Urteil des VG Stuttgart vom 24.10.2008
VG Stuttgart (aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, antragsteller, verfügung, öffentliches interesse, diskothek, abgabe, antrag, auflage, aug)
VG Stuttgart Beschluß vom 24.10.2008, 4 K 3985/08
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Untersagungsauflage im Gaststättenrecht
Leitsätze
Eine Auflage, die dem Betreiber einer von Jugendlichen frequentierten Diskothek den Ausschank von Branntwein
und branntweinhaltigen Getränken generell untersagt, ist bis 24.00 Uhr erforderlich und verhältnismäßig. Anderes
gilt für die Zeit danach, da sich Jugendliche dann ohnehin dort nicht mehr unbegleitet aufhalten dürfen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wird hinsichtlich Ziffer 1.1. der Verfügung der
Antragsgegnerin vom 02.10.2008 insoweit wiederhergestellt, als sich das Verbot der Abgabe und des Verzehrs von
Branntwein, branntweinhaltigen Getränken und Lebensmitteln, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge
enthalten, auf den Zeitraum nach 24.00 Uhr bezieht. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine
für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 02.10. 2008. Darin wurde unter Ziffer I.1.1.
gestützt auf § 5 Abs. 1 Gaststättengesetz - GastG - angeordnet, dass bei Veranstaltungen bzw. an
Betriebstagen, an denen der Antragsteller Jugendliche ab 16 Jahre speziell anwerbe oder ihnen Zutritt gewähre,
generell weder Branntwein noch branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur
geringfügiger Menge enthalten, abgegeben noch deren Verzehr gestattet werden dürften.
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Der Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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Der Antrag hat jedoch nur teilweise Erfolg.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, von den
Folgen einer sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung bis zum Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit
verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der von der
Antragsgegnerin verfügten Regelungen vorzunehmen. Dabei kommt den voraussichtlichen Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche, aber noch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung
zu. Selbst wenn sich die angegriffene Verfügung aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
durchgeführten Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweisen sollte, bedarf es gleichwohl der
Feststellung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Vollziehung vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der
Verfügung.
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Soweit sich der Antragsteller gegen die unter Ziffer I. 1.1 getroffenen und auf § 5 GastG gestützte generelle
Untersagung der Abgabe bzw. des Verzehrs von Branntwein und branntweinhaltigen Getränken oder
Lebensmitteln, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge enthalten, dürfte sein Widerspruch im für die
Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt, der, da noch kein Widerspruchsbescheid vorliegt, derjenige der
gerichtlichen Entscheidung ist, aller Voraussicht nach Erfolg haben, soweit er sich auf den Zeitraum nach
24.00 Uhr bezieht; was den Zeitraum vor 24.00 Uhr betrifft, dürfte er hingegen ohne Erfolg bleiben. Hinsichtlich
dieses Zeitraums liegt auch ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen
Verfügung vor.
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Rechtsgrundlage für die angefochtene Maßnahme ist § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Danach können
Gewerbetreibenden, die einer Erlaubnis bedürfen, jederzeit Auflagen zum Schutz der Gäste gegen Ausbeutung
und gegen Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit oder Sittlichkeit erteilt werden. Eine solche Auflage muss
geeignet und erforderlich sein, um den genannten Zweck zu erreichen und darf sich nicht als unverhältnismäßig
erweisen. Anlass für die Maßnahme der Antragsgegnerin war, dass der Antragsteller nunmehr für
Veranstaltungen an Freitagen, an denen er seine Diskothek im Gegensatz zu anderen Tagen auch für den
Personenkreis ab 16 Jahren öffnet, in erheblichem Umfang Werbung macht und an diesen Tagen teilweise mit
erheblich reduzierten Getränkepreisen (so am 17.10.) sowie weiteren für Jugendliche bedenklichen
Programmpunkten Werbung gemacht hat. Gespräche mit dem Antragsteller, in dem die Frage, wie die
Vorgaben des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) hinsichtlich des Ausschanks alkoholischer Getränke effektiv
durchgesetzt werden können, ergaben keine Lösung. Der Antragsteller wies darauf hin, dass in seinem Betrieb
mit einer Karte bezahlt werden solle, die abgestrichen werde und mit welcher am Ausgang zu bezahlen sei.
Jugendliche unter 18 Jahren bekämen hierbei abgegrenzt von älteren Personen gesondert gekennzeichnete
Karten, die dem geschulten Bar-Personal aufzeigten, dass an den betreffenden Personenkreis kein Branntwein
und keine branntweinhaltigen Getränke ausgeschenkt werden dürften. Dies hat die Antragsgegnerin im Hinblick
auf die konkreten Verhältnisse vor Ort zu Recht für nicht ausreichend erachtet. Die Gaststättenerlaubnis
bezieht sich auf ein Wirtschaftszimmer (mit zwei Bars) von 470,35 m² und ein Wirtschaftszimmer (mit einer
Bar) von 162,90 m². Bei einer Polizeikontrolle am 03.10.2008 standen gegen 21.00 Uhr ca. 250 junge
Menschen vor dem Club, während weitere Massen von Jugendlichen dorthin zogen. Dass angesichts dieses
Zustroms und räumlichen Umfangs nicht mehr kontrollierbar ist, an welche Personen Branntwein ausgeschenkt
wird, liegt auf der Hand. Durch die Tatsache, dass die Getränke an der Bar erworben werden und nicht wie z.B.
in Speiselokalen üblich Tischbestellungen aufgenommen werden, ist es zudem für jeden Gast ein Leichtes,
einen älteren Gast zu bitten, ihm ein entsprechendes Getränk zu besorgen. Hinzu kommt, dass offensichtlich
auch Verstöße gegen § 9 Abs. 1 JuSchG festgestellt werden konnten, nachdem der am 03.10.2008
kontrollierende Polizeibeamte bei etwa 30 Jugendlichen feststellen konnte, dass sie „Malibu“ mit Maracujasaft
zu sich nahmen, und beobachtete, dass an fünf Jugendliche branntweinhaltiger Alkohol als Mixgetränk
ausgeschenkt worden war. Dies zeigt deutlich, dass angesichts des hohen Anteils Jugendlicher und der
räumlichen Umstände es dem Antragsteller nicht möglich ist, in ausreichendem Maß die Abgabe von
branntweinhaltigen Getränken zu unterbinden. Damit ist eine Auflage, die die Einhaltung der Vorschriften des §
9 Abs. 1 JuSchG gewährleistet, grundsätzlich angebracht. Die Auflage in Ziffer I.1.1. ist hierzu geeignet, denn
das generelle Verbot führt dazu, dass der Antragsteller bzw. dessen Personal bei Bestellungen nicht mehr
„ausgetrickst“ werden können. Sie ist für den Zeitraum bis 24.00 Uhr auch erforderlich, da insoweit ein milderes
Mittel nicht ersichtlich ist. Sie ist auch nicht unverhältnismäßig, denn gegenüber dem bei einem regelmäßigen
Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften grundsätzlich möglichen Widerruf der Gaststättenerlaubnis stellt sie
ein bei Weitem weniger einschneidendes Mittel dar. Demgegenüber müssen insoweit die finanziellen Interessen
des Antragstellers zurücktreten. Im Übrigen hat er es selbst in der Hand, durch eigene unternehmerische
Entscheidung festzulegen, ob er Jugendlichen Einlass gibt und keine branntweinhaltigen Getränke anbietet
oder ob er das Eintrittsalter wie an anderen Tagen auf 18 Jahre anhebt. Ermessensfehler der Antragsgegnerin
sind vor diesem Hintergrund insoweit nicht erkennbar.
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Dagegen erweist sich die umstrittene Verfügung bei summarischer Prüfung als unverhältnismäßig, soweit sie
sich auf den Zeitraum nach 24.00 Uhr bezieht. Denn ab 24.00 Uhr dürfen sich Jugendliche lediglich noch in
Begleitung einer personensorgeberechtigten oder erziehungsbeauftragten Person (vgl. §§ 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr.
4 JuSchG) in der Diskothek aufhalten. Schon deshalb reduziert sich der Kreis der betroffenen Personen in
nicht unerheblichem Umfang, weil Jugendliche ohne entsprechende Begleitung dann - nach Rückgabe ihrer
vom Antragsteller bis 24.00 Uhr einbehaltenen Ausweise - die Diskothek verlassen müssen. Soweit
Jugendliche über diesen Zeitpunkt hinaus in der Diskothek verbleiben, kann dem Antragsteller zugemutet
werden, abzuklären, ob die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 4 JuSchG vorliegen, denn ein
Verstoß gegen § 4 JuSchG stellt nicht nur eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 5 JuSchG, sondern
ggf. eine Straftat im Sinne des § 27 Abs. 2 JuSchG dar. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass
die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Delegation von Erziehungsaufgaben dort ihre Grenze findet, wo
die übertragene Aufsichtspflicht tatsächlich nicht (mehr) wahrgenommen wird, sei es, dass sich die
"erziehungsbeauftragte Person" aus der Diskothek (bzw. der Gaststätte) entfernt und den Minderjährigen
unbeaufsichtigt zurücklässt oder sich durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch etc. in einen Zustand versetzt,
der die Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe objektiv unmöglich macht. Die "erziehungsbeauftragte Person"
muss räumlich anwesend sein und jederzeit Einfluss auf das Verhalten des Jugendlichen nehmen bzw.
Gefahren von ihm abwehren können (so OLG Nürnberg, Urteil v. 12.09.2006 - 2 St OLG Ss 108/06 ).
Wenn der Antragsteller seiner Kontrollpflicht insoweit umfassend und ausreichend nachkommt, dürfte sich das
Risiko einer unzulässigen Abgabe branntweinhaltiger Getränke an zu dieser Zeit noch in der Diskothek
befindliche Jugendliche aber weitgehend beherrschen lassen, so dass die umstrittene Anordnung insoweit nicht
erforderlich erscheint und zum jetzigen Zeitpunkt insoweit die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs
wiederherzustellen ist.
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Sollten weitere Kontrollen ergeben, dass es erneut auch nach 24.00 Uhr zur Abgabe branntweinhaltiger
Getränke an Jugendliche kommt, steht es der Antragsgegnerin frei, einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu
stellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
10 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des
Streitwerts für das Eilverfahren kommt nicht in Betracht, da die vom Antragsteller befürchteten finanziellen
Einbußen sich bereits im Eilverfahren in vollem Umfang realisieren.