Urteil des VG Trier vom 21.01.2009

VG Trier: grundstück, mindestabstand, aufschiebende wirkung, luft, öffentlich, tierhaltung, schweinezucht, wohnhaus, anwendungsbereich, begriff

Baurecht
Immissionsschutzrecht
VG
Trier
21.01.2009
5 K 378/08.TR
Zum Rechtsschutz des Eigentümers eines Innenbereichsgrundstücks gegen eine Baugenehmigung zur
Errichtung eines Ferkelaufzuchtsstalls im ortsnahen Außenbereich.
Verwaltungsgericht Trier
5 K 378/08.TR
Urteil
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Baunachbarrechts
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar
2009, an der teilgenommen haben
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen, die diesem selbst zur Last fallen, zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines
Ferkelaufzuchtstalles für 2.080 Ferkel auf dem Grundstück Nr. 61, Flur 14, Gemarkung ***, das
nordwestlich der Ortslage von *** in dem insgesamt hängigen Gelände oberhalb des Ortes liegt. Er selbst
ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 89, Flur 14, Gemarkung ***, das in einer Entfernung von ca. 270 m
südlich des Standorts des Stalles gelegen ist. In *** leben ca. 1.450 Einwohner, wobei die Gemeinde auf
ihrer homepage unter http://www.*** ausführt, dass im Ort zwei Restaurants, ein Hotel, Dorfgaststätten, ein
Einzelhandelsgeschäft, Metzgerei, Cafe und Bäckerei, Elektrobetriebe, Bankfiliale und weitere
Gewerbebetriebe sowie ein Allgemeinmediziner ansässig seien. Mit derzeit sechs Haupt- und einer
Vielzahl von Nebenerwerbsbetrieben genieße auch die Landwirtschaft noch einen hohen Stellenwert.
Der Klage liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde.
Am 17. Juni 2003 wurde dem Beigeladenen, der am Ortsrand von *** einen umfangreichen als
Aussiedlerhof errichteten landwirtschaftlichen Betrieb führt, ein positiver Bauvorbescheid zur Errichtung
eines Schweinemaststalles für 500 Mastschweine auf dem genannten Grundstück erteilt. Von einer
Realisierung dieses Vorhabens sah der Beigeladene indessen ab und beantragte im Juni 2005 die
Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren zum Neubau eines
Ferkelaufzuchtstalles am fraglichen Standort. In der dem Genehmigungsantrag beigefügten
Betriebsbeschreibung wird ausgeführt, dass 2.080 Plätze für Aufzuchtferkel mit einem Lebendgewicht von
5 kg bis 28 kg auf teilperforierten Böden errichtet werden sollten. Der anfallende Flüssigmist werde in
Flachkanälen gesammelt, über Rohrleitungen in eine bestehende Vorgrube geleitet und von dort in die
Güllebehälter geleitet. Die Entlüftung erfolge über Abluftkamine. Zur Beurteilung der voraussichtlichen
Immissionsbelastung verwies der Beigeladene auf eine die ursprünglich vorgesehene Schweinemast
betreffende Beurteilung des Professors Dr. S., eines von der Industrie- und Handelskammer Koblenz
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, die Bestandteil des genannten Bauvorbescheids
war. In dieser Beurteilung ist ausgeführt, dass das Bauvorhaben zur nächsten Wohnbebauung - bei dieser
handelt es sich nicht um diejenige des Klägers - zwar nicht den Mindestabstand nach VDI 3471 einhalte,
denn dieser betrage unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass außer dem Bauvorhaben bereits
605 Stück Ferkel, 126 Stück Sauen, 2 Eber, 48 ferkelführende Sauen, 15 Jungsauen und 200
Mastschweine gehalten würden, 143 m. Die Berechnung der Geruchszeitbelästigungen liege aber mit 14
% der Jahreszeit unterhalb der für Dorfgebiete geltenden Grenze von 15 %, so dass das Bauvorhaben
gerade noch hinnehmbar sei. Allerdings könne für die Nachtstunden von Bedeutung sein, dass, bedingt
durch die Hanglage des Betriebs, geruchlich belastete Kaltluft in Richtung der benachbarten
Wohnbebauung transportiert werde. Insoweit seien für eine genauere Beurteilung langfristige
Betrachtungen der Windverteilung des Untersuchungsgebiets in geringer Höhe in Abhängigkeit der
Tageszeit erforderlich. In der von dem Sachverständigen Prof. Dr. S. eingeholten Stellungnahme des
Deutschen Wetterdienstes in Mainz (Anlage 6.5 des Gutachtens) ist ausgeführt, dass die mittlere
Windgeschwindigkeit, bezogen auf den Standort des Bauvorhabens, auf 3 m/s geschätzt werde. Das
Einzugsgebiet für Kaltluft, die in einer Mulde unterhalb des Standorts und zum Teil am Ortsrand von ***
aufgestaut werde, sei recht gering. Die häufigste Windrichtung sei ebenfalls geschätzt worden. Um den
Einfluss der näheren Umgebung exakter zu erfassen, seien mindestens einjährige Messungen vor Ort
erforderlich.
