Urteil des VG Wiesbaden vom 18.04.2007

VG Wiesbaden: ermessensausübung, stadt, brand, baurecht, grundstück, eigentümer, bestandteil, zustellung, öffentlich, gerichtsakte

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Gericht:
VG Wiesbaden 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 650/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 53 Abs 2 BauO HE 2002, §
72 Abs 1 BauO HE 2002
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 11.08.2005 und der Widerspruchsbescheid vom
12.04.2006 werden, soweit sie sich auf die Nutzungsuntersagung beziehen,
aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Der Kostenschuldner darf die Vollsteckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollsteckung
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendete sich gegen eine Baueinstellungsverfügung und
Nutzungsuntersagungsverfügung der Beklagten, nach Aufhebung der
Baueinstellungsverfügung in der mündlichen Verhandlung nur noch gegen die
Nutzungsuntersagungsverfügung.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung D. Flur ... Flurstück ... mit der
Bezeichnung Wohnplatz E. 2, eingetragen im Grundbuch von A-Stadt-D, Blatt .....
Im Flächennutzungsplan der A-Stadt ist der entsprechende Bereich als
"Grünflächen-Bestand, Dauerkleingärten" ausgewiesen. In der amtlichen Flurkarte
sind die ehemaligen Grenzen der baulichen Anlagen mit dem Zusatz "Ruine"
eingetragen.
Nach einem Brand auf dem Grundstück, bei dem wesentliche Teile der
vorhandenen Baulichkeiten, für die keine Baugenehmigung existierte, vernichtet
wurden, wurden auf dem Grundstück der Klägerin die Baulichkeiten, soweit sie
durch den Brand vernichtet worden waren, neu. Eine Baugenehmigung beantragte
sie dabei nicht.
Auf Hinweis einer Grundstücksnachbarin und Verlangen nach Einschreiten führte
die Beklagte eine Ortsbesichtigung durch, stellte die ohne Baugenehmigung
durchgeführten Bauarbeiten fest und erließ - zunächst mündlich, sodann schriftlich
- eine Baueinstellungsverfügung sowie eine Nutzungsuntersagungsverfügung.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie im wesentlichen damit
begründete, die baulichen Maßnahmen seien nicht genehmigungspflichtig.
Außerdem handele es sich nicht, wie von der Beklagten behauptet, um eine
"Grünfläche". Das Objekt sei immer - seit den 50er Jahren - als Wohnbaracke
bezeichnet worden und von der Beklagten auch so hingenommen worden. Sie sei
so aufgrund der schwierigen Wohnsituation nach dem 2. Weltkrieg errichtet
worden. Schließlich gebe es unzählige vergleichbare Objekte in der Umgebung, die
von der Beklagten ohne Einwände geduldet würden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2006
zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, dass die
Baueinstellung rechtmäßig sei, da die Baumaßnahmen ohne Baugenehmigung
durchgeführt worden seien. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Bestandsschutz
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durchgeführt worden seien. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Bestandsschutz
berufen, da sie nie eine Baugenehmigung erhalten habe und dieser im Übrigen
durch den Brand erloschen wäre. Schließlich entsprächen die Verfügungen auch
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin mit einem am 17.05.2006
bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie im wesentlichen folgendes vor:
Zunächst sei der Bescheid schon deshalb fehlerhaft, weil er sich auf die gesamte
bauliche Anlage beziehe, tatsächlich aber nur ein Teil abgebrannt und nur dieser
Teil erneuert worden sei.
Zum Anderen gehe der Baustopp schon deshalb ins Leere, weil zum Zeitpunkt von
dessen Zustellung die Baumaßnahmen bereits abgeschlossen gewesen seien.
