Urteil des VG Stuttgart vom 19.12.2007
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VG Stuttgart Urteil vom 19.12.2007, 18 K 3336/07
Zulassung zur Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen
Leitsätze
1. Der Ausschluss von Ausbildern von der Mitwirkung in Prüfungsausschüssen nach § 15 Abs. 3 Satz 4 GHPO II
gilt auch für Wiederholungsprüfungen nach Verlängerung des Vorbereitungsdienstes.
2. Für den Ausschluss von der Prüfung gemäß § 25 Abs. 1 GHPO II bei Täuschung etc. ist das Prüfungsamt und
nicht die Prüfungskommission zuständig.
3. Ein „gröblicher Verstoß“ gemäß § 25 Abs. 1 GHPO II muss an Schwere einer Täuschung gleichkommen und
erfordert als subjektive Seite der Tatbegehung die Absicht, sich unerlaubt einen Vorteil zu verschaffen.
Tenor
Der Bescheid des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg - Landeslehrerprüfungsamt -
vom 21.12.2006 in der Fassung des Bescheids vom 31.01.2007 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet,
den Kläger erneut zur Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen im
Prüfungsteil „Beurteilung der Unterrichtspraxis und didaktisches Kolloquium“ zuzulassen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch
den Kläger wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die erneute Zulassung zur Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen.
2
Der Kläger stand als Lehramtsanwärter im Beamtenverhältnis auf Widerruf im Vorbereitungsdienst des
Beklagten. Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg - Landeslehrerprüfungsamt -
teilte dem Kläger mit Bescheid vom 07.06.2006 mit, er habe die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen nicht bestanden, da er im Prüfungsteil „Unterrichtssequenzen und didaktisches
Kolloquium“ mit einer schlechteren Note als „ausreichend (4,0)“ bewertet worden sei. Dem lag zugrunde, dass
der Kläger in der Teilprüfung „Beurteilung der Unterrichtspraxis“ im Fach Mathematik nur die Note „mangelhaft
(5,0)“ erhalten hatte. Im Fach Deutsch war die Unterrichtspraxis mit der Note „befriedigend (3,0)“ bewertet
worden. Das Kultusministerium wies den Kläger darauf hin, er könne gemäß § 26 der Verordnung des
Kultusministeriums über die zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen vom
18.01.2001 - GHPO II - (GBl. S. 11) den nicht bestandenen Prüfungsteil wiederholen. Hierzu werde der
Vorbereitungsdienst um die erforderliche Zeit verlängert.
3
Zur Vorbereitung der Wiederholungsprüfung legte der Kläger am 23.10.2006 der Außenstelle des
Landeslehrerprüfungsamts beim Regierungspräsidium Stuttgart Wochenpläne für seinen Unterricht an der
Werkrealschule ... in den Fächern Mathematik und Deutsch für den vorgesehenen Prüfungszeitraum 20.11. bis
15.12.2006 vor. In Mathematik (Unterricht in Klasse 5 a) benannte er folgende Inhaltsbereiche: 20.11. bis
24.11.2006: Koordinatensystem, Gerade, Halbgerade und Strecke / 27.11. bis 01.12.2006: parallele und
senkrechte Linien, Rechtecke und Quadrate / 04.12. bis 08.12.2006: Rechtecke und Quadrate, Würfel / 11.12.
bis 15.12.2006: Würfel, Quader.
4
Der Prüfungstermin wurde von der aus Rektor S. als Vorsitzenden, Konrektorin G. und Lehrerin R. bestehenden
Prüfungskommission auf Dienstag, den 05.12.2005 festgesetzt. Der Unterricht im Fach Deutsch sollte in der
Zeit von 09:35 Uhr bis 10:20 Uhr stattfinden, derjenige in Mathematik in der Zeit von 11:30 Uhr bis 12:15 Uhr.
Hiervon wurde der Kläger am 28.11.2006 unterrichtet.