Infolgedessen, dass die Umplanung des Schweinemaststalles in einen Ferkelaufzuchtstall zu einer
Reduzierung der Anzahl der Großvieheinheiten (GV) von 65 GV auf 62,4 GV führte, sah die Struktur- und
Genehmigungsdirektion Nord keine Notwendigkeit, für die geänderte Planung ein neues
Sachverständigengutachten zu fordern, woraufhin der Beklagte unter dem 11. Juli 2005 die seitens des
Beigeladenen nunmehr beantragte Baugenehmigung erteilte.
Gegen diese ihm nicht bekanntgegebene Baugenehmigung legte der Kläger am 28. März 2006
Widerspruch ein und machte geltend, dass er erst jetzt von dem Bauvorhaben erfahren habe, als der
Beigeladene begonnen habe, das Baugrundstück abzustecken. Von dem Bauvorhaben gingen für ihn
unzumutbare Geruchsbelästigungen aus. Das seitens des Beigeladenen vorgelegte
Sachverständigengutachten lasse sich auf das nunmehrige Bauvorhaben nicht übertragen und gehe im
Übrigen von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, da bei der bereits bislang vorhandenen Tierhaltung
die Tiere nicht nur auf Stroh, sondern teilweise auch auf geruchsintensiveren Vollspaltenböden gehalten
würden.
Nachdem die erkennenden Kammer auf Antrag eines weiteren Einwohners von ***, der gegen die
Baugenehmigung ebenfalls Widerspruch eingelegt hatte, mit Beschluss vom 27. Juli 2006 - 5 L 605/06.TR
- die aufschiebende Wirkung des dortigen Widerspruchs insoweit angeordnet hatte, als der genehmigte
Ferkelaufzuchtstall erst dann in Betrieb genommen werden dürfe, wenn der Beigeladene durch Vorlage
eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Emissionen und
Immissionen nachgewiesen habe, dass von dem Bauvorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen
für die Antragsteller dieses Verfahrens ausgingen, erstellte sodann das Ingenieurbüro R. im Auftrag des
Beigeladenen durch den von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen R. unter dem 19. September 2006 eine "Immissionsprognose für den
Istzustand und die Erweiterung" hinsichtlich des landwirtschaftlichen Betriebs des Beigeladenen. Diese
Prognose gelangt zu der Schlussfolgerung, dass im Istzustand, ausgehend von 169,2 Großvieheinheiten,
an den 307 m bzw. 374 m entfernt liegenden Wohnhäusern der seinerzeitigen Antragsteller
Geruchswahrnehmungshäufigkeiten von 4 bzw. 5 % der Jahresstunden nicht überschritten und somit der
Immissionswert der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) selbst für Wohngebiete und erst recht für
Dorfgebiete deutlich unterschritten werde. Bei einer Prognose in Bezug auf die Hoferweiterung werde an
den dem Stall benachbarten Wohnhäusern eine Geruchswahrnehmungshäufigkeit von maximal 12 % der
Jahresstunden erreicht und der Immissionswert der Geruchsimmissionsrichtlinie für Dorfgebiete
eingehalten.
Sodann zeigte der Beigeladene an, dass der Betrieb - abgesehen von den sechs hinteren Boxen - zum 1.
November 2006 in Betrieb genommen werde, woraufhin der Beklagte dem Beigeladenen mitteilte, dass
hiergegen keine Bedenken bestünden, da durch das Sachverständigengutachten nachgewiesen sei, dass
von dem Bauvorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgingen.
