Urteil des VG Wiesbaden vom 05.03.2007

VG Wiesbaden: verwaltungsakt, vorläufiger rechtsschutz, behörde, anfechtungsklage, form, staatsprüfung, wahlpflichtfach, hessen, zustellung, präsident

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Gericht:
VG Wiesbaden 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 1536/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht
der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger meldete sich am 29.06.2006 zur Ersten Juristischen Staatsprüfung in
Hessen an. Am 06.09.2006 ließ der Präsident des Justizprüfungsamtes den Kläger
zur Staatsprüfung zu. Nachdem der Kläger an dem Termin zur Anfertigung der
vierten Aufsichtsarbeit am 29.09.2006 (Wahlpflichtfach 5) nicht erschienen war,
bewertete das Justizprüfungsamt durch Schreiben vom 01.11.2006 die
Aufsichtsarbeit im Wahlpflichtfach 5 mit der Note ungenügend (0 Punkte). Zur
Begründung führte das Justizprüfungsamt u. a. aus, die Aufsichtsarbeit sei gemäß
§ 17 Abs. 4 JAG a. F. mit der Note ungenügend zu bewerten, da der Kläger zu dem
Klausurtermin nicht erschienen sei und nicht festgestellt werden könne, dass dies
aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund geschehen sei. Dem Schreiben
war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, wonach der Kläger innerhalb eines
Monates ab Zustellung des Bescheides bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden
Klage erheben könne.
Auf das am 14.11.2006 zugestellte Schreiben hat der Kläger am 05.12.2006 Klage
erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, der Bescheid des Beklagten sei rechtswidrig und
verletze den Kläger in seinen Rechten. Er behauptet, er sei bereits am 28.09.2006
erkrankt gewesen. Aufgrund dieser Krankheit habe er den Termin am 29.09.2006
nicht wahrnehmen können. Das Schreiben vom 01.11.2006 sei allein aufgrund
seiner äußeren Form als Verwaltungsakt zu werten. Aus diesem Grunde könne die
Klage nicht als unzulässig abgewiesen werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 01.11.2006 aufzuheben;
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger einen neuen Bescheid unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, sein Bescheid vom 01.11.2006 sei rechtmäßig.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des
Klägers vom 29.01.2007, 19.02.2007 und vom 20.02.2007 und auf den Schriftsatz
des Beklagten vom 09.02.2007 verwiesen.
Dem Gericht hat die Behördenakte des Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter
entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. §§
101 Abs. 2, 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 01.11.2006
begehrt, ist die erhobene Anfechtungsklage unzulässig.
Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass es sich bei der Bewertung einer
einzelnen Prüfungsleistung in der Ersten Juristischen Staatsprüfung grundsätzlich
nicht um einen Verwaltungsakt handelt (BVerwG NVwZ-RR 1994, 582; vgl. im
Übrigen in diesem Zusammenhang die Nachweise in dem Beschluss des Gerichts
vom 05.02.2007). Anhaltspunkte dafür, dass sich aus § 17 Abs. 4 JAG a. F. etwas
anderes ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Ginge man demgegenüber davon
aus, dass eine Entscheidung nach dieser Vorschrift separat anfechtbar wäre, so
käme man auch zu dem seltsamen Ergebnis, dass gegen die Entscheidung nach §
17 Abs. 4 JAG a. F. Widerspruch oder gegebenenfalls auch unmittelbar Klage (dann
müsste man § 22a JAG a. F. so verstehen, dass diese Vorschrift nicht zur
Anwendung käme, wenn der Note – wie vorliegend – kein Akt der Bewertung der
Prüfungsleistung zu Grunde läge) erhoben werden könnte und daneben bzw.
anschließend noch ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die das Prüfungsverfahren
abschließende Entscheidung möglich wäre (vgl. § 22a JAG a. F.).
Eine Anfechtungsklage ist auch nicht deshalb zulässig, weil der Beklagte in Form
eines Verwaltungsaktes entschieden hat. Voraussetzung für die Statthaftigkeit
einer Anfechtungsklage ist gemäß § 42 Abs. 1 VwGO das Vorhandensein eines
Verwaltungsaktes. Der Bundesgesetzgeber hat in § 35 VwVfG die
Tatbestandsmerkmale eines Verwaltungsaktes normiert. Nur wenn diese gegeben
sind, kann von einem Verwaltungsakt gesprochen werden. Etwas anderes wäre
allerdings dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber unter Außerachtlassung der
Voraussetzungen des § 35 VwVfG eine Maßnahme als Verwaltungsakt definieren
würde. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Maßgeblich dafür, ob es sich um
einen Verwaltungsakt handelt, ist nicht die Form, sondern der Inhalt der
behördlichen Maßnahme (so auch BVerwGE 7, 54; HessVGH NJW 1966, 1624;
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. A., 2005, § 35 Rn. 16; Schenke, NVwZ 1990, 1009; a. A.
