Urteil des VG Wiesbaden vom 17.12.2008

VG Wiesbaden: aufenthaltserlaubnis, ausreise, verfügung, vaterschaft, abschiebung, ausländer, asylverfahren, pass, besitz, verfassungsrecht

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1169/08.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 25 Abs 5 AufenthG, Art 6 GG
Vaterschaft als Abschiebungshindernis
Leitsatz
Keine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen obwohl Vater eines deutschen
Kindes
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger und hielt sich bereits vom 00.00.0000
bis zu seinen Abschiebungen am 00.00.1994 und am 00.00.2002 nach negativ
abgeschlossenen Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach
seinen Angaben reiste er am 00.00.2002 erneut in die Bundesrepublik
Deutschland ein und betrieb erfolglos sein drittes Asylverfahren, das rechtskräftig
am 06.09.2003 abgeschlossen wurde.
Mit rechtskräftiger Verfügung der Beklagten vom 28.03.2003 wurde der Kläger
aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen wegen Diebstählen unbefristet aus der
Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Auch danach ist der Kläger weiterhin im
Wesentlichen durch Diebstähle strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zurzeit
verbüßt er nach Festnahme am 09.07.2008 eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten
aus dem Urteil des Amtsgerichts F vom 29.06.2007 (xxx), deren Aussetzung zur
Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts F vom 31.01.2008 widerrufen
worden war.
Der Kläger hat die Vaterschaft für das am 23.10.1998 geborene deutsche Kind, C.,
anerkannt, das in G bei seiner Mutter lebt, die das elterliche Sorgerecht allein
ausübt.
Seiner Ausreiseverpflichtung ist der Kläger bis heute nicht nachgekommen. Er ist
nicht im Besitz von Identitätsnachweisen und hat nach Aktenlage auch nichts
unternommen, um einen Pass oder Passersatz zu erlangen.
Mit der vorliegenden, am 24.10.2008 erhobenen Klage ficht der Kläger die
Verfügung der Beklagten vom 26.09.2008, mit der der Antrag vom 16.03.2006
seines früheren Bevollmächtigten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von der
Beklagten abgelehnt wurde, an ohne die Klage zu begründen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Verfügung vom 26.09.2008 zu verpflichten,
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die Beklagte unter Aufhebung der Verfügung vom 26.09.2008 zu verpflichten,
dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt der Verfügung vom 26.09.2008, in
der insbesondere ausgeführt wird, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in Frage komme, da Abschiebungshindernisse i.S.
von § 60 Abs. 2 - 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen und der Kläger nicht
unverschuldet an der Ausreise gehindert sei. Die Tatsache, dass der Kläger Vater
eines deutschen Kindes sei, führe nicht zwangsläufig zu einem
Abschiebungshindernis. Der Kläger habe keinerlei Beziehung zu seiner Tochter
aufgebaut. Die Kindesmutter trage vor, dass der Kläger das gemeinsame Kind
lediglich dazu benutze, ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu erlangen. Er sei
ein Fremder für H. Der Kläger leiste keinerlei Lebenshilfe. Daher liege kein
schützenswertes Verhältnis im Sinne des Art. 6 GG vor.
Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt,
auch den der vorgelegten Behördenakten (2 Leitz-Ordner) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet, denn die angefochtene
Verfügung ist rechtmäßig weil der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis hat.
Nach § 25 Abs. 5 AufenthG, der bei dem vorliegenden Sachverhalt allein als
Anspruchsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommt, kann einem
vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Hindernisses in
absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der
Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ist die Abschiebung seit 18
Monaten ausgesetzt, soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine
Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift darf also nicht schon dann erteilt
werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Es müssen
vielmehr zusätzlich die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sein. Die Vorschrift
gewährt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis, wobei das Ermessen nach 18-monatiger Duldung zur
Vermeidung sogenannter Kettenduldungen stark eingeschränkt ist.
Unter "Ausreise" im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise
Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen. Nur wenn sowohl die
Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kommt die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in Betracht (BVerwG, Urteil vom
27.06.2006, BVerwGE 126, 192-201).
Vorliegend sind schon die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift
nicht erfüllt, weil die Ausreise des Klägers weder aus tatsächlichen noch aus
rechtlichen Gründen unmöglich ist bzw der Kläger das Ausreisehindernis
verschuldet hat.
Eine freiwillige Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus
rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen,
welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen.
Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen
Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen,
die aus Verfassungsrecht, z.B. Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Völkerrecht, z.B. Art. 8
EMRK, in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen
Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2,3,5 und 7 AufenthG, wobei bei
ehemaligen Asylbewerbern Ausländerbehörden und Gerichte gemäß § 42 Satz 1
AsylVfG regelmäßig an die (positive oder negative) Feststellung des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge gebunden sind (BVerwG, aaO).