Daraufhin machten die seinerzeitigen Antragsteller Einwendungen gegen dieses neue Gutachten des
Ingenieurbüros R. geltend; weder die Kaltluftabflüsse noch die richtige übergeordnete
Windrichtungsverteilung seien berücksichtigt worden. Das Gutachten habe zu Unrecht auf die Wetterdaten
der Station Deuselbach abgestellt, obwohl der Standort Trier-Petrisberg einschlägig sei. Bei einer
ordnungsgemäßen Begutachtung ergebe sich, wie durch eine weitere Stellungnahme der ***
Immissionsschutz GmbH bestätigt werde, dass die Anlage zu unzumutbaren Umwelteinwirkungen führe.
Vor Durchführung der Ausbreitungsrechnung hätten die Wetterdaten einschließlich der Kaltluftabflüsse
abgeklärt werden müssen. Schließlich habe der Leiter des Regionalen Gutachterbüros München des
Deutschen Wetterdienstes in einem amtlichen Gutachten vom 13. Februar 2007 ausgeführt, dass die
Daten der Bezugsstation Trier-Petrisberg die großräumigen Windverhältnisse weitgehend auch für ***
zutreffend erfasse, der besonderen Situation der kräftigen und auch häufigen Kaltluftabflüsse in *** aber
Rechnung getragen werden müsse.
Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord regte sodann im Juni 2007 gegenüber dem Beklagten an,
ein unabhängiges Sachverständigengutachten einzuholen, weil die vorliegenden Gutachten nicht
vergleichbar seien.
Der von dem Beklagten hierzu gehörte Sachverständige R. führte sodann aus, dass die tatsächlichen
Kaltluftströmungen nur mit erheblichem Aufwand ermittelt werden könnten, was nach fachlicher
Abschätzung unverhältnismäßig erscheine, da unter Berücksichtigung der Wetterdaten des Deutschen
Wetterdienstes der Station Deuselbach die Einhaltung der in einem Dorfgebiet geltenden
Geruchsimmissionswerte sicher bestätigt werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2008, der am 23. April 2008 zugestellt wurde, wies der
Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus, dass von dem
genehmigten Bauvorhaben im Hinblick auf die als Dorfgebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung zu
qualifizierende Ortslage von *** keine unzumutbaren Emissionen ausgingen. Dies folge aus der
"Immissionsprognose" des vereidigten Sachverständigen R.. Es seien keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass selbst dann, wenn statt eines Dorfgebiets ein Wohngebiet angenommen werde, in Bezug
auf das Grundstück des Klägers die Geruchswahrnehmungshäufigkeit von 10 % erreicht werden könne.
Kaltluftströmungen seien nicht relevant, weil ihre Wirkungen durch die entgegen gesetzten morgendlichen
Bergaufströmungen wieder aufgehoben würden. Die Ställe 2, 3 und 8 würden im Festmistverfahren, die
Ställe 1 und 4 entsprechend der erteilten Genehmigung im Flüssigmistverfahren (Gülle) betrieben, so
dass die Stellungnahme R. im Hinblick auf die Vorbelastungen von einem zutreffenden Sachverhalt
ausgegangen sei.
Am 21. Mai 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass die erteilte Baugenehmigung für
das im Außenbereich in einer Entfernung von nur ca. 20 m zum Innenbereich gelegene Bauvorhaben
aufgrund eines Verstoßes gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot rechtswidrig sei und ihn in
eigenen Rechten verletze. Sein innerhalb der Ortslage von *** gelegenes Grundstück befinde sich in
einem Bereich, der baurechtlich als allgemeines Wohngebiet zu qualifizieren sei. Im Hinblick auf die zu
befürchtenden Immissionen seien die Kaltluftabflüsse und die Windrichtungsverteilung nicht
ordnungsgemäß berücksichtigt worden, da statt auf die Wetterdaten der Wetterstation Deuselbach des
Deutschen Wetterdienstes auf diejenigen der Bezugsstation Trier-Petrisberg hätte zurückgegriffen werden
müssen. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass in der Baubeschreibung zwar ausgeführt sei, dass die
Stallung im Tiefenstreu- bzw. Festmistverfahren betrieben werden solle, tatsächlich aber der Betrieb im
Flüssigmistverfahren erfolge. Es sei nicht ersichtlich, ob der Abstand zwischen seinem Anwesen und dem
Stallgebäude des Beigeladenen zutreffend ermittelt worden sei.