BVerwGE 16, 116; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. A., 2001, § 35 Rn. 13 ff). Allein
dies entspricht dem Wortlaut des § 35 VwVfG, der keinen Raum für formale
Voraussetzungen lässt. Stellte man demgegenüber auch auf die Form ab, so
hätte es die Behörde in der Hand, etwa durch Beifügung einer entsprechenden
Rechtsbehelfsbelehrung zu bestimmen, welche Klage zu erheben wäre. Die
Behörde könnte dann durch entsprechende formale Abfassung einer Maßnahme
bewirken, dass ein Vorverfahren (§ 68 Abs. 1 VwGO) und eine Klagefrist (§ 74 Abs.
1 VwGO) einzuhalten wären, auch wenn die jeweiligen tatbestandlichen
Voraussetzungen der genannten Vorschriften nicht gegeben wären. Allein durch
entsprechende Abfassung der Maßnahme könnte die Behörde dann auch
gegebenenfalls Einfluss darauf nehmen, ob vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80
oder § 123 VwGO zu suchen wäre. Schließlich könnte sich die Behörde allein
aufgrund der Form der behördlichen Maßnahme einen Vollstreckungstitel
verschaffen (vgl. § 1 HessVwVG), auch wenn die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 35 (H)VwVfG nicht gegeben wären. Auch wenn inhaltlich
kein Verwaltungsakt gegeben wäre, könnte die Behörde durch entsprechende
Abfassung der Maßnahme auch erreichen, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz
Anwendung findet (vgl. § 9 VwVfG). Gesetzliche Vorschriften könnten hiernach
allein durch entsprechendes Verhalten der Behörde umgangen werden. Eine
solche Kompetenz steht den Behörden aber nicht zu.
Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass nicht die Form, sondern der Inhalt
der behördlichen Maßnahme dafür maßgeblich ist, ob vom Vorliegen eines
Verwaltungsaktes und mithin von der Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage
auszugehen ist. Hiernach erweist sich die erhobene Anfechtungsklage des Klägers
als unzulässig, da sie sich nicht auf einen Verwaltungsakt bezieht.
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Die Klage ist auch insoweit unzulässig, als der Kläger die Verurteilung des
Beklagten begehrt, einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts zu erteilen.
Soweit hierin die Erhebung einer Verpflichtungsklage zu sehen sein sollte (vgl. §
113 Abs. 5 VwGO), wäre die Klage bereits deshalb unzulässig, weil – wie oben
ausgeführt – über die einzelne Prüfungsnote nicht durch Verwaltungsakt
entschieden wird.
Sollte es sich aber bei dem Klagebegehren um eine allgemeine Leistungsklage
handeln, so wäre die Klage ebenfalls unzulässig. Es fehlte dann an dem
erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, denn der Kläger hat die Möglichkeit, gegen
den Bescheid, der das Prüfungsverfahren beendet, Rechtsbehelfe einzulegen. Im
Rahmen dieser Verfahren kann dann auch über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme
nach § 17 Abs. 4 JAG a. F. entschieden werden (im Übrigen ist auch nichts dafür
ersichtlich, wie die vom Kläger begehrte Entscheidung aussehen sollte, soweit sie
über eine Aufhebung der Maßnahme vom 01.11.2006 hinausgeht).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 4 VwGO.
Der Beklagte hat die Erhebung der Klage durch Beifügung einer unzutreffenden
Rechtsbehelfsbelehrung verursacht, so dass er die Kosten des Verfahrens zu
tragen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. A., 2005, § 155 Rn. 20). Ob die im
Schreiben der Behörde vom 01.11.2006 ausgesprochene Maßnahme zu Recht
erfolgte, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da nichts dafür
ersichtlich ist, dass bei formal zutreffender Bescheidung des Klägers dieser zum
jetzigen Zeitpunkt Klage erhoben hätte.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO in
Verbindung mit § 167 Abs. 1 VwGO.
Die Berufung ist gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, da –
wie sich den obigen Ausführungen entnehmen lässt – bislang keine einheitliche
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Statthaftigkeit einer
Anfechtungsklage im Fall einer nur formal als Verwaltungsakt ergangenen
behördlichen Entscheidung gegeben ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.