Urteil des VG Trier vom 14.04.2010

VG Trier: gewerbe, wirkung ex nunc, eröffnung des verfahrens, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, behörde, verfügung, gläubigerversammlung, ermessen, zukunft, rechtsgrundlage

Gewerberecht
VG
Trier
14.04.2010
5 K 11/10.TR
Während des Laufs eines Insolvenzverfahrens ist eine Gewerbeuntersagung hinsichtlich des zu Beginn
des Insolvenzverfahrens ausgeübten Gewerbes nicht zulässig.
In den Fällen, in denen der Insolvenzverwalter die Fortsetzung des Gewerbes nach § 35 Abs. 2 InsO
freigegeben hat, kann eine Gewerbeuntersagung in Bezug auf das freigegebene Gewerbe jedenfalls nicht
auf solche finanziellen Gesichtspunkte gestützt werden, die zum Insolvenzverfahren geführt haben.
Verwaltungsgericht Trier
5 K 11/10.TR
Urteil
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Gewerbeuntersagung
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April
2010, an der teilgenommen haben
für Recht erkannt:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 17. November 2009 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages
vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger, der niederländischer Staatsangehörigkeit ist, wendet sich gegen eine
Gewerbeuntersagungsverfügung. Er betreibt in *** ein China-Restaurant, das er im Jahr 2000
gewerberechtlich angemeldet hat. Eine Gaststättenerlaubnis ist nach Auffassung der insoweit zuständigen
Verbandsgemeindeverwaltung *** für den Betrieb nicht erforderlich, weil der Kläger seinen Angaben
zufolge keine alkoholischen Getränke verkauft.
Mit Beschluss vom 20. Mai 2008 - 9 IN 57/07 - eröffnete das Amtsgericht *** als Insolvenzgericht auf
Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse - AOK -, der auf rückständige Sozial-, Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 3.700 € gestützt war, und der Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See Minijob-Zentrale das Insolvenzverfahren gegen "Kam Wing
Law Restaurant Peking" und bestellte zunächst Rechtsanwältin *** zur Insolvenzverwalterin, die im
November 2008 von Rechtsanwalt *** abgelöst wurde. Die Insolvenzverwalterin teilte dem Kläger mit
Schriftsatz vom 4. Juni 2008 unter Bezugnahme auf § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung - InsO - mit, dass eine
Fortführung des Schuldnerunternehmens zu Lasten der Masse nicht in Betracht komme und Vermögen
aus der selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus der selbständigen
Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden können, weil sie nicht davon ausgehe, dass
eine Fortführung des Unternehmens zu Lasten der Masse rentabel sei. Dies wurde dem Insolvenzgericht
seitens der Insolvenzverwalterin am 5. Juni 2008 mitgeteilt und von diesem in der Folgezeit bekannt
gemacht.
Zuvor waren hinsichtlich des Klägers fünf Haftanordnungen in der Schuldnerliste des Amtsgerichts Bitburg
eingetragen worden. Die Steuerschulden des Klägers und seiner Ehefrau betrugen nach einer Mitteilung
des Finanzamts *** vom 2. Juli 2008 seinerzeit 56.142,52 € und erhöhten sich nach Angaben des
Beklagten zum 8. September 2008 auf 56.750,02 €
Am 9. Oktober 2008 beantragte der Kläger im Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung. Über diesen
Antrag wurde bislang keine Entscheidung getroffen.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers untersagte der Beklagte mit an die Prozessbevollmächtigten des
Klägers adressiertem Bescheid vom 3. Dezember 2008 diesem gegenüber unter Anordnung der
sofortigen Vollziehung und Einräumung einer Abwicklungsfrist für die laufenden Geschäfte bis zum 15.