Der Kläger beantragt,
die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Juli 2005 und den Widerspruchsbescheid des
Beklagten vom 17. April 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass das Bauvorhaben gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos sei.
Der Beigeladene, der keinen eigenen Antrag stellt, teilt die Auffassung des Beklagten.
Das Gericht hat Beweis erhoben zu der Frage, ob von dem mit Baugenehmigung vom 11. Juli 2005
genehmigten Ferkelaufzuchtstall des Beigeladenen für 2.080 Ferkel auf dem Grundstück Parzelle Nr. 61,
Flur 14, Gemarkung ***, bei ordnungsgemäßem Betrieb gegenüber dem Kläger als Eigentümer des
Grundstücks Parzelle Nr. 89, Flur 14, Gemarkung ***, unzumutbare Emissionen (Geräusche, Gerüche,
Schadstoffe) ausgehen, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, das unter dem 5. Dezember
2008 von dem Sachverständigen Dr.-Ing. D. erstellt wurde. Hinsichtlich der Einzelheiten der
Beweisaufnahme wird auf das vorliegende schriftliche Sachverständigengutachten verweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das dem
Beigeladenen genehmigte Vorhaben objektiv rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Maßgeblich ist vielmehr
ausschließlich, ob die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die insbesondere auch dem
Kläger zu dienen bestimmt sind, also subjektiv-rechtlichen Charakter aufweisen. Dies ist indessen nicht
der Fall, insbesondere verstößt das genehmigte Bauvorhaben des Beigeladenen nicht gegen das
bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
Seine gesetzliche Ausprägung findet das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ein Bauvorhaben
bauplanungsrechtlich nach § 30 BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004
(BGBl. I S. 2414) oder nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist, in § 15 Abs. 1 Satz 2
Baunutzungsverordnung - BauNVO -. Ist ein Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen, so ist
das Gebot der Rücksichtnahme in dem in dieser Bestimmung genannten Begriff des Einfügens enthalten
(BVerwG, Urteile vom 13. März 1981 - 4 C 1.78 -, DVBl. 1981 S. 928 und vom 18. Oktober 1985 - 4 C
19.82 -, Buchholz 406.19 Nr. 66 und Beschluss vom 20. April 2000 - 4 B 25/00 -, Buchholz 406.11 § 34
BauGB Nr. 199). Richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens schließlich nach § 35 BauGB, so ist auf § 35
Abs. 2 und 3 BauGB als Grundlage des Rücksichtnahmegebotes zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom
25. Oktober 1993 - 4 C 5.93 - in NVwZ 94, S. 686).
Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme hat zwar grundsätzlich lediglich einen
objektivrechtliche Gehalt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 1981 - 4 B 13/81 -, Buchholz 406.19
Nr. 13; Urteile vom 10. Dezember 1982 - 4 C 28/81 -, NJW 1983 S. 2460; vom 5. August 1983 - 4 C 36/79 -
, BVerwGE 67 S. 334/339, und vom 19. September 1986 - 4 C 8/84 -, NVwZ 1987 S. 409).
Nachbarschützende Wirkung kommt ihm jedoch im Einzelfall insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich
individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter
Rücksicht zu nehmen ist. Insoweit müssen die Umstände des Einzelfalles eindeutig ergeben, auf wen
Rücksicht zu nehmen und inwieweit eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen
anzuerkennen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. August 1983 a.a.O).
Das Gebot der Rücksichtnahme besagt, dass ein Bauvorhaben im Einzelfall unzulässig ist, wenn von ihm
Beeinträchtigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart der Umgebung unzulässig
sind. Ob eine bauliche Anlage gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, hängt wesentlich von den
jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wie schutzwürdig
die Umgebung ist, wobei bestehende Vorbelastungen nicht außer Betracht bleiben dürfen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 21. Januar 1983 - 4 C 59/79 -, BRS 40 Nr. 199).
Eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme ist dann anzunehmen, wenn sich unter Abwägung der
widerstreitenden Interessen im konkreten Einzelfall ergibt, dass die Verwirklichung des jeweiligen
Bauvorhabens dem Nachbarn nicht mehr zugemutet werden kann. Dabei setzt der Schutz des Nachbarn
bereits unterhalb der eigentumsrechtlich im Sinne des Artikels 14 GG maßgeblichen Schwelle eines
"schweren und unerträglichen Eingriffs" ein. Was dem Nachbarn eines Vorhabens aufgrund der Eigenart
der näheren Umgebung an nachteiligen Wirkungen zugemutet werden darf, bestimmt sich mithin nach der
aus der (näheren) Umgebung herzuleitenden Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, die sich ihrerseits
nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen
Vorbelastungen bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, NVwZ 1993, S. 1184
m.w.N.).
