Urteil des VG Wiesbaden vom 18.11.2010

VG Wiesbaden: anspruch auf bewilligung, beihilfe, beschränkung, arzneimittel, rechtsgrundlage, fürsorgepflicht, belastung, gesundheit, ausnahme, herzinfarkt

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Gericht:
VG Wiesbaden 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 K 1276/09.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 3 BBhV, § 80 Abs 4
BBG
Festbetragsregelung der Bundesbeihilfeverordnung
Leitsatz
Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 22 Bundesbeihilfeverordnung enthalten
keine Festlegung von Festbeträgen.
Die Einschränkung der Beihilfefähigkeit auf Festbeträge ist im Übrigen nicht in
rechtswirksamer Weise erfolgt (Anschluss an VG Koblenz, U. v. 24.08.2010 - 2 K
1005/09.KO -).
Tenor
Der Bescheid der C. vom 26.03.2009, soweit darin der Beihilfegewährung
Festbeträge zu Grunde gelegt worden sind, und deren Widerspruchsbescheid vom
28.09.2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Beihilfe
ohne Beschränkung auf Festbeträge zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen zu Aufwendungen für
Medikamente mit Festbetrag.
Auf seinen Antrag vom 09.03.2009, mit dem der Kläger Aufwendungen für
Arzneimittel in Höhe von 275,79 € geltend machte, erkannte die C. mit Bescheid
vom 26.03.2009 74,06 € als beihilfefähige Aufwendungen an und gewährte dem
Kläger entsprechend seinem Bemessungssatz von 70% eine Beihilfe in Höhe von
51,84 €. Zur Begründung führte die Beklagte aus, Aufwendungen für Arzneimittel,
für die ein Festbetrag festgesetzt worden sei, seien nur bis zur Höhe des
Festbetrages beihilfefähig. Mit am 22.04.2009 eingegangenem Schreiben legte der
Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, gesetzliche Krankenkassen
hätten zum Teil mit pharmazeutischen Firmen Verträge abgeschlossen, nach
denen Medikamente der Festbetragsgruppe voll erstattungsfähig würden. Er werde
als Beihilfeberechtigter schlechter gestellt, da keine Ausnahmen wie bei
Pflichtversicherten gemacht würden. Die nach seinem Herzinfarkt 1997 festgelegte
Medikation sei eineinhalb Jahre lang optimiert worden. Seit 1997 seien die
Medikamente anstandslos bezahlt worden. Eine Veränderung der Medikation
würde zu einer unnötigen starken Belastung seiner Gesundheit führen. Er
bezweifle, dass die Beihilfeverordnung den Vorgaben des
Bundesverwaltungsgerichts vom 17.06.2004 entspreche.
Mit Bescheid vom 28.09.2009 wies die C. den Widerspruch des Klägers mit der
Begründung zurück, die Aufwendungen seien nur bis zur Höhe der von den
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Begründung zurück, die Aufwendungen seien nur bis zur Höhe der von den
Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 35a Abs. 5 SGB 5 festgelegten
Festbeträge beihilfefähig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug
genommen.
Am 16.10.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die
Festbetragsregelung beruhe allein auf Verwaltungsanordnungen, denen keine
Rechtsnormqualität zu komme. Das Gericht sei nicht an sie gebunden. Die
Festbetragsregelung sei verfassungswidrig, weil sie keinerlei Ausnahmen vorsehe.
Der Kläger könne nicht auf andere Medikamente ausweichen, da allergische
Reaktionen bestünden. In einem derartigen Fall müsse eine Ausnahme möglich
sein. Die Festbetragsregelung verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. In den Fällen
gesetzlich versicherter Personen könnten nämlich Ausnahmen von der
Festbetragsregelung gemacht werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der C. vom 26.03.2009, insoweit darin der Beihilfegewährung
Festbeträge zu Grunde gelegt worden sind, und deren Widerspruchsbescheid vom
28.09.2009 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Beihilfe
ohne Beschränkung auf Festbeträge zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid. Soweit die Klage von der
Vorstellung getragen werde, die Beklagte handele verfassungswidrig, bleibe es
dem angerufenen Gericht unbenommen, hierüber zu entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten
Behördenvorgänge (1 Hefter).