Schließlich sei der gesamte Bescheid deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte allein
sie, die Klägerin, wegen ihrer baulichen Anlage aus einer Unzahl von etwa 200
vergleichbaren Anlagen willkürlich herausgepickt habe. Die Rechtsprechung
verlange, dass in derartigen Fällen von der jeweiligen Stadt planmäßig und
systematisch gegen illegale Bauten vorgegangen werde und nicht - wie hier -
einzelne Objekte mehr oder weniger wahllos herausfischt würden. Die Klägerin
habe auch eine Vielzahl von aus ihrer Sicht vergleichbaren Objekten konkret
bezeichnet, die genauso illegal seien, gegen die die Beklagte aber nichts
unternehme. Deshalb verstoße der - nur gegenüber der Klägerin erlassene -
angefochtene Bescheid gegen das Willkürverbot. Eine Ermessensentscheidung sei
überhaupt nicht vorgenommen worden. Die späteren Ausführungen der Beklagten
hierzu im Laufe des Gerichtsverfahrens dienten lediglich dazu, nachträglich eine
zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht angedachte
Ermessensentscheidung zu konstruieren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.08.2005, soweit er sich auf die
Nutzungsuntersagung bezieht, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12.04.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor allem vor, die angefochtenen Bescheide seien
rechtmäßig, da die Baulichkeiten unzulässig errichtet worden seien bzw. zum
Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide errichtet würden. Ein Bestandsschutz
komme nicht in Betracht - weder vor dem Brand noch danach. Die Klägerin könne
auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, das Vorgehen der Beklagten sei
willkürlich. Zwar sei es richtig, dass in der streitbefangenen Umgebung eine
Vielzahl von ähnlichen Objekten vorhanden sei. Sie - die Beklagte - habe sich aber
von dem Grundsatz leiten lassen, zunächst nur gegen neu errichtete Objekte
vorzugehen, nicht aber gegen ältere bestehende. Außerdem habe sie die
Beschwerde der Grundstücksnachbarin der Klägerin erhalten. Wenn sie daraufhin
nur gegen die Klägerin vorgehe, sei das unter dem Gleichbehandlungsgrundsatz
nicht zu beanstanden. Im Übrigen habe sie auch nach den Einwänden der Klägerin
drei andere Objekte aufgegriffen und überprüft. Entscheidend sei aber vor allem,
dass die Klägerin mit ihren baulichen Maßnahmen die Abstandsvorschriften
verletzt habe und insoweit ein mit den übrigen Fällen in dem Gebiet nicht
vergleichbarer, also anders gelagerter, Fall vorliege. Dass sie dann - zumal nach
Rüge ihrer Nachbarin - den Fall aufgreife, sei rechtlich nicht zu beanstanden, zumal
der Beklagten keine konkreten Hinweise für sonstige illegale bauliche Anlagen mit
entsprechend großer Eingriffsqualität vorgelegen hätten.
Darauf repliziert die Klägerin, in fast allen der umliegenden Fälle - die die Beklagte
seit langem bestens kenne und ihr auch ausdrücklich vorgehalten worden seien -
seien die Grenzabstände nicht eingehalten. Deshalb sei auch dieses Argument der
Beklagten nicht zu akzeptieren. Vielmehr laufe alles darauf hinaus, egal wie die
Beklagte ihr Verhalten zu vertuschen suche, dass die Beklagte allein sie willkürlich
herausgegriffen habe und allein gegen sie vorgehe. Letztlich habe das die
Sachbearbeiterin der Beklagten auch in einem Bußgeldverfahren vor dem
Amtsgericht durch ihre Aussage bestätigt, in der sie erklärt habe, dass die A-Stadt
nur dann tätig werde, wenn ein Nachbar andere "angeschwärzt" habe. So dürfe
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nur dann tätig werde, wenn ein Nachbar andere "angeschwärzt" habe. So dürfe
eine ordnungsgemäße Verwaltung aber nicht handeln. Das sei eindeutig
rechtswidrig.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung
- von der Beklagten unwidersprochen - erneut betont hat, zum Zeitpunkt der
Zustellung des angefochtenen Bescheides seien die Baumaßnahmen bereits
abgeschlossen gewesen, hat der Vertreter der Beklagten die
Baueinstellungsverfügung aufgehoben.
Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung eingeräumt, dass das Objekt illegal und nicht durch Bestandsschutz
gedeckt sei.Er wende sich daher im Grunde nur dagegen, dass die Klägerin als
einzige von rund 200 vergleichbaren Fällen "herausgepickt" und mit einem
entsprechenden Nutzungsuntersagungsbescheid belegt worden sei.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung die Beklagtenvertreter ausführlich
zur Frage angehört, ob, wann und ggf. in welcher Art gegen andere illegale Bauten
in dem streitgegenständlichen Gebiet vorgegangen werde bzw. vorgegangen
worden sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie
im übrigen auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, sowie der beigezogenen
Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene, zulässige Klage, die sich nach
entsprechenden Erklärungen der Beteiligten nur noch auf die
Nutzungsuntersagung bezieht, ist auch begründet. Zwar ist sowohl der Altbestand
des streitbefangenen Objekts als auch der nach dem Brand wieder aufgebaute Teil
illegal, was nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung von der Klägerseite
auch ausdrücklich eingeräumt wurde. Die Rechtswidrigkeit der
Nutzungsuntersagungsverfügung beruht aber darauf, dass die entsprechende
Ermessensentscheidung der Beklagten rechtsfehlerhaft ist.