Anknüpfungspunkt für die rechtliche Prüfung ist demnach zunächst, dass sich - wie sich aus den bei den
Akten befindlichen Lageplänen zweifelsfrei ergibt und auch gelegentlich der durchgeführten
Ortsbesichtigung bestätigt wurde - der genehmigte Ferkelaufzuchtstall im Außenbereich im Sinne des § 35
BauGB befindet.
Dem gegenüber liegt das Grundstück des Klägers, dessen Schutzbedürftigkeit auf der Grundlage der
insoweit geltenden Bestimmungen zu ermitteln ist, innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortslage
von *** in einem Bereich, der weder von einem Bebauungsplan erfasst wird noch einem der Baugebiete
im Sinne der Baunutzungsverordnung - BauNVO -. entspricht. Insbesondere kann die Umgebung seines
Grundstücks nicht, wie von ihm behauptet, als einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO
entsprechend angesehen werden. Einer Einstufung der Umgebung des Wohnhauses des Klägers als
allgemeines Wohngebiet steht nämlich vor allem die ca. 70-100 m vom Wohnhaus des Klägers entfernt
liegende große Verkaufs- und Lagerstätte der *** an der *** Straße entgegen, die angesichts ihrer
Ausmaße prägenden Charakter für die Umgebung hat und nicht zu den nach § 4 Abs. 2, Abs. 3 BauNVO
in einem allgemeinen Wohngebiet zulässigen baulichen Anlagen gehört. Hinzu kommt, dass sich
innerhalb der Ortslage von *** in einer Entfernung von ca. 170 m vom Anwesen des Klägers in
südöstlicher Richtung ein Schweinezucht- und -mastbetrieb mit mehr als 400 Schweinen befindet - was
der Beklagte durch seinen Hinweis auf die HIT (Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere)-
Datenbank belegt hat - und bei der durchgeführten Ortsbesichtigung im Bereich der ***-straße, an der das
klägerische Grundstück liegt, typisch landwirtschaftliche Gerüche wahrnehmbar waren. Nun war zwar der
zuletzt genannte landwirtschaftliche Betrieb bei der Ortsbesichtigung vom Grundstück des Klägers aus
optisch nicht wahrzunehmen, so dass manches dafür spricht, den fraglichen Bereich (noch) nicht als
Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO einzuordnen, in dem landwirtschaftliche Betriebe Vorrang vor
anderen Nutzungsarten genießen (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 19. Januar 1996 - 4 B 7/96 -, und
vom 4. Dezember 1995 - 4 B 258/95 -, beide veröffentlicht bei juris). Gleichwohl kommt der
landwirtschaftlichen Nutzung im Bereich des klägerischen Grundstücks eine gewisse Bedeutung zu, die
einer Einstufung als allgemeines Wohngebiet entgegensteht und bei der Beurteilung der Zumutbarkeit
von Geruchsimmissionen aus einer Tierhaltung zu berücksichtigen ist.
Ausgehend von diesen tatsächlichen Verhältnissen vor Ort gehen von dem genehmigten Bauvorhaben
keine den Kläger in eigenen Rechten verletzende "schädlichen Umwelteinwirkungen" im Sinne des § 35
Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, der insoweit drittschützende Wirkung entfaltet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.
Juli 2003 - 4 B 55.03 - BRS 66 Nr. 167), aus. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der
durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 BImSchG gesetzlich definiert und kann auch im
Hinblick auf das baurechtliche Rücksichtnahmegebot regelmäßig zur Beurteilung der Zumutbarkeit der mit
dem Ferkelaufzuchtstall verbundenen Geruchsemissionen herangezogen werden. Nach § 3 Abs. 1
BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer
geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder
die Nachbarschaft herbeizuführen. Mit dieser Begriffsbestimmung hat der Gesetzgeber die Grenzen der
Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für die Nachbarn und damit das Maß der gebotenen
Rücksichtnahme allgemein, mithin auch mit Wirkung für das Baurecht, bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom
30. September 1983 - 4 C 74.78 -, BVerwGE 68, S. 58).
Für die Ermittlung und Bewertung von Geruchsimmissionen aus der Tierhaltung und insbesondere der
Schweinezucht fehlen rechtsverbindliche Konkretisierungen. Daher ist die Frage der Erheblichkeit dieser
Immissionen anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Bei
dieser Einzelfallbeurteilung kommt es maßgeblich auf die Situation an, in die die Grundstücke (hier
diejenigen des Klägers und des Beigeladenen) gestellt sind.
