Urteil des VG Wiesbaden vom 28.01.2011

VG Wiesbaden: ruhegehalt, verfügung, stadt, disziplinarverfahren, aussetzung, wahrscheinlichkeit, schule, hessen, sporthalle, strafverfahren

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Gericht:
VG Wiesbaden 28.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
28 L 971/10.WI.D
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 3 DG HE, § 68 Abs 1
S 1 DG HE, § 68 Abs 2 DG HE
Antrag auf Aussetzung der Einbehaltung von Ruhegehalt
Leitsatz
Eine - wie die erstinstanzliche - auf die Höchstmaßnahme lautende, noch nicht
rechtskräftige, zweitinstanzliche Entscheidung bestätigt und erhöht das Maß der
Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Prognose, dass dem Ruhestandsbeamten das
Ruhegehalt aberkannt werden wird.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 29.082,60 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit dem vorliegenden Antrag gegen die
Einbehaltung von Ruhegehalt in Höhe von 30 vom Hundert ab dem 01.10.2010
durch Verfügung des Antragsgegners vom 01.09.2010.
Der am 00.00.1946 in D-Stadt geborene Antragsteller verließ die damalige DDR im
November 1983. Er ist seit 1980 geschieden und hat drei Kinder (*0000, 0000 und
0000). Am 00.00.1990 erfolgte die Ernennung zum Lehrer (A 13 BBesG) unter
Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Mit Ablauf des Monats März
0000 wurde der Antragsteller in den Ruhestand gemäß § 51 Abs. 1 HBG versetzt.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts vom 28.02.2007, rechtskräftig seit 00.00.0000,
wurde gegen den Ruhestandsbeamten wegen eines Vergehens nach § 176 Abs. 1
Alt. 1 und 2 StGB eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt (Az.: 4711 Js
236763/05). Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und die
Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Es wurde ihm die Zahlung einer Geldbuße
in Höhe von 5.000,- € auferlegt. Im Strafverfahren äußerte sich der Antragsteller
nicht.
Mit Verfügung des Staatlichen Schulamtes vom 26.03.2007 wurde gegen den
Antragsteller ein Disziplinarverfahren gemäß § 20 HDG eingeleitet; es wurde ihm
vorgeworfen, an einem unbekannten Tag zwischen dem 17.07.1991 und dem
16.07.1992 in einer Umkleidekabine der Sporthalle der E-Schule in C-Stadt die
damals 13-jährige Schülerin F. zum Oralverkehr gezwungen zu haben. Die
ehemalige Schülerin wurde am 27.08.2007 im Rahmen des Disziplinarverfahrens
als Zeugin gehört.
Mit Verfügung vom 28.12.2007 dehnte das Staatliche Schulamt das
Disziplinarverfahren auf den Vorwurf aus, der Ruhestandsbeamte habe die
Schülerin F. auch über den 16.07.1992 hinaus jedenfalls bis zum Schuljahr 1994/95
in der E-Schule regelmäßig zum Oralverkehr gezwungen, an ihr sexuelle
Handlungen ausgeführt und an sich von ihr ausführen lassen.
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Handlungen ausgeführt und an sich von ihr ausführen lassen.
Am 09.07.2008 erhob das Staatliche Schulamt für die C-Stadt beim
Verwaltungsgericht Wiesbaden Disziplinarklage gegen den Ruhestandsbeamten
mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden urteilte nach Beweisaufnahme durch die
ehemalige Schülerin F. als Zeugin am 24.07.2009, dass dem Ruhestandsbeamten
das Ruhegehalt abzuerkennen sei (Az.: 28 K 750/08.WI.D).
Die hiergegen gerichtete Berufung wurde nach erneuter Beweisaufnahme durch
Frau F. als Zeugin und weiterer Zeugen durch den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 02.06.2010 zurückgewiesen (Az.: 28 A
2577/09.D).
Mit Schriftsatz vom 28.06.2010 legte der Antragsteller Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 02.06.2010 beim Bundesverwaltungsgericht ein (Az.:
2 B 69/10).
Mit Schreiben des Staatlichen Schulamts für die C-Stadt vom 26.07.2010 wurde
der Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 13.08.2010 zu der beabsichtigten
Einbehaltung von Ruhegehalt in Höhe von 30 vom Hundert gemäß § 43 HDG
angehört.
