Urteil des VG Wiesbaden vom 12.08.2008

VG Wiesbaden: rücktritt, prüfungsordnung, prüfer, unverzüglich, ausbildung, anatomie, kontrolle, klausur, phobie, form

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Gericht:
VG Wiesbaden
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 414/08.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 12 Abs 1 GG, § 7 KrPflAPrV,
§ 12 Abs 3 KrPflAPrV, § 23 Abs
3 KrPflG, Art 3 Abs 1 GG
Rücktritt von einer Prüfung wegen Prüfungsangst
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der verheiratete Kläger und Vater zweier Kinder nahm seit dem 01.10.2003 im
Rahmen einer Umschulung an einer Ausbildung für Krankenpfleger an der … in …
teil. Zum Abschluss der Ausbildung unterzog sich der Kläger in der Zeit vom
28.07.2006 bis 28.09.2006 einer staatlichen Prüfung in der Krankenpflege vor dem
Prüfungsausschuss an der ….-schule am …. Den praktischen Teil der
Abschlussprüfung schloss er am 28.07.2006 mit der Note "befriedigend" und den
mündlichen Teil am 28.09.2006 mit der Note "ausreichend" ab. Im schriftlichen Teil
wurden die Leistungen des Klägers im Ergebnis mit der Note "mangelhaft"
bewertet. Dabei erreichte der Kläger im Fach Krankenpflege, Krankheitslehre und
Anatomie und Physiologie jeweils die Fachnote 5, im Fach Berufsgesetzes und
Staatsbürgerkunde die Fachnote 3. Entsprechend dem Berechnungsmodus ergab
dies einen Schnitt von 4,75 mithin die Note 5 ("mangelhaft") (Blatt 4 der
Behördenakte).
Mit Bescheid des C vom 01.11.2006 wurde dem Kläger eröffnet, dass er das
Examen im schriftlichen Teil nicht bestanden hat. Der Kläger wurde darauf
hingewiesen, dass die Prüfung insgesamt oder jeder Teil der Prüfung nur einmal
wiederholt werden könne. Auflagen wurden nicht erteilt.
Mit Schreiben vom 07.12.2006 beantragte der Kläger die Zulassung zur
Wiederholungsprüfung im schriftlichen Teil, zu der er auch zugelassen wurde. Am
25.01.2007 bis 26.01.2007 wiederholte der Kläger den schriftlichen Teil der
Krankenpflegeprüfung. Dabei erzielte er im schriftlichen Teil der Prüfung erneut die
Note "mangelhaft".
Im Einzelnen erreichte er in den Fächern Krankheitspflege und Krankheitslehre die
Fachnote 4, im Fach Anatomie und Physiologie die Fachnote 5 und im Fach
Berufsgesetzes und Staatsbürgerkunde die Fachnote 3. Entsprechend dem
Berechnungsschlüssel ergibt dies einen Durchschnitt von 4,25, mithin die Note 5 -
"mangelhaft" -(Blatt 10 der Behördenakte).
Mit Bescheid des C vom 05.03.2007 wurde dem Kläger eröffnet, dass der
schriftliche Teil der Prüfung mit der Note "mangelhaft" bewertet wurde und der
Kläger damit die Wiederholungsprüfung im schriftlichen Teil nicht bestanden habe.
Da eine Wiederholung der Prüfung nur einmal möglich ist, habe er damit endgültig
nicht bestanden. Der Bescheid wurde dem Kläger am 07.03.2007 zugestellt.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 30.03.2007 legte der Kläger gegen
den Bescheid fristgerecht Widerspruch ein.
Zur Begründung des Widerspruchs trug der Kläger zunächst im Wesentlichen vor,
dass eine Aufrundung der Endnote 4,25 auf 5 (mangelhaft) gegen mathematische
Auf- und Abrundungsgrundsätze verstoße, wonach erst ab 0,51 nach oben
aufgerundet werden dürfe. Bei einem geprüften Kandidaten sei die Endnote von
3,625 auf 4 aufgerundet worden, während der zweite Prüfling mit dem Wert 3,357
mit der Note 3 bewertet worden sei. Insoweit beanstande er die Verletzung
verwaltungsgerichtlich nachprüfbarer Bewertungsgrundsätze.
Auch sei in einer vergleichbaren Situation eine schwangere Kandidatin nochmals
zur Wiederholungsprüfung zugelassen worden, weshalb die Verletzung der
Grundrechte der Gleichbehandlung gegeben sei.