Eine sachgerechte Orientierungshilfe für die Beurteilung der Zumutbarkeit der mit einer Schweinehaltung
verbundenen Immissionen bietet zunächst die VDI-Richtlinie 3471 (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli
1998 - 4 B 38.98 -, NVwZ 1999, S. 63). Werden die sich aus ihr ergebenden Mindestabstände
eingehalten, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass durch die Schweinezucht keine für die Nachbarn
unzumutbaren Emissionen ausgelöst werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai
2003 - 22 A 5565/00 -, juris).
Vorliegend wird der sich aus der VDI-Richtlinie 3471 ergebenden Mindestabstand in Bezug auf das
Wohnhaus des Klägers eingehalten. Wie der Sachverständige Dr. D., an dessen fachlicher Qualifikation
das Gericht keine Zweifel hegt, unter 7.3 seines Sachverständigengutachtens nachvollziehbar und
überzeugend dargelegt hat, liegt der erforderliche Mindestabstand zwischen dem Ferkelaufzuchtstall des
Beigeladenen und einer Wohnbebauung in einem allgemeinen Wohngebiet bzw. Mischgebiet im Sinne
der Baunutzungsverordnung bei 269 m. Sollte die Wohnbebauung hingegen in einem Dorfgebiet im
Sinne der Baunutzungsverordnung liegen, könnte der erforderliche Mindestabstand bis auf die Hälfte,
also auf 134,5 m, reduziert werden.
Vorliegend kann es dahingestellt bleiben, ob der Sachverständige, was vom Kläger angezweifelt wird,
den tatsächlichen Abstand zwischen seinem Anwesen und dem Stallgebäude des Beigeladenen mit 270
m - und damit knapp über dem in einem Wohngebiet erforderlichen Mindestabstand - korrekt ermittelt hat,
denn selbst wenn der Abstand tatsächlich geringfügig weniger als 269 m betragen würde - ein
erhebliches Abweichen scheidet unter Berücksichtigung des bei den Akten befindlichen Kartenmaterials
erkennbar von vornherein aus -, würde sich hieraus keine Unzumutbarkeit der Immissionen für den Kläger
ergeben. Nun ist zwar die Umgebung seines Grundstücks - wie ausgeführt - nicht als Dorfgebiet im Sinne
des § 5 BauNVO einzustufen, so dass eine Halbierung des erforderlichen Mindestabstands nicht in
Betracht kommt. Allerdings liegt sein Grundstück in einer Gemengelage im Sinne des § 34 Abs. 1
BauNVO, bei der es sachgerecht erscheint, die in Betracht kommenden Mindestabstände für ein
Wohngebiet einerseits und ein Dorfgebiet andererseits zu mitteln, so dass der erforderliche
Mindestabstand bei 201,75 m läge. Dieser Abstand wird aber selbst dann deutlich überschritten, wenn
man auf den geringsten Gebäudeabstand zwischen den jeweils nächstgelegenen Gebäudeteilen abstellt.
Von daher ergibt sich aus einer Anwendung der VDI-Richtlinie 3471 nichts für eine Unzumutbarkeit der
Geruchsbelastungen für den Kläger.
Ferner hat der Sachverständige unter 7.4 seines Sachverständigengutachtens ausführlich und
überzeugend dargelegt, dass sich für das Grundstück des Klägers sowohl unter Zugrundelegung der vom
Länderausschuss für Immissionsschuss entwickelten Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) aus dem Jahr
2004 als auch in Anwendung von deren Fortschreibung aus dem Jahr 2008 zweifelsfrei keine
unzumutbaren Geruchsbelästigungen ergeben. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt die Kammer
keine Zweifel, zumal sich der Sachverständige eingehend mit den klimatischen Verhältnissen vor Ort
befasst und eine ergänzende Stellungnahme des Deutschen Wetterdienstes eingeholt hat.