5
Am Morgen des 05.12.2006 legte der Kläger der Prüfungskommission für beide Unterrichtsfächer ausführliche
Unterrichtsentwürfe vor. Als Thema in Mathematik benannte er „Kennenlernen, Benennen und Unterscheiden
der wichtigsten Eigenschaften des Quaders und des Würfels“. Als Ziel der Stunde gab der Kläger an: „Die
Schülerinnen und Schüler kennen die wichtigsten Eigenschaften des Quaders und des Würfels und können sie
unterscheiden, sowie benennen. Der Lernzuwachs spiegelt sich darin wieder, dass aus der Grundschule
Quader und Würfel zwar bekannt sind, jedoch nicht in ihren Eigenschaften erkannt, benannt und klassifiziert
wurden. Ebenso wurden bestimmte Fachtermini nicht erläutert“.
6
Mit Schreiben vom 06.12.2006 teilte der Vorsitzende der Prüfungskommission der Außenstelle des
Landeslehrerprüfungsamts beim Regierungspräsidium Stuttgart mit, der Kläger sei wegen groben Verstoßes
gegen die Prüfungsordnung nach § 25 Abs. 1 GHPO II von der Prüfung ausgeschlossen worden. Die Prüfung
sei vor dem Beginn der ersten Prüfungsstunde beendet worden. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe
im Fach Mathematik einen Unterrichtsentwurf vorgelegt, der weder seinem Wochenplan entsprochen noch in
die laufende Unterrichtseinheit gepasst habe, wie eine Auswertung der Klassenbuchseiten der Vorwoche und
der aktuellen Woche ergeben habe. Der Kläger habe bei seiner Anhörung keine plausible Begründung für die
Abweichung vom Wochenplan geben können und eine solche sei auch nicht aus den Unterlagen
nachzuvollziehen. Der vorgelegte Wochenplan für Mathematik sehe in der Prüfungswoche als Inhalte
„Rechtecke und Quadrate“ sowie „Würfel“ vor. „Würfel“ und „Quader“ seien erst für die Folgewoche vorgesehen
gewesen. Laut Klassenbuch sei kein Grund erkennbar (wie etwa schnelleres Arbeitstempo der Klasse), der das
Vorziehen des Themas „Quader“ rechtfertigen würde. Am Tag vor der vorgesehenen Prüfung (Montag 3.
Stunde, letzte Mathematikstunde vor dem Prüfungstag) seien „Rechtecke und Quadrate“ Inhalte des
Unterrichts gewesen.
7
Mit Bescheid vom 21.12.2006 teilte das Kultusministerium - Landeslehrerprüfungsamt, Außenstelle beim
Regierungspräsidium Stuttgart - dem Kläger mit, er habe die Zweite Staatsprüfung in der Wiederholungsprüfung
nicht bestanden, da er im Prüfungsteil „Unterrichtssequenzen und didaktisches Kolloquium“ mit einer
schlechteren Note als „ausreichend (4,0)“ bewertet worden sei. Gemäß § 26 Abs. 5 GHPO II sei sein
Prüfungsanspruch für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen erloschen.
8
Am 09.01.2007 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein mit der Begründung, der Prüfungsbescheid sei
fehlerhaft. Die Prüfung hätte von vornherein nicht abgenommen werden dürfen, da die Konrektorin G. ihn
während der Referendariatsausbildung am Seminar ausgebildet habe und deshalb gemäß § 15 Abs. 3 GHPO II
nicht hätte als Mitglied des Prüfungsausschusses bestellt werden dürfen. Hierauf habe er bereits im Vorfeld der
Prüfung hingewiesen. Die Seminarleitung habe ihn - wohl nach Rücksprache mit dem Landeslehrerprüfungsamt
- aber dahingehend beschieden, dass mit der Wiederholung der Prüfung „alles neu beginne“. Dies sehe jedoch
die GHPO II nicht vor, da danach generell die mit der Ausbildung betrauten Lehrer nicht Mitglied der
Prüfungsausschüsse werden dürften. Des Weiteren sei auch kein Verstoß gegen § 25 GHPO II zu erkennen.