Ferner rechtfertigte der Kläger seine Endnote mit einer schweren Prüfungsangst.
Nach seinen Angaben wirke sich diese schon länger bekannte Phobie aber nicht
kritisch auf seine Leistungen im Berufsleben aus, sondern belaste den Kläger
lediglich in Prüfungssituationen. Er sei wegen seiner Prüfungsphobie in
psychotherapeutischer Behandlung und beantrage für diese nach seiner Ansicht
unentschuldbare Prüfungssituation eine Wiederholungsmöglichkeit eingeräumt zu
bekommen, da er mittlerweile als Prüfungsfest anzusehen sei.
Die Ursache für sein Nichtbestehen liege in seiner panischen Prüfungsangst.
Insoweit habe er sich in psychotherapeutischer Behandlung bei dem Facharzt für
psychosomatische Medizin und Psychiatrie Dr. med. …. befunden. Er besitze auch
eine ausreichende fachliche Qualifikation für den Beruf eines Krankenpflegers. Zur
familiären Existenzsicherung sei er seit dem 11.04.2007 bei der Zeitarbeitsfirma
…. im Bereich Kranken- und Altenpflege als Krankenpflegehelfer beschäftigt. Aus
einer Beurteilung der Zeitarbeitsfirma vom 05.07.2007 ergebe sich, dass man ihn
als zuverlässigen, vielseitigen, kompetenten und arbeitstechnisch begehrten
Mitarbeiter kennengelernt habe.
Die Bewertungsskala für den schriftlichen Prüfungsteil sei nach Auffassung des
Klägers niedriger einzutaxieren, da dieser Bereich im Berufsleben für den
Einsatzbereich nicht gefordert sei. Vielmehr käme es auf die tägliche
Krankenpflege, später im Berufsleben auf den mündlichen und praktischen
Prüfungsteil an, in denen er mit den Noten 4 und 3 bestanden habe. Er sei der
Ansicht, dass wenn gemäß einem verwaltungsgerichtlichen nachprüfbaren Bereich
der bisherigen Prüfungsergebnissen er gleichwertig eingestuft worden wäre, sich
für ihn ein Prüfungsdurchschnitt von 4 ergeben hätte (praktischer Teil: Note 3,
mündlicher Teil: Note 4, schriftlicher Teil: Note 5). Insoweit sei die angewandte
Prüfungsordnung in Frage zu stellen, wenn sie vorsehe, dass bei nicht ausreichend
Absolvierung eines Prüfungsteils die Prüfung insgesamt als nicht bestanden
anzusehen sei.
Entsprechend der Aufforderung der Beklagten übersandte der Kläger im Weiteren
zwei ärztliche Atteste vom 21.06.2007 und 04.07.2007 und eine vorsorgliche
Schweigepflichtentbindungserklärung. Aus dem Attest des Hausarztes Dr. Dr.
med. … vom 04.10.2007 geht hervor, dass wegen der mehrfach aufgetretenen
panikartigen Prüfungsängsten des Klägers eine psychotherapeutischer
Behandlung bereits seit September 2002 eingeleitet worden ist. Die
Prüfungsphobie sei nicht erst durch das streitbefangene Prüfungsergebnis injiziert,
sondern schon zuvor als Grundproblem anerkannt und behandelt worden.
Daraus folgert der Kläger, dass die Phobie Krankheitswert besitze. Daraus ergebe
sich aus seiner Sicht auch, dass diese Erkrankung entsprechend der
gesetzgeberischen Wertung im Dienst der Vertragsrechte für den Kläger
unvertretbar sei. Insoweit könne auf der Prüfungsangst beruhende Ergebnis ihm
nicht als Verschulden negativ angelastet werden.
Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychiatrie Dr. med. …
bescheinigt dem Kläger mit Attest vom 21.06.2007, dass der Kläger unter einer
ausgeprägten Prüfungsphobie leide. Diese führe dazu, dass der Kläger in
Prüfungen starke Angstzustände habe, die er nicht steuern könne. In dem
ärztlichen Attest heißt es weiter, dass es dabei auch zu Black-Outs kommen
könne, dass heiße, dass der Kläger den Zugang zu seinem vorhandenen
Fachwissen verliere und aufgrund des hohen inneren Drucks keine adäquaten
Antworten mehr geben könne. Er sei insoweit der Ansicht, dass die Angststörung
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Antworten mehr geben könne. Er sei insoweit der Ansicht, dass die Angststörung
durch das zweimalige Durchfallen in den Abschlussprüfungen verstärkt worden sei.