Januar 2009 die Ausübung des Gewerbes "Schank- und Speisewirtschaft" sowie die Ausübung einer
Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines
Gewerbebetriebes beauftragte Person und die selbständige Ausübung aller Gewerbe. Für den Fall der
Nichtbefolgung der Verfügung innerhalb der gesetzten Frist wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs
angedroht, so dass die Geschäftsräume geschlossen und versiegelt und die zur Gewerbeausübung
benötigten Arbeitsgeräte weggenommen und Betriebsfahrzeuge stillgelegt werden könnten. Begründet
wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Kläger unzuverlässig im Sinne des § 35
Gewerbeordnung sei, da er seinen steuerlichen Pflichten und seine Pflichten zur Leistung öffentlich-
rechtlicher Abgaben in erheblichem Umfang nicht nachgekommen sei, Sozialversicherungsbeiträge nicht
abgeführt habe und eine mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestehe. Da sich seine
Unzuverlässigkeit nicht auf das ausgeübte Gewerbe beschränke, sei eine umfassende
Gewerbeuntersagung geboten.
Zugestellt wurde der an die Prozessbevollmächtigten des Klägers adressierte Bescheid mit
Postzustellungsurkunde am 4. Dezember 2008 allerdings nicht an die Prozessbevollmächtigten, sondern
an den Kläger persönlich.
Am 23. Januar 2009 stellte der Beklagte sodann mit Postzustellungsurkunde eine neue, auf den 13.
Januar 2009 datierte und ansonsten unverändert gebliebene - eine Abwicklungsfrist bis zum 15. Januar
2009 einräumende - Gewerbeuntersagungsverfügung an die Prozessbevollmächtigten des Klägers zu. In
einem an die Prozessbevollmächtigten gerichteten Anschreiben heißt es dabei, dass die Verfügung vom
3. Dezember 2008 als gegenstandslos zu betrachten sei.
Am 18. Februar 2009 legte der Kläger Widerspruch gegen die vorgenannte Entscheidung vom 13. Januar
2009 ein und machte geltend, dass aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens eine
Gewerbeuntersagung nicht zulässig sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2009 wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den
Widerspruch zurück. Zur Begründung des Widerspruchsbescheids ist ausgeführt, dass der Kläger -
insbesondere aufgrund der Nichterfüllung seiner steuerlichen Pflichten - gewerberechtlich unzuverlässig
sei. Das Insolvenzverfahren stehe der Gewerbeuntersagung nicht entgegen, denn die Freigabe des
Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter bewirke, dass der freigegebene Geschäftsbetrieb mit allen
diesbezüglichen Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse ausscheide. Die Zwangsmittelandrohung sei
rechtmäßig, wobei es, da ein Unterlassen begehrt werde, nicht erforderlich sei, eine Frist zur Erfüllung der
Verpflichtung zu setzen.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 10. Dezember 2009 hat der Kläger am 11. Januar 2010 -
einem Montag - Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass § 12 Gewerbeordnung dem Erlass einer
Gewerbeuntersagungsverfügung entgegenstehe. Die Freigabe des Geschäftsbetriebs durch den
Insolvenzverwalter ändere nichts daran, dass er - der Kläger - bestimmte Einnahmen aus dem
Gewerbebetrieb an die Insolvenzmasse abzuführen habe. Insoweit müsse nämlich gesehen werden, dass
die insolvenzrechtliche Freigabe mit Wirkung zum 1. Juli 2007 gesetzlich neu geregelt worden sei. Seinen
Zahlungspflichten aus der freigegebenen Betriebsfortführung komme er nach.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Beklagten vom 13. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.
November 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, dass an der in den angefochtenen Bescheiden dargestellten Ausführungen zur
gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ungeachtet des laufenden Insolvenzverfahrens
festgehalten werde. Soweit der Kläger darauf abstelle, dass er den Zahlungspflichten aus der
freigegebenen Betriebsfortführung nachkomme, sei dies nicht von Bedeutung, denn die frei gegebene
Tätigkeit erfolge, wie sich aus der Gesetzesbegründung auf Seite 17 der Bundestagsdrucksache 16/3227
ergebe, außerhalb des Insolvenzverfahrens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze
der Beteiligten, die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten sowie die das Insolvenzverfahren
des Klägers betreffende Akte 9 IN 57/07 des Amtsgerichts Bitburg. Diese Unterlagen lagen vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet; der Bescheid des Beklagten vom 13. Januar 2009 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. November 2009 stellt sich als rechtswidrig dar und
verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 Gewerbeordnung - GewO - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar
1999 (BGBl. I S. 202), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258), ist die Ausübung
eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen
vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbebetreibenden oder einer mit der Leitung des
Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum
Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Nach Satz 2 der Vorschrift
kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder
als sonst mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf
alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der
Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeit oder Gewerbe unzuverlässig ist. Abzustellen ist dabei auf die
Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, vorliegend somit auf jene im Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 1997 - 1 B 81.97 -, Gewerbearchiv 1999,