Entscheidungsgründe
Der Berichterstatter kann anstelle der Kammer ohne mündlicher Verhandlung
entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§
87a Abs. 2 und 3 und § 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der C. vom 26.03.2009, soweit
darin der Beihilfegewährung Festbeträge zu Grunde gelegt worden sind, und deren
Widerspruchsbescheid vom 28.09.2009 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger
in seinen Rechten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Bewilligung von Beihilfe
ohne Beschränkung auf Festbeträge zu (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Maßgebend für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (BVerwG,
U. v. 27.05.2010 – 2 C 78/08 –, zit. nach Juris m.w.N.). Das ist hier der 03.03.2009.
Abzustellen ist damit auf die Bundesbeihilfeverordnung in der ursprünglichen
Fassung vom 13.02.2009 (BGBl. I 2009, 326). Die Verwaltungsvorschriften sind in
der Fassung vom 14.12.2009 (GMBl. 2009, 138) heranzuziehen.
Nach § 6 Abs. 1 Satz BBhV sind beihilfefähig die notwendigen und wirtschaftlich
angemessenen Aufwendungen. Aufwendungen zu Arzneimitteln sind nach § 22
Abs. 1 Satz 1 BBhV unter anderem dann beihilfefähig, wenn sie nach Art und
Umfang von einem Arzt schriftlich verordnet worden sind Diese Voraussetzung ist
hier gegeben. Die fraglichen Medikamente sind dem Kläger nach Art und Umfang
mit dem Rezept von Dr. XXX vom 03.03.2009 schriftlich ärztlich verordnet worden.
Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der dem Kläger entstandenen
Aufwendungen stehen zwischen den Beteiligten nicht in Streit; auch das Gericht
sieht keinen Anlass, daran zu zweifeln. Die hiernach gegebene Beihilfefähigkeit ist
nicht auf die von der Beklagten angewandten Festbeträge beschränkt. Zwar sieht
§ 22 Abs. 3 BBhV die Möglichkeit einer solchen Begrenzung vor. Doch ist diese
Einschränkung der Beihilfefähigkeit bislang noch nicht durch das
Bundesministerium des Innern umgesetzt.
Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 und 2 BBhV bestimmt das BMI in Verwaltungsvorschriften
als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit von Medikamentenaufwendungen
Festbeträge im Sinne von § 35 SGB 5 nach den dort aufgeführten Grundsätzen.
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Festbeträge im Sinne von § 35 SGB 5 nach den dort aufgeführten Grundsätzen.
Diese Bestimmungen haben sich nach Satz 4 an den auf der Grundlage der
sozialrechtlichen Regelungen getroffenen Entscheidungen zu orientieren und die
Fürsorgepflicht des § 78 BBG zu berücksichtigen. Die VwV wiederholt in 22.3.1
einen Teil des Wortlauts von § 35 Abs. 1 SGB V und betrifft materielle
Anforderungen an Festbeträge. Nach VwV 22.3.2 ist Grundlage für die Ermittlung
des beihilfefähigen Festbetrags die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen
nach § 35a Abs. 5 SGB 5 erstellte Übersicht.
Bei dieser Regelung handelt es sich nach Auffassung des Gerichts nicht um die in §
22 Abs. 3 BBhV genannten Verwaltungsvorschriften. Deren Aufgabe soll nämlich
die Festlegung von Festbeträgen als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit von
Medikamentenaufwendungen sein. Diesem Zweck werden die Allgemeinen
Verwaltungsvorschriften zur Bundesbeihilfeverordnung nicht gerecht. Sie legen
keine Festbeträge fest, sondern lediglich ein Programm zur Bestimmung der
Festbeträge. Die Verwaltungsvorschriften regeln nicht die Höhe der Festbeträge,
sondern legen lediglich die Grundlagen für die Ermittlung des beihilfefähigen
Festbetrags durch den Verweis auf die von den Spitzenverbänden der
Krankenkassen nach § 35a Abs. 5 SGB 5 erstellte Übersicht fest. Aufgabe des
Bundesministeriums des Innern ist aber nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV selbst die
Obergrenzen festzulegen. Dem wird die bislang getroffene Regelung nicht gerecht,
die die Bestimmung des Festbetrags im Ergebnis der einzelnen Beihilfestelle
überantwortet. Nach § 22 Abs. 3 Satz 4 BBhV ist es aber zuvörderst Aufgabe des
Bundesministeriums des Innern, bei den Bestimmungen der Fest- und
Höchstbeträge die Fürsorgepflicht nach § 78 BBG zu berücksichtigen
Sieht man entgegen der Auffassung des Gerichts in den angeführten
Verwaltungsvorschriften eine Bestimmung der Festbeträge, so ergibt sich kein
anderes Ergebnis. Diese Einschränkung der Beihilfefähigkeit ist nämlich nicht in
rechtswirksamer Weise erfolgt.
