Urteil des VG Wiesbaden vom 21.03.2007

VG Wiesbaden: rückforderung, verletzung der anzeigepflicht, treu und glauben, bfa, erbengemeinschaft, altersrente, behörde, ruhegehalt, auflage, verwirkung

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Gericht:
VG Wiesbaden 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 E 1933/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 52 Abs 2 BeamtVG, § 55 Abs
1 BeamtVG, § 62 Abs 2 Nr 2
BeamtVG, § 1967 Abs 1 BGB,
§ 2058 BGB
(Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge;
Ruhensregelung; Nachlassverbindlichkeit;
Erbengemeinschaft)
Leitsatz
Eine Nachlassverbindlichkeit ist eine gemeinschaftliche Verbindlichkeit. Bei einer
Erbengemeinschaft - gleichgültig ob es sich um eine ungeteilte oder geteilte
Erbengemeinschaft handelt - entsteht eine Nachlassverbindlichkeit erst, wenn
gegenüber allen Miterben die Anwendung der Ruhens- und Kürzungsvorschriften
erfolgte.
Tenor
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 26.03.2003 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 werden aufgehoben, soweit von der
Klägerin die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge verlangt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin und der Beklagte je 1/2 zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der
jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge
an ihren verstorbenen Vater für die Zeit vom 01.06.1985 bis 31.07.2000.
Der Vater der Klägerin, der am XXX geborene XXX, wurde mit Ablauf des
31.01.1983 in den Ruhestand versetzt und erhielt ab dem 01.02.1983 ein
Ruhegehalt in Höhe von 75 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge.
Nach Vollendung seines 65. Lebensjahres erhielt er ab dem XXX eine gesetzliche
Altersrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe von
damals 1035,40 DM, die jährlich zum 1. Juli erhöht wurde. Herr XXX verstarb am
30.07.2000.
Seine Witwe, XXX, gab mit Schreiben vom 07.08.2000 aus Anlass des Todes ihres
Mannes an, dass sie vermutlich eine zusätzliche Witwenrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung erhalten werde.
Mit Schreiben vom 28.09.2000 teilte die BfA die Höhe der monatlichen
Rentenzahlungen für den verstorbenen Herrn XXX in der Zeit vom 01.06.1985 bis
31.07.2000 mit.
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Ebenfalls mit Schreiben vom 28.09.2000 teilte der Beklagte der Witwe in der
Annahme, sie sei Alleinerbin, mit, dass beabsichtigt sei, die überzahlten
Versorgungsbezüge von ihr zurückzufordern. Mit Rückforderungsbescheid des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 21.06.2001 wurden von der Witwe
überzahlte Versorgungsbezüge in Höhe von 149.359,20 DM zurückgefordert.
Hiergegen legte die Witwe mit Schreiben vom 02.07.2001 Widerspruch ein unter
Hinweis darauf, dass sie nicht Erbin ihres verstorbenen Ehemannes sei. Der
Rückforderungsbescheid ihr gegenüber wurde mit Schreiben vom 11.05.2004
zurückgenommen.
Der verstorbene Versorgungsempfänger hatte mit notariellem Testament vom
XXX nicht seine Ehefrau, sondern seine Tochter XXX, die Klägerin des vorliegenden
Verfahrens, und seinen Sohn XXX als Alleinerben zu gleichen Teilen eingesetzt.
Mit Schreiben vom 13.07.2001 hörte das Regierungspräsidium Darmstadt die
beiden Erben zu der beabsichtigten Rückforderung der überzahlten
Versorgungsbezüge an. Diese wiesen darauf hin, dass ihr Vater am 17.03.1983
dem Regierungspräsidium eine Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten
übersandt habe. In dieser Berechnung seien eindeutig auch die Dienstjahre
aufgelistet, die einen Rentenanspruch gegenüber der BfA begründeten.
Da sich weder das Regierungspräsidium noch die Zentrale Besoldungsstelle um
weitere Aufklärung bemüht hätte, sei ihr Vater davon ausgegangen, dass sein
Ruhegehalt richtig berechnet worden sei. Es sei aus den Unterlagen auch nicht
ersichtlich, dass er jährlich ein Merkblatt mit der Aufforderung erhalten habe,
Renten, die über die BfA ausgezahlt werden, gegenüber dem Regierungspräsidium
oder der Zentralen Besoldungsstelle Wiesbaden anzuzeigen. Ihrem Vater könne
nicht vorgeworfen werden, er habe die für sein Ruhegehalt relevanten Regelungen
im BeamtVG nicht hinreichend gekannt und verstanden. Von Behördenseite hätte
hier Aufklärung erfolgen müssen. Da er auf die Kenntnis von der zusätzlichen
Rente vertraut und sich 17 Jahre lang keiner Rückforderung ausgesetzt gesehen
habe, sei der Tatbestand der Verwirkung erfüllt. Die Erben seien auch berechtigt,
die dem Erblasser zustehenden Einwendungen und Einreden geltend zu machen.