Eine Behandlung der Angstphobie könne nur eingeschränkt positive Ergebnisse
bringen, da die Reaktionen hoch automatisiert abliefen und vom Kläger nur schwer
beeinflussbar seien.
Von Seiten des Beklagten wurde im Verfahren der Anhörung darauf hingewiesen,
dass die Darlegungen aus den Attesten den Schluss zuließen, dass dem Kläger
seit mehreren Jahren bewusst sein müsse, dass er nicht oder nur eingeschränkt
Prüfungsfähig sei und zudem auch in Zukunft nicht Prüfungsfähig sein werde.
Insoweit wird auf die Ausführungen in dem Attest vom 21.06.2007 Bezug
genommen und zitiert: "Eine Behandlung unter den aktuellen Umständen kann nur
eingeschränkt positive Ergebnisse erzielen, …". Der Kläger müsse demzufolge
auch in der Lage gewesen sein zu erkennen, dass bzw. ob er einen Black Out in
der Form wie in der dem vorliegenden Attest beschrieben, in der Prüfung gehabt
habe, mit der Folge, dass wie es der Argumentation des Widerspruchs
entsprechen würde, prüfungsunfähig gewesen sei. Bei dieser Einschätzung sei aus
heutiger Sicht nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger die Gründe, die ihn zum
Rücktritt von der Prüfung veranlassen müssten, erstmals mit Schreiben vom
28.06.2007 vorgetragen würden. Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger in
Kenntnis der Rechtslage und um seine Prüfungsunfähigkeit wissend bereits
während der ersten Prüfung oder unverzüglich danach von der Prüfung
zurücktrete, zumindest aber, dass er diesen Schritt bei oder unverzüglich nach der
Widerholungsprüfung gegangen wäre.
Hierzu erklärte der Kläger, dass er bei dem ersten Prüfungsdurchgang das Gefühl
gehabt habe, seine Ängste einiger Maßen unter Kontrolle zu haben und damit
auch bestehen zu können. Er habe deswegen auch keinen Anlass zum Rücktritt
gesehen. Aus Gleichheitsgründen müsse ihm zugestanden werden, dass ihm eine
entsprechende Wiederholungschance eingeräumt werde, wie dies in anderen
Fällen auch sei. Seine Prüfungsangst resultiere im Wesentlichen aus den
Existenzängsten für sich und seine Familie. Eine entsprechende Prüfungsstabilität
sei bei der angefochtenen Prüfung bisher leider nicht im ausreichenden Umfang
gegeben gewesen.
Mit Bescheid des Beklagten vom 13.03.2008 wurde der Widerspruch wegen der
Bewertung der Prüfungsleistung in der Wiederholungsprüfung zur Gesundheits-
und Krankheitspflege als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 23 Abs. 3 des Gesetzes über
Berufe in der Krankheitspflege vom 16.07.2005 (BGBl. I S. 1442) die von dem
Kläger vor dem 01.01.2004 begonnene Ausbildung nach den Vorschriften der
Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV)
vom 16.10.1985 (BGBl I S. 1973) abzuschließen gewesen sei. Gemäß § 7 Abs. 1
und 2 KrPflAPrV werde ein Zeugnis über das Bestehen der Prüfung dann
ausgestellt, wenn die Prüfung in allen Teilen bestanden werde. Der schriftliche
Prüfungsteil sei nach § 7 Abs. 1 KrPflAPrV bestanden, wenn die dort erbrachten
Leistungen mit mindestens "ausreichend" benotet würden. Der Kläger habe
vorliegend aufgrund seiner Noten im schriftlichen Teil zu Recht die Prüfung
insgesamt nicht bestanden. Da jeder Prüfungsteil nach § 7 Abs. 3 KrPflAPrV nur
einmal wiederholt werden dürfe, sei die Mitteilung über das endgültige
Nichtbestehen auch beim Wiederholungsversuch wegen der Note "mangelhaft" in
der Wiederholungsprüfung im schriftlichen Prüfungsteil nicht zu beanstanden. Es
sei dabei zu berücksichtigen, dass im Widerspruchsverfahren lediglich eine
Fehlerkontrolle (d.h. eine somatische Rechtmäßigkeitskontrolle) stattfinden könne.