S. 72. f).
Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist gewerberechtlich unzuverlässig derjenige,
der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird, er also
nicht in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung des Gewerbes zu
gewährleisten. Dabei kann sich die Unzuverlässigkeit aus einer lang andauernden wirtschaftlichen
Leistungsunfähigkeit ableiten, die in Folge des Fehlens von Geldmitteln eine ordnungsgemäße
Betriebsführung allgemein und die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten im besonderen
verhindert, ohne dass - insbesondere durch Erarbeitung eines tragfähigen Sanierungskonzeptes -
Anhaltspunkte für eine zu erwartende Besserung der Lage gegeben sind (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss
vom 9. April 1997 a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 22. August 1990 - 2 A 10051/90.OVG - und
vom 26. August 1993 - 11 A 12427/92.OVG -, jeweils m.w.N.). Grundsätzlich gehört zur ordnungsgemäßen
Gewerbeausübung auch die konkrete Erfüllung der Zahlungspflichten, die dem Gewerbetreibenden
gegenüber öffentlichen Gläubigern, insbesondere in steuerrechtlicher und sozialversicherungspflichtiger
Hinsicht, obliegen. Dabei sind Steuerrückstände jedoch nur dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als
unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis
zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Ferner ist auch die Zeitdauer, während
derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, von
Bedeutung (BVerwG, Beschluss vom 9. April 1997, a.a.0.). Dabei setzt die Unzuverlässigkeit weder ein
Verschulden noch einen charakterlichen Mangel voraus. Sie ist jedoch regelmäßig dann anzunehmen,
wenn der Gewerbetreibende es den Steuerbehörden bzw. den sonstigen öffentlichen Gläubigern
nachhaltig und in unzumutbarer Weise erschwert, ihre Ansprüche gegen ihn durchzusetzen. Insoweit
entspricht es schon nicht einer ordnungsgemäßen Gewerbeausübung, wenn Forderungen laufend im
Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden müssen oder wenn Zahlungen von Abgaben erst
unter dem Druck von Zwangsmaßnahmen geleistet werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.
August 1993, a.a.0.). Ferner kann auch bereits die nachhaltige Verletzung steuerliche Erklärungspflichten
je nach den Umständen des Einzelfalles den Schluss auf eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit
rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1994 - 1 B 114/94 -, juris).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze lagen im Falle des Klägers im Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung Tatsachen vor, die grundsätzlich auf dessen Unzuverlässigkeit zur Ausübung
des Gewerbes schließen ließen, nachdem der Kläger seinen Steuererklärungspflichten nicht
nachgekommen ist und Steuerschulden von mehr als 50.000 € bestanden, so dass der Beklagte im
Allgemeinen zu einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO berechtigt gewesen wäre.
Allerdings muss insoweit auch gesehen werden, dass das Amtsgericht Bitburg gut sieben Monate vor
Erlass der streitigen Untersagungsverfügung vom 13. Januar 2009 mit Beschluss vom 20. Mai 2008
gemäß § 27 Insolvenzordnung - InsO - vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I, S. 2866), zuletzt geändert durch
Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2355), das Insolvenzverfahren gegen den Kläger eröffnet hat und
dieses im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch nicht abgeschlossen war, denn das
Insolvenzverfahren endet gemäß § 200 InsO (nur) mit einem Beschluss des Insolvenzgerichts über die
Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl. auch BFH, Beschlüsse vom 8. September 2008 - IV B 122/07 -
und vom 7. Juni 2006 - VII B 329/05 -, beide in juris).
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so erfasst das Insolvenzverfahren gemäß § 35 Abs. 1 InsO das
gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während
des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Dies bedeutet, dass gemäß § 80 Abs. 1 InsO durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende
Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht, der gemäß § 148
InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen
hat. Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse sind gemäß § 81 Abs. 1
InsO unwirksam. Demnach ist es dem Schuldner ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung aus
Rechtsgründen grundsätzlich nicht mehr möglich, Verbindlichkeiten, die Rückschlüsse auf seine
gewerberechtliche Unzuverlässigkeit zulassen können, zu begleichen.