Er habe sich keines Täuschungsversuchs schuldig gemacht und es liege auch kein grober Verstoß gegen die
Prüfungsordnung vor. Die Begründung, seine Prüfungsstunde in Mathematik habe nicht mit dem eingereichten
Wochenplan überein gestimmt, sei nicht tragfähig. In der Unterrichtsstunde habe er die Einführung in den
Bereich Würfel und Quader vornehmen wollen. Dies sei im Wochenplan so angegeben, lediglich das Wort
„Quader“ sei nicht erwähnt. Da jedoch Würfel und Quader in weiten Teilen identisch seien (jeder Würfel sei ein
Quader), liege hier ein grober Verstoß gegen die Prüfungsordnung beim besten Willen nicht vor. Des Weiteren
enthalte die Prüfungsordnung auch keinerlei Vorschriften, wie der Wochenplan auszusehen habe und wie er zu
realisieren sei.
9
Das Kultusministerium teilte dem Kläger mit Schreiben vom 24.01.2007 mit, die Angelegenheit sei der
Außenstelle Stuttgart des Landeslehrerprüfungsamts mit der Bitte zurückgegeben worden, den fraglichen
Bescheid zu ergänzen, denn es sei festgestellt worden, dass der angegriffene Bescheid die
Routineformulierungen verwendet und sich nicht wie geboten auf § 25 Abs. 1 GHPO II gestützt habe.
Fachaufsichtlich sei festzustellen, dass die Entscheidung des Vorsitzenden der Prüfungskommission weder
formal noch inhaltlich zu beanstanden sei. Die Prüfungskommission sei korrekt besetzt gewesen. Ehemalige
Ausbilder eines Prüflings seien nach § 15 Abs. 3 Satz 4 GHPO II nicht von der Prüfung ausgeschlossen. Ein
ehemaliger Ausbilder sei begrifflich eben kein Ausbilder mehr. Überdies sei es Absicht des Verordnungsgebers,
mit dem Ausschluss der aktuellen Ausbilder als Prüfer bei Lehrproben einen möglichen Interessenkonflikt zu
vermeiden, der sich daraus ergeben könnte, dass die Ausbilder als Prüfer mit dem Prüfungsergebnis letztlich
auch den eigenen Ausbildungserfolg bewerten würden. Inhaltlich belegten die Stellungnahmen des
Vorsitzenden der Prüfungskommission eindeutig, dass der Kläger aus pädagogisch nicht zu rechtfertigenden
Gründen vom eingereichten Wochenplan abgewichen sei. Es sei ein Grundsatz der Mathematikdidaktik, dass
man von der Fläche zum Körper gehe, also vom Quadrat zum Würfel als dem für Schüler am einfachsten zu
begreifenden Körper. Der Quader wäre nach dem schlüssigen Unterrichtsplan des Klägers danach erst in einer
späteren Stunde Gegenstand des Unterrichts gewesen. Die Erklärung des Klägers, die Schüler seien so
schnell gewesen, habe sich als unrichtig herausgestellt. Der Kläger könne nicht damit rechnen, dass das
Landeslehrerprüfungsamt eine im Ergebnis andere Entscheidung fälle.
10 Mit Bescheid vom 31.01.2007 teilte die Außenstelle Stuttgart des Landeslehrerprüfungsamts dem Kläger ohne
Begründung mit, dass ergänzend zum Bescheid vom 21.12.2006 das Nichtbestehen der Wiederholungsprüfung
gemäß § 25 Abs. 1 GHPO II festgesetzt werde.
11 Am 10.05.2007 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Er trägt vor, über
seinen Widerspruch sei bisher nicht entschieden worden und durch ein weiteres Zuwarten drohe ihm ein ganz
erheblicher Nachteil. Inhaltlich wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen im Widerspruchsschreiben und
führt ergänzend aus, er habe in der Woche vor der Prüfung die Bereiche Rechtecke und Quadrate in der Klasse
vollständig abgehandelt. Dies könne durch das Zeugnis des Mentors Herr N. sowie durch Vorlage der
Heftaufschriebe der Schüler bewiesen werden. Die Klasse sei deshalb zur Prüfungsstunde bereits soweit
gewesen, dass eine Einführungsstunde in die räumlichen Körper Würfel und Quader habe gegeben werden
können. Der Würfel baue auf dem Quadrat auf, der Quader auf dem Rechteck. Insoweit seit die geplante
Einführungsstunde in die räumlichen Körper die logische Fortführung der zuvor gehaltenen Stunden gewesen.