Das Ergebnis der Bewertung der vier Aufsichtsarbeiten sei unstrittig und die
daraus sich ergebenden Fachnoten entsprechend der nach § 12 Abs. 3 KrPflAPrV
vorzunehmenden Gewichtung zu berechnen, was ein Endwert in dem schriftlichen
Teil der Prüfung mit 4,125 ergebe. Auf Abrundungen käme es vorliegend nicht an,
da nach § 12 Abs. 3 Satz 3 KrPflAPrV die Noten festlege: Gesamtnote "sehr gut"
(1) bei Werten unter 1,5, "gut" (2) bei Werten von 1,5 bis unter 2,5, "befriedigend"
(3) bei Werten von 2,5 bis unter 3,5, "ausreichend" (4) bei Werten von 3,5 bis 4,0,
"mangelhaft" (5) bei Werten von mehr als 4,0 bis 5,0 und "ungenügend" (6) bei
Werten von über 5,0.
Diese exakte Definition der Notenfestlegung für den schriftlichen Teil der
Krankenpflegeprüfung erübrige jedwede Diskussion über Auf- und
Abrundungsgrundsätze nach mathematischen Gesichtspunkten. Auch könne der
Argumentation, dass bei der Prüfung zum Altenpfleger i.d.R. ein Notendurchschnitt
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Argumentation, dass bei der Prüfung zum Altenpfleger i.d.R. ein Notendurchschnitt
von 4,5 als ausreichend für das Bestehen der Ausbildung gelte, als nicht relevant
angesehen werden, da sich die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der
Gesundheitsfachberufen unterschieden.
Selbst nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe der
Krankenpflege vom 10.11.2003 (BGBl. I S. 2263) die für die Ausbildung nach dem
Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege vom 16.07.2003 maßgeblich sei,
habe abweichende Bestehensregelungen. Danach müsse jede Aufsichtsarbeit mit
mindestens "ausreichend" benotet werden, um den schriftlichen Prüfungsteil zu
bestehen, was im vorliegenden Fall ebenfalls das Nichtbestehen der Prüfung
bedeuten würde. Auch ergebe sich aus der Prüfungsordnung eindeutig, dass die
Prüfung nur bestanden ist, wenn jeder Prüfungsteil mit mindestens "ausreichend"
benotet werde. Die von dem Kläger versuchte Neugewichtung sei fragwürdig und
stehe im Widerspruch zur geltenden Rechtslage. Auch komme es nicht auf die
Beurteilung von Vorgesetzten und die Reaktion von Patienten an, diese seien für
die Entscheidung, ob eine staatliche Prüfung als Bestanden bewertet werden
könne, ohne Belang, maßgeblich seien allein die Leistungen in der Prüfung.
Anhaltspunkte dafür, dass die Fachprüfer unsachliche bzw. willkürliche Erwägungen
bei der Bewertung der Prüfungsleistungen des Widerspruchsführers angestellt
hätten, ergäben sich nicht. Die Bewertungen seien schlüssig und nachvollziehbar.
Der Kläger habe auch keinen Gesichtspunkt vorgetragen, der eine bessere
Beurteilung rechtfertigen könnte, weshalb es bei der Bewertung "mangelhaft" für
den schriftlichen Teil der Widerholungsprüfung verbleibe.