Ausgehend von diesen Gesichtspunkten hat der Gesetzgeber daher in § 12 GewO bestimmt, dass
Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer
Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete
Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens, während
der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet sind, und während der Überwachung
der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 InsO) keine Anwendung finden in Bezug auf das Gewerbe, das
zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde.
Dies hat zur Überzeugung des Gerichts zur Folge, dass die Bestimmung des § 35 GewO in Bezug auf das
vom Kläger im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübte Gewerbe "Schank- und
Speisewirtschaft" nicht anwendbar ist, weil das gegen den Kläger als Schuldner geführte
Insolvenzverfahren im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung noch nicht gemäß § 200 InsO durch einen
Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen war und §
12 GewO dem Insolvenzverfahren absolute Priorität zuweist (vgl. Marcks, Landmann/Rohmer,
Gewerbeordnung § 12 GewO Rdnr. 15). Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die
Insolvenzverwalterin des Klägers diesem mit Schriftsatz vom 4. Juni 2008 unter Bezugnahme auf § 35
Abs. 2 InsO mitgeteilt hat, dass Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse
gehört und Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht
werden können.
Diese Erklärung der Insolvenzverwalterin ist auslegungsbedürftig, denn eine "Freigabe" nach § 35 Abs. 2
InsO umfasst nur die haftungsmäßige Zuordnung eines Neuerwerbs und die Regelung der Haftung für
Neuverbindlichkeiten, nicht aber (gegenwärtige) Gegenstände der Insolvenzmasse, die der Schuldner zur
Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit benötigt (vgl. Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Auflage 2010,
§ 35 Rdnrn. 99 ff.). Allerdings wird durch die nach der Erklärung des Insolvenzverwalters erfolgende
Gewerbeausübung kein neues Gewerbe eröffnet, sonder lediglich das von § 12 GewO erfasste im
Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ausgeübte Gewerbe fortgesetzt (vgl. Uhlenbruck, a.a.O., Rdnrn. 82, 90
ff.).
Angesichts des unmissverständlichen Wortlauts des § 12 GewO und des mit dieser Bestimmung
verfolgten Zwecks ist auch kein Raum für eine Gesetzesauslegung dahingehend, dass § 12 GewO bei
einer Freigabe von Vermögenswerten im Insolvenzverfahren auf das freigegebene (neue) Vermögen nicht
anwendbar wäre und von daher einer Gewerbeuntersagung nicht entgegenstünde.
In der Gesetzesbegründung zu § 12 GewO in der Drucksache 12/3803 heißt es auf Seite 103, dass die
Gewerbeuntersagungsmöglichkeit durch die Gewerbeüberwachungsbehörde mit den Zielen des
Insolvenzverfahrens in Konflikt geraten könne. Nach dem ersten Zeitabschnitt des Insolvenzverfahrens,
während dessen der Insolvenzverwalter die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens prüfe,
entscheide die Gläubigerversammlung darüber, ob das Unternehmen fortgeführt oder stillgelegt werde.
Wenn die Gewerbeüberwachungsbehörde schon vor der Versammlung dem insolventen Unternehmen
wegen finanzieller Unzuverlässigkeit die weitere Ausübung seines Gewerbes untersagen könnte, würde
diese Entscheidung der Gläubigerversammlung vorweggenommen. § 12 GewO schließe daher die
Anwendung der Gewerbeuntersagungsvorschriften für die Dauer des Insolvenzverfahrens aus.
An der durch diese Gesetzesbegründung gestützten Ansicht der Kammer über die Anwendbarkeit des §
12 GewO vermag auch die weitere Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift nichts zu ändern, wonach
während eines laufenden Insolvenzverfahrens aufgrund der insolvenzrechtlichen Bestimmungen kein
Bedürfnis dafür bestehe, den Geschäftsverkehr vor einer Fortsetzung der gewerblichen Tätigkeit des
insolventen Gewerbetreibenden zu schützen. Zwar wird der insolvente Schuldner durch die - wenn auch
nach § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO wieder für unwirksam erklärbare - Freigabeerklärung in die Lage versetzt,
eigenverantwortlich ein Gewerbe auszuüben und Verbindlichkeiten auszuüben. Da der Gesetzgeber in §
12 GewO jedoch ausdrücklich auf die Dauer eines Insolvenzverfahrens abstellt, nicht aber darauf, welche
Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehören, erscheint es nicht möglich, den Gesetzestext gegen den
eindeutigen Wortlaut auszulegen.
