG würde nur dann
vorliegen, wenn der Kläger wegen seiner Behinderung eine weniger günstige
Behandlung erfahren hätte als eine andere Person in einer vergleichbaren
Situation. Das Merkmal einer Behinderung ist deckungsgleich mit dem Begriff in §
2 Abs. 1 S. 1 SGB IX, § 3 BGG. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen
Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Der Begriff der Behinderung im AGG setzt ebenso wie der
entsprechende Begriff in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kein besonderes Maß der
Behinderung oder deren erhebliche Schwere voraus (von Roetteken, Kommentar
zum AGG, Rdnr. 160 zu § 1 AGG m.w.N.). Bei dem Kläger, bei dem ein Grad der
Behinderung von 40% vorliegt, ist somit das Merkmal der Behinderung gegeben.
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Gemäß § 22 AGG hat der Kläger die Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung
wegen der Behinderung vermuten lassen, der Beklagte hingegen trägt die
Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor
Benachteiligung vorgelegen hat.
Vorliegend macht der Kläger geltend, er sei entgegen § 82 SGB IX wegen seiner
Behinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Nach dieser
Vorschrift sind schwerbehinderte Menschen, die sich um einen frei werdenden oder
neuen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst beworben haben, zu einem
Vorstellungsgespräch einzuladen, soweit ihnen nicht die fachliche Eignung
offensichtlich fehlt (§ 82 Satz 3 SGB IX).
Die Berufung des Klägers auf die unterbliebene Einladung zu einem
Vorstellungsgespräch verhilft der Klage weder im Haupt- noch im Hilfsantrag zum
Erfolg. Dem Kläger ist es nicht gelungen, wenigstens eine nicht widerlegte
Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung darzutun. Seine
Vermutung, nachdem zwei vorhergehende Präsidenten des XXX aufgrund
Dienstunfähigkeit ausgeschieden seien, habe das Ministerium darauf geachtet,
das Risiko für eine erneutes vorzeitiges Ende einer Präsidentschaft zu minimieren,
indem man den Kläger wegen seiner Behinderung erst gar nicht zum
Vorstellungsgespräch eingeladen habe, entbehrt jeglicher Grundlage. Vielmehr
steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Behinderung des Klägers für
die Entscheidung, ihn nicht zu einem Auswahlgespräch einzuladen, keine Rolle für
die Vorauswahl gespielt hat. Mit der unterbliebenen Einladung zu dem
Vorstellungsgespräch ist der Kläger nicht wegen seiner Behinderung weniger
günstig behandelt worden, als eine andere Person in der vergleichbaren Situation.
Maßgeblich war allein, ob der Kläger das zwingende Anforderungsmerkmal der
praktischen Erfahrungen bei der Leitung von größeren Organisationseinheiten
erfüllte oder ob es ihm diesbezüglich offensichtlich an der fachlichen Eignung
fehlte. Ausweislich des Auswahlvorgangs wurde zu dem Auswahlgespräch keiner
der Bewerber eingeladen, der wie der Kläger lediglich in der Position eines
Referatsleiters tätig ist und damit das geforderte Merkmal des Anforderungsprofils
im Hinblick auf die ausgeschriebene Stelle offensichtlich nicht erfüllte. Es wurden
ausschließlich diejenigen Bewerber eingeladen, die bereits mindestens die
Funktion eines Abteilungsleiters inne hatten und damit per se über die geforderten
praktischen Erfahrungen bei der Leitung von größeren Organisationseinheiten
verfügten.
Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die Vorschrift des § 82
SGB IX sei zwecklos, wenn ein Verstoß gegen diese Verfahrensvorschriften
folgenlos bliebe, weil sich der Dienstherr unter Berufung auf sachliche Gründe
entlasten könne, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die vom Kläger
geltend gemachten Ansprüche setzen eine festgestellte Benachteiligung oder
mindestens eine nicht widerlegte Vermutung einer Benachteiligung wegen der
Schwerbehinderung voraus. Daran fehlt es jedoch, wenn die beanstandete
Behandlung des Klägers - wie hier - ausschließlich auf sachlichen Gründen beruht
(OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.08.2007 - 6 A 2172/05 - zitiert nach
juris). Die Vorauswahl von Bewerbern, die zwingende Merkmale des
Anforderungsprofils nicht erfüllen, ist auch wegen der gemäß § 24 AGG zu
berücksichtigenden Besonderheiten des öffentlichen Dienstrechts sachlich
begründet. So kann einem Vorstellungsgespräch nur dann ausschlaggebende
Bedeutung beigemessen werden kann, wenn das bisherige Leistungsbild der
Bewerber in Bezug auf das Anforderungsprofil in etwa gleich ist. Ansonsten
bestünde nämlich die Gefahr, dass ausschließlich die "Tagesform" zugunsten eines
Bewerbers entscheiden könnte, der nach dem Inhalt der Personalakten und
insbesondere nach der aktuellen dienstlichen Beurteilung leistungsmäßig
(deutlich) schwächer einzustufen ist (Hess. VGH, Beschluss vom 17.06.1997 - 1 TG
2183/97 -, HessVGRspr. 1998, 10; Beschluss vom 20.04.1993 - 1 TG 709/93 -,
HessVGRspr. 1993, 73). Als unterliegender Teil hat der Kläger die Kosten des
Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht
auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO liegen nicht
vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.