Soweit der Kläger geltend mache, dass er durch seine Prüfungsangst nicht in der
Lage gewesen sei, sein Wissen und seine Leistungen entsprechend abzurufen,
hätte für ihn die Möglichkeit bestanden, von der Prüfung zurückzutreten und diese
ohne Anrechnung auf die Wiederholungsmöglichkeit neu zu beginnen. Dies setze
jedoch voraus, dass der Prüfling unverzüglich dem Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses den Rücktritt schriftlich mitteile. Die Nachfrage der Behörde
habe ergeben, dass der Kläger für eine Anzeige der Prüfungsunfähigkeit keinen
zwingenden Anlass gesehen habe, da er der Überzeugung gewesen sei, dass
seine Prüfungsleistung ausreichend für das Bestehen gewesen sei. Damit habe er
seiner Mitwirkungspflicht die Gründe für einen Abbruch seiner Prüfung unverzüglich
mitzuteilen, nicht erfüllt. Im Hinblick auf seine Kenntnis bezüglich seiner
Prüfungsangst hätte er diese während der Prüfung, spätestens jedoch nach der
Prüfung, zwingend vor der Bekanntgabe der Noten geltend machen müssen. Die
Rücktritts- und Versäumnisregelungen sollten zwar im Falle einer
Prüfungsunfähigkeit die Chancengleichheit wieder herstellen, aber nicht weitere
Prüfungsmöglichkeiten schaffen. Auch dies würde der Chancengleichheit der
anderen Prüflinge entgegenstehen. Der Kläger habe bewusst abgewartet, ob er die
Wiederholungsprüfung bestanden habe, um dann rückblickend auf das schlechte
Ergebnis dieses mit der Prüfungsangst zu begründen. Würde man diesem
Begehren entsprechen, hätte er damit die unbegrenzte Möglichkeit, die Prüfung
abzulegen, bis das Ergebnis ihm angenehm erscheine. Da er es versäumt habe
seine Gründe, die von ihm geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit unverzüglich
vorzutragen, verbleibe es auch unter diesem Gesichtspunkt bei dem Ergebnis
"nicht bestanden".
Im Einzelnen wird auf den Widerspruchsbescheid (Blatt 119 bis 130 der
Gerichtsakte) vollinhaltlich Bezug genommen.
Der Widerspruchsbescheid wurde per Empfangsbekenntnis am 20.03.2008
zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18.04.2008, eingegangen beim
Verwaltungsgericht Wiesbaden am 21.04.2008, hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass der Beklagte aufgrund eines im Arbeitsleben und
in der Judikatur anerkannten Grundsatzes des Günstigkeitsprinzips nicht die
formell richtige Ausbildungs- und Prüfungsordnung der Berufe für die
Krankenpflege vom 16.10.1985 hätte anwenden dürfen, da diese gemäß Art. 8 des
Gesetzes über die Berufe der Krankenpflege vom 16.07.2003 außer Kraft getreten
sei. Damit würden die von dem Beklagten angelegten Bewertungsgrundsätze
entfallen. Insoweit hätte der Beklagte Zusatzqualifikationen wie über den
Durchschnitt geleisteten Nachtschichtstunden zugunsten des Klägers zu
berücksichtigen und die Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 19.02.2007
anzuwenden.
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Trotz der gesetzlichen Verankerung der Bewertungsskala sei er der Auffassung,
dass diese gegen ein allgemeines Notenverständnis verstoße, wonach 4,25 auf 4
abzurunden seien. Diese Abrundung sei wohl auch in dem Fall eines Mitprüflings
erfolgt. Diese Ungleichbehandlung sei nicht hinzunehmen. Ein
Normenkontrollverfahren werde angeregt.
Auch müsse es eine Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandards im europäischen
Raum geben, weil dort die Prüfungsergebnisse nach seiner Ansicht als
"ausreichend" anzusehen seien. Eine Ungleichbehandlung zwischen Ausländern
und Deutschen verletze den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 GG. Der Verstoß
gebe sich ferner aus einer Ungleichbehandlung zu der zum Zeitpunkt der
Wiederholungszeitpunkt schwangeren Zeugin …, die trotz nicht bestandener
Wiederholungsprüfung erneut eine Prüfungschance bekommen habe.
Er sei der Meinung, dass der Ermessensspielraum des Beklagten ihn nochmals zur
Widerholungsprüfung zuzulassen auf "null" geschrumpft sei, da nach seiner Ansicht
die Schwangerschaftsbeschwerden seinen Prüfungs- und Existenzängsten
entsprechend gleichzustellen seien.