Nach § 53 Abs. 2 HBO haben die Bauaufsichtsbehörden bei baulichen Anlagen ...
für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften ... zu sorgen. Sie haben in
Wahrnehmung dieser Aufgaben die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen
Maßnahmen zu treffen ... Nach § 72 HBO kann, wenn Anlagen oder Einrichtungen
nach § 72 Abs. 1 Satz 1 im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften
benutzt werden, diese Benutzung untersagt werden.
Zur Begründung des von der Beklagten erlassenen Nutzungsverbots hat die
Beklagte auch die genannten Bestimmungen der HBO zitiert und zur Ausübung
des Ermessens ausgeführt: "Bei formell rechtswidriger Nutzung ist die Anordnung
eines Nutzungsverbots eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, da
hierdurch gerade die Einhaltung der Genehmigungspflicht gesichert werden soll.
Die Ausübung einer Nutzung ohne Beachtung der formellen Voraussetzungen,
insbesondere ohne erteilte Baugenehmigung, stellt eine Störung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung dar, die von der Bauaufsichtsbehörde zu unterbinden ist.
Bestandteil der öffentlichen Sicherheit ist ganz allgemein die Unversehrtheit der
Rechtsordnung. Sie ist gestört, wenn gegen formelles oder materielles Baurecht
verstoßen wird. Die Ermessensausübung bedarf daher keiner besonderen
Begründung."
Im Widerspruchsbescheid ist zur Frage der Ermessensausübung bezüglich der
Nutzungsuntersagungsverfügung überhaupt nichts ausgeführt, sondern es heißt
lediglich:
"Voraussetzung für den Erlass eines Nutzungsverbotes ist, dass eine bauliche
Anlage ... vor Erteilung einer gem. § 54 HBO 2002 erforderlichen Baugenehmigung
genutzt wird und diese Nutzung auch im Widerspruch zu dem materiellen Baurecht
steht."
Das Problem des vorliegenden Falles liegt darin, dass die Beklagte seit langem
weiß, dass in dem streitbefangenen Gebiet zwischen F-Straße, G-Bahnhof, H-
Straße und Umgehungsstraße nach I. eine große Zahl illegaler Bauten vorhanden
ist und vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch ausdrücklich darauf
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ist und vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch ausdrücklich darauf
hingewiesen worden ist. Aus der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin
genannten großen Zahl von rund 200 illegalen Bauten hat er sogar speziell 40
Objekte besonders hervorgehoben und konkret näher bezeichnet (vgl. die der
Beklagten bekannte Liste, Bl. 12 - 16 GA). Die Beklagte hat aber bisher weder
gegenüber einem einzigen der 200 Objekte, ja noch nicht einmal gegenüber einem
einzigen der besonders präzisierten 40 Objekte, eine entsprechende
Nutzungsuntersagungsverfügung - wie gegenüber der Klägerin - erlassen.
In den angefochtenen Bescheiden ist insoweit eine Ermessensentscheidung in
keiner Weise erkennbar.
Zu Recht beruft sich daher die Klägerin auf eine fehlerhafte Ermessensausübung
und die darin liegende Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Das aus dem
Gleichheitsgrundsatz folgende Gebot einer gleichmäßigen Gesetzesanwendung
erfordert nämlich nach der ständigen Rechtsprechung (u. a. des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs) ein systematisches Vorgehen der Bauaufsichtsbehörde
gegen alle im räumlichen und sachlichen Zusammenhang vorhandenen
vergleichbaren illegalen baulichen Anlagen (vgl. z. B. Urteil des Hessischen VGH
bereits vom 04.07.1991 - 4 UE 3721/87).