Es sei von einer völligen Entreicherung im Sinne von § 818 Abs. 3 BGB
auszugehen. Seine Pension habe ihr Vater überwiegend zur Deckung des täglichen
Lebensunterhaltes verwendet. Er habe nur einen geringen Betrag an Bargeld
vererbt. Die vererbten Immobilien habe er bereits vor Erreichen des Pensionsalters
finanziert. Dem stehe auch nicht ein gesetzlicher Vorbehalt in Form des § 55
BeamtVG entgegen, der die Wirkungen von § 820 BGB auslösen könnte. Auch ein
gesetzlicher Vorbehalt müsse dem Versorgungsempfänger ausdrücklich und
detailliert mitgeteilt und erklärt werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass von
den Erben an die Witwe des Versorgungsempfängers bereits der Pflichtteil
ausbezahlt worden sei.
Die Erbauseinandersetzung zwischen der Klägerin und ihrem Bruder wurde im
Dezember 2001 beendet.
Herr XXX starb am 28.02.2002. Er hinterließ eine Ehefrau sowie eine eheliche und
eine außereheliche Tochter. Mit Schreiben vom 21.01.2003 teilte der damalige
Bevollmächtigte der Klägerin dem Regierungspräsidium Darmstadt mit, dass Herr
XXX verstorben sei.
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 26.03.2003 wurden von
der Klägerin überzahlte Versorgungsbezüge an ihren Vater für die Zeit vom
01.06.1985 bis zum 31.07.2000 in Höhe von 76.366,15 € zurückgefordert (Bl. 322
bis 334 Versorgungsakte Bd. II). Für diesen Zeitraum seien die
Versorgungsbezüge des verstorbenen Versorgungsempfängers XXX wegen des
Zusammentreffens mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
gemäß § 55 BeamtVG neu zu regeln. In dem Bescheid über die Festsetzung
seines Ruhegehaltes vom 09.11.1982 sei er darauf hingewiesen worden, dass die
Festsetzung und Zahlung der Versorgungsbezüge unter einem gesetzlichen
Vorbehalt stünden. Ferner habe der Bescheid den Hinweis enthalten, dass die
Anwendung der Ruhens- und Kürzungsvorschriften zum Beispiel beim Bezug einer
Rente in Betracht kommen könne. Außerdem erhielten alle
Versorgungsempfänger einmal pro Jahr mit ihren Abrechnungsnachweisen von der
Hessischen Bezügestelle ein Merkblatt, in dem jeder Versorgungsempfänger auf
seine Pflicht hingewiesen werde, der Pensionsregelungsbehörde oder der die
Versorgungsbezüge zahlenden Stelle den Bezug von Renten aus der gesetzlichen
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Versorgungsbezüge zahlenden Stelle den Bezug von Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung unverzüglich anzuzeigen. Der Versorgungsempfänger habe
ab dem 01.06.1985 eine gesetzliche Altersrente von der BfA in Höhe von 1035,40
DM erhalten, die jährlich zum 1. Juli erhöht worden sei. Den Bezug dieser Rente
habe der Versorgungsempfänger nicht angezeigt, obwohl er hierzu nach § 62 Abs.
2 Nr. 2 BeamtVG dazu verpflichtet gewesen sei. Erstmals nach seinem Tod sei der
Versorgungsbehörde mit Schreiben vom 07.08.2000 der Rentenbezug zur
Kenntnis gekommen.
