Urteil des VG Stuttgart vom 01.09.2016

asylg, aufschiebende wirkung, bundesamt, politische verfolgung

VG Stuttgart Beschluß vom 1.9.2016, A 7 K 3628/16
Asyl; offensichtliche Unbegründetheit und subsidiärer Schutz
Leitsätze
1. Nach § 30 Abs. 1 AsylG i.d.F. vom 06.08.2016 (BGBl I, S. 1939 ff.) ist ein Asylantrag (nur dann) offensichtlich
unbegründet, wenn auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG
offensichtlich nicht vorliegen.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist indes wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht schon deshalb anzuordnen, weil das
Bundesamt im Tenor der Entscheidung den Asylantrag aufgrund der alten Gesetzeslage nicht auch hinsichtlich
des subsidiären Schutzes ausdrücklich als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, die Voraussetzungen des §
30 AsylG n.F. aber in der Sache vorliegen.
3. Fehlt im Bescheid eine ausdrückliche Feststellung der Offensichtlichkeit in Bezug auf den subsidiären Schutz,
führt dies auch nicht dazu, dass deshalb automatisch ein Fall der sonstigen Ablehnung im Sinne von § 38 Abs. 1
AsylG mit der Folge der aufschiebenden Wirkung der Klage vorliegt.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit muslimischen
Glaubens. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 10.6.2016 enthaltene Abschiebungsandrohung. In diesem Bescheid lehnte das Bundesamt
den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter als
offensichtlich unbegründet ab. Weiter wurde die Zuerkennung des subsidiären Schutzes abgelehnt sowie
festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Dem
Antragsteller wurde eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt und die Abschiebung nach Kosovo
angedroht. Schließlich wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet
und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot
gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der bei der Kammer anhängigen Klage (A 7 K
3627/16) gegen die Abschiebungsandrohung im o.g. Bescheid hat keinen Erfolg.
3
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, 34a AsylG zulässig. Die Wochenfrist des § 36 Abs.
3 AsylG für den Eilantrag ist eingehalten.
4
Der Antrag ist aber unbegründet.
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Gemäß Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet
werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Tatsachen
und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei
denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 S. 2 AsylG).
6
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid bestehen
nicht.
7
Der Asylantrag des Klägers ist nach § 30 Abs. 1 AsylG in der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen,
seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung (BGBl. 2016 Teil I S. 1939 ff.) offensichtlich unbegründet. Die in der
Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist von einer Woche ist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG nicht zu
beanstanden.
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Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG erlässt das Bundesamt eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der
Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft
zuerkannt wird, dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5
und 7 AufenthG nicht vorliegen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. In den Fällen der
offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine
Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG).
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Nach § 30 Abs. 1 AsylG i.d.F. vom 06.08.2016 ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die
Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung
des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Es handelt sich um Tatbestandsvoraussetzungen,
die gerichtlich voll überprüfbar sind. Der internationale Schutz umfasst dabei gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Hs 2
AsylG neben der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch den subsidiären Schutz mit der Folge, dass
sich die Offensichtlichkeitsfeststellung auch auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung
subsidiären Schutzes erstrecken muss.
10 Die aufschiebende Wirkung der Klage ist indes wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Bescheides nicht schon deshalb anzuordnen, weil das Bundesamt - wie hier - im Tenor der Entscheidung den
Asylantrag aufgrund der alten Gesetzeslage nicht auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes ausdrücklich
als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, die Voraussetzungen des § 30 AsylG i.d.F. vom 06.08.2016
aber in der Sache vorliegen (ebenso VG Köln, Beschluss vom 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A -; a.A. VG Stuttgart,
Beschluss vom 20.8.2016 - A 11 K 730/16 -; jeweils juris). Fehlt im Bescheid eine ausdrückliche Feststellung
der Offensichtlichkeit in Bezug auf den subsidiären Schutz, führt dies auch nicht dazu, dass deshalb
automatisch ein Fall der sonstigen Ablehnung im Sinne von § 38 Abs. 1 AsylG mit der Folge der
aufschiebenden Wirkung der Klage vorliegt (a. A. VG Münster, Beschluss vom 7.8.2016 - 6 L 618/16.A -,
juris).