Auf sein Angebot, in die Schülerhefte Einsicht zu nehmen, sei der Prüfungsvorsitzende nicht eingegangen. Der
Schulleiter der Ausbildungsschule habe sich noch darum bemüht, dass wenigstens die Unterrichtsstunden
gehalten werden dürften, dies habe der Prüfungsvorsitzende jedoch brüsk abgelehnt mit der Begründung, es
läge ein Verstoß gegen die Prüfungsordnung vor.
12 Der Kläger beantragt,
13
den Bescheid des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg -
Landeslehrerprüfungsamt - vom 21.12.2006 i.d.F. des Bescheids vom 31.01.2007 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, ihn erneut zur Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen zuzulassen.
14 Der Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16 Er hat eine ergänzende Stellungnahme des Rektors S. vom 15.11.2007 vorgelegt und erklärt, nach dieser
Stellungnahme sei kein Zweifel mehr möglich, dass der Kläger gemäß § 25 GHPO II „in sonstiger Weise
gröblich gegen die Ordnung verstoßen“ habe. Zwar fordere § 20 Abs. 1 GHPO II in der hier maßgebenden
Fassung 2001 nicht ausdrücklich, dass in der Unterrichtsplanung der Zusammenhang zwischen
vorangegangenem und folgendem Unterricht herzustellen sei, wie dies zur Klarstellung in § 20 Abs. 1 GHPO II
2007 nunmehr aufgenommen worden sei. Doch ergebe sich schon aus der bisherigen Fassung der
Prüfungsordnung, dass es sich bei der didaktisch zusammenhängenden Unterrichtssequenz nicht um eine
isolierte „Schaustunde“ handeln dürfe, sondern eine sich sachlogisch in die Unterrichtsplanung einfügende
Lehrprobe erwartet werde. Abweichungen von der Unterrichtsplanung seien zwar möglich, müssten aber
methodisch-didaktisch begründbar sein. In der Regel teile dies der Lehramtsanwärter der Prüfungskommission
vor Beginn der Lehrproben-Stunde mit. Meist genüge dann eine kurze Nachfrage bei der Schulleitung, um die
Plausibilität zu bestätigen. Der Kläger habe auf Nachfrage mit einer Begründung argumentiert, die sich als
unwahr herausgestellt habe.
17 In der Stellungnahme des Rektors S. vom 15.11.2007 heißt es u. a., die vorgelegten Kopien aus Schülerheften
bestätigten die terminlich dazu passenden Tagebucheinträge. Wie im Wochenplan vorgesehen und im
Klassenbuch dokumentiert, seien in der Woche vom 27.11. bis 01.12.2006 Parallelen und Senkrechte und am
Freitag, dem 01.12.2006, Quadrate und Rechtecke mit ihren Eigenschaften behandelt worden. Auch bei
eingehender Prüfung sei nicht ersichtlich, was auf eine Behandlung von Körpern im Unterricht schließen ließe.
Richtig wäre es gewesen - wie vom Kläger auch planmäßig vorgesehen - entweder „Rechtecke und Quadrate“
zu vertiefen (Fläche, Umfang ...) oder den Würfel zum Unterrichtsgegenstand zu machen. Die nach dem
Wochenplan des Klägers erst später vorgesehene Stunde zum Quader sei offensichtlich vorgezogen worden,
um sich Vorteile gegenüber anderen Kandidaten zu verschaffen. Eine parallele Behandlung von Würfel und
Quader gewährleiste in aller Regel eine besonders „schöne“ und bei Schülern beliebte Stunde, weil sie gut
gestatte, handlungsorientierte Phasen in arbeitsteilige Gruppenarbeit zu integrieren. Der methodisch notwendig
nächste Schritt der Flächen- bzw. Umfangsberechnung an Rechteck bzw. Quadrat hätte sicherlich nicht die
Möglichkeiten geboten, das methodische Repertoire des Lehrers so umfassend und einfach zu präsentieren,
wie dies in der beabsichtigten Stunde der Fall gewesen wäre. Der Unterrichtsentwurf des Klägers habe die
Abweichung von dem in sich schlüssigen Wochenplan nicht thematisiert. Auf S. 6 des Entwurfs heiße es u. a.:
„.., bietet es sich an, den Würfel, der ja ein Spezialfall des Quaders ist, für eine Einführung dieser Polyeder zu
verwenden. In jedem Quader steckt mindestens ein Würfel“. Zu den didaktischen Vorüberlegungen gehöre
notwendig die Einbettung der Stunde in den laufenden Unterricht. Dies sei abgesehen von dem zitierten Satz
nicht geschehen. Dieser spreche für einen nicht begründeten Bruch mit der laufenden Unterrichtsarbeit.