Zwar ist in Rechtsprechung und -lehre allgemein anerkannt, dass Städte und
Gemeinden bei Kenntniserlangung von illegalen Bauten in einem bestimmten
Gebiet nicht sofort gleichzeitig gegen alle Eigentümer entsprechende Verfügungen
erlassen müssen, sondern durchaus zunächst gegenüber bestimmten Objekten
beginnen können, wenn und soweit ein planmäßiges und systematisches
Vorgehen erkennbar ist. Insbesondere kann ein Vorgehen nach bestimmten
sachgerechten Kriterien gegen eine bestimmte Gruppe von illegalen Bauten
sachgerecht sein (VGH Kassel a.a.O.).Darauf beruft sich die Beklagte im Falle der
Klägerin. Allerdings hat die Beklagte nicht deutlich gemacht, dass sie dem
Einschreiten bestimmte sachgerechte Regeln zugrunde legt; vielmehr wurden im
Laufe des Verfahrens die verschiedensten Kriterien angegeben, nach denen
vorgegangen werde, die aber wiederum nicht konsequent eingehalten werden und
den Eindruck vermitteln, dass die Beklagte eine unter Gleichheitsaspekten
fehlerhafte Ermessensentscheidung getroffen hat, die sie - je nach Argumentation
der Klägerseite - mit immer neuen Argumenten zu "retten" sich bemüht.
Nachvollziehbar erscheint daher die Formulierung des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin, die entsprechenden Ausführungen der Beklagten im Prozess dienten
dazu, nachträglich eine zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht
angedachte Ermessensentscheidung zu "konstruieren".
So ist zunächst festzustellen, dass im angegriffenen Bescheid vom 11.08.2005
selbst keinerlei sachgerechte Begründung für das Vorgehen nur gegenüber der
Klägerin zu erkennen ist. Es heißt dort vielmehr lediglich ganz allgemein zur
Begründung der Nutzungsuntersagung:
"Bei formell rechtswidriger Nutzung ist die Anordnung eines Nutzungsverbots
eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, da hierdurch gerade die Einhaltung
der Genehmigungspflicht gesichert werden soll. Die Ausübung einer Nutzung ohne
Beachtung der formellen Voraussetzungen, insbesondere ohne erteilte
Baugenehmigung, stellt eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar,
die von der Bauaufsichtsbehörde zu unterbinden ist. Bestandteil der öffentlichen
Sicherheit ist ganz allgemein die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Sie ist
gestört, wenn gegen formelles oder materielles Baurecht verstoßen wird. Die
Ermessensausübung bedarf daher keiner besonderen Begründung."
Dies sind formelhafte, letztlich nichtssagende Wendungen, die in keiner Weise
erkennen lassen, dass eine sachgerechte Ermessensausübung vorgenommen
worden ist, warum - nur - gegen die Klägerin vorgegangen wird. Im Gegenteil wird
ausdrücklich die Notwendigkeit einer Begründung für die Ermessensausübung
verneint. Vielmehr wird durch die Formulierung der fälschliche Eindruck erweckt,
man gehe gegen alle bekannten Fälle rechtswidriger Nutzung vor (Und dass die
Vielzahl der illegalen Nutzungen in dem streitgegenständlichen Gebiet der
Beklagten bekannt ist, haben auch ihre Prozessvertreter nicht in Abrede gestellt,
was auch naheliegt, zumal der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim
stellvertretenden Leiter des Bauaufsichtsamtes vorgesprochen und ihn - unter
Vorlage entsprechender Bilder - auf die Vielzahl der dort vorhandenen illegalen
Objekte hingewiesen hatte ). Im Widerspruchsbescheid finden sich überhaupt keine
Ausführungen zur Frage der Ermessensausübung.
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Erweisen sich hiernach bereits Ursprungs- und Widerspruchsbescheid als
ermessensfehlerhaft, so bleibt auch das Bemühen der Beklagtenvertreter im
hiesigen Gerichtsverfahren, die - nicht getroffene bzw. fehlerhafte -
Ermessensentscheidung zu rechtfertigen, ohne Erfolg.
So wirft der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten zu Recht vor, die
Beklagte habe zunächst versucht, im Nachhinein eine Ermessensentscheidung
dahin zu "konstruieren", dass man - zunächst - gegen neue illegale Objekte
vorgehe. Das hat sie aber gar nicht getan. Vielmehr ist nicht ersichtlich,
geschweige denn von der Beklagten dargelegt oder gar glaubhaft gemacht, dass
die Beklagte die von der Klägerseite bezeichneten rund 200 Objekte überhaupt
daraufhin überprüft hat, welche sich als "neu illegal" darstellen. Sie hat noch nicht
einmal das vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der konkreten Liste
bezeichnete neue Objekt "zwischen E 16 a und E 17 a - ein großes Holzhaus, das
ca. 2002/2003 abgebrannt war und 2004/2005 wieder aufgebaut worden ist", (das
im gleichen Zeitpunkt wie das klägerische nach einem Brand wieder aufgebaut
worden sei!), überprüft. In der mündlichen Verhandlung haben sich die
Beklagtenvertreter dahin geäußert, sie hätten es "nicht gefunden".
Immerhin hat die Beklagte selbst drei neuere Objekte als dem streitbefangenen
vergleichbare Objekte eingestuft, nämlich die Objekte
- das im Spätsommer 2005 auf dem Flurstück ... errichtete größere Holzblockhaus
sowie ggf. die Lagerhalle auf dem gleichen Grundstück- das 2005 auf dem
Flurstück ...erbaute große Steinwohnhaus sowie Gerätehütten- den im Sommer
2005 auf den Flurstücken ...und ...aufgestellten Bauwohnwagen nebst größerem
Holzblockhaus.
Obwohl sie selbst diese als dem klägerischen Objekt durchaus vergleichbar
eingestuft hat, ist sie aber dort ganz anders vorgegangen. Während bei der
Klägerin (u. a.) eine Nutzungsuntersagungsverfügung mit sofortiger Wirkung und
Sofortvollzugsanordnung, sowie Zwangsgeldandrohung und ein Bußgeldbescheid
ergingen, hat sich die Beklagte in den drei von ihr selbst als vergleichbar
eingestuften Fällen damit begnügt, die betroffenen Eigentümer oder Pächter
anzuhören und sich von ihnen ihre bloße "Bereitschaft" (ausdrücklich noch nicht
einmal ihre "Verpflichtung"!) erklären zu lassen, das Bauvolumen zu verringern;
noch nicht einmal eine Frist für die Durchführung ist vorgesehen, geschweige denn
eine Verfügung erlassen worden. Noch nicht einmal eine Überprüfung ist erfolgt,
ob überhaupt etwas geschehen ist. Bei einer solchen Situation führt der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu Recht aus, die Beklagte bestätigte das als
Willkür einzustufende Verhaltensmuster, wenn nur einige der notgedrungenen und
widerwillig benannten anderen illegalen Bebauungen Gegenstand von Ermittlungen
werden sollten und diese dann auch noch nicht einmal irgendeine erhebliche
Konsequenz erfahren müssten.
Die Befürchtung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist nicht von der Hand
zu weisen, dass die Beklagte in der "Not", eine sachgerechte
Ermessensentscheidung begründen zu müssen, mehr oder weniger pro forma die
genannten Anhörungen durchgeführt hat und sich mit den - unbefristeten -
(bloßen) Bereitschaftserklärungen begnügt hat, um behaupten zu können, man
habe ja auch in vergleichbaren Fällen "etwas gemacht". Die Beklagte hat offenbar
übersehen, dass sie selbst in Fotokopie eine Entscheidung des VGH Mannheim
vom 17.10.1996 zur Gerichtsakte gereicht hat, in der es heißt:
"Allein die scheinbare Kooperationsbereitschaft eines
Grundstückseigentümers, der zusagt, eine rechtswidrige bauliche Anlage durch
eine rechtmäßige zu ersetzen, kann es nicht rechtfertigen, gegen in gleicher Weise
formell und materiell illegale Anlagen differenziert vorzugehen."
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte darauf
hingewiesen hatte, dass also offenbar noch nicht einmal konsequent gegen selbst
aus ihrer Sicht vergleichbare neue illegale Bauten vorgegangen werde, hat die
Beklagte im Prozess vorgetragen, entscheidend sei vor allem, ob eine Verletzung
der nachbarlichen Abstandsflächen vorliege. In solchen Fällen gehe man gegen
illegale Bauten vor. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf
hingewiesen, dass angesichts der außergewöhnlich schmalen Grundstücke im
gesamten streitgegenständlichen Gebiet in nahezu sämtlichen 200 Fällen die
Abstandsflächen nicht eingehalten seien. Daraufhin hat die Beklagte
hervorgehoben, die Nachbarin der Klägerin habe diese "angeschwärzt"/angezeigt
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hervorgehoben, die Nachbarin der Klägerin habe diese "angeschwärzt"/angezeigt
und ein Vorgehen der Beklagten verlangt. Es steht sicher außer Zweifel, dass dies
einen Grund zum Einschreiten darstellt. Es wird auch nicht in Frage gestellt, dass
die Beklagte deshalb gehalten war, einzuschreiten; vielmehr geht es darum, ob sie
dann aber auch in entsprechender Weise auch gegen andere Objekte vorgesehen
musste, vor allem, nachdem diese von der Klägerin bzw. ihrem
Prozessbevollmächtigten der Beklagten konkret angezeigt worden waren. Es kann
nicht als sachgemäße Ermessensausübung angesehen werden, dass die Beklagte
nur aufgrund "Anschwärzens" und Eingriffsverlangens gegen illegale Objekte
vorgeht, gegen Objekte, die ihr konkret als illegale Vergleichsobjekte ausdrücklich
benannt worden sind und die sie zum Teil sogar selbst als vergleichbar bezeichnet,
aber nicht einschreitet bzw. - in lediglich drei Fällen - bloße Anhörungen ohne
jegliche verpflichtende Konsequenz durchführt und gegen alle übrigen Objekte
überhaupt nichts unternimmt, ja noch nicht einmal ankündigt, sie in absehbarer
Zeit aufzugreifen. Allein der Hinweis auf angeblichen Personalmangel ist keine
Rechtfertigung dafür. Das rechtsstaatswidrige Vorgehen in einem demokratischen
Rechtsstaat kann nicht unter Berufung auf geringes Personal gerechtfertigt
werden.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte im übrigen in anderen
vergleichbaren Fällen unter "Ermessensgesichtspunkten" ganz andere Kriterien
angibt. So hat sie z. B. in einem Bescheid vom 23.08.2006 einer anderen
Sachbearbeiterin (6301-636002/05) in einer vergleichbaren
Nutzungsuntersagungsverfügung wörtlich ausgeführt:
"Ermessen/Verhältnismäßigkeit:
Bei der Entscheidung nach § 72 Abs. 1 Satz 1 HBO handelt es sich um eine
Ermessensentscheidung. Das Bauaufsichtsamt der A-Stadt hat sich zum
Einschreiten entschlossen, weil in vergleichbaren Fällen eine einheitliche Praxis
besteht. Das Bauaufsichtsamt schreitet grundsätzlich ein, wenn in nicht nur
unbeträchtlicher Art und Weise gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen wird.
Ein Grund, im vorliegenden Fall von dieser Praxis abzuweichen, ist nicht
ersichtlich."
Ganz abgesehen davon, dass hier eine wiederum ganz andere Art der
Ermessensausübung der A-Stadt dargestellt wird, ist nur festzustellen: Hätte sich
die Beklagte an diese eigene Ermessens-Ausübungsrichtlinie gehalten, hätte sie
sich nicht auf ein Vorgehen gegenüber der Klägerin beschränken dürfen, sondern
auch die übrigen von der Klägerin beanstandeten Objekte - insbesondere die 40
ganz konkret benannten - aufgreifen und entsprechende Bescheide erlassen
müssen und sich nicht nur das Objekt der Klägerin "herauspicken" dürfen, zumal
weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich ist, dass all die übrigen rund 200
Fälle nur in "unbeträchtlicher Art und Weise" gegen baurechtliche Vorschriften
verstoßen. Ein Blick auf die eingereichten Luftbildaufnahmen macht das ohne
jeden Zweifel deutlich.
Schließlich ist die unzulängliche bzw. ermessensfehlerhafte Ermessensausübung
hier umso gravierender, als die Beklagte - im Gegensatz zu anderen Gebieten, in
denen sie angibt, Überprüfungen vorzunehmen - noch nicht einmal angeben kann,
ob in mehr oder weniger absehbarer Zeit planmäßig und systematisch gegen
illegale Bauten vorgegangen werden solle oder nicht, so dass als Fazit verbleibt,
dass von den rund 200 Fällen allein die Klägerin die förmliche
Nutzungsuntersagungsverfügung mit Sofortvollzug bekommen hat, während sich
die Beklagte bei drei Eigentümern nach einer Anhörung mit einer bloßen
unbefristeten "Bereitschaftserklärung" zur Reduzierung begnügt hat und alle
übrigen illegalen Bauten auf bisher nicht absehbare Zeit "ungeschoren" davon
kommen - und das, obwohl sie selbst zur gebotenen Ausübung des Ermessens
ausgeführt hat: "Das Bauaufsichtsamt schreitet grundsätzlich ein, wenn in nicht
nur unbeträchtlicher Art und Weise gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen
wird."
Als unterliegender Teil hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§
154 Abs. 1 VwGO).Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit
wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.