11 Ernstliche Zweifel i.S.d. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG liegen vor, wenn erhebliche Gründe
dafür sprechen, dass die Ablehnung als offensichtlich unbegründet einer rechtliche Prüfung nicht
standhalten wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris). Dafür bestehen im
vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
12 Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG liegen offensichtlich nicht vor. Dies hat auch das Bundesamt im Tenor
des angefochtenen Bescheides zu Recht festgestellt.
13 Die Republik Kosovo gehört gemäß der Anlage II zu § 29a Abs. 2 AsylG zu den sicheren Herkunftsstaaten.
Der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat ist nach § 29a Abs. 1 AsylG als
offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder
Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat
politische Verfolgung droht. Dieser, auf die Ermächtigung in Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG beruhenden
Bestimmung liegt das Konzept einer Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber auf der einen und Behörden und
Gerichten auf der anderen Seite zu Grunde. Dabei übernimmt es der Gesetzgeber, für den jeweiligen
Herkunftsstaat eine Analyse und Bewertung der allgemeinen Verhältnisse im Hinblick auf deren
asylrechtliche Erheblichkeit abstrakt-generell in Form einer antizipierten Tatsachen- und Beweiswürdigung
vorzunehmen. Stellt der Gesetzgeber nach dieser Prüfung fest, dass ein bestimmter Herkunftsstaat sicher
im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG ist, sind Bundesamt und Gerichte hieran bei der Prüfung des
Einzelfalls gebunden und haben den Asylantrag grundsätzlich als offensichtlich unbegründet zu behandeln.
Für die Gerichte findet diese Bindung eine Grenze dort, wo sich die Bestimmung eines Landes zum sicheren
Herkunftsstaat (oder deren Beibehaltung) nach ihrer Überzeugung als verfassungswidrig erweist. Die mit
der Bestimmung zum sicheren Herkunftsstaat begründete Vermutung der Verfolgungsfreiheit gilt sowohl für
das Asylgrundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG als auch hinsichtlich des Status der Flüchtlingseigenschaft nach
Art. 3 Abs. 1 AsylG. Zu Ihrer Ausräumung ist nur ein Vorbringen zugelassen, dass die Furcht vor politischer
Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal des Asylsuchenden gründet. (vgl. BVerfG, Urteil vom
14.5.1996 - 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 -, juris).
14 Der Antragsteller hat kein individuelles asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Verfolgungsschicksal dargelegt. Zu
seiner für den 29.4.2016 vorgesehenen persönlichen Anhörung beim Bundesamt ist der Antragsteller nicht
erschienen. Ihm wurde daraufhin mit Schreiben vom 29.4.2016 Gelegenheit gegeben, schriftlich zu seinen
Asylgründen und den Gründen, die einer Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, Stellung zu
nehmen. Der Antragsteller hat daraufhin zwar eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 29.4.2016
vorgelegt, ansonsten aber auf das Schreiben vom 29.4.2016 nicht geantwortet. Den Eilantrag hat der
Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ebenfalls nicht begründet. Schließlich hat der
Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trotz entsprechender Ankündigung und Verlängerung der
Klagebegründungsfrist auch im Klageverfahren keine Stellungnahme abgegeben.
15 Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz gemäß § 4 AsylG liegen danach ebenfalls
offensichtlich nicht vor. Auch das Bundesamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu Recht
darauf abgestellt, dass keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme eines drohenden ernsthaften Schadens im
Sinne des § 4 AsylG vorliegen.
16 Die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1
AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
17 Ergänzend verweist die Einzelrichterin auf die Begründung des angefochtenen Bescheides, die sie sich zu
eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylG.
19 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).