18 In der mündlichen Verhandlung vom 19.12.2007 hat der Kläger ergänzend ausgeführt, am 01. und 14.12.2006
habe er in der Klasse Rechtecke und Quadrate abschließend behandelt, da die Klasse gute Vorkenntnisse
gehabt habe. Am 05.12.2006 sei es ihm nur um die Eigenschaften beider Körper gegangen. Anschließend wäre
er dann im Einzelnen zunächst auf den Würfel eingegangen. Dass er die gemeinsame Einführung zu Würfel
und Quader nicht im Wochenplan erwähnt habe, sei vielleicht ein Fehler gewesen, aber er habe dem nicht
diese Bedeutung beigemessen. Er habe nicht gewusst, dass der Wochenplan so differenziert sein müsse. Er
habe von Anfang an beabsichtigt, diese vorgezogene gemeinsame Einführung zu machen. Nach seiner
Auffassung sei dieses Vorgehen auch von den Materialien wie Schulbuch und Bildungsplan abgedeckt.
19 Rektor S. hat hierauf erwidert, der Bildungsplan sage zum Unterrichtsaufbau nichts. Der vom Kläger vorgelegte
Wochenplan sei in sich schlüssig und korrekt gewesen. Am 01.12.2006 habe der Kläger Rechtecke und
Quadrate behandelt. Am Montag, den 04.12.2006, hätte sich dann das Zeichnen und Finden der Flächenkörper
anschließen müssen. Zwingend vor der Behandlung von Würfel und Quader hätte der Kläger dann noch den
Flächenbegriff behandeln müssen. Erst am Mittwoch bzw. Donnerstag hätten dann korrekterweise die
Flächenfiguren abgeschlossen werden müssen. Von dieser Planung sei der Kläger abgewichen, ohne dass er
den Flächenbegriff als Grundlage für die geometrischen Körper eingeführt hätte. Seine Lehrproben-Stunde sei
mindestens um eine oder zwei Unterrichtsstunden zu früh abgehalten worden. Dass der Kläger sich einen
unerlaubten Vorteil habe verschaffen wollen, zeige auch der Umstand, dass er in seiner ca. einstündigen
Anhörung durch die Prüfungskommission die sich nachträglich als falsch herausgestellte Behauptung erhoben
habe, die Schüler seien so schnell gewesen.
20 In der mündlichen Verhandlung ist Herr N. als damaliger Mentor des Klägers als Zeuge vernommen worden.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
21 Dem Gericht liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakte wird wegen
weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist zu Unrecht von der Wiederholungsprüfung der Zweiten
Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen im Prüfungsteil „Beurteilung der Unterrichtspraxis
und didaktisches Kolloquium“ ausgeschlossen worden.
23 Bereits die Durchführung des Prüfungsverfahrens selbst weist Verfahrensfehler hinsichtlich der Besetzung der
Prüfungskommission und der Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Ausschluss von der Prüfung auf.
24 § 15 Abs. 3 Satz 4 der maßgeblichen GHPO II 2001 bestimmt: „Die Ausbilder und der Mentor des
Lehreranwärters dürfen bei dessen Prüfungen nicht zu Mitgliedern der Prüfungsausschüsse bestellt werden“.
Unstreitig war die Konrektorin G. während des Vorbereitungsdienstes bis zum ersten Prüfungsversuch des
Klägers dessen Ausbilderin am Seminar. § 12 Abs. 2 GHPO II bestimmt insoweit: „Der Lehreranwärter wird in
seiner Ausbildung von den für ihn zuständigen Ausbildern betreut. Sie besuchen ihn im Unterricht, beraten ihn
und geben ihm Gelegenheit, in ihrem Unterricht zu hospitieren...“. Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 4 GHPO
II sowie Sinn und Zweck der Vorschrift, die von vornherein die Befürchtung einer möglichen Befangenheit von
Ausbildern wegen einer sich im Rahmen der Zusammenarbeit möglicherweise entwickelnden Zu - oder
Abneigung, wegen eventueller Vorkenntnisse über berufliche und persönliche Stärken und Schwächen des
Lehramtsanwärters oder im Hinblick auf einen Interessenkonflikt wegen eines denkbaren Rückschlusses auf
die eigene Qualität als Ausbilder ausschließen soll, lassen die vom Kultusministerium vertretene
einschränkende Auslegung, nur ein Ausbilder in dem für die Zeit der Wiederholungsprüfung verlängerten
Vorbereitungsdienst sei ausgeschlossen, nicht zu. Die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes gemäß § 10
Abs. 7 GHPO II ändert an der vom Verordnungsgeber abstrakt unterstellten Konfliktsituation nichts.
25 Fraglich ist, ob ein Prüfling unter dem Grundsatz von Treu und Glauben eine von ihm erkannte fehlerhafte
Besetzung des Prüfungsausschusses auch dann unverzüglich rügen muss, wenn es sich um einen Mangel
handelt, der nicht in die Sphäre des Prüflings fällt, sondern nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften von der
Prüfungsbehörde hätte beachtet werden müssen. Diese Frage wird problematisiert im Urteil des OVG
Nordrhein-Westfalen vom 09.03.1989 - 22 A 688/88 -, DVBl. 1989, 1203), dort aber letztlich offen gelassen.
Eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.02.2003 - 6 C 22.02 -, DVBl. 2003,
1012) hat für den Fall eines Verstoßes gegen den in der Prüfungsordnung geregelten Prüfungsstoff eine
Rügepflicht bejaht. Niehues (Schul- und Prüfungsrecht Band II, 4. Aufl., Rn 513) geht ohne weitere
Problematisierung von einer Rügepflicht bei einer vom Prüfling erkannten falschen Besetzung des
Prüfungsausschusses aus. Vorliegend kann dies aber letztlich dahin gestellt bleiben, weil der Kläger
unwidersprochen vorgetragen hat, er habe sich rechtzeitig an die Seminarleitung gewandt und diese habe ihn
(wohl) nach Rücksprache mit dem Prüfungsamt abschlägig beschieden.
26 Ein weiteres Problem ist aber, ob der rechtzeitig gerügte Verstoß für die abschließende Entscheidung
überhaupt erheblich geworden ist, ob also das Ergebnis der Prüfung ohne diesen Fehler hätte anders ausfallen
können (vgl. Niehues, Rn. 492, 494). Denn § 25 Abs. 1 GHPO II bestimmt: „Wird es unternommen, das
Ergebnis der Prüfung durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen, wird in
sonstiger Weise gröblich gegen die Ordnung verstoßen oder entsprechen die nach § 19 Abs. 3 oder § 20 Abs.
5 abgegebenen Versicherungen nicht der Wahrheit, so wird unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes
vom Prüfungsamt die Note „ungenügend“ festgesetzt oder der Ausschluss von der Prüfung ausgesprochen. Im
letzteren Fall gilt die gesamte Prüfung als nicht bestanden“. Danach bestünde bei Vorliegen der unbestimmten
Rechtsbegriffe kein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Folge des Nichtbestehens der
Wiederholungsprüfung, sondern lediglich hinsichtlich der für die Wiederholungsprüfung nicht erheblichen
Unterscheidung zwischen der Bewertung mit „ungenügend“ oder dem Ausschluss von der gesamten Prüfung.
27 Neben der fehlerhaften Besetzung der Prüfungskommission liegt ein weiterer Verfahrensverstoß darin, dass
nach § 25 Abs. 1 GHPO II für den vorliegend vorgenommenen Ausschluss von der Prüfung das Prüfungsamt
zuständig ist, im Falle des Klägers diese Entscheidung aber durch die Prüfungskommission getroffen wurde.