Da der Versorgungsempfänger den Antrag auf Altersrente erst am 12.04.1985 bei
der BfA eingestellt habe, sei das Schreiben, das durch Abgabenachricht vom
17.03.1983 belegt werden solle und das nicht vorliege, für den vorliegenden
Rechtsstreit unerheblich. Die durch den Festsetzungsbescheid unterstellte
Kenntnis eines Rentenanspruches entbinde nicht von den Anzeigepflichten. Denn
der Versorgungsempfänger sei nach der für ihn geltenden Rechtslage nicht
verpflichtet gewesen, eine Rente zu beantragen. Allein die Anwartschaft darauf
habe damals keine Anrechnung ausgelöst. Der Versorgungsempfänger hafte
verschärft, da die Zahlung der Versorgungsbezüge unter dem
gesetzesimmanenten Vorbehalt der Kürzung wegen rückwirkender Gewährung
oder nachträglichen Bekanntwerdens anzurechnender anderweitiger Bezüge
gemäß §§ 53 ff. BeamtVG stehe. Eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung
scheide somit aus. Auch sei eine Berufung auf den Rechtsgedanken der
Verwirkung ausgeschlossen. Die Kenntnis von der Rentenberechtigung des
Versorgungsempfängers habe der Beklagte erst mit dem Schreiben der Witwe
vom 07.08.2000 erlangt, so dass eine Verwirkung bereits an der entscheidenden
"Zeitmoment"-Voraussetzung scheitere. Habe ein verstorbener
Versorgungsempfänger selbst noch die zuviel gezahlten Versorgungsbezüge
erhalten und bestehe im Zeitpunkt des Todes noch eine Überzahlung, so gehe
diese als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 1967 Abs. 1 und Abs. 2 BGB auf die
Erben über. Die Klägerin und deren verstorbener Bruder seien von dem
Versorgungsempfänger zu gleichen Teilen als Alleinerben eingesetzt worden. Als
Erbengemeinschaft hafte die Klägerin und deren Bruder beziehungsweise dessen
Erben als Gesamtschuldner gemäß § 2058 BGB. Soweit die Klägerin in Anspruch
genommen werde, könne sie einen Ausgleich im Innenverhältnis gemäß § 426
Abs. 2 BGB bewirken. Im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsentscheidung
werde auf eine Verzinsung des Betrages verzichtet und der Klägerin die
Rückzahlung in Raten eingeräumt.
Der Bescheid wurde der Klägerin zu Händen ihres damaligen Bevollmächtigten am
28.03.2003 mit Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit Schreiben vom 07.04.2003 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den
Bescheid vom 26.03.2003, den das Regierungspräsidium Darmstadt mit
Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 zurückwies (Bl. 367 bis 376
Versorgungsakte Bd. II). Die entstandene Überzahlung werde nunmehr in einer
Summe zurückgefordert, da bekannt geworden sei, dass zum Nachlass ein
Mietwohngrundstück in A-Stadt gehöre. Eine bis zum 26.04.2002 bestehende
Erbengemeinschaft sei aufgelöst worden und die Klägerin sei alleinige
Eigentümerin dieses Hauses. Es sei davon auszugehen, dass allein der Wert des
geerbten Mietshauses die Höhe der Überzahlung bei weitem übersteige. In
Anbetracht der Höhe des Erbes, des pflichtwidrigen Verhaltens des
Versorgungsempfängers und des öffentlichen Interesses an der
schnellstmöglichen Rückzahlung zu Unrecht gewährter öffentlicher Gelder sei es
daher angemessen, die entstandene Überzahlung in vollem Umfang und in einer
Summe zurückzufordern. Das persönliche Interesse der Klägerin am Erhalt ihres
Erbes müsse demgegenüber zurücktreten. Eine Fürsorgeverpflichtung gegenüber
Erben habe die Behörde nicht. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung werde
jedoch auf eine Verzinsung des Rückforderungsanspruchs verzichtet.
Ergänzend wird im Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Berufung auf einen
Wegfall der Bereicherung im Falle der verschärften Haftung komme nur in
Betracht, wenn besondere Umstände den Verbrauch der zu Unrecht gezahlten
Versorgungsbezüge nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gerechtfertigt
erscheinen ließen. Dies könne beispielsweise dann zutreffen, wenn die
Versorgungsbehörde vor der Anwendung der Ruhensvorschriften dem
Versorgungsempfänger gegenüber durch einen ausdrücklichen Bescheid
(sogenannter Negativbescheid) die Anwendbarkeit der Ruhensvorschrift verneint
oder die rückwirkende Anwendung der Ruhensvorschrift ohne erkennbaren Grund
so ungewöhnlich lange verzögert habe, dass dieser Verzögerung der Aussagewert
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so ungewöhnlich lange verzögert habe, dass dieser Verzögerung der Aussagewert
eines Negativbescheides beizumessen sei. Diese Ausnahmen seien vorliegend
nicht gegeben.
