Urteil des VG Stuttgart vom 21.07.2014

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VG Stuttgart Beschluß vom 21.7.2014, PL 22 K 3164/14
Mitarbeitervertretungsrecht einer Religionsgemeinschaft - Rechtsweg zu den
staatlichen Gerichten
Leitsätze
Für Streitigkeiten aus dem Mitarbeitervertretungsrecht einer Religionsgemeinschaft ist
der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nur eröffnet, wenn die
Religionsgemeinschaft selbst diese Möglichkeit eröffnet.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe
1 Gemäß §§ 86 Abs. 2 LPVG, 85 Abs. 2 ArbGG, 937 Abs. 2 und 944 ZPO entscheidet
wegen der Dringlichkeit des Antrags der Vorsitzende ohne mündliche Anhörung.
2 Nach den gemäß §§ 86 Abs. 2 LPVG und 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG entsprechend
anwendbaren Vorschriften des 8. Buchs der Zivilprozessordnung kann auch im
personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren eine einstweilige Verfügung
erlassen werden, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts eines Beteiligten vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO), oder wenn die Regelung
eines streitigen Rechtsverhältnisses zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint (§ 940 ZPO).
3 Voraussetzung ist allerdings, dass die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte
gegeben ist. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, in dem die Auslegung des Rechts
einer Religionsgemeinschaft streitig ist.
4 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffnet den Zugang zu den staatlichen Gerichten nur
gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne dieser
Bestimmung sind aber lediglich Maßnahmen grundrechtsverpflichteter
Staatsfunktionen, mithin alle Staatsgewalt. Danach üben Religionsgesellschaften
keine öffentliche Gewalt i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG aus. Auch die Zuerkennung des
Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137
Abs. 5 WRV ändert nichts daran, dass es sich bei kirchlichen Maßnahmen nicht um
Akte staatlicher Gewalt handelt vgl. (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.12.2008 - 2
BvR 717/08 - NJW 2009, 1195; BVerwG, Urteil vom 27. 02.2014 - 2 C 19/12 -, juris)
5 Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist aber auch in Streitigkeiten zwischen
Mitarbeitern und ihrer Religionsgemeinschaft bzw. deren Organen aufgrund des
verfassungsrechtlich gewährleisteten staatlichen Justizgewährungsanspruchs (Art.
19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) eröffnet, wenn und insoweit die Verletzung staatlichen
Rechts geltend gemacht wird. Das verfassungsrechtlich geschützte
Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art.
137 Abs. 3 WRV schließt insoweit nicht bereits den Zugang zu den staatlichen
Gerichten aus, sondern bestimmt Umfang und Intensität der Prüfung des Aktes der
Religionsgesellschaft durch das staatliche Gericht Das staatliche Gericht ist dabei
aber auf die Prüfung beschränkt, ob der Betroffene durch eine Maßnahme seiner
Religionsgesellschaft in einer subjektiven Rechtsposition verletzt ist, die ihm das
staatliche Recht verleiht. Dies ist der Fall, wenn kirchliches Recht oder dessen
fallbezogene Anwendung gegen eine staatliche Rechtsposition verstößt, die auch
von der Religionsgesellschaft zu beachten ist. Die staatlichen Gerichte haben bei
dieser Prüfung von demjenigen Verständnis des kirchlichen Rechts auszugehen,
das die zuständigen kirchlichen Organe, insbesondere die kirchlichen Gerichte,
vertreten. Die staatlichen Gerichte sind nur dann befugt, das autonom gesetzte
Recht der Religionsgesellschaft auszulegen und anzuwenden, wenn und soweit die
Religionsgesellschaft selbst diese Möglichkeit eröffnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.
02.2014 - 2 C 19/12 -, juris).
