Urteil des VG Wiesbaden vom 30.04.2007

VG Wiesbaden: eugh, kommission, hessen, abänderungsklage, einverständnis, glücksspiel, verfassungsgericht, vertragsverletzung, gestaltung, veranstaltung

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Gericht:
VG Wiesbaden 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 G 286/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 43 EG, Art 49 EG, Art 12
Abs 1 GG, § 1 SportWettG HE
1998, § 80 Abs 7 VwGO
Zulässigkeit privater Sportwetten (hier: Abänderungsklage
wegen Änderung der Sach- und Rechtslage)
Leitsatz
Durch die Placanica-Entscheidung des EuGH ist keine Änderung der Sach- und
Rechtslage eingetreten, die es gebieten würde, die bisherige - ablehnende -
Eilentscheidung der Kammer aufzuheben. Dies gilt auch für die an die Bundesregierung
gerichtete Stellungnahme der Kommission der Eropäischen Gemeinschaften im
Notifizierungsverfahren zum Entwurf des Glücksspiel-Staatsvertrags und die
ergänzende Aufforderung im Vertragsverletzungsverfahren. Ob der EuGH eine
Vertragsverletzung feststellen wird, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
Tenor
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Berichterstatterin über den
Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO.
Der Abänderungsantrag ist zurückzuweisen.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Es ist seit der Entscheidung im Verfahren 5 G 1167/06 keine maßgebliche
Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, die es gebieten würde, die
ursprüngliche und rechtskräftige Entscheidung des Gerichts abzuändern.
Die hier maßgebliche Rechtslage wurde nicht geändert, neue gesetzliche
Vorschriften in der Zwischenzeit nicht erlassen. Es gilt nach wie vor das vom
Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 28.03.2006 im Verfahren 1 BvR 1054/01)
gesetzte Übergangsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten
Entscheidung nicht nur die weitere Anwendung verfassungs- und
europarechtswidrigen Landesrechts erlaubt, sondern gleichzeitig wegen des
festgestellten legislatorischen Defizits an der Verfassung orientiertes
Übergangsrecht unter Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs
geschaffen, das nach § 31 BVerfGG verbindlich und auch in Hessen anwendbar ist
(vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 04.07.2006, Az.: 1 BvR 138/05, und Beschluss
vom 02.08.2006, Az.: 1 BvR 2677/04). Das Verfassungsgericht hat insoweit die
unzureichende Gesetzeslage (übergangsweise) ergänzt und den unbestimmten
Rechtsbegriff "Mindestmaß an Konsistenz" gewählt, um das Verwaltungshandeln
zu lenken. Bei der korrekten Ausfüllung des Begriffs und der Beachtung der
Vorgaben im Tatsächlichen sieht das Bundesverfassungsgericht bis zum
31.12.2007 Art. 12 Abs. 1 GG nicht als verletzt an, wenn - unter Aufrechterhaltung
des staatlichen Monopols - Privaten Angebot und Vermittlung von Sportwetten aus
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des staatlichen Monopols - Privaten Angebot und Vermittlung von Sportwetten aus
ordnungsrechtlichen Gründen untersagt wird (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom
19.10.2006, Az.: 2 BvR 2023/06). Dass das Bundesverfassungsgericht bei der
Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG auch die europarechtlichen Anforderungen
berücksichtigt hat, erschließt sich daraus, dass es ein Entsprechen der Vorgaben
des Gemeinschaftsrechts mit denen des Grundgesetztes festgestellt hat (RdNr.
144).
Auch eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage ist nicht eingetreten.
Zwar gibt es neuere Eilentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des
Saarlandes (vom 04.04.2007, Az.: 3 W 18/06 und 3 W 20/06), mit denen die
sofortige Vollziehbarkeit von Untersagungs- bzw. Schließungsverfügungen
betreffend das Angebot und die Vermittlung von Sportwetten im Saarland
ausgesetzt wurde. Diese Entscheidungen beruhen aber auf rechtlichen
Beurteilungen, die von denen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (zuletzt im
Beschluss vom 05.01.2007, Az.: 2 TG 2911/06) abweichen. Dass ein
Oberverwaltungsgericht eines anderen Bundeslandes eine andere Sicht der Dinge
als der für Hessen zuständige Hessische Verwaltungsgerichtshof hat, begründet
für die Beurteilung der Vorgehensweise hessischer Behörden auf der Grundlage
des HSOG und des hessischen SpW/LottoG keine maßgebliche Änderung. Von der
Klärung einer umstritten Rechtsfrage durch Änderung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (vgl. Kopp/Schenke, § 80 VwGO, RdNr. 197) kann aufgrund einer
anderslautenden Entscheidung eines anderen obersten
Landesverwaltungsgerichts ebenfalls nicht ausgegangen werden.