Ob die Pensionsregelungsbehörde hätte erkennen können, dass der
Versorgungsempfänger eine Rentenanwartschaft erworben habe, sei ohne Belang.
Da die Berechnung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf
anderen Rechtsgrundlagen basiere als die Beamtenversorgung, sei die
Pensionsregelungsbehörde weder befugt, noch in der Lage, das Bestehen einer
Rentenanwartschaft festzustellen. Selbst wenn der Versorgungsempfänger seine
Rente tatsächlich pflichtgemäß angezeigt hätte, so hätte ihm auffallen müssen,
dass er von der Behörde weder eine Eingangsbestätigung noch eine
Neuberechnung seines Ruhegehaltes erhalten habe. Die Überzahlung sei
demnach nicht durch ein Verschulden der Behörde entstanden. Vielmehr habe der
verstorbene Versorgungsempfänger seine Anzeigepflichten schuldhaft verletzt und
damit die Entstehung der Überzahlung verursacht. Bei einem schuldhaften
pflichtwidrigen Verhalten des Versorgungsempfängers könne grundsätzlich nicht
von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen abgesehen werden. Der
Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin zu Händen ihrer Bevollmächtigten am
16.07.2004 mit Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit anwaltlichem Schriftsatz hat die Klägerin am 13.08.2004 Klage vor dem
Verwaltungsgericht Wiesbaden erhoben.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, ihr Vater habe sich bereits im Vorfeld
seiner Versetzung in den Ruhestand um seine Pensionsansprüche gekümmert. Für
eine vorläufige Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten seien dem
Regierungspräsidium Darmstadt sowohl seine Personalakten als auch ein
Auskunftsersuchen der BfA vom 26.03.1982 übersandt worden. Nachdem ihr Vater
in den Ruhestand versetzt worden sei, habe seine Dienststelle weitere Auskünfte
an die BfA sowohl nach Frankfurt am Main als auch nach Berlin erteilt. Diese
Korrespondenz habe das Regierungspräsidium Darmstadt als
Pensionsregelungsbehörde mit Schreiben vom 25.03.1983 gegenüber der
ehemaligen Dienststelle bestätigt. Anhand der Behördenakte sei nachgewiesen,
dass der Pensionsregelungsbehörde der Umstand bekannt gewesen sei, dass ein
Anspruch des Versorgungsempfängers auf Zahlung einer Rente seitens der BfA
bestand. Das Schreiben der BfA, das ausweislich der durch die Witwe eingereichten
Postkarte vom 17.03.1983 an das Regierungspräsidium Darmstadt weitergeleitet
worden sei, sei den Akten nicht zu entnehmen gewesen. Dies gelte ebenfalls für
die Postkarte, deren Abschrift sich ebenfalls bei den Akten befinden müsste.
Insofern sei eine Vollständigkeit der über den Versorgungsempfänger geführten
Akten nicht gegeben. Damit lasse sich der Sachverhalt kaum eindeutig klären.
Selbst wenn man unterstelle, der Versorgungsempfänger habe keine Angaben
zum Bezug der Rente gemacht, so bleibe der Einwand bestehen, dass der Bezug
der Rente der Behörde bekannt gewesen sei. Insofern habe er auf die
Rechtmäßigkeit der Berechnung seiner Versorgungsbezüge vertrauen können.
Eine schuldhafte Verletzung der Anzeigepflicht sei nicht nachgewiesen und anhand
des gesamten Verhaltens des Versorgungsempfängers auch nicht wahrscheinlich.
Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Verpflichtung aus § 62 Abs. 2 BeamtVG
sei auch nicht zwingend die Rückforderung, erst recht nicht der gesamten
Überzahlung. Auch die Regelung in § 52 Abs. 2 S. 3 BeamtVG sehe ein Absehen
von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen vor. Derartige Gesichtspunkte seien
vorliegend nicht beachtet worden. Bei der Klägerin handele es sich nicht um den
Versorgungsempfänger. Sie habe in keiner Weise von den Versorgungsbezügen
oder der Rente profitiert. Das Geld sei zu Lebzeiten von dem
Versorgungsempfänger verbraucht worden. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des
Erbfalls nicht mit einer Rückforderung rechnen müssen, da sie von dem
Sachverhalt keine Kenntnis besessen habe. Damit sei ihr im Nachhinein ein
Ausschlagen der Erbschaft verwehrt. Somit sei der angefochtene Verwaltungsakt
ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 26.03.2003 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt er Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Die
Klagebegründung enthalte keine grundsätzlich neuen Argumente, mit denen sich
die Bescheide nicht bereits ausführlich auseinandergesetzt hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakten (zwei Bände
Versorgungsakten des Regierungspräsidiums Darmstadt, 2 Bände Personalakten
des verstorbenen Versorgungsempfängers) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 26.03.2003 in der
Fassung dessen Widerspruchsbescheids vom 09.07.2004 verletzt die Klägerin
insoweit in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO), als der Beklagte von ihr überzahlte
Versorgungsbezüge in Höhe von 76.366,15 € zurückfordert. Soweit der Bescheid
gleichzeitig die gemäß § 55 BeamtVG vorgeschriebene Anrechnung der
Altersrente des verstorbenen Versorgungsempfängers aus der gesetzlichen
Rentenversicherung auf seine Versorgungsbezüge vornimmt, ist die Klage
unbegründet.