Vorliegend kommen als Ausreisehindernisse allein die Passlosigkeit des Klägers
und die Anerkennung der Vaterschaft für ein deutsches Kind in Frage. Beide
stehen nach den Ermittlungen der Beklagten, wie sie sich aus den Behördenakten
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stehen nach den Ermittlungen der Beklagten, wie sie sich aus den Behördenakten
ergeben, einer Ausreise jedoch nicht entgegen.
Soweit eine Ausreise bisher daran gescheitert sein sollte, dass der Kläger nicht im
Besitz von Pass oder Passersatzpapier ist, geht die Beklagte zutreffend davon aus,
dass der Kläger insoweit nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert ist und
deswegen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf (§ 25 Abs. 5 Satz 3 und 4
AufenthG), denn nach dem Akteninhalt sind keinerlei Bemühungen des Klägers zur
Beschaffung von Heimreisepapieren erkennbar und auch im Klageverfahren hat
der Kläger hierzu nichts vorgetragen, so dass auch für das Gericht feststeht, dass
der Kläger selbst nichts unternommen hat, um dieses Ausreisehindernis zu
beseitigen. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit bereits durch das russische
Generalkonsulat anlässlich der beiden Abschiebungen 1994 und 2002
Passersatzpapiere ausgestellt wurden, spricht vielmehr dafür, dass es dem Kläger
problemlos möglich gewesen wäre, dieses Ausreisehindernis selbst zu beseitigen,
worauf die Beklagte in der angefochtenen Verfügung zutreffend hinweist.
Auch mit Rücksicht darauf, dass der Kläger die Vaterschaft für das deutsche Kind,
H, geb. am 00.00.0000, anerkannt hat, besteht für den Kläger kein
Abschiebungshindernis.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG
unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt in der Bundesrepublik (z.B. BVerfGE
51, 386 ff.). Art 6 GG verpflichtet allerdings dazu, bei der Entscheidung über die
Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen die familiären Bindungen des den Aufenthalt
begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet
aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen im Einzelfall angemessen
zu berücksichtigen (z.B. BVerfGE 80, 81 ff.). Ausländerrechtliche Schutzwirkungen
ergeben sich allerdings nicht allein schon aus formal-rechtlichen familiären
Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit der
Familienmitglieder (BVerfGE 76, 1 ff.). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen,
die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des
Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine
persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu
seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes
im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfGE 117, 380 ff.).
Zwischen dem Kläger und der von ihm als Kind anerkannten H hat zu keinem
Zeitpunkt eine Eltern-Kind-Beziehung bestanden. Der Kläger hat nie mit dem Kind
zusammengelebt. Er ist nicht sorgeberechtigt. Er hat auch in keinem Zeitpunkt
irgendeine persönliche Verantwortung für das Kind übernommen oder eine
tragfähige Beziehung aufgebaut. Unterhaltszahlungen hat er nie geleistet. Erst
0000 hat er sich, als das Kind bereits 7 Jahre alt war, im Zusammenhang mit der
Beantragung der Aufenthaltserlaubnis überhaupt auf diese Vaterschaft besonnen,
die Kindesmutter zu Erklärungen darüber veranlasst, dass er sich um das Kind
kümmere und dass eine Vater-Kind-Beziehung bestehe. Tatsächlich hat sich der
Kläger aber seit der Geburt bis heute nicht um das Kind gekümmert. Das Kind war
für ihn nur ein Mittel, um vielleicht doch ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Dies
steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des Schreibens der Kindesmutter
vom 29.04.2008 (Bl. 751 der Behördenakten) und der anschließenden
Ermittlungen der Beklagten fest. Die letzten Angaben der Kindesmutter zu der nie
vorhandenen Vater-Kind Beziehung werden nämlich durch einen Mitarbeiter des
Sozialdienstes in G vollinhaltlich bestätigt und auch nach dessen Erkenntnissen als
glaubhaft eingeschätzt. Der Schlussfolgerung der Beklagten, dass der Kläger
keinerlei Lebenshilfe für H leiste, keine Verantwortung für Betreuung und Erziehung
übernehme, so dass von einer familiären Gemeinschaft im Bundesgebiet nicht
ausgegangen werden könne, die in der Anhörung des Klägers vom 10.09.2008 und
der angefochtenen Verfügung vom 26.09.2008 dargelegt wurde, ist der Kläger
weder im Behördenverfahren noch im vorliegenden Klageverfahren
entgegengetreten. Nach alledem kann auch zur Überzeugung des Gerichts eine
Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Kind ausgeschlossen
werden. Die Beziehung geht über den formal-rechtlichen Inhalt der Anerkennung
der Vaterschaft nicht hinaus.
Da danach die beantragte Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden darf, ist die
Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus
§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.