Urteil des VG Wiesbaden vom 15.06.2007

VG Wiesbaden: befreiung, abschiebung, indien, duldung, reisepass, auskunft, polizei, ausreise, flugschein, sicherungshaft

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Gericht:
VG Wiesbaden 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 G 732/07.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 60a Abs 2 AufenthG 2004, §
4 PStG, § 5 PStG, § 123 Abs 1
VwGO
(Zum Abschiebungsschutz eines Ausländers wegen einer
unmittelbar bevorstehenden Eheschließung)
Leitsatz
Eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn
der Standesbeamte die Antragsunterlagen an den für die Entscheidung über den
Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses zuständigen
Präsidenten des Oberlandesgerichts weitergeleitet hat.
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben,
dem Antragsteller für die Zeit bis zwei Wochen nach Mitteilung der Entscheidung
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main über den Antrag auf Befreiung vom
Ehefähigkeitszeugnis eine Duldung zu erteilen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der am ... in ... (District ...) geborene Antragteller ist indischer Staatsangehöriger
und Sikh aus dem Punjab. Er wendet sich mit dem vorliegenden Antrag gegen
seine bevorstehende Abschiebung. Der Antragsteller verließ nach eigenen
Angaben Indien im Jahr ... und wurde am ... von der Polizei in ... aufgegriffen. Er
gab an, sich als Asylsuchender melden zu wollen. Dies tat er jedoch nicht, sondern
hielt sich nach seinen Angaben sodann in Spanien auf. Am 22.06.2004 reiste er
nach seinen Angaben erneut nach Deutschland ein und wurde am 24.06.2004 von
der Polizei in ... verhaftet. Am 25.06.2004 stellte der Antragsteller aus der
Untersuchungshaft in ... heraus einen Asylantrag. Dieser wurde durch Bescheid
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.07.2004
als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Az.: 5106894-463). Mit Beschluss des
VG Frankfurt am Main vom 11.08.2044 wurde der Eilantrag abgelehnt (Az.: 8 G
3683/04.A); das Klageverfahren endete durch Klagerücknahme am 29.10.2004
(Az.: 8 E 3685/04.A). Nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen Diebstahls
wurde der Kläger aus der Haft entlassen und meldete sich am 13.10.2004 in der
Landeshauptstadt Wiesbaden an. Dort wurden ihm in der Folgezeit wegen
Passlosigkeit Duldungen ausgestellt. Eine am 15.12.2006 eingereichte Petition
wurde am 04.05.2007 abschlägig beschieden. Im ... wurden bereits Unterlagen
beim Standesamt in ... zwecks Eheschließung mit einer deutschen
Staatsangehörigen vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der indische
Reisepass des Antragstellers, ausgestellt am 20.06.2006 in ... mit einer
Gültigkeitsdauer bis zum 19.06.2007, dort vorgelegt. Später wurde der Reisepass
vom Standesamt eingezogen und an die Ausländerbehörde übersandt. Am
22.05.2007 hatten die Verlobten einen Termin zur Anmeldung der Eheschließung
und legten alle benötigten Unterlagen vor. Daraufhin wurde das Verfahren zur
Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis beim OLG Frankfurt am Main eingeleitet. Dies
ist unter dem Aktenzeichen 346/21291/07 anhängig. In diesem Verfahren fehlt es
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ist unter dem Aktenzeichen 346/21291/07 anhängig. In diesem Verfahren fehlt es
noch am Vorliegen der Akten der Ausländerbehörde Wiesbaden, die per Postweg
am 06.06.2007 und per Fax am 12.06.2007 dort angefordert wurden. Laut
telefonischer Auskunft des OLG Frankfurt vom 14.06.2007 an das Gericht soll nun
noch geprüft werden, ob sich aus der ausländerbehördlichen Akte Zweifel
hinsichtlich der Identität und des Personenstands des Antragstellers ergeben.
Weitere Hindernisse seien derzeit nicht ersichtlich. Ein Termin zur Eheschließung
liegt noch nicht vor. Mit Schreiben vom 10.05.2007 setzte die Antragsgegnerin
dem Antragsteller eine Frist zur freiwilligen Ausreise. Bis zum 21.05.2007 sollte er
einen gültigen Flugschein für einen vor dem 10.06.2007 stattfindenden Direktflug
nach Indien vorlegen. Die Antragsgegnerin beabsichtigt nun, den Antragsteller am
18.06.2007 auf dem Luftweg nach Indien abzuschieben. Der Antragsteller wurde
am 13.06.2007 verhaftet und am 14.06.2007 dem Amtsrichter vorgeführt, der
Sicherungshaft bis zum 21.06.2007 anordnete. Der Antragsteller trägt vor, die
Eheschließung sei ernsthaft beabsichtigt und stehe unmittelbar bevor, da alle
notwendigen Unterlagen vorgelegt und überprüft worden seien. Lediglich die
Genehmigung des OLG für eine Entbindung von der Beibringung des
Ehefähigkeitszeugnisses müsse noch erteilt werden. Dies hänge von der
Übersendung der ausländerbehördlichen Akten der Antragsgegnerin an das OLG
ab. Bereits jetzt strahle die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK
soweit aus, dass eine Abschiebung verfassungswidrig wäre.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO
zu verpflichten, bis zur Eheschließung des Antragstellers mit seiner Verlobten ...
von Abschiebungsmaßnahmen vorläufig abzusehen und ihn bis zu diesem
Zeitpunkt zu dulden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin darauf, dass die Eheschließung
nicht unmittelbar bevorstehe. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt
des Schriftsatzes vom 14.06.2007 Bezug genommen. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
beigezogenen Akte der Verfahren 8 E 728/07.A und 8 G 729/07.A, sowie der Akten
der Ausländerbehörde Wiesbaden (2 Bände) Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist auch begründet. Der erforderliche Anordnungsgrund ist gegeben,
da die Abschiebung unmittelbar bevorsteht und die Antragsgegnerin deutlich
gemacht hat, dass sie nicht von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen absehen will.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123
Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind hierbei die tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die
Abschiebung des Antragstellers ist aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der
Antragsteller möchte eine deutsche Staatsangehörige heiraten. Ein Anspruch auf
Aussetzung der Abschiebung wegen der bevorstehenden Eheschließung mit einem
deutschen Staatsangehörigen und einer daraus resultierenden Unmöglichkeit der
Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG kommt nur dann in Betracht, wenn
die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. In Vorwirkung der
Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG ist eine unmittelbar bevorstehende
Eheschließung anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder
jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 04.04.2007 -
3 Bs 28/07 -, zitiert nach juris). Sind die Vorbereitungen in dem Verfahren der
Eheschließung bereits soweit vorangeschritten, dass die Anmeldung der
Eheschließung (§ 4 PStG) vorgenommen wurde, die Verlobten die gemäß § 5 Abs.
1 und 2 PStG von dem Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben
und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf
Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird, ist eine
unmittelbar bevorstehende Eheschließung grundsätzlich dann zu vermuten, wenn
dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus
seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (vgl. Nr. 60a.2.3 i.V.m. Nr. 30.0.6
der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum
Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU v. 22.12.2004; so bereits Nr.
55.2.3 i.V.m. Nr. 18.0.1 AuslG-VwV; VGH München, Beschluss vom 20.04.2006 - 19
55.2.3 i.V.m. Nr. 18.0.1 AuslG-VwV; VGH München, Beschluss vom 20.04.2006 - 19
CE 06.981 -; OVG Sachsen, Beschluss vom 16.05.2006 - 3 BS 61/06 -; alle zitiert
nach juris). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Standesbeamte die
Antragsunterlagen an den für die Entscheidung über den Antrag auf Befreiung von
der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses zuständigen Präsidenten des
Oberlandesgerichts weitergeleitet hat (vgl. GK-AufenthG, Rdnr. 89 zu § 27
AufenthG), da dem Standesbeamten gemäß § 5 a Satz 1 PStG die Vorbereitung
dieser Entscheidung obliegt und er die hierfür notwendigen Nachweise von den
Verlobten anzufordern hat. Stellt sich im weiteren Verfahrensgang jedoch heraus,
dass eine Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts deshalb nicht
ergehen kann, weil der Standesbeamte diese nur unzureichend vorbereitet hat
und es noch an Unterlagen fehlt, die von den Verlobten auch beigebracht werden
können, ist die Vermutung der unmittelbar bevorstehenden Eheschließung bis zu
dem Zeitpunkt, in dem die für die Entscheidung über den Antrag noch fehlenden
Unterlagen nachgereicht worden sind, widerlegt. In Anwendung dieser Grundsätze
steht die beabsichtigte Eheschließung unmittelbar bevor, da der Standesbeamte
die Unterlagen bereits an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main weitergeleitet
hat und nach telefonischer Auskunft des zuständigen Bearbeiters am
Oberlandesgericht Frankfurt am Main alle erforderlichen Unterlagen im Verfahren
auf die Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis, die bislang nicht erteilt wurde,
beigebracht wurden. Ausstehend ist allein die Vorlage der ausländerbehördlichen
Unterlagen zur Prüfung, ob von dem Antragsteller jemals Alias-Namen oder
unterschiedliche Geburtsdaten angegeben wurden. Die Beschaffung dieser
Unterlagen steht jedoch nicht in der Macht der Verlobten (Hailbronner, AuslR,
Rdnr. 30 zu § 60 a AufenthG). Um den bestehenden streitgegenständlichen
Duldungsanspruch zu sichern, ist es nach Auffassung des Gerichts im Sinne des §
123 Abs.3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO erforderlich, aber auch ausreichend, die
Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit bis zwei Wochen
nach Mitteilung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main über
den Antrag auf Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis eine Duldung zu erteilen. In
diesem Zeitraum wird es dem Antragsteller und seiner Verlobten möglich sein,
einen Termin für eine zeitnahe Eheschließung auf dem Standesamt zu
vereinbaren. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung der Antragsgegnerin für
eine eventuell unbestimmte Zeit ("bis zur Eheschließung") erscheint dem Gericht
nicht angezeigt, ist aber auch zur Wahrung der Rechte des Antragstellers nicht
erforderlich. Damit ist über das Begehren des Antragstellers umfänglich
entscheiden, ohne dass es einer teilweise Antragsablehnung bedarf. Die
Antragsgegnerin hat die Kosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die
Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylVfG. Dieser Beschluss ist
unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.