Die mit Wirkung vom 01.02.1983 in voller Höhe gezahlten Versorgungsbezüge
hatten ihren ursprünglichen Rechtsgrund in dem Festsetzungsbescheid vom
09.11.1982. Dieser Bescheid ist jedoch durch die mit Bescheid vom 26.03.2003
erfolgte Ruhensberechnung in Höhe des darin festgelegten Betrages
gegenstandslos geworden und kommt damit als Rechtsgrund für die überzahlten
Beträge nicht mehr in Betracht, ohne dass insoweit die einschränkenden
Rücknahmevoraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG zur Anwendung gelangen
(BVerwG, Urteil vom 29.10.1992 - 2 C 19/90 - ZBR 1993, 182;
Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Kommentar zum Beamtenversorgungsgesetz,
Rdnr. 1 Abschnitt 4.1 zu § 53 BeamtVG; GKÖD, Kommentar zum BeamtVG, Bd. I,
Rdnr. 82, 83 zu § 53 BeamtVG). Bei der Ruhensberechnung, die ebenfalls ein
Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG ist (GKÖD, a.a.O., Rdnr. 82 zu § 53 BeamtVG),
stellt sich das Problem der Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts
(Pensionsfestsetzungsbescheid) bei der Durchführung der Ruhensregelung
grundsätzlich nicht. Die Festsetzung von Versorgungsbezügen und deren
Auszahlung steht nämlich unter dem gesetzlichen Vorbehalt, dass die Bezüge im
Falle einer späteren Anwendung der Ruhens- und Kürzungsvorschriften gekürzt
werden und die Überzahlung zurückgefordert wird. Die Berichtigung kann jederzeit
getroffen werden und berührt insoweit nicht den Bescheid über die Festsetzung
der Versorgungsbezüge in seinem Bestand (GKÖD, a.a.O., Rdnr. 82 zu § 53
BeamtVG mit weiteren Nachweisen).
Die Ruhensberechnung nach § 55 BeamtVG ist vorliegend nicht zu beanstanden.
Nach § 55 Abs. 1 BeamtVG in der zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung
maßgeblichen Fassung werden Versorgungsbezüge neben Renten aus der
gesetzlichen Rentenversicherung nur bis zum Erreichen einer bestimmten
Höchstgrenze gezahlt. In Höhe des überschießenden Betrages ruht die
Versorgung. Da der verstorbene Versorgungsempfänger ab dem 01.06.1985 eine
anrechnungspflichtige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 55
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG) bezog, war die entsprechende Anrechnung
durchzuführen. Die Berechnung und die Höhe des Ruhensbetrags ergeben sich im
Einzelnen aus der Aufstellung, die dem Bescheid vom 26.03.2003 beigefügt war
(Bl. 331 bis 334 Versorgungsakten Bd. II). Hierauf nimmt das Gericht Bezug und
macht sich die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden zu Eigen (§ 117
Abs. 5 VwGO). Substantiierte Einwendungen der Klägerin gegen die Richtigkeit
dieser Berechnungen sind nicht vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Soweit der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden von der Klägerin
überzahlte Versorgungsbezüge an ihren verstorbenen Vater in Höhe von
76.366,15 € für die Zeit vom 01.06.1985 bis zum 31.07.2000 zurückfordert, sind
die Bescheide rechtswidrig und aufzuheben. Der Beklagte ist nicht gemäß § 52
Abs. 2 BeamtVG i.V.m. den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die
Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung berechtigt, die überzahlten
Versorgungsbezüge zurückzufordern, weil der verstorbene Versorgungsempfänger
sie bis zu seinem Tod nicht ohne Rechtsgrund erhalten hat und der Rechtsgrund
der Leistung vor Erlass des Rückforderungsbescheids nicht wirksam gegenüber
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der Leistung vor Erlass des Rückforderungsbescheids nicht wirksam gegenüber
allen Miterben des Versorgungsempfängers beseitigt wurde.