Mit Schreiben vom 30.07.2010 bat der Bevollmächtigte des Antragstellers unter
Hinweis auf Erholungsurlaub um Verlängerung der Äußerungsfrist bis zum
03.09.2010. Der Antragsgegner gewährte zunächst keine Fristverlängerung, dann
aber bis zum 31.08.2010.
Der Antragsteller äußerte sich mit Schriftsatz vom 30.08.2010. Dort widersprach
er einer Einbehaltung von Teilen des Ruhegehalts, da mit einer Aberkennung des
Ruhegehalts voraussichtlich nicht zu rechnen sei. Diesbezüglich verwies er auf die
150 Seiten umfassende Nichtzulassungsbeschwerde an das BVerwG, auf deren
Übersendung er aus Gründen des Umfangs verzichte. Im Übrigen wurde der
Befangenheitseinwand gegen den Ermittlungsführer und Sachbearbeiter
aufrechterhalten und wiederholt. Die Bezügestelle habe bereits für Monat August
2010 das Ruhegehalt um 30% gekürzt, obwohl noch keine diesbezügliche
Entscheidung getroffen worden sei. Ein Einbehalt in dieser Höhe sei auch nicht
zulässig. Der Antragsteller habe monatliche Aufwendungen für Kranken- und
Pflegeversicherung, für Miete inklusive Nebenkostenvorauszahlung von 721,- €
sowie für Energielieferung in Höhe von 60,- €.
Mit Bescheid vom 01.09.2010 verfügte das Staatliche Schulamt für die C-Stadt ,
dass ab dem 01.10.2010 30 v. H. des Ruhegehalts des Antragstellers (z.Zt.
monatlich 807,85 €) gemäß § 43 Abs. 3 HDG einbehalten werden. Es sei davon
auszugehen, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des
Ruhegehalts erkannt werde. Nachdem in zwei Instanzen der Disziplinarklage in
vollem Umfang stattgegeben worden sei, sei es unwahrscheinlich, dass in dem
Beschwerdeverfahren anders entschieden werde.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.09.2010 hat der Antragsteller beantragt, die
Einbehaltung von Ruhegehalt vorläufig auszusetzen. Zur Begründung trägt er vor,
es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung vom
01.09.2010. Das rechtliche Gehör des Antragstellers sei verletzt worden. Zum
einen sei der Bevollmächtigte durch die Fertigung der Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde terminlich unter Druck gewesen, was dem
Antragsgegner bekannt gewesen sei. Zum anderen habe der Antragsgegner ohne
den umfangreichen Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
entschieden, obwohl dieser angekündigt gewesen sei. Auch habe der
Sachbearbeiter wegen des noch unentschieden gebliebenen
Befangenheitsvorwurfs nicht in der Sache entscheiden dürfen. Unter Bezugnahme
auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht davon auszugehen,
dass dem Antragsteller das Ruhegehalt aberkannt werde. Im Übrigen sei der
Antragsteller auf den jetzt einbehaltenen Betrag von 807,85 € dringend
angewiesen, so dass eine Aussetzung des Einbehalts bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Disziplinarverfahrens sachangemessen und geboten erscheine.
Der Antragsteller beantragt,
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die Einbehaltung des Ruhegehalts in Höhe von 30 v.H. ab dem 01.10.2010
durch Verfügung vom 01.09.2010 vorläufig auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner trägt vor, die Voraussetzungen des § 43 Abs. 3 HDG für die
Einbehaltung eines Teils des Ruhegehalts seien gegeben, da im
Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Aberkennung des Ruhegehalts erkannt
werde. Im Übrigen nimmt er Bezug auf die Ausführungen in der Verfügung vom
01.09.2010.
Verfahrensfehler lägen nicht vor. Es sei an dem Antragsteller, fristgerecht Stellung
zu nehmen. Wenn er, obwohl dies möglich gewesen wäre, den Schriftsatz mit der
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht vor Fristablauf am 31.08.2010,
sondern erst am 24.09.2010 vorlege, könne dieser Schriftsatz keine
Berücksichtigung mehr finden. Eine begründete Veranlassung, die Entscheidung
über den Einbehalt hinauszuzögern, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die
beiden in der Hauptsache ergangenen Entscheidungen seien ausreichend, die
Prognose der Aberkennung des Ruhegehalts mehr als zu rechtfertigen.