Er habe vor Prüfungsantritt rechtzeitig auf seine Phobie hingewiesen, weshalb er
rechtzeitig von der Wiederholungsprüfung ohne Anrechnung auf die
Wiederholungsmöglichkeit zurückgetreten sei. Das Abwarten der
Prüfungsergebnisse sei nachvollziehbar und nicht vorwerfbar.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Prüfungsbescheids für Berufe der Krankenpflege vom
05.03.2007 …sowie des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2008 … jeweils des C
wird das beklagte Land für verpflichtet erklärt, die vom Kläger am 25. und
26.01.2007 abgelegte schriftliche Wiederholungsprüfung in der Krankenpflege als
bestanden und unter Einbeziehung der vom Kläger in der Zeit vom 28.07. -
28.09.2006 abgeleisteten Prüfungsteile - praktischer Teil mit "befriedigend" und
mündlicher Teil mit "ausreichend" - als insgesamt bestanden zu bescheiden,
hilfsweise unter Aufhebung des Prüfungsbescheids für Berufe der
Krankenpflege vom 05.03.2007 … sowie des Widerspruchsbescheides vom
13.03.2008 … jeweils des C wird das beklagte Land für verpflichtet erklärt, den
Kläger zu einer weiteren Wiederholungsprüfung für den Beruf der Krankenpflege im
schriftlichen Teil zuzulassen,
hilfsweise unter Aufhebung des Prüfungsbescheids für Berufe der
Krankenpflege vom 05.03.2007 … sowie des Widerspruchsbescheides vom
13.03.2008 … jeweils des C wird das beklagte Land für verpflichtet erklärt, den
Kläger zu einer weiteren Wiederholungsprüfung für den Beruf der Krankenpflege
insgesamt einschließlich praktischem und mündlichen sowie schriftlichen Teil
zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält den Hauptantrag des Klägers für unbegründet. Insoweit verweist
er auf seine Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden. Ein sog.
Günstigkeitsprinzip komme vorliegend nicht in Betracht. Dies sei vorliegend
gesetzlich nicht verankert. Auch seien die Hilfsanträge des Klägers unbegründet.
Der Kläger hätte zum Zeitpunkt der Wiederholungsprüfung gegenüber der Aufsicht
mitteilen müssen, dass er gerade unter akuter Prüfungsangst leide und sich
unfähig fühle, den Wiederholungsversuch durchzuführen. Es sei davon
auszugehen, dass der Kläger jetzt rückblickend versuche, seine
Prüfungsunfähigkeit bzw. eine berücksichtigungsfähige Leistungsminderung nach
Mitteilung des Nichtbestehens auf Grundlage einer Erkrankung herzuleiten, deren
Symptome noch nicht dargelegt worden seien. Der Kläger verhalte sich insoweit
widersprüchlich.
Bei dem von dem Kläger benannten Schwangerschaftsfall handele sich nicht um
einen vergleichbaren Fall, da in diesem Fall der Rücktritt von der
Wiederholungsprüfung genehmigt worden sei, weil die betreffende Person
krankheitsbedingt den Prüfungstermin nicht habe wahrnehmen können.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt (Bl. 57 und 66 der Gerichtsakte).
In der mündlichen Verhandlung am 05.08.2008 wurden die Prüfer in dem Fach
Anatomie und Physiologie Herr und Frau … zur Frage der Bewertung der Arbeit
und Notengebung angehört.
Entsprechend dem Antrag in der mündlichen Verhandlung reichte der Kläger noch
einen Schriftsatz mit dem Zwischenzeugnis des Prüfers Herr … vor der
Verkündung zu den Gerichtsakten (eingegangen am 08.08.2008).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie die
Prüfungsakte des Klägers, sowie 3 allgemeine Prüfungsakten Bezug genommen,
welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung
gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt,
dass die schriftliche Wiederholungsprüfung mit "mangelhaft" bewertet worden ist
und damit die Prüfung endgültig nicht bestanden wurde.
Die Möglichkeit, Prüfungsentscheidungen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle
zu unterziehen unterliegen gewissen Einschränkungen. Gemäß Art. 12 Abs. 1 GG
hat der Prüfling einen Anspruch auf effektiven Schutz seines Grundrechts auf
Berufsfreiheit durch eine entsprechende Gestaltung des Prüfungsverfahrens.
Dabei muss der Prüfling die Möglichkeit haben, Einwände gegen die Bewertungen
seiner Prüfungsleistungen bei der Prüfungsbehörde rechtzeitig und wirkungsvoll
vorzubringen, um derart ein Überdenken dieser Bewertung unter Berücksichtigung
seiner Einwände zu erreichen. Dieser Anspruch des Prüflings besteht zusätzlich zu
seinem Anspruch auf gerichtlichen Rechtschutz. Denn die gerichtliche Kontrolle
stößt an Grenzen, weil der Bewertungsvorgang von zahlreichen Unwägbarkeiten
bestimmt ist, die sich in einem Verwaltungsprozess nur schwer oder teilweise gar
nicht fassen lassen. Insbesondere ist die durch den Grundsatz der
Chancengleichheit gebotene gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbarer
Prüfungskandidaten, zumal auf der Basis der persönlichen Erfahrung und
Vorstellung der beteiligten Fachprüfer, nur erreichbar, wenn der Behörde, also
auch dem Prüfungsausschuss, bei prüfungsspezifischen Wertungen ein
Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit
eingeschränkt wird.