Eine andere Betrachtung erscheint auch nicht unter Berücksichtigung der Regelungen des § 35 InsO
möglich. Wenn nämlich § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO in der durch Gesetz vom 13. April 2007 (BGBl. I, S. 509)
eingefügten Fassung vorsieht, dass der Insolvenzverwalter gegenüber einem Schuldner, der - wie der
Kläger - eine selbstständige Tätigkeit ausübt, zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbstständigen
Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend
gemacht werden können, führt dies nicht dazu, dass das Insolvenzverfahren hinsichtlich der von der
Erklärung des Insolvenzverwalters erfassten Vermögenswerte endgültig abgeschlossen wäre. Die 2007
neu in das Gesetz eingefügten Bestimmungen der Absätze 2 und 3 des § 35 InsO dienen vorrangig dem
Interesse des Schuldners, sich auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine wirtschaftliche Existenz
dadurch zu sichern oder zu schaffen, dass er eine bereits vorher ausgeübte selbständige Tätigkeit
fortsetzt. Dies war nach dem zuvor geltenden Recht praktisch unmöglich, weil jeder Neuerwerb durch den
Schuldner der Insolvenzmasse zufiel und von daher kein Raum für den Erwerb eigenen Vermögens war
(vgl. die Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 16/3227 S. 17; Uhlenbruck, a.a.O. § 35 Rdnr.
90; Münchener Kommentar, Insolvenzordnung, Band 1, 2. Auflage 2007, § 35 Rdnr. 44 ff.).
In der Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 InsO als einseitiger empfangsbedürftiger
Willenserklärung, die keiner besonderen Form bedarf (vgl. § 35 a.a.O. Rdnrn. 73, 93 f. mit weiteren
Nachweisen) und mit ihrer Bekanntgabe an den Kläger wirksam wird und konstitutiv zur Folge hat, dass
der nach der Erklärung durch die selbständige Tätigkeit erzielte Neuerwerb massefrei ist und
Neugläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung steht, liegt keine Beendigung des Insolvenzverfahrens
im Sinne des § 12 GewO. Durch eine derartige Erklärung wird nämlich die frei gegebene selbständige
Tätigkeit nicht völlig aus dem Insolvenzverfahren gelöst, denn zur Insolvenzmasse gehört nach §§ 35 Abs.
2 Satz 2, 295 Abs. 2 InsO weiterhin der sich aus der zuletzt genannten Norm ergebende
Ausgleichsanspruch der Gläubiger der Insolvenzmasse (vgl. Uhlenbrock, a.a.O. Rdnrn. 99, 105). Durch
eine entsprechende Anwendbarkeit der zuletzt genannten Norm soll der Schuldner hinsichtlich der aus
der selbständigen Tätigkeit resultierenden Einnahmen so gestellt werden wie ein abhängig Beschäftigter,
d.h., dass er Zahlungen an die Insolvenzmasse in der Höhe leisten muss, in der bei einem abhängig
Beschäftigten Beträge pfändbar wären (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, PräsenzKommentar zur
Insolvenzordnung, § 35 Rdnrn. 22, 37). Ferner ist es denkbar, dass in den Fällen, in denen der Schuldner
bei einer Fortführung des Gewerbes neue Verbindlichkeiten eingeht, ein Neugläubiger ein neues
Insolvenzverfahren beantragt (vgl. vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, a.a.O. Rdnr. 39).
Außerdem steht die Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gemäß § 35 Abs. 2
Satz 3 InsO unter dem Vorbehalt des Einverständnisses der Gläubiger und verliert mit Wirkung ex nunc
ihre Wirksamkeit, wenn das Insolvenzgericht aufgrund des fehlenden Einverständnisses der Gläubiger der
Insolvenzmasse ihre Unwirksamkeit anordnet (vgl. Uhlenbruck, a.a.O. § 35, Rdnr. 103;. VG München,
Urteil vom 12. Mai 2009 - M 16 K 09.923 -, juris).