Das Verwaltungsgericht Koblenz (U. v. 24.08.2010 – 2 K 1005/09.KO –) hat hierzu
ausgeführt:
„Da es sich bei der Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf Festbeträge um eine Ein-
schränkung des Grundsatzes handelt, dass Beihilfe gewährt wird, soweit die Auf-
wendungen notwendig und angemessen sind (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV), bedarf
ein Ausschluss oder eine Begrenzung in materieller Hinsicht einer inneren, den
Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz standhaltenden Rechtfertigung und
in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage (BVerwG, NVwZ-RR
2009, 730 [Rn. 14]). An einer solchen Rechtsgrundlage fehlt es hier. Insbesondere
tragen § 22 Abs. 3 BBhV und Nr. 22.3 BBhV-VwV die Begrenzung der
Beihilfefähigkeit auf die Festbetragshöhe nicht.
§ 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV bewirkt selbst keine Begrenzung der Beihilfefähigkeit; die
Vorschrift ermächtigt hierzu lediglich das Bundesministerium des Innern. Demnach
bestimmt das Ministerium in Verwaltungsvorschriften als Obergrenzen für die Bei-
hilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel Festbeträge im Sinne von § 35
SGB V und Höchstbeträge im Sinne von § 31 Abs. 2a i. V. m. § 35b Abs. 1 SGB V.
Dessen Verwaltungsvorschrift trägt die von der Beklagten vorgenommene Leis-
tungseinschränkung allerdings ebenfalls nicht. Sie ist als Verwaltungsvorschrift
bereits nach ihrer Rechtsform nicht geeignet, Beihilfeleistungen zu begrenzen.
Untergesetzliche Vorschriften, wie Verwaltungsvorschriften, können nur normin-
terpretierend die Beihilfevorschriften konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne
einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die Ausübung etwa vor-
handener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken; sie können aber nicht
selbständig neue Leistungsausschlüsse oder Leistungseinschränkungen schaffen.
Sie sind nur Interpretationshilfen für die nachgeordneten Stellen und besitzen
keine Verbindlichkeit für die Gerichte (BVerwG, a. a. O., [Rn. 19]).
Dementsprechend sieht § 80 Abs. 4 BBG vor, dass die Einzelheiten der Beihilfe-
gewährung, insbesondere der Höchstbeträge und des völligen oder teilweisen
Ausschlusses von Arzneimitteln in Anlehnung an das SGB V, durch
Rechtsverordnung zu regeln sind; dem wird eine Verwaltungsvorschrift nicht
gerecht.“
Dem folgt das Gericht aus den in der Entscheidung genannten Gründen.
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Da sich die Klage danach als begründet erweist, bedarf die Frage, ob in den
Beihilfevorschriften eine erforderliche Härtefallregelung fehlt (vgl. dazu VG
Saarland, U. v. 24.11.2009 – 3 K 648/09 –, zit. nach Juris, unter Anführung der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts) und welche Auswirkungen dies
ggfs. auf den vorliegenden Fall hat, keiner Entscheidung.
Als unterliegender Teil hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§
154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen
der Kosten beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Due Berufung ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
124a VwGO Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Frage, ob durch die
Beihilferegelungen des Bundes Festbeträge bestimmt und dies rechtswirksam
geschehen ist, hat Auswirkungen über den Einzelfall hinaus und kann in
verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 117,38 € festgesetzt.
Gründe
Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG ist der Streitwert von Amts wegen festzusetzen,
weil die Festsetzung für die Berechnung der Gerichtskosten erforderlich ist.
Die Festsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG und folgt der vorläufigen Festsetzung
in dem Beschluss vom 04.11.2009.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.