Gerichtlich Überprüfbar sind Prüfungsentscheidungen nur insoweit, als geprüft
werden kann, ob ein Prüfungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, ob
Prüfer von falschen Tatsachen ausgingen, ob sie sich von sachfremden
Erwägungen leiten ließen, ob sie allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht
beachteten oder ob die Bewertung unter keinem erdenklichen oder
wissenschaftlichen oder pädagogischen Gesichtspunkt gerechtfertigt und damit
willkürlich war. Unter Zugrundelegung dieser Kontrollmaßstäbe ist das Ergebnis der
in der Nachprüfung insgesamt 4 abgelegten Aufsichtsarbeiten nicht zu
beanstanden.
Das Gericht sieht keinen Grund und keine Veranlassung darin, die Ausbildungs-
und Prüfungsordnung für die Berufe der Krankenpflege vom 16. Oktober 1985
weder bei der Gewichtung noch bei den Regelungen zur Benotung als
verfassungswidrig anzusehen. Die Prüfungsordnung verhält sich in ihrem
Regelungsrahmen wie viele andere Prüfungsordnungen auch. Dabei ist die
Festlegung der gewichteten Noten zur Gesamtnote, wie in § 12 Abs. 3 KrPflAPrV
geregelt, nicht im Ansatz zu beanstanden. Das Gericht vermag in diesem
Zusammenhang den Ausführungen des Klägers nicht zu folgen. Der Verordnungs-
bzw. Gesetzgeber hat - wie in vielen anderen Prüfungsordnungen auch zur
Vermeidung von Unsicherheiten und Missverständnissen eine verbindliche und
einheitliche Regelung getroffen, welche auch im Lichte des Verfassungsrechtes
nicht zu beanstanden ist.
Gemäß § 23 Abs. 3 des Gesetzes über Berufe in der Krankenpflege vom
16.07.2005 (BGBl. I S. 1442) gilt für vor dem 1. Januar 2004 begonnenen
Ausbildungen die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der
Krankenpflege vom 16.10.1985 ausdrücklich weiter. Auch dies ist nicht zu
beanstanden. Mithin wird gemäß § 7 Abs. 1 und 2 KrPflAPrV ein Zeugnis über das
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beanstanden. Mithin wird gemäß § 7 Abs. 1 und 2 KrPflAPrV ein Zeugnis über das
Bestehen der Prüfung nur dann ausgestellt, wenn die Prüfung in allen Teilen
bestanden wird. Der schriftliche Prüfungsteil ist nach § 7 Abs. 1 KrPflAPrV
bestanden, wenn die dort erbrachten Leistungen mit mindestens "ausreichend"
benotet werden. Diese Regelung ist klar und deutlich und musste dem Kläger auch
bereits vor Beginn der Prüfung bekannt gewesen sein. Ihm muss auch bekannt
gewesen sein, dass jeder Prüfungsteil nach § 7 Abs. 3 KrPflAPrV nur einmal
wiederholt werden darf.
Insoweit hätte der Rücktritt von der Prüfung zeitnah erfolgen müssen, was
vorliegend nicht geschehen ist. Ein Rücktritt von der Prüfung nach Bekanntgabe
des Prüfungsergebnisses und damit der Abschluss des Prüfungsverfahrens ist
nicht zeitnah. Vielmehr ist der Grund, welcher zu einem Rücktritt der Prüfung
führen soll unverzüglich und zwingend vor der Bekanntgabe der Noten geltend zu
machen. Insoweit hat der Beklagte zu Recht einen wirksamen Rücktritt von der
Wiederholungsprüfung im Gegensatz zu dem von dem Kläger benannten Fall
vorliegend nicht anerkannt. Der Beklagte führt zu Recht aus, dass im Falle eines
bewussten Abwartens auf das Prüfungsergebnis und damit der Frage, ob die
Prüfung bestanden wurde, nicht dazu führen könne, durch nachträglichen Rücktritt
die Prüfungsmöglichkeit in die Beliebigkeit des Prüflings zu stellen. In diesem Fall
hätte ein Prüfling die unbegrenzte Möglichkeit die Prüfung abzulegen, bis ihm das
Ergebnis gefällt. Dies würde gegen jegliche Gleichheitschancen bei der Prüfung
gegenüber den anderen Prüflingen zu einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG
führen.
Zwar ist aufgrund der vorliegenden Behördenakten auffällig, dass die Noten in
dem schriftlichen Prüfungsfach "Anatomie und Physiologie" häufig "mangelhaft"
aufweisen. Die Fachprüfer konnten das Gericht in der mündlichen Verhandlung am
05.08.2008 jedoch davon überzeugen, dass sie weder von falschen Tatsachen
ausgingen, noch sich von sachfremden Erwägungen leiten ließen. Sie erläuterten
dem Gericht nachvollziehbar und in nicht zu beanstandender Weise ihre
Bewertungsmaßstäbe und die Vergabe der Punkte, welche zu der Fachnote
führten. Dabei orientierten sich die Prüfer nachvollziehbar an der einheitlichen
Notenliste für die Bewertung der Leistung in der staatlichen Prüfung in der
Krankenpflege und Kinderkrankenpflege ab 1999. Dieses Vorgehen ist nicht zu
beanstanden.
Die Prüfer konnten dem Gericht auch nachvollziehbar und in nicht zu
beanstandender Weise darlegen, warum aus Gleichheitsgründen gegenüber den
anderen Prüflingen für die von dem Kläger erfolgten Mehrleistungen eine Erhöhung
der Punktzahl und damit eine mögliche bessere Note auszuschließen ist. Dabei
wiesen die Prüfer zu Recht darauf hin, dass der Kläger lediglich rund die Hälfte der
Prüfungsfragen beantwortete bzw. teilbeantwortete, bei der anderen Hälfte der
Prüfungsfragen jedoch nichts zu Papier brachte. Insoweit spiegelt sich das Bild der
Klausur auch in den vergebenen Punkten der Prüfer in nachvollziehbarer und nicht
zu beanstandender Weise wieder.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, das ein Prüfer
den Kläger im Rahmen eines Zwischenzeugnisses dahin einschätzte, dass die
Beurteilung der Praktikumsstationen sowie im internen als auch in der externen
praktischen Ausbildung bisher überwiegend im mittleren und oberen Bereich
angesiedelt seien, ändert dies nichts an der in der schriftlichen Klausur erbrachten
Leistung. Dass die Prüfer bei der Gewichtung in Form der Punktvergabe bei einer
Frage eine unterschiedliche Gewichtung vertreten haben, spielt insoweit ebenfalls
keine Rolle, da dies in dem Beurteilungsspektrum der Prüfer liegt. Unabhängig
davon würde ein halber Punkt bei der von der Prüferin Frau … benoteten Arbeit
ebenfalls nicht zu einer ausreichenden Punktzahl von mindestens der Hälfte der
Höchstpunktzahl (49 Punkte) mithin 24,5 Punkte führen. Erst ab Erreichen der
Hälfte der Punktzahl ist noch die Note "ausreichend" zu vergeben.
Auch wenn beide Prüfer miteinander verheiratet sind, ändert dies nichts daran,
dass die Prüfung formal und inhaltlich ordnungsgemäß und in der Beurteilung der
Klausur im Fach Anatomie und Physiologie nicht zu beanstanden ist. Denn es gibt
keinen Rechtsgrundsatz der es gebietet, dass Eheleute nicht gemeinsam Prüfen
dürfen.
Auch sind sonstige Leistungen für die Bewertung der schriftlichen Klausur nicht zu
berücksichtigen. Eine Berücksichtigung sieht weder die Prüfungsordnung vor, noch
macht dies in irgendeiner Form Sinn. Denn bei der schriftlichen Prüfung ist nur und
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macht dies in irgendeiner Form Sinn. Denn bei der schriftlichen Prüfung ist nur und
ausschließlich die schriftliche Prüfungsleistung zu bewerten.
Nach alledem sind der Prüfungsbescheid vom 05.03.2007 und der
Widerspruchsbescheid vom 13.03.2008 nicht zu beanstanden, weshalb es auch
nicht weiter auf die Hilfsanträge des Klägers ankommt und er mit diesem nicht
durchdringen kann.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit bezüglich der Kosten
folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.