Soweit der Beklagte sich zur Stützung der von ihm vertretenen Auffassung auf die Gesetzesbegründung
zu § 35 Abs. 2 InsO auf Seite 17 der Bundestagsdrucksache 16/3227 beruft, vermag sich die Kammer dem
nicht anzuschließen. Dort wird zwar ausdrücklich betont, dass Neugläubigern hinsichtlich solcher
Verbindlichkeiten, die aus der freigegebenen Tätigkeit resultieren, als Haftungsmasse nur die aus der
freigegebenen Tätigkeit erzielten Einkünfte zur Verfügung stehen, nicht aber die Insolvenzmasse.
Kernpunkt der Regelung ist dabei, dass durch eine Fortführung der freigegebenen Tätigkeit die
Insolvenzmasse durch neue Verbindlichkeiten nicht nachteilig beeinflusst wird. Hingegen wird auch
explizit ausgeführt, dass die Rechte der Altgläubiger, die einen Zuwachs der Insolvenzmasse durch neue
Einkünfte aus der freigegebenen Tätigkeit berücksichtigt wissen wollen, dadurch gewahrt werden, dass
die Freigabeerklärung auf ihren Antrag durch die Entscheidung des Insolvenzgerichts ihre Wirksamkeit
verliert. Gerade diese Gesetzesbegründung macht zur Überzeugung des Gerichts deutlich, dass die frei
gegebene Tätigkeit nicht - wie der Beklagte meint - völlig außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Soweit sich der Beklagte zur Stützung seiner Auffassung außerdem auf ein Urteil des VG Ansbach vom 4.
September 2007 - AN 4 K 06.02519 - beruft, vermag sich die Kammer dem aus den dargelegten Gründen
ebenfalls nicht anzuschließen, zumal das vorgenannte Urteil im Berufungsverfahren vom VGH München
mit Urteil vom 5. Mai 2009 - 22 BV 07.2776 -, juris, abgeändert und in der Berufungsentscheidung
ausdrücklich ausgeführt wurde, dass es für die Entscheidung nicht darauf ankomme, wie die Rechtslage
bei einer Freigabeerklärung im Sinne des § 35 Abs. 2 InsO in der neuen Gesetzesfassung - eine solche ist
vorliegend erfolgt - zu beurteilen sei.
Von daher ist zur Überzeugung des Gerichts § 12 GewO bei einem laufenden Insolvenzverfahren bei
Abgabe einer Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO jedenfalls solange anwendbar, als die Gläubiger
des Insolvenzverfahrens nicht rechtsverbindlich auf ihr sich aus 35 Abs. 2 Satz 3 InsO ergebendes Recht
verzichtet haben, weil ansonsten der mit § 35 InsO beabsichtigte Zweck, die diesbezügliche Entscheidung
der Gläubigerversammlung vorzubehalten, unterlaufen würde. Demnach ist aufgrund der Bestimmung des
§ 12 GewO für eine Anwendung des § 35 GewO in Bezug auf das vom Kläger im Zeitpunkt der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens ausgeübte Gewerbe "Schank- und Speisewirtschaft" kein Raum, sodass sich die
Entscheidung des Beklagten als rechtswidrig darstellt, soweit dem Kläger die Ausübung des Gewerbes
"Schank- und Speisewirtschaft" untersagt wurde.
Im Übrigen wäre es - eine Anwendbarkeit des § 35 GewO unterstellt - zur Überzeugung der Kammer
jedenfalls nicht zulässig, in den Fällen des § 35 Abs. 2 InsO die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des
Klägers auf die vermögensrechtliche Unzuverlässigkeit zu stützen, die letztlich zum derzeit noch
laufenden Insolvenzverfahren geführt hat. Der Gesetzgeber hat mit der Änderung der Insolvenzordnung
im Jahr 2007 den Zweck verfolgt, eine Regelung zu schaffen, um den Schuldner zu einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit zu motivieren und zugleich eine Gefährdung der Masse zu verhindern; daher solle dem
Insolvenzverwalter die Möglichkeit eröffnet werden, zu erklären, dass Vermögen aus einer
selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (vgl. BT-Drucksache 16/3227 S.