Die Klägerin war nicht Alleinerbin ihres verstorbenen Vaters, sondern sie erbte zu
gleichen Teilen mit ihrem Bruder. Nach Erbauseinandersetzung mit der Klägerin,
aber vor Erlass der angefochtenen Bescheide, verstarb der Bruder der Klägerin
und hinterließ seinerseits weitere Erben. Gegenüber diesen Personen erfolgte die
Anwendung der Ruhensregelungen gemäß § 55 BeamtVG auf die
Versorgungsbezüge des verstorbenen Versorgungsempfängers nicht.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Klägerin, gleichgültig ob als
Gesamtschuldnerin gemäß § 2058 BGB oder als Schuldnerin nach Anteilen gemäß
§ 2060 BGB, ist jedoch, dass der Rechtsgrund für die überzahlten
Versorgungsbezüge durch die Anwendung der Ruhens- und Kürzungsvorschriften
rückwirkend beseitigt worden ist. Zwar haftet der Erbe für die
Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 1 BGB). Vorliegend war jedoch im
Zeitpunkt des Todes des Versorgungsempfängers noch keine
Nachlassverbindlichkeit entstanden, da die Anwendung der Ruhensregelungen
nicht mehr zu Lebzeiten erfolgt war. Um eine gemeinschaftliche
Nachlassverbindlichkeit entstehen zu lassen, für die die Erben haften, ist die
Anwendung der Ruhensregelungen gegenüber allen Miterben erforderlich (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 03.03.1988 - 2 B 25/88 -, NJW 1988, 1927; Hess. VGH,
Urteil vom 25.11.1987 - 1 UE 2216/84; BayVGH, Urteil vom 16.10.1984 - 12 B 80
A.1790 -, BayVBl. 1985, 180; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.1998 - 1 UE 1276/95 -,
FamRZ 1999, 1023; juris-PK-BGB, Rdnr. 5 zu § 2058 BGB; Palandt, Kommentar
zum BGB, 66. Auflage 2007, Rdnr. 1 zu § 2058 BGB; Staudinger, Kommentar zum
BGB, Neubearbeitung 2002, Rdnr. 41, 43 zu § 2058 BGB). Da die Anwendung der
Ruhensregelungen hier lediglich gegenüber der Klägerin erfolgte, ist eine
gemeinschaftliche Verbindlichkeit, eine Nachlassverbindlichkeit, nicht entstanden.
Hierbei spielt es nach Auffassung des Gerichts für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Rückforderung keine Rolle, ob sich die Klägerin mit ihrem
Bruder bzw. dessen Erben in einer ungeteilten oder geteilten Erbengemeinschaft
befand. Denn auch für eine Forderung, die nach der Erbauseinandersetzung
angemeldet wird, besteht die gesamtschuldnerische Haftung der
Erbengemeinschaft weiter (Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage, Rdnr. 20
zu § 2058 BGB). Und diese setzt, wie oben bereits ausgeführt, eine
gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit voraus. Die Frage, ob der Nachlass
ungeteilt oder geteilt ist, spielt lediglich für die Frage, mit welcher
Vermögensmasse die Erben für eine gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit
haften, eine Rolle (BayOLG, Beschluss vom 21.09.1999 - 1 Z AR 120/98 -, zitiert
nach Beck-online; Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2002, Rdnr.
15 zu § 2060 BGB; Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2004, Rdnr. 2 zu §
2060 BGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt das Maß
des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Nach Auffassung des
Gerichts handelte es sich bei der Anwendung der Ruhens- und
Kürzungsvorschriften und bei der Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge
um zwei gleichwertige Begehren.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Das Gericht hat die Berufung gemäß § 124 a i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der Rechtsstreit
hat die bislang obergerichtlich nicht geklärte Frage aufgeworfen, ob auch bei einer
Erbengemeinschaft nach Erbauseinandersetzung die Anwendung der Ruhens- und
Kürzungsvorschriften gegenüber allen Miterben erfolgen muss, bevor gegenüber
einem Erben als Gesamtschuldner die Rückforderung von überzahlten
Versorgungsbezügen geltend gemacht werden kann.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.