Auch durch die aktuellen Stellungnahmen und Aufforderungen der Kommission der
Europäischen Gemeinschaften (im Notifizierungsverfahren 2006/658/D zum
Entwurf eines Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland und im
Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2003/4350) ist eine solche maßgebliche
Änderung nicht eingetreten. Das Notifizierungsverfahren bezieht sich auf den
künftigen Lotteriestaatsvertrag, der erst im Entwurf vorliegt und noch nicht
unterzeichnet ist. Die Aufforderung im Vertragsverletzungsverfahren gibt die
Rechtsmeinung der Kommission wieder. Ob der Europäische Gerichtshof letztlich
zu der Feststellung gelangen wird, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der
Gestaltung des Glückspielwesens und ihrer Glücksspielpolitik gegen ihre
Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstößt, kann derzeit nicht abschließend
beurteilt werden. Es konzedieren aber sowohl die Kommission als auch der
Europäische Gerichtshof (vgl. Urteil vom 06.11.2003, Rs. C - 243/01 - Gambelli -),
dass die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht ein übergeordnetes
Allgemeininteresses sein kann, aufgrund dessen die Dienstleistungs- und die
Niederlassungsfreiheit beschränkt werden können.Was die Kohärenz/Konsistenz
der deutschen Glückspielpolitik betrifft, so werfen die Stellungnahmen und
Anfragen der Kommission keine rechtlichen Fragen auf, die nicht schon in den
Verfahren Gambelli und Zanetti (Urteil vom 21.10.1999, Rs. C - 67/98) erörtert
worden wären. Mit diesen Entscheidungen hat sich der Hessische
Verwaltungsgerichtshof (a.a.O.) in seiner - mittlerweile als gefestigt anzusehenden
- Rechtsprechung auseinandergesetzt und festgestellt, das Land Hessen habe
ebenso wie andere Bundesländer seit dem Grundsatzurteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 vielfältige und umfassende
Maßnahmen mit dem Ziel getroffen, das bestehende staatliche Wettmonopol
unter Beachtung der dort festgelegten Vorgaben auszugestalten. Angesichts
dessen greife das Verbot der privaten Vermittlung von Sportwetten nicht mehr
unzulässig in die durch den EG-Vertrag eingeräumte Niederlassungs- und
Dienstleistungsfreiheit ein. Von diesen Wertungen abzuweichen erscheint dem
erkennenden Gericht nicht geboten. Insbesondere muss nicht das gesamte
Glücksspielwesen in der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand der
Überprüfung gemacht werden. Die Forderung nach Kohärenz bezieht sich auf die
jeweilige nationale Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten
(vgl. EuGH, Urteil vom 06.11.2003 - Gambelli - , Rdnr. 75).Die allgemeine
Formulierung in den Randnummern 50 ff. der Placanica-Entscheidung. (EuGH,
Urteil vom 06.03.2007, Rs. C - 338/04 u.a.) bedeutet insoweit keine Änderung der
bisherigen Rechtsprechung, sondern beruht darauf, dass es in Italien einheitliche
Regelungen über die Teilnahme an der Veranstaltung von Glücksspielen gibt, die
sowohl Lotterien als auch Wetten und Wettbewerbe betreffen (vgl. Rdnrn. 3 ff., 14).
Auch im Übrigen hat die EUGH-Entscheidung im Verfahren Placanica u. a. in Bezug
auf das vorliegende Verfahren zu keiner maßgeblichen Änderung der Sachlage
geführt. Anders als in Deutschland, wo es bei der Monopolisierung um die
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geführt. Anders als in Deutschland, wo es bei der Monopolisierung um die
Suchtbekämpfung und damit um die erste Stufe von Zielen geht, gibt es in Italien
ein Konzessionierungssystem; für die Beschränkungen der Zulassung von
Kapitalgesellschaften werden andere Gründe, nämlich die Kontrollierbarkeit von
Glücksspieltätigkeiten zu Zwecken der Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung,
angeführt. Die Anforderungen auf dieser (zweiten) Stufe der Zielsetzung sind
andere als die, die im Rahmen des vollständigen Ausschlusses privater Anbieter
aus Gründen der Bekämpfung der Spielsucht und der Eindämmung der
Wettleidenschaft aufzustellen sind. Von Bedeutung ist hier aber, dass der
Europäische Gerichtshof erneut betont hat, dass es den Mitgliedsstaaten in jeder
Hinsicht freistehe, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele
festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen. Die Maßnahmen,
die die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels gewährleisten sollen, müssen
allerdings geeignet, verhältnismäßig und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie
die Freiheitsrechte nicht mehr als notwendig einschränken. Das Vorliegen dieser
Voraussetzungen hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in der genannten
Entscheidung hinsichtlich der Sportwetten bejaht. Dem hat sich die Kammer mit
Urteil vom 20.03.2007 (Az.: 5 E 1329/06) angeschlossen.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Streitwert wurde entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 21.12.2006 im vorangegangenen
Eilverfahren 11 TG 1167/06) auf 7.500,-- € festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.