11). Dies aber hat zur Überzeugung der Kammer zwangsläufig zur Folge, dass eine die Entziehung der
Gewerbeerlaubnis veranlassende Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden während des Laufs eines
Insolvenzverfahrens jedenfalls nicht mit solchen Tatsachen begründet werden kann, die das
Insolvenzverfahren veranlasst haben, da diese Tatsachen regelmäßig die Schlussfolgerung auf eine
gewerberechtliche Unzuverlässigkeit rechtfertigen und von daher stets eine Gewerbeuntersagung
angezeigt wäre, so dass die Bestimmung des § 35 Abs. 2 InsO letztlich in der Praxis bedeutungslos wäre.
Hinzu kommt, dass gemäß § 148 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem Insolvenzverwalter in Besitz und Verwaltung zu nehmen
ist, so dass es dem Schuldner ab diesem Zeitpunkt aus Rechtsgründen nicht mehr möglich ist, die
Verbindlichkeiten, auf die seine Unzuverlässigkeit gestützt wurde, zu begleichen. Dies aber verbietet es,
die Unzuverlässigkeit des Klägers im Zeitpunkt der hier maßgebenden Widerspruchsentscheidung mit
einer in der Vergangenheit liegenden und vom Insolvenzverfahren erfassten Nichterfüllung steuerlicher
(Zahlungs-)Pflichten zu begründen. Da sonstige Gesichtspunkte, die die Unzuverlässigkeit des Klägers
begründen könnten, nicht ersichtlich sind, zumal der Kläger nach dem übereinstimmenden Vortrag der
Beteiligten seinen Zahlungspflichten aus dem fortgeführten Gewerbebetrieb nachkommt, stellt sich die
Untersagung des Gewerbes "Schank- und Speisewirtschaft" als rechtswidrig dar.
Rechtswidrig ist der Bescheid des Beklagten auch insoweit, als dieser dem Kläger die Ausübung einer
Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines
Gewerbebetriebes beauftragte Person und die selbständige Ausübung aller Gewerbe untersagt und damit
eine so genannte erweiterte Gewerbeuntersagung verfügt hat. Diese kann nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO
angeordnet werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, das der
Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist, und unterliegt denselben
inhaltlichen Anforderungen wie die Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Dies bedeutet, dass sich
auch bei der erweiterten Gewerbeuntersagung die Unzuverlässigkeit aus - in der Vergangenheit
eingetretenen - Tatsachen ergeben muss, die die Behörde daraufhin zu beurteilen hat, ob sie auf eine
Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in der Zukunft schließen lassen, d.?h., ob sie die
Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auch in Bezug auf die erweiterte Gewerbetätigkeit dartun,
denn durch die Gewerbeuntersagung wird nicht ein in der Vergangenheit liegendes Tun oder Unterlassen
des Gewerbetreibenden geahndet, sondern einer künftigen ordnungswidrigen Gewerbeausübung und
Rechtsgütergefährdung vorgebeugt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 1966, juris).
Soweit das BVerwG in seinem Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 CB 2.81 -, juris, ausgeführt hat, dass eine
erweiterte Gewerbeuntersagung nur zulässig sei, wenn - abgesehen von dem hier nicht interessierenden
Fall des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO - in demselben Verfahren zumindest ein tatsächlich betriebenes
Gewerbe nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt werde, ist diese Rechtsprechung zur
Überzeugung der Kammer für den Anwendungsbereich des § 12 GewO nicht einschlägig, da dort
ausdrücklich (nur) die Anwendung des § 35 GewO auf das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ausgeübte Verfahren ausgeschlossen wird. Allerdings muss auch gesehen werden,
dass - wie bereits ausgeführt - auch insoweit neue Gesichtspunkte für eine Unzuverlässigkeit des Klägers
nicht erkennbar sind.