Erstmals in dem Schriftsatz vom 30.08.2010 sei im Verfahren nach § 43 Abs. 3
HDG ein Befangenheitsvorwurf erhoben worden, der aber in der Verfügung vom
01.09.2010 zurückgewiesen worden sei.
Der Antragsteller habe von der Gelegenheit zur Darlegung seiner
Vermögensverhältnisse nur mit einer unbrauchbaren Auflistung Gebrauch
gemacht. Dass sein Alimentationsanspruch ernsthaft tangiert sei, sei weder
behauptet noch nachgewiesen worden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 HDG ist zulässig,
aber nicht begründet. Bei der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen
summarischen Überprüfung sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit (§ 68
Abs. 2 HDG) hinsichtlich der Anordnung der Einbehaltung von Teilen des
Ruhegehalts in der Verfügung des Antragsgegners vom 01.09.2010 nicht
festzustellen. Sie ist deshalb aufrechtzuerhalten.
Nach § 43 Abs. 3 HDG kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit oder nach der
Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass bis zu 30 vom Hundert des
Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf
Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.
Diese Voraussetzung liegt vor, denn die Disziplinarkammer hält es für
überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller aufgrund des von ihm
begangenen vorsätzlichen und schuldhaften Dienstvergehens das Ruhegehalt
aberkannt werden wird. Das ausreichende Maß an Wahrscheinlichkeit wird in der
Regel bereits durch eine auf die Höchstmaßnahme lautende, noch nicht
rechtskräftige erstinstanzliche Entscheidung, hier das Urteil der Disziplinarkammer
vom 24.07.2009 – 28 K 750/08.WI.D -, begründet (Hess. VGH, Beschluss vom
08.10.2010 – 28 A 1414/10.D). Vorliegend hat die ebenfalls auf die
Höchstmaßnahme lautende, noch nicht rechtskräftige zweitinstanzliche
Entscheidung, hier das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs - Senat für
Disziplinarsachen vom 02.06.2010 – 28 A 2577/09.D -, das Maß der
Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Prognose nochmals bestätigt und erhöht.
Die Einbehaltung von Ruhegehalt ist somit dem Grunde nach rechtmäßig. Sie ist
auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Bei der Ausübung des ihm in § 43 Abs.
3 HDG eingeräumten Ermessens hinsichtlich der Höhe des Einbehaltungsbetrages
hat der Antragsgegner beachtet, dass dieser von Gesetztes wegen auf höchstens
30 vom Hundert des Ruhegehalts begrenzt ist. Die angefochtene Verfügung vom
01.09.2010 enthält knappe, aber gerichtlich nicht zu beanstandende Erwägungen
zum einzubehaltenden Teil des Ruhegehalts des Antragstellers. Insbesondere hat
er den fortbestehenden Alimentationsgrundsatz des Dienstherrn berücksichtigt
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er den fortbestehenden Alimentationsgrundsatz des Dienstherrn berücksichtigt
und festgestellt, dass dieser nicht angetastet wird. Allerdings muss der
Ruhestandsbeamte gewisse Einschränkungen in seiner Lebenshaltung hinnehmen.
Die Einbehaltung darf jedoch wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu einer
existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen (VG Berlin,
Beschluss vom 31.03.2004 - 80 A 37.03 -, zitiert nach Juris). Anhaltspunkte hierfür
sind weder ersichtlich noch von dem Antragsteller im Verfahren nach § 43 Abs. 3
HDG noch im gerichtlichen Verfahren nach § 68 Abs. 2 HDG substantiiert
vorgetragen worden.
Verfahrensfehler liegen im Übrigen auch nicht vor. Denn die Verfügung vom
01.09.2010 betreffend die Einbehaltung von Ruhegehalt wurde nicht von dem für
befangen erklärten Sachbearbeiter, sondern von der Amtsleiterin des Staatlichen
Schulamts selbst erlassen.
Somit ist die Einbehaltung von Ruhegehalt in Höhe von 30 v.H. nicht zu
beanstanden.
Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu
tragen (§ 81 Abs. 4 HGD, § 154 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 82 Abs. 1 HDG, § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Wegen der Befristetheit der Entscheidung bis zum Abschluss des
Disziplinarverfahrens legt die Kammer in ständiger Praxis die Hälfte des 3- fachen
Jahresbetrags des monatlichen Nettokürzungsbetrags zugrunde (36 x 807,85 € :
2). Der Streitwert ist daher auf 29.082,60 € festzusetzen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.