Urteil des VG Wiesbaden vom 14.01.2009

VG Wiesbaden: rechtskräftiges urteil, unmittelbare gefahr, genehmigung, erhaltung, satzung, grundstück, ausnahme, unterschutzstellung, pflege, hessen

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1180/08.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 30 NatSchG HE
Entfernung des Überhangs von Bäumen, wenn die
Baumschutzsatzung die entgegen des Nachrrechtssreits
erlaubt
Leitsatz
Die wirksame Baumschutzsatzung Wiesbadens erlaubt Schnittmaßnahmen mit
Ausnahme von Pflegeschnitten an geschützten Bäumen nur nach vorheriger
Genehmigung durch das Umweltamt. Die Genehmigung kann auch dann versagt
werden, wenn im Nachbarrechtsstreit vor dem Amtsgericht entschieden wurde, dass
überhängende Äste zu beseitigen sind.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks G in Wiesbaden. Die Beigeladenen
sind Eigentümer des Nachbargrundstücks H. Die Grundstücke sind mit
Reihenhäusern bebaut. Auf den Grundstücken der Kläger und der Beigeladenen
stehen jeweils Endhäuser. Auf dem Grundstück der Beigeladenen stehen in
geringem Abstand zur gemeinsamen Grenze dicht nebeneinander eine hohe
Österreichische Schwarzkiefer und eine Blauzeder. Durch rechtskräftiges Urteil des
Amtsgerichts Wiesbaden vom 21.6.2007 wurden die Beigeladenen u.a. verurteilt,
den Überhang, der sich auf ihrem Grundstück befindenden Zeder und Kiefer zu
entfernen.
Aufgrund dieses Urteils beantragten die Beigeladenen mit Schreiben vom
15.04.2008 bei der Beklagten die Genehmigung der Entfernung des
Grenzüberhangs einer Kiefer und einer Zeder. Dieser Antrag wurde mit Bescheid
vom 28.04.2008 abgelehnt. Der Widerspruch der Kläger hiergegen wurde nach
Ortsbesichtigung und Scheitern von einvernehmlichen Lösungen durch
Widerspruchsbescheid vom 23.09.2008 - dem Bevollmächtigten der Kläger
zugestellt am 01.10.2008 - zurückgewiesen.
Die Kläger haben am 30.10.2008 Klage erhoben. Sie gehen aufgrund der
amtsgerichtlichen Entscheidung, der ein Sachverständigengutachten zugrunde
gelegen habe, davon aus, dass auch die Beklagte die Schnittmaßnahmen zu
dulden habe. Die Beigeladenen könnten an geeigneter Stelle Ersatzpflanzungen
vornehmen. Die Beeinträchtigungen durch den Abfall der Bäume seien
unzumutbar, so dass gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verstoßen
werde.
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Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 08.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, über den Antrag der Beigeladenen auf Schnittmaßnahmen vom
18.04.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtenen Bescheide.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin
einverstanden erklärt.
Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt,
auch den der vorgelegten Behördenakten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Berichterstatterin anstelle der
Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet, denn die Beklagte hat es mit
den angefochtenen Bescheiden zu Recht abgelehnt, die Genehmigung zur
Entfernung des Überhangs von Zeder und Blaufichte auf dem Grundstück der
Beigeladenen zu erteilen. Es besteht kein Anspruch der Kläger auf eine
entsprechende Genehmigung, da die Voraussetzungen des § 5 der Satzung zum
Schutz des Baumbestandes in der Landeshauptstadt Wiesbaden
(Baumschutzsatzung) nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist die Genehmigung,
die unstreitig nach § 4 Baumschutzsatzung eingeholt werden muss, bevor
Veränderungen, mit Ausnahme von Pflegeschnitten, an geschützten Bäumen
vorgenommen werden, u.a. nur dann zu erteilen, wenn "von einem Baum eine
unmittelbare Gefahr für bestimmte Personen und Sachen ausgeht und die Gefahr
nicht auf andere Weise mit zumutbaren Aufwand zu beheben ist" (§ 5 Nr. 4
Baumschutzsatzung, der vorliegend allein in Betracht zu ziehen ist). Zwar kann
man noch annehmen, dass von der "Abfällen" der beiden Bäume insbesondere
nach Stürmen Gefahren für das Grundstück der Kläger ausgehen. Solche
"Gefahren" können aber ohne unzumutbare Schwierigkeiten durch
Zusammenkehren und Auflesen beseitigt werden. Derartige aus der Natur der
Sache kommenden Beeinträchtigungen muss der betroffene
Grundstückseigentümer mit Rücksicht auf die übergeordneten Belange von
Naturschutz und Landschaftspflege, Stadtklima und Umweltschutz hinnehmen.
Mangelnde Standsicherheit der Bäume wurde weder seitens der Beklagten noch
seitens des vom Amtsgericht beauftragen Sachverständigen festgestellt und wird
auch von den Klägern nicht behauptet. Danach darf derzeit eine Genehmigung zur
Entfernung des Überhangs der geschützten Bäume nicht erteilt werden.
Die Baumschutzsatzung der Beklagten ist auch wirksam, durfte also vorliegend
angewendet werden.
Anhaltspunkte für formelle Fehler sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Die Baumschutzsatzung verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht.
Zunächst ist sie durch die Ermächtigungsvorschrift des § 30 HENatG gedeckt.
Nach dieser Vorschrift dürfen Städte und Gemeinden in Hessen das Schutzniveau
ihres Grünbestandes durch Satzung bestimmen. Sie haben dabei grundsätzlich
einen weiten Gestaltungsspielraum, der vom Gericht nur eingeschränkt
überprüfbar ist. Die Grenzen dieser gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten werden
durch die Baumschutzsatzung der Beklagten eingehalten.
Eine solche Einschränkung der Eigentumsrechte durch die Satzung müssen
Grundstückseigentümer hinnehmen, wenn sie verhältnismäßig ist und in zulässiger
Weise Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt. Das ist nur dann der Fall,
wenn die Unterschutzstellung sachlich gerechtfertigt ist. Dem hat schon § 30
HENatG Rechnung getragen, indem er die Unterschutzstellung von
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HENatG Rechnung getragen, indem er die Unterschutzstellung von
Grünbeständen, zu denen der Baumbestand gehört, davon abhängig macht, dass
dieser Schutz zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Ortsbildes, angesichts der
besonderen Eigenschaften des Bestandes erforderlich ist. Das ist vorliegend der
Fall.
Ziel und Schutzzweck der Baumschutzsatzung ergeben sich aus § 1:
"Bäume sind wegen ihrer Schönheit, Seltenheit oder natürlichen Eigenart und zur
* Erhaltung und nachhaltigen Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen für die
Einwohner,
* Belebung, Gliederung und Pflege des Stadtbildes,
* Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes,
* Erhaltung und Verbesserung des Stadtklimas und der klimatischen Verhältnisse,
* Abwehr schädliche Umwelteinwirkungen, z. B. Luftverunreinigung und Lärm,
* Erhaltung eines artenreichen Pflanzenbestandes,
* Erhaltung eines Lebensraumes für Tiere und zur
* Erhaltung von Zonen der Ruhe und Erholung... zu schützen."
Diese Schutzgründe und die Beschränkung auf Laubbäume mit einem
Stammumfang ab 80 cm und Nadelbäume mit einem Stammumfang von 100 cm
sowie die sonstigen Ausnahmen von den Schutzvorschriften (vgl. § 3
Baumschutzsatzung) tragen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ausreichend Rechnung. Nicht notwendig ist es, dass der Satzungsgeber vor Erlass
der Satzung die individuelle Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit jedes
einzelnen erfassten Baumes prüft. (vgl. auch Hess. VGH, Urteil vom 18.12.2006, 4
N 1571/06, NuR 2007, 563 ff. zur Vorgängerregelung des § 26 HENatG a.F.). Ein
flächendeckender genereller Baumschutz innerhalb des Innenbereichs ist nach
den bundes- und landesgesetzlichen Vorgaben im Naturschutzrecht zulässig (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.10l.1993, NuR 1994, 253 ff.)
Auch der räumliche Geltungsbereich der Satzung ist hinreichend dadurch
bestimmt, dass § 2 auf die Gebietsabgrenzung der anliegenden Karte (Maßstab 1 :
10.000) Bezug nimmt, die beim Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden -
Umweltamt - archivmäßig verwahrt wird und dort eingesehen werden kann.
Einsichtsmöglichkeit besteht im Übrigen in digitaler Form im Internet für
jedermann. Damit ist dem Rechtsstaatsprinzip Genüge getan.
Danach ist höherrangiges Recht weder durch die Baumschutzsatzung selbst noch
durch ihre Anwendung im Einzelfall verletzt.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Die
Kläger haben auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen, die
wie die Beklagte Klageabweisung beantragt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus
§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.