Ferner muss berücksichtigt werden, dass die erweiterte Gewerbeuntersagung, anders als die
Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht und
die Ermessensentscheidung gemäß § 114 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung
zugänglich ist. Die Gerichte haben nur zu prüfen, ob die behördliche Ermessensentscheidung den
Anforderungen der Rechtsordnung entspricht; sie sind indessen nicht befugt, eine eigene
Ermessensentscheidung zu treffen. Die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung ist gemäß §
114 VwGO darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, ob die Behörde bei ihrem Handeln von
unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen
ausgegangen ist, Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach Sinn und
Zweck des zu vollziehenden Gesetzes oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften oder allgemeiner
Rechtsgrundsätze keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt Gesichtspunkte außer acht gelassen
hat, die zu berücksichtigen gewesen wären. Des weiteren ist zu überprüfen, ob die Behörde einzelnen, an
sich einschlägigen Gesichtspunkten ein Gewicht beigemessen hat, das ihnen nach objektiven, am Zweck
des Gesetzes und sonstigen einschlägigen Rechtssätzen orientierten Wertungsgrundsätzen nicht
zukommt, sachfremde Erwägungen angestellt oder gar davon ausgegangen ist, ihr sei überhaupt kein
Ermessen eingeräumt. Dabei sind die Gerichte nicht befugt, die behördliche Entscheidung aus Gründen,
die für die Verwaltung nicht oder nicht allein ausschlaggebend waren, im Ergebnis aufrecht zu erhalten.
Allerdings ist nicht immer erforderlich, dass sich alle von der Behörde ihrer Ermessensentscheidung
zugrunde gelegten Einzelfeststellungen als zutreffend erweisen. Ergibt sich nämlich der für die
Ermessensentscheidung tragende Grund aus der Würdigung einer Vielzahl mosaikartig
zusammengestellter Umstände, so ist es ausreichend, wenn diese in einem solchen Maß zutreffend sind,
dass sich insgesamt aus ihnen noch der für die Behörde maßgebend gewesene Grund für die getroffene
Entscheidung nach Art und Gewicht ergibt (vgl. zu allem BVerwG, Urteil vom 17. März 1981 - 1 C 6.77 -,
Buchholz 402.24, § 10 Nr. 80; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Februar 1991 - 1 A 10212/89.OVG -).
Dabei muss die Behörde bei einer Entscheidung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO in ihre
Ermessensentscheidung zunächst den Umstand einstellen, wie wahrscheinlich die Ausübung eines
anderen Gewerbes, das durch die erweiterte Gewerbeuntersagung verhindert werden soll, ist (so BVerwG
in dem genannten Urteil vom 2. Februar 1982). An diesbezüglichen Erwägungen fehlt es indessen, so
dass die erweiterte Gewerbeuntersagung auch aus diesem Grund rechtswidrig ist.
Rechtswidrig ist schließlich auch die Zwangsmittelandrohung, mit der die Schließung des
Gewerbebetriebs im Wege des unmittelbaren Zwangs angedroht worden ist und die ihre Rechtsgrundlage
grundsätzlich in §§ 66 Abs. 1, 65 Abs. 1 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz - LVwVG finden kann.
Wenn es auch - wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt - grundsätzlich zutrifft, dass bei der
Vollstreckung eines Unterlassungsgebots - wie der Gewerbeuntersagung - gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3
LVwVG keine Frist gesetzt werden muss (vgl. hierzu auch ausführlich OVG Rheinland-Pfalz, Urteil 4.
Februar 1998 - 11 A 10814/97.OVG -, ESOVGRP), so ist vorliegend die Zwangsmittelandrohung
gleichwohl rechtswidrig, denn es ist jedenfalls nicht zulässig, in dem am 23. Januar 2009 zugestellten und
damit wirksam gewordenen Bescheid eine Frist zur Abwicklung der Geschäfte auf den 15. Januar 2009
und damit einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt festzusetzen.
Von daher kann der Klage insgesamt der Erfolg nicht versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre
Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 709 ZPO.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO,
denn die Frage der Anwendbarkeit des § 12 GewO in den Fällen des § 35 Abs. 2 InsO hat grundsätzliche
Bedeutung.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG in
Verbindung mit Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten
Streitwertkatalogs, DVBl. 2004, S. 1525).
Dabei sieht die Kammer keine Veranlassung, die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach
Maßgabe des § 68 Abs. 1 Satz 2 GKG zuzulassen, denn die Streitwertfestsetzung hat keine grundsätzliche
Bedeutung.
Die Festsetzung des Streitwertes kann allerdings nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde angefochten werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt.