Urteil des VG Trier vom 14.02.2006
VG Trier: öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, wiederherstellung des früheren zustandes, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufenthaltserlaubnis, vollziehung, lebensgemeinschaft
Aufenthaltsrecht
Ausländerrecht
Verwaltungsprozessrecht
VG
Trier
14.02.2006
5 L 83/06.TR
Die sofortige Vollziehung der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer erteilten
Aufenthaltserlaubnis kommt nur bei Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses in Betracht, das über
die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Verfügung hinausgehen muss.
Anmerkung:
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Verwaltungsgericht Trier
5 L 83/06.TR
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen ausländerrechtlicher Maßnahme (Bulgarien)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier aufgrund der Beratung vom 14. Februar 2006, an der
teilgenommen haben
beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die ausländerrechtlichen
Verfügung der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2006 wird hinsichtlich der in ihr enthaltenen
Abschiebungsandrohung angeordnet und im Übrigen wieder hergestellt.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die in der
ausländerrechtlichen Verfügung der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2006 enthaltene nachträgliche
Verkürzung der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis und Verpflichtung zur Vorlage des Passes ist als Antrag
auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig,
denn dem Widerspruch kommt insoweit gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO
- keine aufschiebende Wirkung zu. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ist der Antrag als Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zulässig, denn die Abschiebungsandrohung
ist gemäß § 20 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO - i.d.F.
der Bekanntmachung vom 5. Dezember 1977 (GVBl. S. 451), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juli
2003 (GVBl. S. 212), i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
Der Antrag ist auch in der Sache begründet, obwohl der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen
Vollziehung der nachträglichen Verkürzung der der Antragstellerin erteilten Aufenthaltserlaubnis formal
ausreichend im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO begründet hat.
Bei der Entscheidung darüber, ob nunmehr die aufschiebende Wirkung des Widerspruches anzuordnen
bzw. wiederherzustellen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einer Wiederherstellung des früheren
Zustandes abzuwägen. Dabei kommt es für die Frage, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der
sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes besteht, im Allgemeinen zwar nicht auf die
Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs an. Die Erfolgsaussichten sind
jedoch dann von Bedeutung, wenn das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens eindeutig vorauszusehen ist.
Ist nämlich ein Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so ist eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
geboten, weil ein öffentliches Interesse an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte
nicht bestehen kann. Umgekehrt liegt allerdings die sofortige Vollziehung offensichtlich rechtmäßiger
Verwaltungsakte nicht stets im besonderen öffentlichen Interesse, denn auch die sofortige Vollziehung
eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes erfordert ein über die offensichtliche Rechtmäßigkeit
hinausgehendes besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung, wobei die offensichtliche
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes allerdings das Gewicht des öffentlichen Vollzugsinteresses bei der
Abwägung mit dem entgegenstehenden Privatinteresse verstärken kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.
September 1995 - 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, S. 56, und vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 -, NVwZ
1985, S: 409; OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 17, Juli 1996 - 7 B 11556/96.OVG -, vom 17. Oktober
1989 - 12 B 81/89 -, vom 29. November 1988 - 12 B 92/88 - und vom 21. Juni 1983 - 2 B 45/83 -, GewArch
1983, S. 340).
Dabei muss bei der der Beurteilung der Frage, ob ein besonderes öffentliches Interesse an einer
sofortigen Vollziehung einer ausländerrechtlichen Entscheidung besteht, gesehen werden, dass der
Gesetzgeber bewusst bestimmte ausländerrechtliche Maßnahmen von Gesetzes wegen mit Sofortvollzug
versehen, bei anderen Maßnahmen hingegen davon abgesehen hat. So ist in den Fällen von
Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis nach § 84 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - der Suspensiveffekt kraft Gesetzes
ausgeschlossen. Eine solche Regelung fehlt indessen im Falle des vorliegend einschlägigen § 7 Abs. 2
Satz 2 AufenthG, der grundsätzlich die Rechtsgrundlage für eine nachträgliche Verkürzung der
Geltungsdauer einer erteilten Aufenthaltserlaubnis darstellt. Der Gesetzgeber billigt nämlich selbst einem
Ausländer, dessen - materielles - Aufenthaltsrecht entfallen ist, grundsätzlich zu, dass seinem
Widerspruch und seiner anschließenden Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zukommt. Von daher
hat der Gesetzgeber - gleichsam im Umkehrschluss zu § 84 Abs. 1 AufenthG - ohne Hinzutreten weiterer
Umstände kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung des Aufenthaltes solcher
ausreisepflichtiger Ausländer gesehen, deren einmal erteilte Aufenthaltserlaubnis nachträglich zeitlich
befristet worden ist. Mit der Zubilligung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und
Anfechtungsklage nimmt der Gesetzgeber vielmehr gerade in Kauf, dass ein längerer Aufenthalt des
betroffenen Ausländers im Bundesgebiet begründet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1996 - 2
BvR 2718/95 - AuAs 1996, S. 62 und juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Dezember 1997 - 7 B
12647/97.OVG -, ESOVGRP).
Ausgehend hiervon ist im Falle der Antragstellerin ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung
der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nicht erkennbar.
Zwar spricht bei summarischer Prüfung viel für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners,
denn gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die Geltungsdauer einer befristeten Aufenthaltserlaubnis
nachträglich verkürzt werden, wenn eine für ihre Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Dies
ist vorliegend wahrscheinlich der Fall. Der Antragstellerin ist - entsprechend § 27 Abs. 1 AufenthG - am 16.
Juni 2005 eine bis zum 11. Juni 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Führung der
ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen erteilt worden. Diese familiäre
Lebensgemeinschaft besteht indessen aller Wahrscheinlichkeit nach jedenfalls seit November 2005 nicht
mehr, nachdem der Ehemann der Antragstellerin am 29. November 2005 und 23. Januar 2006 gegenüber
dem Antragsgegner erklärt hat, die Eheleute lebten räumlich getrennt, und die Prozessbevollmächtigten
der Antragstellerin in einem an den Ehemann adressierten Schriftsatz vom 8. November 2005 ausgeführt
haben, dass der Ehemann aus der ehelichen Wohnung im Erdgeschoss des Hauses Römerstr. 6 in
Welschbillig ausgezogen sei und nunmehr eine eigenständige Wohnung im 1. Obergeschoss des
Gebäudes bewohne. Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass kein Scheidungsantrag gestellt worden sei,
die Antragstellerin für ihren Ehemann Hausarbeiten durchführe und ihm keine Miete zahle, rechtfertigt
dies voraussichtlich nicht die Ermöglichung des Aufenthalts im Bundesgebiet, denn aus dem Vortrag der
Antragstellerin ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ein Zusammenleben der
Eheleute in ehelicher Lebensgemeinschaft, das Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
war, derzeit oder in absehbarer Zukunft realistisch erscheint. Da im Falle der Antragstellerin die eheliche
Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet von daher wahrscheinlich keine zwei Jahre bestand, sind auch die
Voraussetzungen des § 31 AufenthG für ein von der ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängiges
Aufenthaltsrecht der Antragstellerin wohl nicht erfüllt, so dass der Antragsgegner berechtigt sein dürfte, die
Geltungsdauer der der Antragstellerin erteilten Aufenthaltserlaubnis in rechtmäßigen Weise zu verkürzen.
Indessen sind keine Gesichtpunkte ersichtlich, die ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung
einer derartigen Entscheidung erkennen lassen. Soweit der Antragsteller darauf abstellt, dass der
Gesetzgeber im Bereich des Ausländerrechts durch § 84 AufenthG allgemein ein besonderes
Vollzugsinteresse zum Ausdruck gebracht habe, trifft dies - wie bereits ausgeführt - in dieser Allgemeinheit
nicht zu. Ebenso wenig trägt die Begründung, aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer seit der
Eheschließung sei die Antragstellerin hier noch nicht schutzwürdig integriert. Hierauf kommt es nämlich
nicht entscheidend an, denn auch ein Aufenthalt nach der Befristung der Aufenthaltserlaubnis führt nicht
zu einer weiteren schutzwürdigen Verfestigung des Aufenthalts der Antragstellerin hier im Bundesgebiet.
§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sieht nämlich für diese Fälle vor, dass der Verwaltungsakt wirksam bleibt und
nur nicht vollzogen werden kann. Sonstige Umstände, die ein besonderes öffentliches Interesse für die
Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die
Antragstellerin hat einen festen Wohnsitz, fällt derzeit nicht der Sozialhilfe anheim und ist auch darüber
hinaus - soweit ersichtlich - bislang nicht auffällig geworden. Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte
dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin von vornherein eine Scheinehe mit einem deutschen
Staatsangehörigen beabsichtigt hätte (vgl. hierzu die bereits genannten Entscheidungen des BVerfG vom
25. Januar 1996 und des OVG Rheinland-Pfalz vom 2. Dezember 1997, die vergleichbare Sachverhalte
betreffen).
Besteht aber von daher kein besonderes Interesse am Sofortvollzug der nachträglichen Befristung der
Aufenthaltserlaubnis, so kann ein solches auch nicht in Bezug auf die ihre Rechtsgrundlage grundsätzlich
in § 50 Abs. 6 AufenthG findende Anordnung zur Überlassung des Passes und die
Abschiebungsandrohung bejaht werden, so dass dem Antrag mit der auf § 154 Abs. 1 VwGO beruhenden
Kostenentscheidung der Erfolg nicht versagt bleiben kann.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes -
GKG -, wobei es angesichts der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt erscheint, 3/4
des Regelstreitwertes anzusetzen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 12 B
10671/05.OVG -). Veranlassung, die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach Maßgabe des §
68 Abs. 1 Satz 2 GKG zuzulassen, sieht die Kammer nicht, denn die Streitwertfestsetzung hat keine
grundsätzliche Bedeutung.