Der Vertreter des Beklagten hat sich insoweit in der mündlichen Verhandlung auf eine Notzuständigkeit der
Prüfungskommission berufen, die insoweit als Vertreter des Prüfungsamts handle. Diese Auslegung ist von der
Prüfungsordnung nicht gedeckt. Nach § 25 Abs. 1 GHPO II ist nicht der Prüfungsausschuss als Gremium,
sondern allein das Prüfungsamt befugt, die rechtliche Einordnung als Täuschungsversuch bzw.
Ordnungsverstoß vorzunehmen. Für eine Notzuständigkeit besteht auch keine Veranlassung, da § 25 Abs. 1
GHPO II ausdrücklich eine nachträgliche Entscheidung des Prüfungsamts mit der Folge der Rücknahme einer
ergangenen Prüfungsentscheidung vorsieht. Die Abnahme einer Prüfung durch den Prüfungsausschuss im
Falle einer dem Prüfungsamt nicht sofort möglichen abschließenden Entscheidung steht deshalb unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung. Zu fragen wäre vorliegend lediglich, ob sich das Prüfungsamt zulässigerweise
nachträglich die Beurteilung der Prüfungskommission zu eigen gemacht und im Ergänzungsbescheid vom
31.01.2007 umgesetzt hat. Die fehlende Begründung (§ 39 Abs. 1 LVwVfG) könnte gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2,
Abs. 2 LVwVfG auch noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden, wobei es im Hinblick auf die
Situation des Klägers und sein berechtigtes Interesse an einer raschen Klärung seiner Ausbildungssituation in
keiner Weise nachvollziehbar ist, dass sich das verantwortliche Kultusministerium insoweit erst mit Schriftsatz
vom 15.11.2007 substantiiert mit dem Problem befasst und vorher lediglich auf die „feste Überzeugung der
Prüfungskommission" verwiesen hat (vgl. Schriftsatz vom 16.07.2007).
28 Letztlich kann offen bleiben, ob die dargelegten Verfahrensverstöße als solche eine Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Prüfungsentscheidung begründen können, denn der Prüfungsausschluss erweist sich jedenfalls
materiell als rechtswidrig.
29 Hierbei stellt sich entscheidend die Frage, ob vorliegend tatsächlich ein gröblicher Verstoß gegen die Ordnung
„in sonstiger Weise“ gemäß § 25 Abs. 1 GHPO II vorliegt, wie dies der Beklagte annimmt. Die ersten beiden
Alternativen der Vorschrift, eine „Täuschung“ oder „Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel“ liegt nicht vor.
Der Kläger hat insbesondere nicht getäuscht, der vor der Lehrprobe von ihm vorgelegte Unterrichtsentwurf gibt
vielmehr den Inhalt der Stunde eindeutig wieder. Der dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 12.01.1978
- IV 2436/77 - (auf das sich das Kultusministerium beruft) zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem
vorliegenden nicht vergleichbar. Dort hatte eine Lehramtsanwärterin einen angeblich neuen Stoff im Unterricht
behandelt, obwohl es sich um eine Wiederholungsstunde gehandelt hatte, und hatte außerdem versucht, den
entsprechenden Wochenbucheintrag nachträglich unkenntlich zu machen. Ein „gröblicher“ Verstoß in sonstiger
Weise muss an Schwere einer Täuschung gleichkommen und erfordert als subjektive Seite der Tatbegehung
die Absicht, sich unerlaubt einen Vorteil zu verschaffen. Dies ist beim Kläger nicht der Fall.
30 Es ist zwar einzuräumen, dass er in seinem Wochenplan für die Woche vom 04. bis 08.12.2006 die
Behandlung von Rechtecken und Quadraten und dann des Würfels genannt und „Quader“ erst für die
Folgewoche eingetragen hatte. Er hat die für die Lehrprobe geplante parallele Behandlung der Einführung in
Würfel und Quader auf Seite 6 seines Unterrichtsentwurfs aber begründet und ausgeführt: „In dieser
Einführungsstunde zum Thema Würfel und Quader sollen die Schüler die wichtigsten Eigenschaften
kennenlernen und vergleichen können. Es stellt sich aber die Frage, warum der Würfel nicht separat vom
Quader eingeführt wird, zumal man dann die Eigenschaften des Würfels gleich mit der Herstellung von
Würfelnetzen verbinden könnte. Da sinnvollerweise das Rechteck und das Quadrat ebenfalls zusammen
eingeführt werden, weil ein Quadrat ja nichts weiter als ein Rechteck mit vier gleichlangen Seiten ist, bietet es
sich an, den Würfel, der ein Spezialfall des Quaders ist, für eine Einführung dieser Polyeder zu verwenden. In
jedem Quader steckt mindestens ein Würfel“. Ob diese Begründung didaktisch überzeugt und eine
vorgezogene Einführung in beide geometrische Körper zu diesem Zeitpunkt jedenfalls vertretbar war, wäre im
Rahmen der Bewertung der Lehrprobe zu würdigen gewesen. Der Kläger kann sich jedenfalls darauf berufen,
dass der von ihm verwendete Lehrerband „Einblicke Mathematik" eine der Behandlung geometrischer Körper
zwingend voranzustellende Vermittlung des Flächenbegriffs nicht erkennen lässt. Außerdem hat sein damaliger
Mentor als Zeuge bestätigt, dass er dem Kläger den Unterrichtsaufbau nach diesem Lehrerband empfohlen und
keine Bedenken gegen den Inhalt der anstehenden Lehrprobe gehabt hat, obwohl ihm klar gewesen sei, dass
es auf die Behandlung geometrischer Körper „hinauslaufe“. Auch wenn man die Richtigkeit der vom
Vorsitzenden des Prüfungsausschusses in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung unterstellt,
dass sich der Unterrichtsstoff der Lehrprobe nicht in einen didaktisch sinnvollen zeitlichen Ablauf eingefügt hat,
hätte sich dies lediglich in einer Abwertung der Prüfungsnote niederschlagen dürfen. Ein Rückschluss auf den
Vorsatz, sich einen unerlaubten Vorteil verschaffen zu wollen, ist dagegen nach den Angaben des Klägers und
des Zeugen N. nicht gerechtfertigt. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger gegenüber der Prüfungskommission
als Begründung für den Inhalt seines Unterrichtsentwurfs geäußert haben sollte, die Schüler seien so schnell
gewesen. Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden ist der Kläger ca. eine Stunde lang angehört worden. Da
er sich hierbei gegenüber den drei Ausschussmitgliedern in einer Verteidigungsposition befunden hat und es
um seine berufliche Existenz ging, wäre es nachvollziehbar, wenn er sich auf alle in Betracht kommenden
Umstände berufen hätte, auch wenn sich diese bei einer Betrachtung mit einem gewissen Abstand nicht als
tragfähig erweisen würden. Es wäre verfehlt, in dieser Situation jede Äußerung des Klägers „auf die
Goldwaage" zu legen. In der mündlichen Verhandlung hat er nachvollziehbar und - auch im Verhältnis zu der
Zeugenaussage seines damaligen Mentors - widerspruchsfrei die Gesichtspunkte für die Auswahl des
Unterrichtsstoffs der Lehrprobe dargelegt, die entscheidend gegen die Annahme eines einer
Täuschungshandlung vergleichbaren Manipulationsvorsatzes sprechen.
31 Der Beklagte ist deshalb verpflichtet, den Kläger erneut zur Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung für das
Lehramt an Grund- und Hauptschulen im Prüfungsteil „Beurteilung der Unterrichtspraxis und didaktisches
Kolloquium“ zuzulassen. Er hat dabei darauf zu achten, dass der in § 15 Abs. 3 Satz 4 GHPO II 2001
genannte Personenkreis sowie die Mitglieder der für die Lehrprobe am 05.12.2006 berufenen Kommission nicht
zu Prüfern bestellt werden.
32 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
33 Gründe für eine Zulassung der Berufung gem. §§ 124 a, 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.