6 Nach dem Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder finden die
Personalvertretungsgesetze keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und
ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre
Rechtsform. Den Religionsgemeinschaften bleibt die selbständige Ordnung eines
Personalvertretungsrechtes überlassen (vgl. § 112 BPersVG, § 107 a LPVG). Bei
Streitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Anwendung von
Personalvertretungsrecht der Religionsgemeinschaften geht, ist die Zuständigkeit
staatlicher Gerichte deshalb grundsätzlich ausgeschlossen, da insoweit keine
staatlichen Rechtspositionen tangiert sind, die auch von den
Religionsgesellschaften zu beachten sind. In diesem Bereich sind allein die
Religionsgemeinschaften zur Rechtsetzung und zur Kontrolle des von ihnen
gesetzten Rechtes befugt. Die Befugnis zur Rechtsetzung folgt dabei unmittelbar
aus der verfassungsrechtlich garantierten Autonomie der Religionsgemeinschaften
gem. Art. 140 GG, 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung. Diese
Rechtsetzungsbefugnis umfasst auch die Kompetenz zur Rechtskontrolle in eigener
Verantwortung. Ob und in welchem Umfang die Religionsgemeinschaften von ihrer
verfassungsmäßig garantierten Befugnis zur Rechtsetzung und Rechtskontrolle
Gebrauch machen, unterliegt aufgrund des Vorbehaltes in Art. 137 Abs. 3 Weimarer
Reichsverfassung der staatlichen Überprüfung nur insoweit, als ein für alle
geltendes Gesetz verletzt ist. Für den Bereich des Personalvertretungsrechtes
besteht aber nach den das verfassungsrechtliche Gebot aus Art. 140 GG, 137 Abs.
3 WRV konkretisierenden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 11.10.1977 - 2 BvR 209/76,
BVerfGE 46, 73 ff, 95) Ausnahmeregelungen der §§ 112 BPersVG, 107 a LPVG
gerade kein schrankenziehendes Gesetz, dessen Einhaltung von staatlichen
Gerichten zu kontrollieren wäre (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 12. April 1996
- 12 L 7/95 -, PersR 1996, 293 = juris; GKÖD Bd. V, § 112 BPersVG Rn. 20).
7 Die weitere Beteiligte zu 2 hat auch nicht selbst die staatlichen Gerichte dazu befugt,
das von ihr autonom gesetzte Recht auszulegen und anzuwenden. Nach dem
Vortrag der Beteiligten hat die weitere Beteiligte zu 2 zwar die Einrichtung einer
Mitarbeitervertretung „in Anlehnung an das Landespersonalvertretungsgesetz“
beschlossen. Die Übernahme der Regelungen über die Durchführung des
verwaltungsgerichtlichen Beschlussverfahrens nach § 86 LPVG und damit die
Begründung der Zuständigkeit der staatlichen Gerichte ist hiermit aber nicht
verbunden. Dies hätte einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Dass eine solche
Regelung besteht, behauptet die Antragstellerin selbst nicht. Die weitere Beteiligte
zu 2 geht bei Streitigkeiten im Bereich der Mitarbeitervertretung von der
Zuständigkeit des beim Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. durch Satzung
eingerichteten „Schieds- und Verwaltungsgerichts“ aus. Ob dies zutrifft und deshalb
allenfalls eine subsidiäre Anrufung staatlicher Gerichte in Betracht käme (vgl.
BVerwG, Urteil vom 27. 02.2014 - 2 C 19/12 -, juris), kann offen bleiben, denn es
fehlt bereits an einer grundsätzlichen Eröffnung des Rechtsschutzes vor staatlichen
Gerichten durch die weitere Beteiligten zu 2.
8 Die in § 86 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LPVG geregelte Zuständigkeit der
Verwaltungsgerichte für Streitigkeiten im Rahmen der Wahl von
Personalvertretungen findet somit für den Bereich der Personalvertretung bei der
Israelischen Religionsgemeinschaft Württembergs keine Anwendung. Der Antrag ist
deshalb unzulässig.
9 Eine Kostenentscheidung ist im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren
nicht zu treffen.