Schließlich hat der Sachverständige unter 7.2 seines Sachverständigengutachtens dargelegt, dass eine
Anwendung der ersten allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz
(Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft) vom 24. Juli 2002 (GMBl. S. 511) ebenfalls zu
einem Mindestabstand von 269 m führt. Sofern dieser Mindestabstand aus den vorstehend zur VDI-
Richtlinie 3471 aufgezeigten Gründen möglicherweise tatsächlich geringfügig unterschritten werden
sollte, kann der Kläger hieraus nichts für eine Verletzung in eigenen Rechten herleiten.
Zum einen dient die TA Luft nicht dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch
Geruchsimmissionen, sondern nur der Vorsorge gegen schädliche Emissionen (s. Absatz 3 der Nr. 1 der
TA-Luft zu ihrem Anwendungsbereich), und trifft von daher keine Aussage über den Drittschutz gegenüber
schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.
Juni 2005 - 15 CS 05.951 -, juris). Zum anderen erstreckt sich der Anwendungsbereich der TA Luft
unmittelbar nur auf Anlagen mit mehr als 4.500 Ferkelplätzen, die nach 7.1 der Anlage zur Vierten
Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - 4. BImschV - einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen. Um eine solche Anlage handelt es sicht indessen
vorliegend nicht, so dass die TA Luft allenfalls entsprechend herangezogen werden kann.
Von daher aber würde selbst ein gewisses Unterschreiten des von der TA Luft geforderten
Mindestabstands nicht dazu führen, dass der Kläger unzumutbaren schädlichen Umwelteinwirkungen
ausgesetzt wäre, da die VDI-Richtlinie 3471 und die Geruchsimmissionsrichtlinie in Bezug auf den
Drittschutz gegenüber Umweltbelastungen aufgrund der Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse
vor Ort wesentlich exaktere Vorgaben enthalten und demnach vorliegend maßgebend sind.
Des Weiteren hat der Sachverständige unter 8 und 9 seines Sachverständigengutachtens ausführlich
dargelegt, dass die durch das Bauvorhaben des Beigeladenen bedingten Schadstoffe Ammoniak und
Staub sowie die verursachten Geräusche unter der Erheblichkeitsschwelle liegen.
All diese Ausführungen des Sachverständigen macht sich die Kammer zu Eigen und kommt unter ihrer
Zugrundelegung zu der Überzeugung, dass durch das Bauvorhaben des Beigeladenen keine für den
Kläger unzumutbaren Belastungen ausgelöst werden.
Schließlich scheidet auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG von vornherein als Anspruchsgrundlage für das
Begehren des Klägers aus, denn unmittelbar aus dieser Norm lassen sich keine Anspruchspositionen für
einen Grundstücksnachbarn herleiten. Die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ist
vielmehr nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers. Im Bereich des Städtebaurechts ist eine
einfachgesetzliche Regelung vorhanden, die nicht nur festlegt, welche Maßnahmen bodenrechtlich
relevant sind, sondern auch die Kriterien vorgibt, nach denen sich beurteilt, ob ein Vorhaben
zulassungsfähig ist oder nicht. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fungiert in diesem
Zusammenhang ausschließlich als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für das einfache Recht, nicht
aber als eigenständige Anspruchsgrundlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 - 4 C 5/98 -, NVwZ
1999, S. 523).
Verstößt aber die erteilte Baugenehmigung von daher nicht gegen Rechtsvorschriften, die (auch) dem
Schutz des Klägers zu dienen bestimmt sind, kann die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei sieht die Kammer keine Veranlassung, die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Gründen der Billigkeit der
unterliegenden Partei oder der Staatskasse aufzuerlegen, denn der Beigeladene hat sich nicht durch
Stellung eines eigenen Antrags dem Risiko ausgesetzt, im Falle des Unterliegens gemäß § 154 Abs. 3
VwGO mit Verfahrenskosten belastet zu werden (vgl. hierzu auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom
16. März 1995 - 8 A 12977/94.OVG -).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre
Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
Gründe, nach § 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben, denn die Rechtssache
hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung
im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1
des von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalogs, DVBl. 2004, S. 1525).
Veranlassung, die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 Satz 2
GKG zuzulassen, sieht die Kammer nicht, denn die Streitwertfestsetzung hat keine grundsätzliche
Bedeutung.
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der Beschwerde
angefochten werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt.